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17.02.2020

Auswirkungen von Extremwetter auf Energiesysteme

Die „Nature“-Ausgabe vom 17. Februar 2020 legte besonderes Augenmerk auf den in Zukunft möglicherweise großen Einfluss von Extremwetter-Ereignissen auf die Energiewirtschaft. Insbesondere ging es um die Rolle der erneuerbaren Energien. Dazu erschienen eine Studie (siehe Primärquelle), ein Editorial und sechs Kommentare. Die Studie stellte eine Methode vor, von der die Autoren behaupten, den Einfluss von Extremwetter-Ereignissen auf die Resilienz von Energiesystemen und den Energiebedarf einschätzen zu können. Ihre Methode haben sie auf 30 schwedische Städte angewandt und dabei 13 Klimawandel-Szenarien durchgespielt. Sie kommen zu dem Schluss, dass erneuerbare Energien besonders von diesen Wetterereignissen betroffen sind: Die Verlässlichkeit des Stromnetzes könnte um bis zu 16 Prozent sinken, die Leistung um bis zu 34 Prozent schwanken (Leistungslücke, „performance gap“).

 

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Christian Rehtanz, Institutsleiter am Institut für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft (ie3), Technische Universität Dortmund
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  • Prof. Dr. Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin der Abteilung „Energie, Verkehr und Umwelt“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
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  • Prof. Dr. Bruno Burger, Abteilungsleiter „Neue Bauelemente und Technologien für die Leistungselektronik“, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, Freiburg
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  • Prof. Dr. Joaquim Pinto, Professor für Meteorologie, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
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Statements

Prof. Dr. Christian Rehtanz

Institutsleiter am Institut für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft (ie3), Technische Universität Dortmund

„Zur Planung von Energiesystemen werden Wetterzeitreihen benötigt. Diese nimmt man üblicherweise aus der Vergangenheit. Teilweise werden durchschnittliche Wetterjahre, teilweise extreme Situationen für die Planungen herangezogen. Für großräumige Energiesystemsimulationen, zum Beispiel für Europa oder große Länder wie Deutschland, ist allerdings schon die Frage, was extreme Situationen für die Stromerzeugung und für die Netze sind, eine nicht triviale Frage, da es sehr viele regionale Kombinationen aus Wind, Sonne und Temperatur gibt, die zu unterschiedlichen regionalen Extremsituationen führen können.“

„Wie sich zukünftige Wetterextremsituationen entwickeln, ist nur sehr schwer vorauszusehen und fließt daher nicht in die heutigen Planungen ein. Allerdings werden elektrische Energiesysteme (genauso aber Gasnetze und so weiter) immer mit Reserven und Redundanzen geplant, sodass auch Kombinationen sehr seltener Ereignisse abgefangen werden können. Immer bleibt eine Restwahrscheinlichkeit, dass Energiesysteme bis zu einem Blackout zusammenbrechen. Durch die Volatilität erneuerbarer Energien und zunehmende Extremwettersituationen müssen auch Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit dementsprechend geplant und berücksichtigt werden. Das Energiesystem bezüglich Leistungsreserven in der Erzeugung und Netzkapazitäten darf nicht zu stark ausgeknautscht oder auf Kante genäht werden. Letztendlich ist immer eine Risikobetrachtung erforderlich, die die verantwortlichen Netzbetreiber berücksichtigen.“

„Auch die Wissenschaft erforscht aktuell Verfahren zur Risikobewertung unter Unsicherheit und Sicherstellung der Resilienz dieser kritische Infrastruktursysteme. Die Erkenntnisse, dass die Spannbreite der unterschiedlichen Energiesituationen zunimmt, ist sicherlich nicht neu. Die Frage ist vielmehr, wie man damit bei der kritische Infrastrukturplanung umgeht, damit nicht zu viel teure Reserve eingebaut wird, aber im Extremfall auch nicht das Licht ausgeht.“

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin der Abteilung „Energie, Verkehr und Umwelt“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin

„Extreme Klimaereignisse sind grundsätzlich eine Herausforderung für jegliches Energiesystem, egal ob konventionell oder regenerativ. Der Einfluss von Extremwetter auf die Energieversorgung spielt generell sowohl in der Energiesystemmodellierung als auch in der Energiebereitstellung eine wichtige Rolle. Auch konventionelle Kraftwerke sind von extremen Klimaereignissen stark betroffen, da beispielsweise Atom- oder Kohlekraftwerke bei extremer Hitze und Wasserknappheiten aufgrund unzureichender Kühlung vom Netz genommen werden müssen. Auch die Infrastruktur kann durch Extremereignisse in Mitleidenschaft gezogen werden, wie beispielsweise bei Stürmen oder Überflutungen. Energieunternehmen müssen in der Tat derartige Risiken einbeziehen und sich auf Extremereignisse vorbereiten. Daher ist es durchaus üblich, dass Energiesystemmodelle mögliche Wetter oder Klima-Schocks durch stochastische Komponenten einbeziehen. Die Studie nutzt derart innovative Modellierungsansätze und gibt wichtige Hinweise für Schweden, auf welche klimatischen Besonderheiten sich einzelne Regionen einstellen sollten. Aufgrund des hohen Anteils von Wasserkraft und Atomkraft sind Herausforderungen in Schweden andere als in Deutschland – insbesondere, wenn Wasserknappheiten bei extremer Hitze auftreten.“

„Erneuerbare Energien sind aufgrund der Dezentralität dabei grundsätzlich nicht anfälliger für Extremereignisse als konventionelle, nur die Wirkungen und Anpassungen sind andere, und somit auch die Herausforderungen an das Energiesystem. Erneuerbare Energien bieten dabei aufgrund der Dezentralität mehr Chancen der Anpassung, Resilienz und Vorbeugung. Erneuerbare Energien sind dezentral, flexibel und eng miteinander verzahnt. Die bei extremer Hitze steigende Energienachfrage für Kühlung kann insbesondere durch dezentrale Solaranlagen passgenau gedeckt werden. Mögliche Abschaltungen von Windanlagen bei extremen Stürmen müssen durch Biomasse, Wasserkraft, Geothermie, Solaranlagen und Speicher aufgefangen werden. Eine intelligente Steuerung mittels Digitalisierung samt Netz schützt vor solchen Extremereignissen. Daher ist es wichtig, dass ein System, welches eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien anstrebt, auf jegliche Formen der erneuerbaren Energien setzt, auf eine kluge Verzahnung und intelligente Netze samt Speicher.“

Prof. Dr. Bruno Burger

Abteilungsleiter „Neue Bauelemente und Technologien für die Leistungselektronik“, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, Freiburg

„Für mich wirft die Studie zu viele Fragen auf und beantwortet zu wenige. Aussagen wie ‚As a result, power supply reliability could drop by as much as 16% during such events. Such a significant increase in the loss of load probability can easily lead to blackouts‘ erachte ich als Panikmache.“

„Was prinzipiell immer bei solchen Simulationen vergessen wird, ist, dass sich das System auch weiterentwickelt. In Deutschland hieß es früher, dass erneuerbare Energien aus physikalischen Gründen nicht mehr als vier Prozent zur Stromerzeugung beitragen könnten. 2011 warnte die Bundesnetzagentur vor einem Blackout an Pfingsten, weil die Solareinspeisung hoch und die Last niedrig sei [1]. Bei der Sonnenfinsternis 2015 wurde ebenfalls vor einem Blackout gewarnt, weil die Leistungsänderung der Solarenergie zu schnell sei [2].“

„Alle diese Befürchtungen sind nicht eingetroffen, weil die für die Versorgungssicherheit verantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) sich auf die Situationen vorbereitet und diese dann auch gut bewältigt haben. Ein gutes Beispiel dafür ist das letzte Wochenende mit dem Orkan Sabine. Die ÜNB haben das Netz sehr gut durch die schwierige Situation gefahren und es gab keine Blackouts. Es gibt viele Möglichkeiten, wie die ÜNB auf extreme Wetterverhältnisse reagieren können. Zum Beispiel sind alle großen EE-Erzeuger fernsteuerbar und können bei zu großer Erzeugung oder Netzüberlastung gedrosselt oder abgeschaltet werden. Auf der anderen Seite gibt es Speicher- und Backup-Kraftwerke, die bei schnellen Gradienten stabilisierend eingreifen können. Bei schnellen Spannungs- oder Frequenzschwankungen müssen EE-Anlagen sogar autark, ohne Befehle einer übergeordneten Steuerung, innerhalb von Sekundenbruchteilen reagieren und das Netz stabilisieren. Diese sogenannten Grid-Codes werden ständig weiterentwickelt und an neue Erkenntnisse angepasst.“

„Am Sonntag den 9. Februar 2020 hatten wir fast 75 Prozent erneuerbare Energien im Tagesdurchschnitt in der Stromerzeugung. Zeitweise waren es allein über 65 Prozent Windenergie. Um eine Überproduktion zu verhindern, wurden insbesondere Offshore Windparks morgens ab 9 Uhr schrittweise in ihrer Leistung von circa fünf GW auf ein GW gedrosselt. So wurde Platz für den zunehmenden Solarstrom geschaffen. Nachmittags mit abnehmender Sonne wurde die Drosselung wieder zurückgenommen, sodass um 18 Uhr wieder fünf GW eingespeist wurden.“

„Werden solche regelnden Eingriffe des Menschen in der Studie berücksichtigt? Ich denke nicht. Aber der Mensch wird bei Extremwetterereignissen nicht tatenlos zusehen, sondern aktiv reagieren. Die Übertragungsnetzbetreiber lernen ständig, mit dem komplexer werdenden System umzugehen und haben auch konkrete Berechnungen dazu angestellt, wie das Stromsystem umgebaut werden muss, um die Herausforderungen der Energiewende zu meistern. Siehe zum Beispiel den Netzentwicklungsplan 2030 [3].“

„Ich möchte festhalten, dass man mit riesigen Computern zwar viel rechnen kann, dass die Menschen aber auch selbst intelligent genug sind, um auf die kommenden Herausforderungen angemessen zu reagieren.“

„Die durchschnittliche Netzausfallzeit in Deutschland lag 2018 bei 13,91 Minuten [4]. Was soll die Aussage ‚reliability could drop by as much as 16% during such events‘ konkret bedeuten? Steigt der SAIDI (System Average Interruption Duration Index) dann von 13,91 Minuten auf bis zu 16,14 Minuten?“

„Ich bezweifle auch, dass man die Ergebnisse von Schweden auf Deutschland oder ganz Europa übertragen kann. In Europa haben wir ganz andere Verhältnisse zwischen Wind und Solarenergie als in Schweden alleine. Außerdem haben wir den europäischen Stromverbund im UCTE-Netz und den europäischen Verband ENTSO-E, in dem alle Übertragungsnetzbetreiber Mitglieder sind. Dort werden überregionale Netzcodes [5] entwickelt, die für die Versorgungssicherheit benötigt werden. Die Kuppelstellen zwischen den Ländern werden immer stärker ausgebaut, sodass man die Stromversorgung einzelner Länder nicht isoliert betrachten kann. Die Auswirkungen von lokalen Extremwetterereignissen werden im europäischen Netzverbund geglättet und großflächig verteilt.“

„Ich halte die Gefahr, dass Bäume auf Leitungen fallen und so lokale Stromausfälle entstehen für viel größer, als dass die Netzbetreiber das Verbundnetz bei Extremwetter nicht geregelt bekommen.“

„Der Klimawandel bringt bestimmt extremere Wetterereignisse und damit neue Herausforderungen bei der Sicherstellung der Stromversorgung, aber die verantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber werden sich darauf einstellen und die nötigen Maßnahmen ergreifen. Prinzipiell sollten wir heute erst einmal angemessen auf den Klimawandel reagieren, den Zubau von erneuerbaren Energien vervielfachen und schleunigst aus den fossilen Energieträgern aussteigen, damit die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht noch weiter ansteigt. Die Folgen des Klimawandels sind in anderen Bereichen (Hitzeperioden, Trockenheit, Ernteausfälle, Starkregen, Überflutungen, Erdrutsche, steigende Meeresspiegel, Artensterben und so weiter) viel dramatischer als bei der Stromversorgung.“

Prof. Dr. Joaquim Pinto

Professor für Meteorologie, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

„Es ist grundsätzlich möglich und sinnvoll, Daten von Klimamodellen zu nutzen, um Energiemodelle anzutreiben. Leider ist es aus meteorologischer Sicht nicht klar, wie die Klimamodelldaten in dieser Studie genau genutzt wurden. Es wurden offensichtlich keine Daten für das rezente Klima (zum Beispiel 1986 bis 2005) als Referenz benutzt, womit die Güte der Daten überprüft werden kann. Somit wurden die Daten auch nicht fehlerkorrigiert. Das Verfahren zur Stichprobenentnahme der Autoren birgt Gefahr, dass die physikalischen Zusammenhänge zwischen der einzelne Variablen nicht mehr gewährleistet sind (zum Beispiel zwischen Wind und Strahlung). Anhand der Auswertungen für Schweden können meiner Meinung nach keine globalen Aussagen getroffen werden.“

Zur Frage, wie genau man solche Extremwetter-Ereignisse prognostizieren kann:
„Unsere Wettervorhersagesysteme können Extremwetterereignisse in der Regel bis zu zwei bis drei Tage gut bis sehr gut vorhersagen. Die Güte der Vorhersage kann aber sehr unterschiedlich ausfallen, je nach Witterung, Jahreszeit und Phänomen (zum Beispiel schlecht für Gewitter verglichen mit gut für Hitzewellen). Unsere Vorhersagesysteme besitzen bis zu zehn Tagen je nach Parameter eine lokal verwendbare Vorhersagegüte. Über zehn Tage hinaus sind nur noch grobe Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich. Aus Klimamodelldaten entnehmen wir Statistiken von Extremereignissen (zum Beispiel Anzahl, Intensität), die dann zwischen zwei 30-Jahreszeiträumen verglichen werden (zum Beispiel Gegenwart verglichen mit dem Ende des Jahrhunderts). Aus solchen Klimamodelldaten sind Prognosen für Einzelereignisse nicht möglich.“

Zur Frage, wie er die Gefahr von Extremwetter-Ereignissen in Zukunft beurteilt:
„Je nach Art des Extremwetterereignisses projizieren die Klimamodelle für Europa für das Ende des 21. Jahrhunderts übereinstimmend eine sehr starke Veränderung (zum Beispiel bei Hitzewellen) oder eine unsichere und vergleichsweise geringen Veränderung (zum Beispiel bei Hochwasser oder Winterorkanen). Mömken et al. (doi:10.1029/2018JD028473) zeigen nur geringfügige Veränderungen des mittleren jährlichen Windenergiepotenzials für Europa, aber größere Unterschiede zwischen Sommer und Winter. Darüber hinaus zeigt sich eine Häufung von Schwachwindphasen, was die Volatilität der Windstromerzeugung erhöhen könnte.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Claudia Kemfert: „Es gibt keinen Interessenkonflikt.“

Alle anderen: Keine angegeben. 

Primärquelle

Perera T et al. (2020): Quantifying the impacts of climate change and extreme climate events on energy systems. Nature Energy; DOI: 10.1038/s41560-020-0558-0.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] T-Online.de (2011): Bundesnetzagentur befürchtet zu Pfingsten Strom-Engpässe.

[2] Wetzel D (2015): Am 20. März droht Deutschland doppelter Blackout. Welt.de.

[3] Netzentwicklungsplan Strom.

[4] Bundesnetzagentur: Kennzahlen der Versorgungsunterbrechungen Strom.

[5] European Network of Transmission System Operators for Electricity: What are Network Codes?

[6] Moemken J et al. (2018): Future Changes of Wind Speed and Wind Energy Potentials in EURO‐CORDEX Ensemble Simulations. Journal of Geophysical Research: Atmospheres. Volume123, Issue12; DOI: 10.1029/2018JD028473.