Zum Hauptinhalt springen
02.08.2017

CRISPR-Cas9 kann mutierte Erbanlage in menschlichen Embryonen korrigieren

Nach ersten unbestätigten Medienberichten ist es nun offiziell, mit einer Fachpublikation in der Fachzeitschrift „Nature“: Ein Forscher-Team aus den USA, Südkorea und China hat an menschlichen Embryonen Genome Editing angewendet. In vitro entstanden dabei in der Keimbahn veränderte Embryonen, die teilweise bis zum Blastozysten-Stadium kultiviert wurden (siehe *Primärquelle).

In der umfangreichen Studie an menschlichen Embryonen, die eigens zu Forschungszwecken in vitro durch künstliche Befruchtung hergestellt wurden, konnte der Nachweis erbracht werden, dass es technisch möglich ist, einen genetischen Fehler einer dominanten Erbkrankheit zum Zeitpunkt der Befruchtung genetisch zu korrigieren, und dass sich daraus genetisch veränderte menschliche Embryonen ohne die Mutation entwickeln.

Am Center for Embryonic Cell and Gene Therapy der Oregon Health & Science University befruchteten Forscher um Shoukhrat Mitalipov zu Forschungszwecken gespendete Eizellen zunächst mit Spermien eines Spenders, der an einer erblich bedingten Herzmuskelschwäche leidet (Familiäre Hypertrophe Kardiomyopathie) und bei dem die Hälfte aller Spermien eine mutierte Form des MYBPC3-Gen auf dem Chromosom 11 tragen. Um diese Mutation, die die Krankheit verursacht, zu korrigieren, injizierten die Forscher CRISPR-Cas9-Proteine zusammen mit den Spermien in Eizellen (per Intracytoplasmatischer Spermieninjektion, ICSI). Das Genome Editing erfolgte dabei offenbar bereits im Prozess des Verschmelzens des väterlichen und mütterlichen Erbguts. 42 der 58 sich daraus entwickelnden Embryonen trugen in allen Zellen allein Wildtyp-Versionen des MYBPC3-Gens. Das entspricht einer Quote von Wildtyp-Embryonen von 72,4 Prozent gegenüber der natürlicherweise zu erwartenden 50 Prozent. Die auch in der Keimbahn veränderten Embryonen wurden spätestens nach dem Erreichen des Blastozysten-Stadiums in einzelne Blastomere zerlegt und untersucht.

Unter den erfolgreich genkorrigierten Embryonen fanden die Forscher keine Mosaik-Embryonen mit einzelnen mutierten Blastomeren – bis auf einen Embryo (von 42 korrekt genkorrigierten). Sie spürten auch keine mit den verwendeten Methoden erkennbaren Off-Target-Mutationen im Erbgut der untersuchten Embryonen auf. Beide Effekte waren bei früheren chinesischen Experimenten mit menschlichen Embryonen aufgetreten, bei denen das Genome Editing erst nach der Befruchtung der Eizelle angewendet worden war (siehe Weitere Recherchequellen). Die Forscher vermuten, dass die Genkorrektur des mit den mutierten Spermien in die Eizelle gelangten MYBPC3-Gens durch natürliche Reparaturprozesse in der menschlichen Eizelle erfolgt ist. Die Forscher selbst betonen: „Vieles bleibt vor ersten klinischen Anwendung zu berücksichtigen, einschließlich der Reproduzierbarkeit der Technik bei anderen heterozygoten Mutationen.“

 

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Klaus Rajewsky, Leiter der Forschungsgruppe Immunregulation und Krebs, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), Berlin
  •  

  • Prof. Dr. James Adjaye, Direktor des Instituts für Stammzellforschung und Regenerative Medizin, Universitätsklinikum Düsseldorf
  •  

  • Dr. Dirk Heckl, Max-Eder-Nachwuchsgruppenleiter, Pädiatrische Hämatologie & Onkologie, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)
  •  

  • Dr. Jan Korbel, Forschungsgruppenleiter, Genome Biology Unit, EMBL (Europäisches Laboratorium für Molekularbiologie), Heidelberg
  •  

  • Prof. Dr. Barbara Prainsack, Department of Global Health & Social Medicine, King's College London, und Mitglied der European Group on Ethics and New Technologies und Mitglied der österreichischen Bioethikkommission
  •  

  • Prof. Dr. Jochen Taupitz, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Biomedizin der Universitäten Heidelberg und Mannheim, Mannheim
  •  

  • Prof. Dr. Peter Dabrock, Professor für Systematische Theologie/ Ethik, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, und Vorsitzender des Deutschen Ethikrats
  •  

  • Prof. Dr. Christiane Woopen, Direktorin des Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health, Universität zu Köln, und Vorsitzende des Europäischen Ethikrates (European Group on Ethics in Science and New Technologies)
  •  

Statements

Prof. Dr. Klaus Rajewsky

Leiter der Forschungsgruppe Immunregulation und Krebs, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), Berlin

„Technisch-methodisch betrachtet bringt diese Grundlagenarbeit für eine eventuelle Manipulation der menschlichen Keimbahn meiner Einschätzung nach keinen wirklichen Durchbruch. Die Forscher zeigen, dass – wenn sie in vitro erzeugte und genkorrigierte Embryonen auf Reparaturprozesse hin untersuchen – eine korrekte Reparatur der untersuchten MYBPC3-Mutation bei weniger als 50 Prozent der mutanten Embryonen erfolgt. In den anderen Embryonen wird ein alternativer Reparatur-Mechanismus aktiviert, der weitaus fehleranfälliger ist, das sogenannte nicht homologe Endverknüpfungssystem angeschaltet (Non Homologous End Joining, NHEJ).“

„Letztlich führte damit die Genom-Editierungstechnik nach Mitalipov und Kollegen zwar zu rund 72 Prozent intakten Embryonen, dafür aber erkauft man sich in den verbleibenden fast 28 Prozent der Embryonen Reparatur-Defekte, weil in diesen das weniger präzise Reparatursystem NHEJ aktiviert wurde. Das wiederum hieße: Alle entstehenden Embryonen müssten bei einer praktischen Anwendung zuvor mittels Präimplantationsdiagnostik (PID) getestet und dann ggf. aussortiert werden. Das heißt aber eben praktisch, dass diese Methode der Geneditierung kaum einen Fortschritt gegenüber der klassischen PID mit sich bringt, eher die Risiken erhöht.“

„Ein für die Grundlagenforschung interessanter Befund der Studie ist: Wenn man das Genome Editing zum Zeitpunkt der Verschmelzung von Eizelle und Spermium durchführt, dann erfolgt häufig eine präzise Reparatur, und zwar unter Verwendung der nicht-mutierten Kopie des entsprechenden Gens als Kopiervorlage. Im Nachhinein könnte einem ein solcher Reparatur-Mechanismus zu diesem frühen Entwicklungsstadium als biologisch notwendig erscheinen, aber bekannt war er in dieser Weise nicht. Es wird sehr interessant sein, die daran beteiligten Komponenten molekular aufzuklären und zur Geneditierung in anderen Zusammenhängen nutzbar zu machen.“

„Eine wichtige Erkenntnis der Studie ist zudem, dass die in der Arbeit vorgestellte Methode offenbar keine Mosaik-Embryos entstehen lässt. Auch zur Identifizierung von eventuellen Off-Target-Effekten haben sich die Autoren wirklich ins Zeug gelegt und viele Methoden angewendet, um dann letztendlich nichts zu finden. Das ist natürlich für jegliche medizinische Verwendung von Geneditierung ermutigend.“

Prof. Dr. James Adjaye

Direktor des Instituts für Stammzellforschung und Regenerative Medizin, Universitätsklinikum Düsseldorf

„Das Design dieser Studie ist gut durchdacht und die Experimente solide durchgeführt – vor allem in Bezug auf die vergleichende Verwendung von aus Patienten abgeleiteten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSCs) und Embryonen nach In-vitro-Fertilisation. Eine wichtige und unerwartete Beobachtung ist dabei, dass sich die DNA-Reparatur-Mechanismen im frühen Embryo anscheinend unterscheiden von denen in iPS-Zellen und womöglich auch erwachsenden Körperzellen.“

„Dies ist eine wichtige Erkenntnis für die Grundlagenforschung und auch eine notwendige Voraussetzung für die Korrektur von Mutationen auf der Ebene von Eizellen oder Embryonen. Allerdings basieren die Ergebnisse derzeit auf einem einzigen Patienten als Spender, sodass zusätzliche Wiederholungen mit weiteren Spendern und anderen Mutationen benötigt werden, um diesen Befund statistisch zu validieren.“

Auf die Frage, woher der Doppelstrangbruch „weiß“, welcher DNA-Abschnitt eingebaut werden sollte für die Reparatur:

„Dies ist eine Grauzone. Die Autoren schlagen einige Hypothesen in der Diskussion vor, aber was genau passiert ist, bleibt unklar.“

„In früheren Studien mit CRISPR-Cas9-Editierung in menschlichen Präimplantation-Embryos [2] [3] [4] haben die Forscher die Komponenten für die Genom-Editierung erst nach der Befruchtung hinzugefügt – im Gegensatz zur aktuellen Studie. Die geringe Anzahl von Mosaik-Embryonen, die in dieser Studie beobachtet wurden, können darauf zurückgeführt werden, dass die Genom-Editierung geschehen ist, noch bevor die erste Zellteilung stattgefunden hat. Interessanterweise haben sich die genkorrigierten Präimplantation-Embryonen in ähnlicher Weise entwickelt wie die Kontroll-Embryonen, bei denen sich 50 Prozent zum Blastozysten-Stadium entwickelt haben – das ist das Stadium, in dem Embryos das Potenzial haben, sich in Fetus und Plazenta weiterzuentwickeln.“

„Ma et al. haben keine Off-Target-Effekte beobachtet. Sie vermuten, dass das daran liegt, dass sie – anders als vorherige Forscher – aufgereinigtes rekombinantes Cas9-Protein verwendet haben statt einer Plasmid-DNA, sodass die Cas9-Aktivität kontrollierter ablaufen konnte und dies wiederum die Spezifizität erhöht hat. Um dies zu klären und auch andere noch auftauchende Fragen, sind mehr Experimente nötig. Erst dann könnte CRISPR-Cas9 wirklich routinemäßig für die Therapie genutzt werden.“

„Präimplantationsdiagnostik bleibt weiterhin der bevorzugte und standardmäßige Ansatz, um zu verhindern, dass schädliche erblich bedingte Krankheiten an Nachkommen weitergegeben werden.“

Dr. Dirk Heckl

Max-Eder-Nachwuchsgruppenleiter, Pädiatrische Hämatologie & Onkologie, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)

„In der vorliegenden Studie wurde am Beispiel der MYBPC3-Mutation, resultierend in hypertropher Kardiomyopathie, die Umsetzbarkeit einer auf Genom-Editierung basierten Korrektur von Mutationen in der Keimbahn getestet.“

„Das MYBPC3-Gen (Cardica Myosin Binding Protein C) kodiert für einen essentiellen Faktor in der Herzfunktion, und bereits bei Verlust eines Alleles kommt es zur Herzerkrankung Hypertrophe Kardiomyopathie. MYBPC3-Mutationen sind für 40 Prozent dieser erblichen Erkrankung verantwortlich.“

„Auf Basis eines heterozygoten männlichen Trägers wurden sowohl induzierte pluripotente Stammzelllen (iPSCs) als auch Zygoten hergestellt. Als Empfänger dienten gesunde Eizellen. Auf Grund einer 4-Basen-Deletion konnten guide-RNAs spezifisch für das mutierte Allel erstellt werden Dadurch wird ein mögliches Beschädigen eines noch gesunden Allels sehr stark reduziert. Diese Grund-Hypothese konnte in der Studie so unterstützt werden.“

„Im ersten Ansatz wurde eine Genkorrektur in den generierten iPSCs getestet. Die dort ermittelte Frequenz der Genom-Editierung war niedrig. Und ein erheblicher Teil der resultierenden und editierten Zellen (27,9 Prozent) wiesen keine Reparatur des mutierten Allels durch homologe Rekombination auf, sondern die Doppelstrang-Brüche wurden durch das sogenannte Non Homologous Endjoining mit weiteren Mutationen repariert (58,8 Prozent der 27,9 Prozent). In 41,2 Prozent (bezogen auf die 27,9 Prozent editierter Zellen) der verbleibenden Zellen konnte eine homologe Rekombination nachgewiesen werden.“

„Basierend auf diesen Ergebnissen wurde die Genkorrektur in Zygoten mit heterozygoter MYBPC3-Mutation getestet. Gegenüber der Kontrollgruppe konnte dabei eine deutlich erhöhte Anzahl gesunder Zygoten generiert werden. Neben der vollständigen Korrektur der Mutation in allen Zellen (Blastomeren) der Zygoten wurden auch die typischen Mosaike festgestellt.“

„An dieser Stelle der Studie wurde eine interessante Beobachtung gemacht. Eigentlich war die Genkorrektur durch einen Korrektur-Donor geplant – diese kann man bei der Verwendung wiedererkennen. Allerdings wurden die meisten Allele offensichtlich durch das gesunde Allel der Zelle repariert. Durch die Verwendung des CRISPR-Cas9-Systems in Form von rekombinanter RNA und rekombinantem Protein ist damit nach der Genom-Editierung kein Unterschied von einer gesunden Zelle feststellbar oder nachweisbar.“

„Ein entscheidendes Problem der Keimbahn-Therapie ist das Auftreten von Mosaiken in den behandelten Zygoten. Durch Ko-Injektion des CRISPR-Cas9-Systems mit dem Spermium und daraus (vermutlich) resultierender Beschleunigung der Genom-Editierung konnte die Anzahl der Mosaike deutlich gesenkt werden: von rund 33 Prozent auf rund 2,5 Prozent; das einzige Mosaik bei der Ko-Injektion von Spermien und CRISPR-Cas9-System war ebenfalls korrigiert, jedoch teilweise über den externen Donor.“

„Durch Ausschluss von Off-Target-Effekten, welche nachweislich auf die Genom-Editierung zurückzuführen sind, konnte zudem das Vertrauen in die Technologie gestärkt werden.“

„Fazit: Im Vergleich zu vorherigen Studien an Keimbahn-Zellen macht die vorliegende Studie einen wissenschaftlich durchgeplanten Eindruck und könnte somit verlorenes Vertrauen neu aufbauen. Vor dem Test an den Keimbahn-Zellen wurden wichtige Testungen durchgeführt und parallel ein Vergleich zu induziert pluripotenten Stammzellen durchgeführt. Eine ausführliche Aufarbeitung möglicher Off-Target-Effekte und deren offensichtliche Abwesenheit stärkt zudem die Sicherheitsfragen in eine mögliche Anwendung.“

„Insbesondere beschränkt sich die durchgeführte Studie nicht allein auf die Genkorrektur, sondern strebt auch klar einen Erkenntnisgewinn auf dem Weg zu einem echten translationalen Ansatz an. Die festgestellte Steigerung der homologen Rekombination im therapeutischen Setting könnte ein entscheidendes Argument für die Durchführung entsprechender Ansätze in der Zukunft sein. Besonders positiv hervorzuheben ist das Absenken des Risikos der Mosaik-Bildung durch eine veränderte Applikation des CRISPR-Cas9-Systems. Eine mögliche Therapie rückt damit – abseits zu klärender ethischer Fragen – in deutlich nähere Reichweite.“

„Zusammengefasst kann diese Studie, besonders in Bezug auf vorhergegangene Studien an Keimbahnzellen, als vorbildlich bezeichnet werden und zeigt damit, dass eine kontrollierte Durchführung von Experimenten an Keimbahn-Zellen dem wissenschaftlichen Fortschritt und der medizinischen Entwicklung dienlich sein kann. Einer differenzierten Debatte über die Durchführung auch in Europa, welche im Rahmen der Nationalen Akademie der Wissenschaft bereits angestoßen wurde [1], sollten wir uns nicht verschließen.“

Herr Dr. Jan Korbel

Forschungsgruppenleiter, Genome Biology Unit, EMBL (Europäisches Labtoratorium für Molekularbiologie), Heidelberg

„Es ist durchaus überraschend, dass die Kopie der ‚gesunden’ Form des Gens als Template dient und nicht die künstliche Kopie. Dies weist darauf hin, dass die DNA-Reparatur in der frühen Entwicklung äußerst exakt ist. Ebenfalls relativ unerwartet ist, dass keine Off-Target Effekte gefunden wurden. Jedoch ist es meiner Meinung nach zu früh, hierzu abschließende Aussagen zu treffen. So ist beispielsweise noch unklar, ob dieses Ergebnis bestehen bleibt, wenn verbesserte Verfahren zum Aufspüren von Off-Target Effekten angewendet werden, zum Beispiel Verfahren zum Auffinden von größeren Chromosomen-Umlagerungen.“

„Das Reparatursystem der menschlichen Zelle kann hier in der Tat unterscheiden, ob ein DNA-Abschnitt Teil eines Chromosoms ist oder künstlich beigefügt. Die Studie zeigt, dass vor allem in der frühesten Entwicklungsphase von Embryonen die DNA-Reparaturmechanismen der Zelle äußerst exakt arbeiten – möglicherweise um Embryonen bestmöglich vor Keimbahn-Mutationen zu schützen.“

„Ich halte es durchaus für möglich, dass dieses Reparaturprinzip auch umgekehrt funktioniert (wenn die mütterliche DNA eine Mutation enthält und die väterliche DNA nicht; Anm. d. Red.). Diese Fragestellung muss jedoch gesondert untersucht werden.“

„Zwar ist die Hypertrophe Kardiomyopathie eine relativ häufig auftretende Erkrankung, die zugrundeliegende Mutation ist jedoch nicht auf ein bestimmtes Gen beschränkt. Die Mutation in MYBPC3 ist nur eine von vielen möglichen genetischen Ursachen für eine Hypertrophe Kardiomyopathie. Mit der MYBPC3-Mutation haben die Autoren der Studie eine seltene Erbgut-Veränderung ausgewählt.“

„Das Verfahren sollte prinzipiell bei anderen, auch bei noch selteneren Genmutationen, ähnlich funktionieren – wobei dies selbstverständlich gesondert gezeigt werden müsste.“

„Im Vergleich zu vorherigen Studien aus China [2] [3] [4] wird in der aktuellen Arbeit ein geringes Auftreten genetischer Mosaike beobachtet sowie keine Off-Target-Effekte.“

„Die Autoren der Studie schlagen vor, das Verfahren in Zukunft in der In-Vitro-Fertilisation (IVF) einzusetzen, um genetischen Erkrankungen vorzubeugen. Letztlich führt der Ansatz allerdings nur zu einer moderaten Erhöhung IVF-tauglicher Embryonen von 50 auf 72,4 Prozent – in diesem Zusammenhang würde ich also nicht von einem Durchbruch sprechen. Zudem besteht die Möglichkeit, dass Off-Target Effekte aufgetreten sind, die mit den in der Studie verwendeten Verfahren (noch) nicht aufgespürt werden konnten.“

Frau Prof. Dr. Barbara Prainsack

Department of Global Health & Social Medicine, King's College London, und Mitglied der European Group on Ethics and New Technologies und Mitglied der österreichischen Bioethikkommission

„‚Genome Editing’ ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl an Praktiken, die unterschiedlichen Zielen dienen und völlig verschiedene soziale und ethische Fragen aufwerfen. Es ist weder möglich noch sinnvoll, Genome Editing generell als gut oder schlecht für unsere Gesellschaft zu bewerten: Es kommt immer auf den konkreten Fall an. Bei dieser neuen Studie handelt es sich um ein forschungsethisch gut beratenes Projekt, das versucht, die Vererbung einer schweren Erkrankung zu vermeiden. Die Autoren der Studie warnen, dass es vor einer möglichen klinischen Anwendung dieser Technologie noch viele Fragen zu klären gibt. Hier geht es nicht um die Herstellung von ‚Designer-Babies’, sondern darum, Leiden zu verhindern. Welche Grenzen es dabei zu beachten gibt, sollte weiterhin von Experten unterschiedlicher Disziplinen gemeinsam mit Patienten und anderen Bürgern ausgehandelt werden.“

Herr Prof. Dr. Jochen Taupitz

Geschäftsführender Direktor des Instituts für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Biomedizin der Universitäten Heidelberg und Mannheim, Mannheim

„Das deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet in § 2 Abs. 1 kategorisch jede Verwendung von Embryonen in vitro, sofern die Maßnahme nicht dem Erhalt des Embryos dient. Damit ist auch Forschung mit Embryonen strafbar, sofern sie nicht die Verbesserung der Überlebenschancen des konkreten Embryos zum Ziel hat. Die in den USA durchgeführten Forschungsmaßnahmen wären also in Deutschland verboten. Forschung mit Embryonen ist auch in Österreich (§ 9 Fortpflanzungsmedizingesetz) und in der Schweiz (Art. 3 Abs. 2 lit. a Stammzellforschungsgesetz) verboten.“

„In einem Diskussionspapier haben wir als eine Gruppe von Wissenschaftlern Anfang dieses Jahres gefordert, dass auch in Deutschland überzählige Embryonen für hochrangige Forschungszwecke verwendet werden dürfen [1]. Derartige Forschung solle gerade im Hinblick auf die Möglichkeiten des Genome Editing erlaubt werden, und zwar insbesondere zur Entwicklung neuer Therapieansätze für genetische Erkrankungen. Jede gezielte Keimbahn-Veränderung mit Auswirkungen auf einen später geborenen Menschen soll allerdings beim derzeitigen Stand unterbleiben, weil noch kein vertretbar niedriges Risiko im Vergleich zur Erbkrankheit, die vermieden werden soll, erreichbar ist.“

„Die Reaktionen auf unseren Vorstoß, Forschung mit überzähligen Embryonen in Deutschland zu erlauben, waren naturgemäß gespalten. Während Vertreter der katholischen Kirche zum Beispiel wie zu erwarten ablehnend reagiert haben, haben wir auch viel Zuspruch erhalten. Viele sehen es nicht ein, dass Embryonen, die keine reale Lebenschance haben, zwar weggeworfen werden dürfen, aber nicht unter bestimmten Voraussetzungen für hochrangige Forschungsziele verwendet werden dürfen. Letztlich wird der Gesetzgeber die Frage entscheiden müssen.“

Herr Prof. Dr. Peter Dabrock

Professor für Systematische Theologie/ Ethik, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Erlangen, und Vorsitzender des Deutschen Ethikrats

Hinweis der Redaktion:

Prof. Dr. Peter Dabrock weist darauf hin, dass das folgende Statement keine offizielle Stellungnahme des Deutschen Ethikrats ist.

„Man kann trefflich ethisch darüber streiten, ob Versuche mit Embryonen erlaubt sein sollten oder nicht. Angesichts der Versuche aus Portland erwarte ich die üblichen Debattenbeiträge: von liberalen Forschungsfreunden die Forderung, Embryonenforschung in Deutschland zuzulassen; von den Kulturpessimisten die Befürchtung, wir seien nicht mehr weit entfernt vom Designer-Baby.“

„Beide Stereotype verfehlen den eigentlichen Kern: Ethisch verwerflich ist, wie unter Abblendung zahlreicher weiterhin ungelöster biologischer Risiken der Eindruck erweckt wird, wir könnten, ja sollten, bald Keimbahninterventionen vornehmen. Wer hier nicht nahezu 100-prozentige Sicherheit garantieren kann, führt unverantwortliche Versuche an menschlichem Leben durch. Der Hype um das Genome Editing scheint das ganze Komplexitätsdenken der Systembiologie, das zur Vorsicht mahnt, in den Hintergrund gedrängt zu haben.“

„Nur um die Ersten zu sein – diesmal nicht auf dem Mond, sondern bei der Keimbahn-Manipulation –, scheinen Labore nicht mehr nur in China, sondern auch in den USA oder in England keine Grenze mehr zu kennen. Sie scheinen bereit zu sein, schwerste Gesundheitsrisiken für spätere Menschen in Kauf zu nehmen. So etwas wäre unverantwortlich.“

„Erkennbar ist jedenfalls, wie sehr sich das Klima innerhalb der Wissenschaft gewandelt hat: Gab es nach der ersten chinesischen Studie vor zwei Jahren noch weltweite Empörung und einen nahezu einhelligen Konsens, wenigstens auf die Implantation genmanipulierter Embryonen verzichten zu wollen, scheint man heute nur noch um den Zeitraum zu streiten, wann es denn so weit sei. Es reicht deshalb nicht mehr aus, mantraartig eine öffentliche Debatte zu fordern oder auf einen wissenschaftsinternen Verhaltenskodex zu setzen.“

„Offensichtlich muss die Gesellschaft – Niklas Luhmann würde sagen: die Weltgesellschaft – erkennen, dass es ihr ureigenes Thema ist: Wollen wir zulassen, dass mit auf Jahrzehnten unabsehbaren Folgen in das menschliche Erbgut unwiderruflich eingegriffen wird oder nicht? Wissenschaft, die nicht das ernsthafte – und das heißt auch, Wissenschaft begrenzende – Gespräch mit der Öffentlichkeit sucht, verspielt ihr Vertrauen. Gleiches gilt für eine Wissenschaft, die unseriöse Heilsversprechungen macht, wie im Schlusssatz des Artikels von Ma et al.“

„Ich würde mir wünschen, dass die Vereinten Nationen (UN) eine Resolution beschließen, dass zumindest die Implantation genmanipulierter Embryonen so lange verboten bleiben muss, bis dadurch verursachte Gesundheitsrisiken ausgeschlossen werden können. Aber angesichts der Zustände globaler Politik bleibt ein solch starkes Signal wohl ein Wunschtraum. Nüchtern muss man festhalten: Viel Zeit bleibt weder für gesellschaftliche Diskurse noch politisches Handeln, bis ehrgeizige Wissenschaftler unverantwortliche Fakten gesetzt haben.“

Frau Univ.-Prof. Dr. Christiane Woopen

Direktorin des Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health, Universität zu Köln

Vorsitzende des Europäischen Ethikrates (European Group on Ethics in Science and New Technologies)

Hinweis der Redaktion:

Prof. Dr. Christiane Woopen weist darauf hin, dass das folgende Statement keine offizielle Stellungnahme des Europäischen Ethikrats ist.

„Der nun erste Bericht aus den USA über die Veränderung eines Gens an menschlichen Embryonen ist ein sehr technischer Beitrag, der übersieht, dass es letztlich um eine Menschheitsfrage geht. Dies ist ein eindrucksvolles Beispiel für gesellschaftsvergessene Forschung und die Isolation eines Forschungssystems von der Gesellschaft, in die es eigentlich eingebettet ist.“

„Wie selbstverständlich gehen die Forscher davon aus, dass die Methode, einmal ausreichend sicher und effektiv, in der Fortpflanzungsmedizin angewendet werden sollte. Ob Gene in einem menschlichen Embryo verändert werden sollten, ist aber nicht nur eine Frage von Effizienz und Sicherheit einer Methode. Es geht bei aller Anerkennung der Forschungsfreiheit um viel tiefere und grundsätzlichere Fragen: Sollte das Forschungssystem ohne Rückkopplung mit der Gesellschaft darüber bestimmen, welchen Weg die Menschheit nimmt? Sollte das Wettrennen um den größten Ruhm und die einträglichsten Patente wichtiger sein als zunächst die Verständigung darüber, ob die Weltgemeinschaft einen redaktionellen Eingriff in das ‚genetische Buch des Lebens’ befürwortet?“

„Man kann unterschiedliche Auffassungen über die ethische Vertretbarkeit von Eingriffen in die Keimbahn haben, Forscher müssen aber die wuchtige Größe der Fragestellung wahrnehmen. Am besten würden sie erst einmal warten und sich an einer globalen Verständigung beteiligen, die die Grenzen des Wissenschaftssystems übersteigt. Wenigstens aber sollten sie Problembewusstsein zeigen, dass ihre Anwendungsvisionen in Konflikt mit globalen Menschenrechtsdokumenten stehen.“

Mögliche Interessenkonflikte

Frau Prof. Dr. Barbara Prainsack: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Herr Prof. Dr. Jochen Taupitz: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Dr. Jan Korbel: „Keine.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Ma et al. (2017): Correction of a pathogenic gene mutation in human embryos. Nature. DOI: 10.1038/nature23305.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Leopoldina Nationale Akademie der Wissenschaften (2017): Ethische und rechtliche Beurteilung des genome editing in der Forschung an humanen Zellen.

[2] Tang L et al. (2017): CRISPR/Cas9-mediated gene editing in human zygotes using Cas9 protein. Mol Genet Genomics;292(3):525-533. DOI: 10.1007/s00438-017-1299-z.

[3] Kang X et al. (2016): Introducing precise genetic modifications into human 3PN embryos by CRISPR/Cas-mediated genome editing. J Assist Reprod Genet;33(5):581-588. DOI: 10.1007/s10815-016-0710-8.

[4] Liang P (2015): CRISPR/Cas9-mediated gene editing in human tripronuclear zygotes. Protein Cell;6(5):363-372. DOI: 10.1007/s13238-015-0153-5.

Weitere Recherchequellen

Science Media Center Germany (2016): CRISPR-Cas9 als revolutionäre Methode des Genome Editing. Fact Sheet. Stand: 26.04.2016.

Mearini G et al. (2014): Mybpc3 gene therapy for neonatal cardiomyopathy enables long-term disease prevention in mice. Nat Commun; 5:5515. DOI: 10.1038/ncomms6515.