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29.09.2017

Höhere Methan-Emissionen aus der Landwirtschaft

Die Emissionen des Treibhausgases Methan aus der Landwirtschaft könnten deutlich höher liegen als frühere IPCC-Berichte angenommen haben. Und das gleich um elf Prozent. Die Arbeit von Wolf et al. bezieht eine Vielzahl von Faktoren ein und berücksichtigt unter anderem auch, dass die Milchkühe mehr wiegen als früher, mehr Milch geben, mehr Kraftfutter konsumieren. Die Autoren ordnen das Ergebnis ihrer Studie ein als „discernably larger emissions relative to calculations made using IPCC 2006 emissions factors“. Die Studie ist im BMC-Journal Carbon Balance and Management (siehe *Primärquelle) erschienen.

 

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Klaus Butterbach-Bahl, Leiter der Abteilung Bio-Geo-Chemische Prozesse, Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Umweltforschung (IMK-IFU), Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Garmisch-Partenkirchen
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  • Prof. Dr. André Butz, Abteilungsleiter Fernerkundung der Atmosphäre, Institut für Physik der Atmosphäre, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Oberpfaffenhofen und Meteorologisches Institut, Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), München
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  • Dr. Lena Höglund Isaksson, Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Forschungsprogramm Luftqualität und Treibhausgase, Internationales Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA), Laxenburg, Österreich
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  • Prof. Dr. em. Martin Heimann, ehemal. Direktor Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Jena und Forschungsdirektor der Abteilung Atmospheric Science, Institut für Physik, Universität Helsinki, Finnland
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Statements

Prof. Dr. Klaus Butterbach-Bahl

Leiter der Abteilung Bio-Geo-Chemische Prozesse, Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Umweltforschung (IMK-IFU), Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Garmisch-Partenkirchen

„Die Methodik der Studie ist in Ordnung und basiert im Wesentlichem auf Tierzahlen, Haltungsmethoden und Tierkenngrößen, wie Gewicht und Fütterungsbedingungen für verschiedene Regionen, und auf einer Neubewertung von Emissionsfaktoren für Methan-Emissionen von Wiederkäuern sowie für Wirtschaftsdünger-Management. Da aber gerade Tierzahlen und Tierkenngrößen für nicht OECD-Länder (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die 35 Mitgliedsstaaten gelten als entwickelte Länder; Anm. d. Red.) nach wie vor unsicher bleiben, und Emissionsfaktoren nahezu ausschließlich durch Studien in OECD-Ländern aufgestellt wurden, sind auch die neu verwendeten Zahlen mit den entsprechend großen Unsicherheiten behaftet, welche nicht ausreichend diskutiert werden.“

„Elf Prozent Veränderung (gegenüber dem IPPC Bericht von 2006; Anm. d. Red.) sind klar innerhalb des Fehlerbereichs der Schätzungen. Der Vergleich sollte auch nicht zum IPCC-Bericht von 2006 geführt werden, sondern zu neueren Publikationen, wie zum Beispiel [1] (wird in der aktuellen Studie zitiert) oder [2], der EDGAR-Datenbank [3] oder [4]. Ich nehme an, dass die Autoren [4] nicht kannten, da sie zum Zeitpunkt des Einreichens der Studie noch nicht erschienen war.“

„Es sind ja keine zusätzlichen Emissionen, sondern es handelt sich um eine Neuberechnung. Die Untersuchung, wie auch die Untersuchung bei [4], welche ich für die besser fundierte halte, zeigen aber, wie wichtig die Viehhaltung als Emissionsquelle für Treibhausgase ist und das zur Erreichung der Klimaziele unbedingt Emissionsreduktionen im Landwirtschaftssektor und hier insbesondere bei der Produktion tierischer Proteine erzielt werden müssen. Hier gibt es übrigens eine sehr gute Studie, an der auch ich beteiligt war [5].“

„Darüber hinaus zeigt die aktuelle Studie, dass eine Verifizierung von Emissionsreduktionen aus der Landwirtschaft eine Reduktion der Unsicherheiten bei der Quantifizierung der Emissionen voraussetzt. Dies bedeutet insbesondere eine verbesserte Quantifizierung von Tierzahlen und Tierkenngrößen, Tierhaltung und Tierfuttermittelverbrauch, und verbesserte Emissionsfaktoren nicht nur für OECD-Länder, sondern insbesondere auch für Entwicklungs- und Schwellenländer, da diese einen hohen Beitrag an den Gesamtemissionen haben. Das erfordert eben auch aufwendige Messungen von zum Beispiel Emissionsfaktoren für verschiedene Tierhaltungs- und Wirtschaftsdünger-Management-Systeme.“

Prof. Dr. André Butz

Abteilungsleiter Fernerkundung der Atmosphäre, Institut für Physik der Atmosphäre, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Oberpfaffenhofen

Meteorologisches Institut, Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), München

„Die vorliegende Studie von Wolf et al. berichtet ein Update der Emissionsfaktoren für Methan-Emissionen aus der Tierhaltung. Ein Emissionsfaktor sagt aus, wieviel Kilogramm Methan pro Jahr von einem Tier im Durchschnitt emittiert wird. Multipliziert mit der Zahl der Tiere in einer Region ergibt dies dann die Emission pro Jahr in der Region. Trends der Emissionen können also aus Trends des Tierbestands und der Emissionsfaktoren zusammengesetzt sein. Der Schwerpunkt der Studie liegt auf letzteren und basiert auf einer sorgfältigen und aktuellen Inventarisierung der verschiedenen Faktoren, die beim Emissionsprozess eine Rolle spielen.“

„Aus den neuen Emissionsfaktoren ergibt sich ein Trend der Methan-Emissionen bis 2013, der etwas steiler aufwärts verläuft als bei der Berechnung mit den IPCC-2006-Emissionsfaktoren. Die Autoren stellen aber richtigerweise klar, dass es andere Autoren und Quellen gibt, die bereits vorher ähnliche Schlussfolgerungen gezogen haben [6]. Für die globalen Methan-Emissionen ist das berichtete Update ein Baustein zu einem verbesserten Verständnis, aber quantitativ sicher im Bereich der vorher angesetzten Unsicherheiten. Trotzdem ist die Studie ein wertvoller Beitrag, da sie eine systematische Aktualisierung der ‚bottom-up’-Methode, das heißt der Emissionsschätzung durch Inventarisierung von Einzelprozessen, vorschlägt und dokumentiert.“

„Interessant ist auch der von den Autoren angeführte Hinweis auf die komplementäre ‚top-down’-Methode. Dort werden die Methan-Konzentrationen in der Atmosphäre zum Beispiel durch globale Messnetzwerke und seit einigen Jahren auch durch Satelliten vermessen. Aus den Konzentrationsunterschieden zwischen Orten und Zeitpunkten wird auf Emissionen dazwischen geschlossenen. Ideal wäre, wenn beide Methoden, bottom-up und top-down, konsistente Emissionsschätzungen liefern würden. Das ist aber bis heute nicht der Fall [7] und aktuell Gegenstand der Forschung und Methodenentwicklung. Die berichtete Aktualisierung kann ein Schritt zu einer verbesserten Übereinstimmung der beiden Ansätze sein.“

Dr. Lena Höglund Isaksson

Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Forschungsprogramm Luftqualität und Treibhausgase, Internationales Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA), Laxenburg, Österreich

„Ich denke, die Autoren haben einen wichtigen Aspekt der IPCC 2006-Richtlinien für Emissionsberechnungen außer Acht gelassen – die verschiedenen ‚Tier-Level’ (IPCC klassifiziert die verschiedenen methodischen Ansätze in drei verschiedene ‚Tiers’, die sich in ihrer Komplexität unterscheiden; ‚Tier 1’ ist die niedrigste der Stufen, ‚Tier 3’ die höchste; Anm. d. Red). Es wird empfohlen, immer das höchst mögliche Tier-Level zu nutzen, je nach verfügbaren Daten. Die niedrigste Stufe – Tier 1 – ist die Anwendung regionaler Emissionsfaktoren, die in den Richtlinien festgelegt sind, während die Stufen 2 und 3 viele länderspezifische Daten für Berechnungen verwenden, wie zum Beispiel durchschnittliches Tiergewicht, Ausscheidungsraten, Stallungsraten, Milchertrag, Daten zur Düngemittelbewirtschaftung usw. Fast alle Annex-1-Länder – also alle Industrie- und die meisten Schwellenländer – berichten dem UNFCCC (Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen, Anm. d. Red.) jährlich diese Informationen und berücksichtigen diese bei der Schätzung der Emissionen. Ebenso berücksichtigen globale bottom-up-Analysen wie GAINS (Greenhouse gas and air pollution interactions and synergies; Anm. d. Red.) [8] und EDGAR (Emissions Database for Global Atmospheric Research; Anm. d. Red.) [3] diese Informationen auch bei der Schätzung der globalen Methan-Emissionen von Nutztieren. Daher ist es nicht der Fall, – wie diese neue Studie den Anschein erweckt – dass bestehende bottom-up-Analysen sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene die sehr vereinfachenden regionalen Standard-Emissionsfaktoren des IPCC Tier 1 nutzen, um Methan aus Nutztieren zu schätzen. Stattdessen verwenden wir bereits die IPCC Tier 2- und Tier3-Methodiken, die die gegenwärtige Situation in Bezug auf Tierproduktivität und veränderte Güllebewirtschaftung berücksichtigen.“

„Darüber hinaus gibt es keinen einfachen linearen Zusammenhang zwischen erhöhter tierischer Produktivität und erhöhten Methanemissionen. Wie wir bei der Milchproduktion in der EU gesehen haben, ist der Milchertrag pro Tier deutlich gestiegen, aber gleichzeitig ist die Zahl der Tiere zurückgegangen – da man jetzt mit weniger Tieren mehr Milch produzieren kann. Das bedeutet, dass die Emissionen pro Tier zwar steigen, aber die Emissionen pro Kilogramm Milch zurückgehen. Der Gesamteffekt auf die Emissionen kann sich also in beide Richtungen entwickeln.“

Prof. Dr. em. Martin Heimann

ehemal. Direktor Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Jena

Forschungsdirektor der Abteilung Atmospheric Science, Institut für Physik, Universität Helsinki, Finnland

„Die globale Summe der verschiedenen natürlichen (circa 40 Prozent) und anthropogenen (circa 60 Prozent) Quellen des atmosphärischen Methans ist relativ gut bestimmt. Sie kann aus der globalen Bilanz des Methans ermittelt werden – das heißt, die beobachtete Zunahme in der Atmosphäre und die gut bekannten Senken, primär der photochemischen Oxidation, werden gegeneinander aufgerechnet. Die relativen Anteile der verschiedenen Beiträge zur Gesamtsumme sind jedoch wissenschaftlich umstritten. Laut der letzten Erhebung durch das Global Carbon Project [9] stammt etwa ein Drittel des anthropogenen Methans aus fossilen Quellen – aus Bergbau und Leckagen von Erdgas – sowie zwei Drittel aus der Landwirtschaft – unter anderem aus Tierhaltung und Reisanbau – und aus Deponien.“

„In der vorliegenden Studie von Wolf et al. wird der Beitrag aus der Tierhaltung aus umfassenden statistischen Erhebungen neu ermittelt. Die neue Schätzung liegt innerhalb der vom Global Carbon Project angegebenen Unsicherheiten und bestätigt daher zunächst das vorliegende Wissen über den globalen Kreislauf des Methans. Darüber hinaus zeigen die neuen Schätzungen eine zeitliche Zunahme der Methanemissionen aus der Tierhaltung während der letzten 25 Jahre. Diese Zunahme könnte damit eine Erklärung liefern, warum die globale Konzentration des Methans in der Atmosphäre nach einer Phase der Stagnation seit dem Jahr 2005 wieder ansteigt. Diese Erklärung wäre konsistent mit den beobachteten Änderungen des Verhältnisses der stabilen Isotope (<sup>13</sup>C/<sup>3</sup>C) im atmosphärischen Methan, welche auf eine Zunahme der biogenen Quellen des Methans hinweisen [10].“

„Eine weitere Konsequenz der aktuellen Studie von Wolf et al. ist, dass die vom IPCC festgelegten Emissionsfaktoren für die Methan-Emissionen aus der Landwirtschaft für die Ermittlung der nationalen Treibhausgasinventare leicht nach oben angepasst werden müssen.“

Mögliche Interessenkonflikte

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Wolf J et al. (2017): Revised methane emissions factors and spatially distributed annual carbon fluxes for global livestock. Carbon Balance and Management. DOI: 10.1186/s13021-017-0084-y.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Herrero M et al. (2013): Biomass use, production, feed efficiencies, and greenhouse gas emissions from global livestock systems. Proc Natl Acad Sci USA. 2013;110:20888–93. DOI: 10.1073/pnas.1308149110.

[2] Tubiello MA et al. (2014): Agriculture Forestry and other land use emissions by sources and removals by sinks. FAO Statistics Division.

[3] EDGAR – Emissions Database for Global Atmospheric Research.

[4] Dangal SR et al. (2017): Methane emission from global livestock sector during 1890–2014: Magnitude, trends and spatiotemporal patterns. Global Change Biology 23(10); 4147. DOI: 10.1111/gcb.13709.

[5] Herrero M et al. (2016): Greenhouse gas mitigation potentials in the livestock sector. Nature Climate Change 6, 452–461. DOI:10.1038/nclimate2925.

[6] Saunois M et al. (2017): Variability and quasi-decadal changes in the methane budget over the period 2000-2012. Atmos. Chem. Phys., 17, 11135-11161, DOI: doi.org/10.5194/acp-17-11135-2017. URL: http://bit.ly/2wkl1ut

[7] zum Beispiel Tabelle 6.8 in: Ciais P et al. (2013): IPCC, 2013: Carbon and Other Biogeochemical Cycles. in Stocker TF et al (2013): Climate Change 2013: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. URL: http://bit.ly/1LumwKb

[8] GAINS – Greenhouse Gas - Air Pollution Interactions and Synergies. Greenhouse Gas - Air Pollution Interactions and Synergies.

[9] Saunois M et al. (2016): The global methane budget 2000–2012. Earth System Science Data, 8 (2), 697-751. DOI: 10.5194/essd-8-697-2016.

[10] Schaefer H et al. (2016): A 21st-century shift from fossil-fuel to biogenic methane emissions indicated by ¹³CH₄. Science, 352 (6281), 80-84. DOI: 10.1126/science.aad2705. URL: http://bit.ly/1YG3cxG