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15.10.2019

Folgen von Cannabiskonsum in der Schwangerschaft von Ratten

Cannabiskonsum während der Schwangerschaft beeinträchtigt die Gehirnentwicklung ungeborener Kinder und macht sie anfälliger für psychiatrische Störungen. Ein internationales Forscherteam hat nun an Ratten untersucht, welche molekularen und zellulären Prozesse im Gehirn durch den Cannabis-Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) gestört werden und wie sich die Schäden womöglich beheben lassen. Ihre Ergebnisse veröffentlichen sie in der Fachzeitschrift „Nature Neuroscience“ (siehe Primärquelle).

Kennzeichen aller neuropsychiatrischen Erkrankungen, die mit THC-Konsum in Verbindung gebracht werden, ist ein fehlreguliertes Dopamin-System. Die Wissenschaftler um Roberto Frau wollten deshalb herausfinden, inwiefern THC wichtige Dopamin-Neuronen bereits pränatal verändert. Dazu verabreichten sie schwangeren Ratten zwei Wochen lang täglich eine Dosis THC – entsprechend dem Gehalt einer milden Cannabis-Zigarette. Anschließend konnten sie bei den männlichen Nachkommen exponierter Muttertiere vielfältige molekulare, zelluläre und synaptische Veränderungen beobachten, die nachhaltig die dopaminerge Signalübertragung im Gehirn beeinflussten. Darüber hinaus zeigten betroffene Tiere nach ihrer Geburt Verhaltensauffälligkeiten und sensomotorische Defizite. Interessanterweise konnten die Störungen nach Behandlung mit Pregnenolon – einem in den USA als Arzneimittel zugelassenen Hormon – behoben werden.

Cannabis ist die weltweit am meisten konsumierte Droge. Obwohl in Deutschland nicht als Genussmittel legalisiert, ist auch hierzulande der Konsum – speziell unter Frauen – deutlich gestiegen [1]. Zu den Konsumentinnen zählen vermutlich auch einige Schwangere, insbesondere, wenn ihr Zustand noch unbekannt ist. In manchen Ländern wird Cannabis darüber hinaus gezielt zur medizinischen Behandlung von Schwangerschaftsübelkeit eingesetzt. Obwohl solche Präparate in Deutschland für Schwangere nicht empfohlen werden, können Frauen womöglich anderweitig mit hohen THC-Dosen in Kontakt kommen. So übersteigt etwa der THC-Gehalt hanfhaltiger Lebens- und Nahrungsergänzungsmittel häufig die von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) empfohlenen Richtwerte. Über ihren Verzehr könnten Experten zufolge sogar solche Mengen erreicht werden, die in Arzneimitteln eingesetzt werden.

 

Übersicht

     

  • Dr. Wolfgang Paulus, Oberarzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie, Universitätsfrauenklinik Ulm
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  • Prof. Dr. Ursula Havemann-Reinecke, Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Göttingen
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Statements

Dr. Wolfgang Paulus

Oberarzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie, Universitätsfrauenklinik Ulm

„Seit Jahrzehnten wird ein THC-Konsum der Mutter während der Schwangerschaft mit Verhaltensauffälligkeiten der Nachkommen in Verbindung gebracht. Störungen der Aufmerksamkeit oder Impulskontrolle, Neigung zu Depressionen und Ängsten sowie ein erhöhtes Risiko für spätere Suchterkrankungen werden seit langem diskutiert. Allerdings muss man dabei auch die mitunter problematischen psychosozialen Umgebungsbedingungen der aufwachsenden Kinder beziehungsweise die Kombination mit dem mütterlichen Konsum anderer Drogen in der Schwangerschaft berücksichtigen.“

„Die in der Studie durchgeführten Tierexperimente erhärten den Verdacht einer Beeinflussung der Entwicklung des Nervensystems beim Ungeborenen. Die in der Studie verwendeten THC-Dosen entsprechen dem Gehalt milder Joints mit einem THC-Gehalt von etwa fünf Prozent.“

Auf die Frage, ob THC-haltige Medikamente auch in Deutschland verschrieben werden:
„Nach einer Recherche der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) liegen für Cannabisarzneimittel akzeptable wissenschaftliche Erkenntnisse bislang nur für die begleitende Behandlung von Spastiken, Übelkeit und Erbrechen durch Zytostatika (Medikamente, die das Zellwachstum hemmen, meist zur Krebstherapie eingesetzt; Anm. d. Red.) sowie chronischen Schmerzen vor. Cannabis-Präparate sind in Deutschland für die Behandlung von Schwangeren nicht vorgesehen.“

„Auf Basis der vorliegenden Daten kam das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) im November 2018 zu dem Schluss, dass der Verzehr hanfhaltiger Lebensmittel zu einer Überschreitung der von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) vorgeschlagenen Akuten Referenzdosis (ARfD) von 0,001 Milligramm (mg) je Kilogramm Körpergewicht führen kann. Diese Akute Referenzdosis beschreibt die THC-Menge, die kurzfristig aufgenommen werden kann, ohne dass psychomotorische und psychogene Effekte zu erwarten sind. Es ist außerdem möglich, dass beim Verzehr hanfhaltiger Lebensmittel THC-Dosen aufgenommen werden könnten, die im Bereich der arzneilich eingesetzten Dosen ab 2,5 mg pro Person und Tag liegen. Insofern sollten Schwangere auch auf einen dauerhaften Konsum dieser Produkte möglichst verzichten.“

„Die Häufigkeit des Cannabiskonsums zeigt nach den aktuellen Auswertungen des Epidemiologischen Suchtsurveys (ESA) in der Allgemeinbevölkerung Deutschlands bei beiden Geschlechtern einen zunehmenden Trend [1]. Demnach konsumierten 16 Prozent aller 25- bis 29-Jährigen im Jahr 2018 Cannabis. Tendenziell steigt der Anteil der Cannabiskonsumenten bei Frauen stärker als bei Männern. Darunter ist sicherlich auch ein erheblicher Anteil Schwangerer anzunehmen, zumal fast die Hälfte aller Schwangerschaften nicht geplant eintritt. Aktuelle Daten aus den USA zeigen, dass bis zu 11 Prozent aller Frauen in der Frühschwangerschaft Cannabis konsumieren.“

„Pregnenolon, ein Vorläufermolekül des Sexualhormons Progesteron, blockiert in Tierversuchen mit Mäusen und Ratten den Cannabinoid-Rezeptor Typ 1, der unter anderem durch THC aktiviert wird. Damit wirkt es zwar dem THC-Effekt auf der Ebene der Rezeptoren entgegen, ob damit aber die Einflüsse eines Dauerkonsums von Cannabis in der Schwangerschaft beseitigt werden können, müsste erst durch Untersuchungen beim Menschen bestätigt werden. Für entsprechende Studien beim Menschen wären Langzeitbeobachtungen an einer größeren Zahl Betroffener erforderlich. Eine rasche Klärung des möglichen Effekts ist sicher nicht zu erwarten. Einstweilen gilt die klare Empfehlung, in der Schwangerschaft auf Cannabis zu verzichten! Das wäre allemal sinnvoller als zu versuchen, eventuelle Schäden beim Kind später durch Gegenmittel zu behandeln.“

„Der verwandte Progesteron-Metabolit Allopregnanolon (Brexanolon) wurde kürzlich von der US-Zulassungsbehörde FDA als Infusion für die kurzfristige Behandlung der Wochenbettdepression zugelassen, allerdings unter strengen Vorsichtsmaßnahmen wegen der Gefahr einer starken Sedierung und eines plötzlichen Bewusstseinsverlustes.“

Prof. Dr. Ursula Havemann-Reinecke

Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Göttingen

„Die Ergebnisse der ausgezeichneten Studie von Frau et al. in ‚Nature Neuroscience‘ sind klinisch hoch relevant. Die Effekte, die die Kollegen auf das dopaminerge System messen konnten, überraschen nicht – bisher hat aber noch niemand die direkten komplexen Effekte von chronischem THC-Konsum der Mutter in der Schwangerschaft auf das dopaminerge System des Gehirns des Nachwuchses in dieser Weise so zeigen können.“

„Die Autoren zeigen eindrücklich, dass die dopaminerge Aktivität des Nachwuchses im Ventralen Tegmentum (VT) durch THC verändert wird. Das VT ist ein wichtiger Bereich des Belohnungssystems, das bei der Entwicklung von Sucht, aber auch von Psychosen, eine zentrale Rolle spielt. Es ist aufgrund dieser Befunde nachvollziehbar, dass THC in der Schwangerschaft das Risiko für den Nachwuchs erhöht, später eine Suchterkrankung und/oder eine Psychose zu erleiden.“

„Eine Dosis von zwei mg THC/kg Körpergewicht ist durchaus eine klinisch relevante Dosis, wobei betont werden muss, dass Schwellenwerte für toxische Schäden am Ungeborenen beziehungsweise am Nachwuchs durch Cannabis oder andere Drogen nicht bekannt sind [2]. Das heißt, dass keine unteren Schwellenwerte angegeben werden können, die als potenziell unschädlich gelten können.“

„Im Detail zeigen die Autoren, dass durch die pränatale chronische THC-Gabe ausgiebige molekulare, zelluläre und synaptische Veränderungen in den dopaminergen Neuronen des Nachwuchses erzeugt werden. Diese führen zu einem hyperdopaminergen Zustand mit verstärkter Sensibilität gegenüber THC in der späteren Präadoleszenz, der offensichtlich mit einer adaptiven verminderten Expression der Dopamin-2-Rezeptorgene verbunden ist (wie andere Autoren gezeigt haben). In eigenen Untersuchungen mit einem synthetischen Cannabinoid, das vergleichbar zu THC wirkt, konnten wir in adulten Nagern ebenfalls eine durch diesen Wirkstoff verursachte (adaptive) verminderte Expression der Dopamin-2-Rezeptorgene messen [3].“

Auf die Frage, ob THC-haltige Medikamente auch in Deutschland verschrieben werden:
„Hierzu liegen mir keine Daten vor, aber es könnte sein, dass Cannabispräparate zum Beispiel gegen Schwangerschaftsübelkeit eingenommen oder angefragt werden.“

„Wie bereits oben dargelegt, können nicht toxische Schwellenwerte von Cannabis in der Schwangerschaft nicht angegeben werden. Es gibt in Deutschland vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) eine Unterscheidung von Lebensmittelhanf und Hanf zu Rausch und medizinischen Zwecken. In Lebensmitteln darf zum Beispiel nicht mehr als 150 µg THC/kg Lebensmittel enthalten sein. Es gibt aber sicherlich keine Aussage darüber, ob Lebensmittelhanf unbedenklich in der Schwangerschaft ist.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Wolfgang E. Paulus: „Interessenkonflikte des Autors bestehen nicht.“

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Frau R et al. (2019): Prenatal THC exposure produces a hyperdopaminergic phenotype rescued by pregnenolone. Nature Neuroscience. DOI: 10.1038/s41593-019-0512-2.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Institut für Therapieforschung (2019): Epidemiologischer Suchtsurvey (ESA) 2019.

[2] Hoell I et al. (2013): Behandlung polytoxikomaner opioid-abhängiger Schwangerer. Psychopharmakotherapie; 20:2-13.

[3] Tomas-Roig J et al. (2018): Effects of repeated long-term psychosocial stress and acute cannabinoid exposure on mouse corticostriatal circuitries: Implications for neuropsychiatric disorders. CNS Neurosci Therapy; 24(6):528-538. DOI: 10.1111/cns.12810.