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16.02.2023

Akzeptanz für Fleischsteuer in Deutschland

     

  • Mehrheit der Deutschen unterstützt laut Umfrage eine moderate Fleischsteuer
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  • stärkere Unterstützung, wenn Steuer als „Tierwohlabgabe“ kommuniziert wird
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  • Experten halten Fleischsteuer für sinnvoll, aber aktuell politisch unwahrscheinlich
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Die meisten Deutschen befürworten eine Steuer auf Fleisch von bis zu 40 Cent pro Kilogramm, deren Einnahmen dem Tierwohl zugutekommen. Das ist das Ergebnis einer Umfragestudie von Forschenden der Uni Hamburg, die am 16.02.2023 im Fachjournal „Nature Food“ erschienen ist (siehe Primärquelle). Die Akzeptanz war deutlich höher, wenn die Abgabe über das Tierwohl begründet wurde, als über den Klimaschutz. Verschiedene Expertengremien haben der Bundesregierung empfohlen, tierische Produkte über Steuern zu verteuern [1] [2]. Politisch steht aktuell – auch angesichts der hohen Lebensmittelpreise – aber eher eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse zur Debatte.

An der Studie nahmen rund 2.800 Erwachsene teil, die repräsentativ für die Bevölkerung Deutschlands sind. Die Umfrage simulierte ein Referendum: Die Teilnehmenden gaben für sechs Steuerbeträge an, ob sie für eine Fleischsteuer in Deutschland abstimmen würden. Einer Steuer von 19 Cent pro Kilogramm stimmten 62 Prozent der Teilnehmenden zu. Beim höchsten abgefragten Betrag von 1,56 Euro pro Kilogramm lag die Zustimmung nur noch bei 23 Prozent. Dabei war die Akzeptanz der Steuer deutlich höher, wenn sie als „Tierwohlabgabe“ bezeichnet wurde, als wenn sie „Klimaabgabe“ genannt wurde. Die Einnahmen würden entsprechend in die Verbesserung von Haltungsbedingungen beziehungsweise in Klimaschutz investiert, erklärte das fiktive Referendum. Eine „Tierwohlabgabe“ von 39 Cent pro Kilogramm bekam noch eine knappe Mehrheit. Ob der Betrag fix oder nach Kriterien des Tierwohls oder des Klimaschutzes gestaffelt war, änderte die Zustimmung nicht signifikant.

Zur Einordnung: Aktuell kostet bei Rewe ein Kilogramm gemischtes Hackfleisch etwa 8 Euro und in der Bio-Variante 19 Euro. Eine pauschale Preiserhöhung von 40 Cent würde also beim Hackfleisch zu Discounterpreisen etwa fünf Prozent Preissteigerung bedeuten, beim Bio-Hackfleisch dagegen nur etwas mehr als zwei Prozent.

Wie sinnvoll ist eine Fleischsteuer mit einem fixen Betrag pro Kilogramm, wie in der Studie vorgeschlagen – verglichen mit anderen politisch diskutierten Maßnahmen, die den Fleischkonsum senken sollen? Was wären die Konsequenzen einer solchen Abgabe für Tierwohl und Umweltschutz? Wie sollte darüber kommuniziert werden? Und wo steht die politische Debatte in Deutschland? Diese Fragen hat das SMC Expertinnen und Experten gestellt.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Achim Spiller, Professor, Leiter der Bereichs Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte, Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung, Georg-August-Universität Göttingen, und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft für „Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbrauchschutz“ (WBAE)
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  • Dr. Lukas Fesenfeld, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft, Departement Sozialwissenschaften, Universität Bern, und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Comparative and International Studies (CIS), Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Schweiz
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  • Prof. Dr. Linus Mattauch, Juniorprofessor für die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, Fakultät Wirtschaft und Management, Technische Universität Berlin, und Co-Leiter des Future Lab „Inequality, Human Well-Being and Development“, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
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  • Prof. Dr. Tobias Gaugler, Professor für Management in der Ökobranche, Fakultät Betriebswirtschaft, Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm
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Statements

Prof. Dr. Achim Spiller

Professor, Leiter der Bereichs Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte, Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung, Georg-August-Universität Göttingen, und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft für „Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbrauchschutz“ (WBAE)

„Die Studie bestätigt die Ergebnisse anderer Arbeiten, dass Tierwohl ein besonders wichtiges Kaufmotiv ist und als Rechtfertigung für eine Steuer besonders geeignet ist – besser als der Klimaschutz.“

„Die Studie ist sinnvoll angelegt, die Methodik auf dem Stand der Forschung. Die Ergebnisse passen zu vergleichbaren Arbeiten und sind plausibel.“

Auf die Frage, ob eine Fleischsteuer den Fleischkonsum effektiv verringern würde und wie diese ausgestaltet sein sollte:
„Der Fleischkonsum sinkt bei einer steuerbedingten Preiserhöhung. Dies spiegelt sich in der sogenannten Preiselastizität der Nachfrage. Die vorliegenden Studien – die allerdings vor der aktuellen Inflationspreiskrise durchgeführt wurden – deuten auf einen Rückgang hin, der bei einer Preiserhöhung von beispielsweise zehn Prozent zu einer Nachfragereduktion von circa vier bis fünf Prozent führt. Angesichts der aktuell gesteigerten Preissensibilität der Verbraucher:innen könnte die Reaktion auch etwas stärker ausfallen. Der Konsum von Schweinefleisch sinkt derzeit ohnehin schon beachtlich, sodass die Tierhaltung durch eine Mengenreduktion weiter unter Druck gesetzt würde. Deshalb wäre es wichtig, dass die Einnahmen einer Fleischsteuer gezielt für die Unterstützung des Umbaus der Tierhaltung verwendet würden.“

Auf die Frage nach den Vor- und Nachteilen einer Fleischsteuer verglichen mit einer verringerten Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse, einer erhöhten Mehrwertsteuer auf tierische Produkte oder einer CO2-Abgabe für die Tierhaltung:
„Der wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), der WBAE, dessen Vorsitzender ich derzeit bin, hat sich in seinem Gutachten für eine nachhaltigere Ernährung [1] für beides ausgesprochen: für die Reduktion der Mehrwertsteuer bei Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten und für eine Anhebung auf den Normalsatz bei tierischen Erzeugnissen – nicht nur bei Fleisch, sondern auch bei Milchprodukten. Beides trägt zu mehreren Nachhaltigkeitszielen gleichzeitig bei: Gesundheit, Klimaschutz und – bei Verwendung der Gelder für den Umbau der Tierhaltung – auch zum Tierschutz. Langfristig plädiert der WBAE für eine umfassende Nachhaltigkeitsbesteuerung von Lebensmitteln, damit Preise die externen Kosten besser spiegeln.“

„Ein je Kilogramm berechneter Steueraufschlag in Form einer Tierwohlabgabe (wie in der Studie vorgeschlagen; Anm. d. Red.) hat den Vorteil, dass die tierfreundlicheren Erzeugnisse wie zum Beispiel Biofleisch gegenüber den preiswerten Produkten nicht benachteiligt werden. Eine Mehrwertsteuererhöhung dagegen erhöht den Preisabstand bei den hochwertigen Produkten noch weiter. Deshalb hat das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung für den Fall, dass die Politik den unbürokratischen Weg einer Mehrwertsteuererhöhung gehen wollte, empfohlen, dass sie dann zum Beispiel die Biohaltung anderweitig besonders unterstützen müsste. Denn schon jetzt ist der hohe Preisaufschlag für Bio- und Tierwohlfleisch eine zentrale Kaufbarriere, die dazu beiträgt, dass der Marktanteil bisher in Deutschland sehr gering ist.“

Auf die Frage, inwiefern eine Fleischsteuer in Deutschland politisch diskutiert wird und welche Empfehlungen an die Politik sich aus der Studie ableiten lassen:
„Über eine Tierwohlsteuer auf Fleisch wurde und wird seit den Empfehlungen des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung – der sogenannten Borchert-Kommission – 2020 intensiv diskutiert [2]. Eine solche Steuer in Höhe von circa 40 Cent pro Kilogramm Fleisch, wie auch in der Studie getestet, fand zunächst politisch breite Unterstützung. Sie wurde aber in der vergangenen Legislaturperiode nicht umgesetzt, da zunächst Prüfaufträge vergeben wurden. Derzeit scheitert sie an Einsprüchen des Finanzministers, der grundsätzlich Steuererhöhungen ablehnt. Daher ist die Umsetzungswahrscheinlichkeit in Deutschland derzeit eher gering.“

„Die Studie zeigt die Situation vor der aktuellen Inflationskrise. Unter den jetzt ohnehin stark gestiegenen Preisen ist eine Steuererhöhung nochmals unwahrscheinlicher. Das Kompetenznetzwerk hat berechnet, dass circa drei bis vier Milliarden Euro pro Jahr notwendig sind, um die Kosten eines deutlich verbesserten Tierschutzes zu tragen, da die Tierhalter im harten Wettbewerb mit anderen Ländern stehen und diese Kosten nicht allein tragen können.“

Dr. Lukas Fesenfeld

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft, Departement Sozialwissenschaften, Universität Bern, und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Comparative and International Studies (CIS), Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETHZ), Schweiz

„Die Studie von Perino und Schwickert zeigt auf, dass bereits heute eine Mehrheit der deutschen Wählerinnen und Wähler eine Tierwohlabgabe auf Fleischprodukte in Höhe von rund 40 Cent pro Kilogramm unterstützt. Wichtig für die öffentliche Unterstützung ist jedoch, dass die Abgabe einen effektiven Beitrag zur Erhöhung des Tierwohls leistet. Damit decken sich die Ergebnisse der Studie mit früheren Experimenten in Deutschland [3], die ebenfalls aufzeigen, dass höhere Abgaben auf tierische Produkte stärker öffentlich akzeptiert werden, wenn sie mit einer Erhöhung des Tierwohls begründet werden. Perino und Schwickert nutzen eine innovative und robuste experimentelle Methode mit einer repräsentativen Stichprobe der deutschen Bevölkerung. Mögliche soziale Erwünschtheitseffekte werden so reduziert und die Ergebnisse der Studie sind dementsprechend aussagekräftigt über die Meinung der deutschen Bürgerinnen und Bürger zu Abgaben auf tierische Produkte. Die Einführung einer Tierwohlabgabe könnte den Fleischkonsum in Deutschland wirksam reduzieren. Allerdings ist die ökonomische Lenkungswirkung auf den Konsum bei einer niedrigen Tierwohlabgabe begrenzt und unterstützt vor allem die Transformation hin zu einem nachhaltigen Ernährungssystem dadurch, dass die Produzierenden für ihre Umstellungskosten – zum Beispiel Stallumbauten zur Erhöhung des Tierwohls – eine Kompensation erhalten. Zudem kann eine Tierwohlabgabe neben der ökonomischen Wirkung auch eine normative Lenkungswirkung entfalten. Der Staat signalisiert durch die Einführung der Abgabe eindeutig, dass weniger tierische Produkte konsumiert werden sollen – und diese aus besseren Produktionsbedingungen.“

„Im Vergleich zu anderen wirtschaftlichen Maßnahmen, wie einer verringerten Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse oder einer CO2-Abgabe für die Tierhaltung, hat die Tierwohlabgabe Vor- und Nachteile. Einerseits differenziert eine absolute Abgabe auf tierische Produkte (etwa 40 Cent pro Kilogramm Tierwohlabgabe) nicht zwischen dem aktuellen Tierwohlstandard verschiedener Produzierender – dies reduziert die Lenkungswirkung im Vergleich zu Abgaben, die sich am jeweiligen Tierwohlniveau oder auch dem jeweiligen Ausstoß von CO2-äquivalenten Emissionen der Produkte und Produktionsweisen bemessen. Solche Pigou-Steuern (Steuern, die hauptsächlich der Lenkung von Verhalten dienen; Anm. d. Red.) wären durchaus wirksamer, jedoch laut Perino und Schwickert nicht beliebter in der Bevölkerung als eine absolute Abgabe auf tierische Produkte.“

„Zudem hat eine absolute Abgabe den Vorteil, dass dadurch nachhaltigere aber oftmals teurere Lebensmittel nicht absolut stärker verteuert werden als günstigere, aber nicht nachhaltige Produkte. Bei einer prozentualen Verteuerung – zum Beispiel einer Anhebung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte auf 19 Prozent – würde sich der Preis von nachhaltigeren, jedoch teureren Produkten (zum Beispiel ein Kilogramm Biofleisch aus Freilandhaltung) absolut gesehen stärker erhöhen als der von günstigeren, weniger nachhaltigen Produkten (zum Beispiel ein Kilogramm Fleisch aus Intensivtierhaltung). Bei einer absoluten Tierwohlabgabe – etwa 40 Cent pro Kilogramm – würde der Preis von teureren, nachhaltigen Produkten relativ gesehen weniger stark steigen als der von billigeren, weniger nachhaltigen Produkten. Da es für viele Verbraucherinnen und Verbraucher absolute Preisgrenzen gibt, bis zu denen sie bereit sind, mehr für nachhaltigere Produkte zu zahlen, könnte eine prozentuale Abgabe dazu führen, dass diese Preisgrenze bei vielen nachhaltigen Produkten überschritten wird und die Nachfrage nach günstigeren aber weniger nachhaltigeren Produkten steigt. Dies könnte die geplante Lenkungswirkung von prozentualen Abgaben reduzieren. Dieses Risiko ist bei absoluten Abgaben geringer.“

„Im Gegensatz zu zusätzlichen Abgaben hätte eine verringerte Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse den Vorteil, dass diese vor allem geringere Einkommensschichten entlasten würde und ebenfalls Anreize für einen nachhaltigeren Konsum setzt. Allerdings werden durch die verringerte Mehrwertsteuer keine neuen Einnahmen generiert, um die Umstellungskosten der Produzierenden auszugleichen, die ihre Produktion tierwohlfreundlicher und nachhaltiger gestalten. Insbesondere aufgrund der derzeit hohen Inflation ist es unabdingbar, dass die Einführung von weiteren Abgaben sozial fair ausgestaltet wird. Beispielsweise könnten die Einnahmen aus solchen Abgaben zum Teil an niedrigere Einkommensgruppen zurückverteilt werden. Hier zeigen aktuelle Studien auf, dass es sehr wichtig ist, diesen Ausgleich möglichst sichtbar im Alltag der einzelnen Bürgerinnen und Bürger zu machen – zum Beispiel durch monatliche Coupons – und damit die soziale Gerechtigkeit der Maßnahme proaktiv zu kommunizieren.“

„Grundsätzlich zeigt die bisherige Forschung, dass eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland bereit ist, die Einführung moderater Abgaben auf tierische Produkte zu akzeptieren. Jedoch erhöht sich die Zustimmung deutlich, wenn diese Abgaben in umfassende Politikpakete integriert werden [4]. Die Bürgerinnen und Bürger wünschen sich eine umfassende Ernährungssystempolitik, die die unterschiedlichen Akteure im System – Produzierende, Händler und Konsumenten – in die Verantwortung nimmt. Eine faire Ausgestaltung – etwa durch einen Ausgleich für die Umstellungskosten der Produzierenden und niedrigere Einkommensgruppen – sowie transparente Kommunikation zur Wirksamkeit der neuen Rahmenbedingungen sind zentral, um die öffentliche Unterstützung zu sichern.“

„Aus der Studie von Perino und Schwickert lässt sich zudem ableiten, dass es wichtig ist, den Zweck der Abgabe direkt im Namen der Abgabe hervorzuheben, damit der Grund für die Einführung unmittelbar ersichtlich ist. Unter dem Strich zeigt die Untersuchung von Perino und Schwickert auf, dass die politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger mit einer öffentlichen Zustimmung für den Vorschlag der Borchert-Kommission zur Einführung einer Tierwohlabgabe von 40 Cent pro Kilogramm rechnen können. Eine strategische Kombination dieser Abgabe mit einer verringerten Mehrwertsteuer für pflanzliche Produkte sowie einer gezielten Entlastung für niedrigere Einkommensschichten könnte sowohl die soziale Fairness, Wirksamkeit als auch öffentliche Zustimmung erhöhen.“

Prof. Dr. Linus Mattauch

Juniorprofessor für die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, Fakultät Wirtschaft und Management, Technische Universität Berlin, und Co-Leiter des Future Lab „Inequality, Human Well-Being and Development“, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

„Uns Forschenden war schon gut bekannt, dass vor allem die Sorge ums Tierwohl Menschen zu einer freiwilligen privaten Reduktion des Fleischkonsums bewegen kann: Massentierhaltung finden fast alle Deutschen unethisch. Forderungen nach Fleischreduktion mit den Klimawirkungen oder den Gesundheitseffekten zu begründen, überzeugt weniger Deutsche. Perino und Schwickert legen mit der betreffenden Studie nun erstmalig eine Untersuchung vor, die zeigt, dass sich auch bei der Debatte um die Einführung einer Bepreisung von Fleisch durch die Politik deutlich mehr Menschen durch die Begründung des Tierwohls überzeugen lassen als mit den eingesparten Treibhausgasemissionen.“

„Die Methodik der Studie ist grundsätzlich überzeugend.“

„Dass eine Bepreisung von Fleisch den Fleischkonsum wirklich verringern würde, ist wissenschaftlich sehr robust nachgewiesen und vielfach belegt. Damit würden auch die negativen Umweltfolgen der Massentierhaltung eingedämmt – von Treibhausgasen über Nitrat im Grundwasser und Luftverschmutzung bis hin zur Entwaldung durch den Anbau von Futtermitteln. Dass eine Fleischbepreisung für sich genommen das Tierwohl erhöht, ist weniger klar. Die Einnahmen aus einer Fleischbepreisung könnten aber dazu genutzt werden, Verbesserungen für das Tierwohl zu finanzieren. Verbesserungen in den Haltungsbedingungen sind teuer und von den Zuchtbetrieben nicht ohne spezifische Regulierung zu realisieren. Das Maßnahmenpaket aus einer Steuer auf Fleisch und der Einnahmenverwendung für Verbesserungen der Tierhaltung könnte auch das ,Höfesterben‘ aufhalten und die wirtschaftliche Situation von Bauern verbessern. So könnte eine Fleischbepreisung als notwendiger Teil der Agrarwende zum Gewinnerthema über die politischen Lager hinweg werden. Denn eine ,Tierwohlabgabe‘ wird in Deutschland schon länger diskutiert. Es fehlt der Politik aber vor allem der Mut, die Abgabe auf Fleisch auch wirklich an den Umweltwirkungen zu orientieren und dies den Bürgern gut zu erklären. Hier setzt die aktuelle Studie an und zeigt auf, welchen Weg die Bundesregierung gehen könnte.“

„Eine reine Senkung der Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse würde ebenso dazu führen, dass relativ gesehen mehr Obst und Gemüse und weniger Fleisch gekauft wird. Allerdings sind die Effekte der Reduzierung des Fleischkonsums eher gering und würden den dramatischen Umweltschäden durch Fleischkonsum nicht gerecht. Eine direkte Bepreisung von Fleisch ist insofern sehr viel besser für die Umwelt.“

Prof. Dr. Tobias Gaugler

Professor für Management in der Ökobranche, Fakultät Betriebswirtschaft, Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm

„Perino und Schwickert testen, ob bürgerliche Unterstützung für steuerliche Eingriffe in die Bepreisung von Fleischprodukten davon abhängt, ob diese Steuern zur Abschwächung des Klimawandels oder zur Verbesserung des Tierwohls erhoben werden.“

„Es bestätigt sich hierbei die Hypothese, dass steuerliche Eingriffe aufgrund von klimabezogenen Aspekten weniger Zustimmung erlangen als solche, die sich auf Tierwohl beziehen. Jedoch zeigt sich überraschenderweise, dass eine Differenzierung der Besteuerung entsprechend der Schädlichkeit verschiedener Produktionspraktiken – egal ob Klima- oder Tierwohl-bezogene Maßnahmen – keine signifikante Auswirkung auf die Unterstützungsquote der steuerlichen Maßnahmen haben. Zudem zeigen die Ergebnisse auf, dass es sich positiv auf die Unterstützung steuerlicher Maßnahmen auswirkt, wenn sich Menschen mit positiven Effekten einer Steuerreform auseinandersetzen: Sind sich BürgerInnen über Vorteile für Klima- oder Tierwohl bewusst, so sind sie mehr dazu geneigt, einen steuerlichen Aufpreis zu unterstützen.“

„Diese Ergebnisse entsprechen dem Konsens, dass eine Steigerung gesellschaftlichen Bewusstseins zuträglich für nachhaltige Transformationsprozesse ist. Weiterhin sind diese Erkenntnisse als Hintergrund für Forschung zu fiskalischen Anreizen für nachhaltige Konsumveränderung elementar, da die Ausgestaltung vor allem der Kommunikation von steuerlichen oder ähnlichen Eingriffen dementsprechend ausgearbeitet werden sollte. Ferner herrscht grundsätzlich wissenschaftlicher Einklang darüber, dass sich Tierwohl und CO2-Einsparungen landwirtschaftlicher Produktion teilweise bedingen – beispielweise tragen grasende Rinder zur positiven CO2-Bindung des Bodens bei und haben gleichzeitig bei mehr Auslauf ein schöneres Leben –, weswegen sich die Kommunikation einer tierfreundlichen und gleichzeitig klimafreundlichen Steuerreform mehr auf die Tierwohldebatte konzentrieren könnte, ohne Abstriche in punkto ökologischer Vorteilhaftigkeit machen zu müssen.“

„Die Stichprobe der Studie scheint nahezu repräsentativ, auch wenn die Gruppe junger Teilnehmer etwas unterrepräsentiert ist, was gegebenenfalls die Unterstützung vor allem klimabezogener Steuermaßnahmen etwas geringer erscheinen lässt – Stichwort: Fridays for Future und Klimagerechtigkeit als zentraler Diskurs jüngerer Gesellschaftssichten. Gleichzeitig geben Teilnehmende einen höheren durchschnittlichen Bildungsgrad an als die deutsche Gesellschaft. Eine Auswirkung auf die Ergebnisse daraus zu antizipieren, wäre an dieser Stelle jedoch unangebracht.“

„Weiterhin erscheint die Berechnung der verschiedenen getesteten Steuerlevels für klimabezogene Steuereingriffe als sinnvoll im derzeitigen literarischen Kontext der CO2-Kostenforschung. Die Steuerlevels der Tierwohl-bezogenen Eingriffe wurden anhand der CO2-Steuerlevels erhoben, was ebenfalls sinnvoll scheint: Ethische Faktoren – wie Tierwohl – sind in der derzeitigen Literatur der Monetarisierung externer Kosten eher unausgereift. Da positive Effekte für Klima und Tierwohl als synergetisch gelten – extensive Haltungsformen weisen Vorteile für Tier und Natur auf –, erscheint der steuerliche Eingriff für Tierwohl-Faktoren anhand von CO2-Faktoren vertretbar.“

„Aufgrund des Befragungsdesigns entlang eines realen Referendums scheint die Aussagekraft über politische Maßnahmen zu verantworten zu sein. Jedoch sollte auf eine eventuelle attitude-behavior-gap (Kluft zwischen der Einstellung und des tatsächlichen Verhaltens der Teilnehmenden) verwiesen werden, welche in dieser Studie nicht geprüft wird. Schlüsse auf das Ergebnis eines tatsächlichen Referendums sind wohl mit Vorsicht zu ziehen.“

Auf die Frage, ob eine Fleischsteuer den Fleischkonsum effektiv verringern würde und wie diese ausgestaltet sein sollte:
„Die hier vorliegende Studie trägt nicht dazu bei, zu beantworten, wie sich der Fleischkonsum bei einer Steuerreform verändern würde. Sie gibt Aufschluss darüber, wie eine solche Steuerreform designt und vor allem kommuniziert werden sollte, um grundsätzliche gesellschaftliche Unterstützung zu finden. Dennoch unterstützen die Ergebnisse den Gedanken, dass eine Fleischsteuer Synergien zwischen klima- und tierfreundlichen Praktiken ausnutzen sollte, während die Kommunikation der Reform hin zu Konsumierenden eher auf Tierwohl-Aspekte fokussieren sollte. Die Ergebnisse zeigen, dass eine von der Expertenkommission des Kompetenzzentrums der Nutztierhaltung unterstützte Reform von zusätzlichen 39 Cent pro Kilogramm Fleisch – das entspricht 50 Euro pro Tonne CO2 – von Teilnehmenden nur bei einer Auslegung nach Tierwohlsteuerreform unterstützt würde. Höhere Steuersätze würden einem Referendum weder mit Klima- noch Tierwohlargumenten standhalten. Dies sind aussagekräftige Überlegungen, die genutzt werden können für eine optimale Gestaltung fiskalischer Maßnahmen, die einer nachhaltigen Transformation des Lebensmittelkonsums in Deutschland zuträglich wären. Zahlreiche Studien zeigen die Preiselastizität von Lebensmitteln auf und bestätigen damit, dass der Konsum von tierischen Lebensmitteln bei der Einführung einer Fleischsteuer effektiv verringert würde. Somit würden gleichzeitig Anreize für ProduzentInnen entsprechend der deutschen Ernährungsstrategie gesetzt: Eine Veränderung hin zu nachhaltigen Konsummustern, wie geringerem Fleischkonsum und höherem pflanzlichen Konsum, bedingt gleichzeitig einen Anstieg nachhaltiger Produktion.“

Auf die Frage nach den Vor- und Nachteilen einer Fleischsteuer verglichen mit einer verringerten Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse, einer erhöhten Mehrwertsteuer auf tierische Produkte oder einer CO2-Abgabe für die Tierhaltung:
„Vorteil einer Fleischsteuer sind die direkten moralisch/ethischen Faktoren, welche den Konsumierenden aufgezeigt werden und so deren Unterstützung einer steuerlichen Nachhaltigkeitsreform steigern können. Wie sich in der aktuellen Studie zeigt, finden diese sozialen Argumente mehr Unterstützung und sind folglich hinsichtlich politischer Mehrheitsbildung zuträglicher als beispielsweise Umwelt-Aspekte. Diese moralisch/ethischen Aspekte kommen bei einer steuerlichen Anpassung von Obst und Gemüse nicht zum Tragen.“

„Nachteil könnte jedoch sein, dass eine solche Steuerreform für Konsumierende emotional negativ behaftet ist und so positive Bestätigung ausbleibt, wenn etwas ,richtig‘ gemacht würde, indem nachhaltigere Produkte gekauft würden. Bei positiven Anpassungen, wie beispielsweise einer verringerten Mehrwertsteuer von pflanzlichen Produkten, wäre die positive Bestätigung für Konsumierende attraktiv.“

„Ein weiterer Nachteil ist, dass bei einer steuerlichen Erhebung des Fleischpreises kein sozialer Ausgleich mitgedacht wird. Fleisch könnte so zum Luxusgut werden und BürgerInnen, die sozialökonomisch unterprivilegiert sind, unzugänglich sein.“

„Beides, sowohl die negative Besteuerung von Fleisch oder die steuerliche Bevorteilung pflanzlicher Produkte, trägt dazu bei, nationale Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, sowie gesundheitlich vorteilhafte Ernährungsverhalten zu verstärken (planetary health diet).“

Auf die Frage, inwiefern eine Fleischsteuer in Deutschland politisch diskutiert wird und welche Empfehlungen an die Politik sich aus der Studie ableiten lassen:
„Die Nutzung fiskalischer Instrumente für die Förderung nachhaltiger Transformation im Bereich der Lebensmittel wird aktuell stark diskutiert. Die vorliegende Studie zeigt wichtige Erkenntnisse für eine Ausgestaltung vor allem der Kommunikation ebensolcher steuerlichen Anpassungen auf. Sie befeuert sowohl den wissenschaftlichen als auch den politischen Diskurs zur nachhaltigen Transformation des landwirtschaftlichen Sektors.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Achim Spiller: „Ich bin Vorsitzender des WBAE sowie Mitglied des Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung / der Borchert-Kommission. Ich habe in den letzten Jahren eine Reihe von Studien für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) durchgeführt.“

Prof. Dr. Tobias Gaugler: „Der Autor bestätigt keine Interessenkonflikte.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Schwickert H et al. (2023): Animal welfare is a stronger determinant of public support for meat taxation than climate change mitigation in Germany. Nature Food. DOI: 10.1038/s43016-023-00696-y.

Weiterführende Recherchequellen

Betsch et al. (2023): Universität Erfurt (2023): Ergebnisse aus der Planetary Health Action Survey - PACE. Sonderwelle Ernährung.
PACE ist ein Forschungsprojekt angeleitet von Forschenden der Uni Erfurt, das regelmäßig Befragungen zu Einstellungen und Verhalten im Bezug auf den Klimawandel in Deutschland durchführt. Auch das SMC ist an dem Projekt beteiligt. Die Ergebnisse aller Befragungen und deren Zusammenhänge sind hier dargestellt.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (2020): Politik für eine nachhaltigere Ernährung.
Der WBAE ist ein interdisziplinäres Gremium, das das BMEL berät.

[2] Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung (11.02.2020): Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung.
Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung ist ein Expertengremium, das das BMEL berät. Es wird nach dem Vorsitzenden Jochen Borchert auch als Borchert-Kommission bezeichnet.

[3] Fesenfeld LP et al. (2021): The role and limits of strategic framing for promoting sustainable consumption and policy. Global Environmental Change. DOI: 10.1016/j.gloenvcha.2021.102266.

[4] Fesenfeld LP et al. (2020): Policy packaging can make food system transformation feasible. Nature Food. DOI: 10.1038/s43016-020-0047-4.