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03.02.2022

Effekt von Faktenchecks auf Falschwahrnehmungen zu COVID-19

Faktenchecks können kurzfristig Falschwahrnehmungen zu COVID-19 korrigieren – oft besonders gut bei den für Falschinformationen anfälligsten Gruppen oder Personen, die vorher vielen Falschinformationen glaubten. Diese Verringerung der Falschwahrnehmungen hält aber nicht lange an und ist nach einigen Wochen kaum noch messbar. Zu diesem Schluss kommen die Autoren einer Studie, die am 03.02.2022 im Fachjournal „Nature Human Behaviour“ erschienen ist.

Die Autoren haben Probandinnen und Probanden in den USA und Großbritannien in mehreren Runden befragt, in Kanada in nur einer. Sie legten dabei verschiedenen Gruppen zu unterschiedlichen Zeitpunkten Fact Checks zu COVID-19-Falschbehauptungen oder Artikel ohne Zusammenhang zu den Falschbehauptungen vor. Danach bewerteten die Probandinnen und Probanden wahre und falsche Aussagen zu COVID-19. Während die Befragten, die Faktenchecks zu bestimmten Falschbehauptungen gelesen hatten, diese häufiger als falsch erkennen konnten, zeigte sich dieser Effekt schon einige Wochen später kaum noch. Die Autoren fanden auch keine Evidenz für Übertragungseffekte auf die Wahrnehmung anderer Falschwahrnehmungen zu COVID-19 – die Meinung der Befragten änderte sich nur zu den konkreten Themen, die in den Faktenchecks behandelt wurden. Ebenso sahen die Forscher keine Evidenz dafür, dass sich die Wirkung von Fact Checks erhöhte, wenn diese wiederholt mit einigen Wochen Abstand vorgelegt wurden.

Die Frage nach der Wirkung von Faktenchecks ist momentan im Zuge der COVID-19-Pandemie besonders relevant, aber schon seit einigen Jahren ein wichtiges Thema. Faktenchecks und gezielte Widerlegungen von Falschbehauptungen sowie standardmäßig ausgespielte Hinweise zu vertrauenswürdigen Quellen werden als mögliche Maßnahmen gegen Falsch- und Desinformation gesehen. Welche Effekte diese verschiedenen Maßnahmen genau haben und unter welchen Umständen sie am wirksamsten sind, ist allerdings noch Gegenstand der Forschung.

Aus diesem Grund hat das SMC Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach dem Stand der Forschung zu Faktenchecks, einer Einschätzung der Studie und zu effektiven Maßnahmen gegen Falschwahrnehmungen befragt.

Übersicht

     

  • Dr. Sabrina Heike Kessler, Senior Research and Teaching Associate, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Abteilung Wissenschaftskommunikation, Universität Zürich, Schweiz
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  • Prof. Dr. Christian Hoffmann, Professor für Kommunikationsmanagement, Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Universität Leipzig
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  • Prof. Dr. Nicole Krämer, Leiterin des Fachgebiets Sozialpsychologie: Medien und Kommunikation, Universität Duisburg-Essen
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  • Dr. Lena Frischlich, Kommunikationswissenschaftlerin und Medienpsychologin, Institut für Kommunikationswissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
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Statements

Dr. Sabrina Heike Kessler

Senior Research and Teaching Associate, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Abteilung Wissenschaftskommunikation, Universität Zürich, Schweiz

Auf die Frage, was der Stand der Forschung zur Wirkung von Faktenchecks ist:
„Noch höhere Belegkraft als einzelne Studien haben in der Wissenschaft Meta-Studien, welche systematisch die Ergebnisse von mehreren Studien zu einem Thema miteinander vergleichen. Auch Meta-Studien in diesem Forschungsfeld [1] [2] [3] bestätigen, was die vorliegende Studie zeigt: Faktencheck-Texte können den Glauben an Fehlinformationen bei den Leserinnen und Lesern deutlich reduzieren. Auch dass der Effekt der Fehlinformation durch eine Korrektur nicht vollständig und langfristig eliminiert werden kann, zeigt sich in verschiedensten Studien zu Desinformation. Das Phänomen wird als ‚continued influence effect‘ der Fehlwahrnehmung bezeichnet. Dieser wird mit der Zeit – leider – auch stärker. Die alte Weisheit stimmt – ‚etwas Dreck bleibt immer hängen‘ und Fehlwahrnehmungen beeinflussen entsprechend oft trotz einer Korrektur weiter das Denken und Handeln von Menschen.“

„Aber grundsätzlich ist jeder Widerlegungsversuch besser als gar kein Widerlegungsversuch. Die Faktenchecks können den Glauben an und die Verbreitung von Fehlinformation signifikant reduzieren – das zeigt auch die vorliegende Studie. Studien aus Deutschland, beispielsweise durchgeführt in der COSMO-Befragung [4], zeigen mitunter, dass gut gemachte Widerlegungsversuche auch längerfristiger wirksam sein können.“

„Überraschend ist, dass auch die wiederholte Konfrontation mit einem Widerlegungstext in der aktuellen Studie nicht zu länger anhaltenden positiven Effekten führte. In der Theorie wurde angenommen, dass durch das wiederholte Lesen einer Widerlegung diese von den Leserinnen und Lesern als vertrauter und richtiger wahrgenommen werden würde. Da hier derselbe Widerlegungstext zwei Mal genutzt wurde, wäre eine nächste Frage, ob ein zweiter Widerlegungstext dann erfolgreicher wäre, wenn dieser noch weitere Korrekturinformationen enthalten würde. Wenn ein zweiter Widerlegungstext noch mehr Argumente oder erklärende Details geben würde, würde dieser wahrscheinlich eine längerfristige positive Wirkung haben.“

Auf die Frage, wie man Falschwahrnehmungen effektiv bekämpfen kann und welche Rolle Faktenchecks dabei spielen können:
„Es ist wichtig, die Verbreitung von Falschmeldungen von Beginn an einzudämmen. Denn sind Falschwahrnehmungen einmal im Kopf eines Menschen, sind sie dort relativ stabil verankert und nicht wieder vollständig zu beseitigen. Man benötigt dann im Nachhinein spezifische Widerlegungsstrategien, die voraussetzen, dass diese Widerlegungstexte dann auch von den Menschen aufmerksam gelesen, verarbeitet und abgespeichert werden. Gute Faktenchecks nutzen diese effektiven Widerlegungsstrategien und sind so eine wertvolle Ressource im Kampf gegen die Verbreitung von Fehlinformationen.“

„Die Forschung zeigt jedoch auch, dass eine sogenannte vorherige ‚Impfung gegen Fehlinformationen‘ noch effektiver ist als die Bekämpfung der Fehlwahrnehmung im Nachhinein. Bei dieser ‚Impfung‘ geht es darum, Menschen die Risiken von verbreiteten Fehlinformationen vor Augen zu führen und gleichzeitig eine präventive Widerlegung vorzunehmen. Dies verbessert dann auch ganz allgemein deren Kompetenz, Fehlinformationen zu erkennen.“

Auf die Frage, was Journalistinnen und Journalisten beim Umgang mit Falsch- und Desinformation berücksichtigen sollten, insbesondere im Kontext von COVID-19:
„Die Forschung ist seit Beginn der weltweiten Fake News-Debatte verstärkt dabei, Mittel und Wege zu untersuchen, wie eine Korrektur von Falschmeldungen durch Medien am besten funktionieren kann.“

„Einfach gesagt, entsteht im Kopf von Menschen eine Lücke, wenn Fehlwahrnehmungen korrigiert werden. Man nennt das in der Psychologie eine Lücke ‚im mentalen Modell‘. Diese entstandene Lücke muss geschlossen werden, damit die Fehlinformation hier keinen Platz mehr hat. Journalistinnen und Journalisten sollten beim Widerlegen von Fehlinformationen versuchen, diese Lücke zu schließen, indem sie eine detaillierte und einprägsame alternative Erklärung liefern. Eine Widerlegung kann dabei faktenbasiert, logikbasiert oder quellenbasiert sein. In der Erklärung sollten sie auch Gründe darlegen, warum eine Falschnachricht überhaupt existiert und gestreut wird. Idealerweise ist die Erklärung wissenschaftlich gesicherter und plausibler als die Falschnachricht und wird kurz und leicht verständlich kommuniziert.“

„Ein kontinuierliches Widerlegen von Fehlinformationen durch Faktenchecks ist insbesondere im Kontext von COVID-19 wichtig. Denn verbreitete Fehlinformationen sind hier nicht nur ein Gesundheitsrisiko für einzelne Personen, sondern mitunter für die gesamte Gesellschaft. Dass wir es in Deutschland trotz vorhandenem Impfangebot nicht zu einer Herdenimmunisierung geschafft haben, das liegt auch an verbreiteten Fehlwahrnehmungen der Menschen. Diese effektiv zu bekämpfen, ist auch eine Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten.“

Prof. Dr. Christian Hoffmann

Professor für Kommunikationsmanagement, Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Universität Leipzig

„Die Autoren gehören zu den führenden Forschern im Feld und legen eine überzeugende, international vergleichende Analyse vor. Zu bedenken ist allenfalls, dass es sich um eine Experimentalstudie handelt. In der Forschung zu Faktenchecks gilt: Die größten Effekte zeigen sich unter relativ künstlichen Laborbedingungen. Je lebensnäher die untersuchte Nutzungssituation ist, desto geringer sind die nachweisbaren Effekte [1]. Es ist also davon auszugehen, dass die gezeigten kurzfristigen Effekte von Faktenchecks im Alltag der Nutzer kleiner sind als im Rahmen dieser Studie gezeigt. Die Autoren weisen zu Recht darauf hin, dass die Studie keine Aussage treffen kann zu den Auswirkungen der Faktenchecks auf das Verhalten der Nutzer – also beispielsweise die Einhaltung von Hygieneregeln, die Inanspruchnahme von Impfungen und so weiter. Auch nicht untersucht wurde, inwiefern die befragten Nutzer selbst Misinformation im Netz teilen. Es gibt Anzeichen dafür, dass Faktenchecks dazu führen können, dass die mit ihnen konfrontierten Nutzer anschließend sogar verstärkt aggressiv oder inhaltlich einseitig im Netz kommunizieren [5].“

Auf die Frage, was der Stand der Forschung zur Wirkung von Faktenchecks ist:
„Die Studie bestätigt: Faktenchecks sind nicht wirkungslos, aber auch keine Wunderwaffe im Kampf gegen Misinformation. Diverse Studien zeigen einen zumindest vorübergehenden Effekt von Faktenchecks auf das Wissen oder die Einschätzungen von Nutzern. Wie beschrieben, wird dieser Effekt allerdings sehr klein bis vernachlässigbar, je realistischer die untersuchte Nutzungssituation ist. Die aktuelle Studie bestätigt auch: Die in Experimenten erzeugten, relativ großen Effekte halten zudem nicht lange an. Dabei ist zu bedenken: Die verfügbare Studienlage unterliegt einem Publikations-Bias [1], das heißt, dass eher Studien veröffentlicht werden, die einen Effekt von Faktenchecks zeigen. Solche, die keinen Effekt finden, werden eher nicht veröffentlicht. Somit überschätzen wir vermutlich insgesamt die Wirksamkeit von Faktenchecks.“

„Effekte von Faktenchecks auf die Einstellungen oder das Verhalten der Rezipienten – also über deren Wissen hinaus – sind kaum nachweisbar (siehe beispielsweise [6]). Die aktuelle Studie zeigt auch, dass Faktenchecks sehr punktuell wirken – die Berichtigung einer Fehlannahme reduziert nicht andere Fehlannahmen. Zusammenfassend sind also die Ergebnisse der Studie nicht überraschend, sie zeigen einmal mehr die insgesamt beschränkte Wirksamkeit von Faktenchecks.“

Auf die Frage, wie man Falschwahrnehmungen effektiv bekämpfen kann und welche Rolle Faktenchecks dabei spielen können:
„Nach der aktuellen Studienlage ist die Verbreitung von Misinformation insgesamt gering, wir sind weit überwiegend verlässlichen Informationen ausgesetzt. Die Annahme, dass Nutzer im Netz zufällig einer Misinformation begegnen und stark von dieser beeinflusst werden, ist kaum begründet. Misinformation wird vor allem von solchen Menschen aufgesucht und verbreitet, die damit ihr Weltbild bestärken und andere überzeugen oder kritisieren wollen. Gerade diese kleine entschlossene Gruppe zeigt sich jedoch besonders resistent gegen Faktenchecks. Wichtiger als die Korrektur einzelner Misinformationen durch Faktenchecks ist daher, dass zuverlässige Informationen weiterhin die deutlich höhere Verbreitung finden [7]. Einfach gesagt: Guter Journalismus ist das beste Mittel gegen Misinformation.“

„Es gibt auch Evidenz dafür, dass Menschen davon absehen, Misinformation zu verbreiten, wenn Sie dazu aufgefordert werden, die Zuverlässigkeit der vorliegenden Information zu bedenken [8] (zu der Studie hat das SMC auch Statements eingeholt [I]; Anm. d. Red.). Solche sogenannten ‚Accuracy Nudges‘ können beispielsweise die Form von Warnhinweisen an Beiträgen in Social Media haben. Nicht zuletzt gibt es Hinweise darauf, dass die Wirksamkeit von Faktenchecks gesteigert werden kann, wenn diese an das Weltbild oder die Werte derjenigen appellieren, die korrigiert werden sollen. Dies geschieht in der Praxis zu selten.“

Auf die Frage, was Journalistinnen und Journalisten beim Umgang mit Falsch- und Desinformation berücksichtigen sollten, insbesondere im Kontext von COVID-19:
„Journalisten sollten gut abwägen, ob die Berichterstattung über eine Misinformation, auch in aufklärerischer Absicht, dieser nicht unnötige Verbreitung schenkt. Faktenchecker suchen gezielt nach Misinformationen. Sie können daher dem falschen Eindruck unterliegen, diese seien enorm weit verbreitet. Die allermeisten Bürger beziehen aber ihre Informationen aus seriösen journalistischen Quellen. Wenn solche Quellen über Misinformationen berichten, kann das ihr Publikum erstmals diesen Fehlinformationen aussetzen.“

„Eine realistische Einschätzung der – meist geringen – Verbreitung von Misinformation ist zudem hilfreich dabei, Bürgern Orientierung zu bieten. Wenn unberechtigt der Eindruck erweckt wird, gewisse Misinformationen würden von vielen Menschen geteilt, könnte das die Plausibilität der Misinformation ungewollt erhöhen.“

„Die Verbreitung zuverlässiger Information ist das beste Mittel des Journalismus gegen Misinformation und wichtiger als die Korrektur von Irrtümern, die nur von wenigen geteilt werden. Eine Ausnahme dabei sind jedoch Repräsentanten der (politischen, wirtschaftlichen oder kulturellen) Eliten. Wenn diese Misinformation verbreiten, kommt dem Journalismus eine wichtige Aufklärungs- und Einordnungsfunktion zu.“

Prof. Dr. Nicole Krämer

Leiterin des Fachgebiets Sozialpsychologie: Medien und Kommunikation, Universität Duisburg-Essen

„Die in der Studie gewählte Methode des Feldexperiments ist hilfreich, um sowohl vergleichsweise realitätsnah zu sein als auch Kontrolle über das zu haben, was die Teilnehmer*innen sehen und lesen – was die Voraussetzung dafür ist, die kausalen Zusammenhänge zu verstehen. Allerdings erlaubt diese Methode nicht, die genauen Mechanismen zu verstehen – also wie und durch welche kognitiven Prozesse genau es dazu kommt, dass die Effekte nur flüchtig sind.“

„Die Feldexperiment-Methode bringt außerdem mit sich, dass die Effekte gegebenenfalls nur für das spezifische Thema gültig sind und für die spezifische Situation einer internationalen Gesundheitskrise.“

„Es ist zu begrüßen, dass die Studien präregistriert wurden. Die Autoren testen also bestehende und theoretisch beziehungsweise durch vorherige Erkenntnisse begründete Annahmen, statt in den Daten planlos nach Mustern zu suchen – was oft zufällige, aber nicht relevante Ergebnisse zu Tage fördert.“

Auf die Frage, was der Stand der Forschung zur Wirkung von Faktenchecks ist und ob die Befunde der Studie überraschend oder neu sind:
„Die Tatsache, dass die Korrekturen sich nur als kurzfristig effektiv erwiesen haben, ist aus psychologischer Sicht gar nicht überraschend. Seit den 1990er Jahren ist der Falschinformationseffekt (beziehungsweise continued influence effect) bekannt, bei dem gezeigt werden konnte, dass eine einmal in die bisherigen Wissensstrukturen eingebaute (Falsch)information durch Korrektur nicht einfach überschrieben werden kann. Selbst wenn die betroffenen Personen die neue, korrigierte Information glauben, bleibt die ursprüngliche Information bei späteren Abfragen präsenter, da sie in die Wissensstrukturen plausibel eingebaut wurde.“

„Besonders wertvoll – und ermutigend – sind die Ergebnisse, dass besonders Gruppen, die vulnerabel für Falschinformationen sind, durch die Korrekturen beeinflussbar sind. Dies ist meines Erachtens so noch nicht gezeigt worden.“

Auf die Frage, wie man Falschwahrnehmungen effektiv bekämpfen kann und welche Rolle Faktenchecks dabei spielen können:
„Im Rahmen der Forschung zum continued influence effect wurde gezeigt, dass die korrigierende Information nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie an die bestehenden Wissensstrukturen so gut andockt – zum Beispiel durch höhere Plausibilität, Möglichkeit der Vernetzung mit bestehendem Wissen –, dass die alte (falsche) Information dann doch langfristig überschrieben wird.“

Auf die Frage, was Journalistinnen und Journalisten beim Umgang mit Falsch- und Desinformation berücksichtigen sollten, insbesondere im Kontext von COVID-19:
„Im Sinne des continued influence effects müssten die korrigierenden Informationen als hoch plausibel dargestellt werden und Aspekte aufweisen, die gut mit bestehendem Wissen verbunden werden können – um die Passung zum bisherigen Netzwerk an Wissen möglichst hoch zu machen.“

Dr. Lena Frischlich

Kommunikationswissenschaftlerin und Medienpsychologin, Institut für Kommunikationswissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

„Die Studie ist methodisch aus verschiedenen Gründen sehr gelungen: 1. Die Studie beruft sich auf Daten aus drei englischsprachigen Ländern (USA, Großbritannien, Kanada), die sich zwar im Hinblick auf Sprache, Bildung und so weiter sehr ähnlich sind, dafür aber im Ausmaß an Polarisierung und im politischen Umgang mit COVID-19 stark unterscheiden. Das ermöglicht es abzuschätzen, ob Effekte auch jenseits eines bestimmten Kontexts stabil sind.“

„2. Die Studie nutzt Experimente, die in großen Befragungen von mehreren Tausend Personen eingebettet sind. In zwei Ländern wurden zudem die gleichen Personen mehrfach befragt. Durch so große Stichproben lassen sich auch kleine Effekte beobachten und die wiederholte Befragung ermöglicht Aussagen über dauerhafte Effekte. Zudem stellt die Zusammenarbeit mit Befragungsinstituten hier sicher, dass sehr unterschiedliche Personen befragt wurden.“

„3. Die Analysen sind geeignet, um die Fragen zu beantworten und die Schlussfolgerungen gerechtfertigt.“

„4. Allerdings ist zu betonen, dass die Fact Checks sehr detailliert waren und das Verständnis der Proband:innen mit einem Wissenstest abgefragt wurde. Die Auseinandersetzung war also vermutlich intensiver als bei einer Alltagsnutzung, wo ein Fact Check nebenbei im Bus gelesen wird.“

„Die Studie unterstreicht die generelle Bedeutung von Faktenchecks und zeigt, dass Faktenchecks auch bei Personen wirksam sind, die als besonders empfänglich für Fehlinformationen gelten können. Hierbei gilt es zu beachten, dass die Zustimmung zu Fehlinformationen im Mittel immer geringer war als die Zustimmung zu den faktischen Informationen – zum Beispiel bei etwa 1.7 von 4 lag, wobei 1 ‚überhaupt nicht akkurat‘ und 4 ‚vollkommen akkurat‘ bedeutete. Durch die Faktenchecks wurden Fehlinformationen aber noch eher als ‚nicht akkurat‘ eingeschätzt. Damit zeigt die Studie, dass Faktenchecks zu einer Anpassung der eigenen Einschätzung an die Einschätzung der Faktenchecks führen. Allerdings ist diese Anpassung nicht sehr stabil, wird die ‚richtige‘ Antwort nicht ins Bewusstsein gerufen, pendelt sich die Bewertung der Fehlinformationen wieder auf ihrem vorherigen Niveau ein. Wenn man auf die Schule als Metapher zurückgreift, stellt sich die Frage, ob durch die Faktenchecks wirklich ein Lernen stattfindet oder lediglich vorgesagt wird, was die richtige Antwort ist.“

Auf die Frage, wie man Falschwahrnehmungen effektiv bekämpfen kann und welche Rolle Faktenchecks dabei spielen können:
„Die Studie unterstreicht die Bedeutung von Fact Checks insbesondere direkt dort, wo Fehlinformationen konsumiert und verbreitet werden: Im Netz. Außerdem beruhigt sie die Besorgnis, dass Fact Checks – wenn sie wie hier sehr gut gemacht sind, klar widersprechen und korrekte Informationen bieten – zu einem generellen Misstrauen allen Informationen gegenüber führen können. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass wir noch mehr darüber wissen müssen, was genau durch Faktenchecks gelernt wird. Findet (a) tatsächlich eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Fakten, also ein ‚Lernen‘ statt oder (b) werden Faktenchecks eher als ‚short-cuts‘ genutzt, um Informationen zu bewerten, die auch grade präsent sind. Auch die Autoren weisen darauf hin, dass hier feinkörnigere Studien notwendig sind, um das Verblassen von Faktenchecks umfassend zu verstehen. Außerdem müssen wir noch besser verstehen, wie wir diesem Verblassen von Faktenchecks entgegenwirken können.“

Auf die Frage, was Journalistinnen und Journalisten beim Umgang mit Falsch- und Desinformation berücksichtigen sollten, insbesondere im Kontext von COVID-19:
„Die Studie zeigt, dass Faktenchecks wichtig sind und gerne wiederholt werden dürfen. Die Bedeutung der Verfügbarkeit von korrekten Informationen im Netz darf nicht unterschätzt werden. Das gilt sowohl bei der Meinungsbildung als auch im weiteren Verlauf der Pandemie. Auch wenn der gefühlte Nachrichtenwert von wiederholten Faktenchecks aus journalistischer Perspektive gering sein dürfte, zeigt die Studie, dass Wiederholungen wichtig sein könnten. Die Autoren betonen aber auch, dass es dabei langweilig werden kann – hier ist also durchaus auch die Kreativität von Journalist:innen gefordert.“

„Auch wenn die Studie diesen Aspekt nicht betont, kommt es auch darauf an, wie Faktenchecks aufgebaut sind. Hier gibt das Debunking Handbook von vielen etablierten Forscher:innen praxisnahe Tipps, wie das gelingen kann [9].“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Sabrina Heike Kessler: „Ich habe keine Interessenkonflikte zu deklarieren.“

Prof. Dr. Christian Hoffmann: „Einen Interessenkonflikt habe ich hier nicht.“

Prof. Dr. Nicole Krämer: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Dr. Lena Frischlich: „Keine Interessenkonflikte.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Nyhan B et al. (2022): The ephemeral effects of fact-checks on COVID-19 misperceptions in the United States, Great Britain and Canada. Nature Human Behaviour. DOI: 10.1038/s41562-021-01278-3.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Walter N et al. (2019): Fact-Checking: A Meta-Analysis of What Works and for Whom. Political Communication. DOI: 10.1080/10584609.2019.1668894.

[2] Walter N et al. (2018): How to unring the bell: A meta-analytic approach to correction of misinformation. Communication Monographs. DOI: 10.1080/03637751.2018.1467564.

[3] Chan MS et al. (2017): Debunking: A Meta-Analysis of the Psychological Efficacy of Messages Countering Misinformation. Psychological science. DOI: 10.1177/0956797617714579.

[4] COSMO (2021): COVID-19 Snapshot Monitoring. Ergebnisse aus dem wiederholten querschnittlichen Monitoring von Wissen, Risikowahrnehmung, Schutzverhalten und Vertrauen während des aktuellen COVID-19 Ausbruchsgeschehens.

[5] Mosleh M et al. (2021): Perverse Downstream Consequences of Debunking: Being Corrected by Another User for Posting False Political News Increases Subsequent Sharing of Low Quality, Partisan, and Toxic Content in a Twitter Field Experiment. Proceedings of the 2021 CHI Conference on Human Factors in Computing Systems. DOI: 10.1145/3411764.3445642.

[6] Nyhan B et al. (2020): Taking Fact-Checks Literally But Not Seriously? The Effects of Journalistic Fact-Checking on Factual Beliefs and Candidate Favorability. Political Behavior. DOI: 10.1007/s11109-019-09528-x.

[7] Acerbi A et al. (2022): Research note: Fighting misinformation or fighting for information? Harvard Kennedy School Misinformation Review.

[8] Pennycook G et al. (2021): Shifting attention to accuracy can reduce misinformation online. Nature. DOI: 10.1038/s41586-021-03344-2.

[9] George Mason University, Center for Climate Change Communication (2020): Debunking Handbook 2020.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Science Media Center (2021): Helfen Hinweise gegen das Teilen von Falschinformationen? Research in Context. Stand: 17.03.2021.

Weitere Recherchequellen

Prof. Dr. Nicole Krämer empfiehlt als weitere Literatur zum „continued information effect“:

Anderson CA et al. (1980): Perseverance of social theories: The role of explanation in the persistence of discredited information. Journal of Personality and Social Psychology. DOI: 10.1037/h0077720.

Johnson HM et al. (1994): Sources of the continued influence effect: When misinformation in memory affects later inferences. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition. DOI: 10.1037/0278-7393.20.6.1420.

Johnson HM et al. (1998): Updating accounts following a correction of misinformation. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition. DOI: 10.1037/0278-7393.24.6.1483.