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25.09.2020

Wie kann man die Akzeptanz der Endlagersuche verbessern?

Am 28.09.2020 will die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ihren Zwischenbericht zur Endlagersuche präsentieren. Gleichzeitig wird eine interaktive Karte freigeschaltet, auf der die Ergebnisse der geologischen Voruntersuchung für jeden Ort Deutschlands abrufbar sind. Dieser Bericht enthält Gebiete, die nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Daten geologisch günstige Bedingungen für ein Endlager versprechen. Gebiete, die auf dieser Karte weiß bleiben, kommen für ein Endlager geologisch nicht in Frage, eine Vorentscheidung für einen bestimmten Ort trifft die Bundesgesellschaft für Endlagerung in diesem Bericht jedoch auch nicht. In der nun folgenden Phase sollen die Gründe für die Auswahl mit den Bürgerinnen und Bürgern zum Beispiel auf Regionalkonferenzen vor Ort diskutiert werden; bis Mitte 2021 sind dafür mehrere Termine angepeilt. Bis 2031 soll der Auswahlprozess abgeschlossen sein, sodass die Bauarbeiten beginnen können; 2050 sollen die ersten Behälter eingelagert werden.

Wichtig ist, dass in diesem Prozess von allen Seiten offen und ohne Vorentscheidungen diskutiert wird, damit der Auswahlprozess gerecht verläuft und Bürgerinnen und Bürger die Entscheidung am Ende des Prozesses mittragen. Daher wird zum Beispiel das Erkundungsbergwerk Gorleben ebenfalls in die Suche einbezogen. Fast alle Bundesländer folgen bis jetzt dieser Linie, lediglich Bayern scherte aus: Nach Auffassung des Umweltministers Thorsten Glauber (Freie Wähler) sei der dortige Untergrund ungeeignet.

Wir haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gebeten, die notwendigen Bedingungen für erfolgreiche Diskussionen über den Teilbericht und den Auswahlprozess zu skizzieren.

Übersicht

     

  • Dr. Michael Ruddat, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung, Universität Stuttgart
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  • Julia Neles, Gruppenleiterin Entsorgung, Bereich Nukleartechnik & Anlagensicherheit, Öko-Institut e.V.
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  • Prof. Dr. Jens Wolling, Professor für Empirische Medienforschung und politische Kommunikation, Technische Universität Ilmenau
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  • Dr. Jürgen Hampel, Akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Technik- und Umweltsoziologie, und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung (ZIRIUS), Universität Stuttgart
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  • Prof. Dr. Peter Wiedemann, Honorarprofessor für Psychologie, Faculty of Social Sciences, University of Wollongong, Australien und ehemaliger Leiter der Programmgruppe Mensch, Umwelt, Technik (M.U.T.) am Forschungszentrum Jülich
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  • Prof. Dr. Ortwin Renn, Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung IASS, Institute of Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS), Potsdam
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Statements

Dr. Michael Ruddat

Wissenschaftlicher Mitarbeiter Zentrum für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung, Universität Stuttgart

„Mit der Veröffentlichung des Zwischenberichts Teilgebiete der BGE werden bestimmte Gebiete benannt, die aus geologischer Sicht für ein Endlager infrage kommen – und umgekehrt solche, die aus der weiteren Betrachtung ausgeschlossen werden. Damit steigt potenziell die Aufmerksamkeit in den aus wissenschaftlicher Sicht geeigneten Gebieten sowie auch eventuell in der breiten Öffentlichkeit. Es sind nun verschiedene Beteiligungsmaßnahmen wie die Fachkonferenz Teilgebiete und die Regionalkonferenzen vorgesehen. Dabei sind für das Gelingen des Standortauswahlprozesses unter anderem die drei folgenden Faktoren wichtig.“

„Erstens muss sichergestellt werden, dass die wissenschaftlichen Fakten für alle Teilnehmenden nachvollziehbar und verständlich sind, um Missverständnissen und reinen ‚Expertendialogen‘ vorzubeugen. Alle Teilnehmenden müssen den Diskussionen folgen und sich einbringen können. Grafiken statt Zahlen können dabei helfen. Ein positives Beispiel aus dem Bereich der Beteiligung ist der BASE-Flyer ‚suche: mitgestalter*innen‘ [1].“

„Zweitens muss, wie vorgesehen, in den Regionalkonferenzen allen Interessierten aus der jeweiligen Standortregion die Möglichkeit gegeben werden, effektiv teilnehmen zu können. Dies ist in Corona-Zeiten sicherlich eine große Herausforderung, wenn Präsenzveranstaltungen geplant werden. Onlineverfahren sind kein Allheilmittel, sondern können mehr eine sinnvolle Unterstützung sein. Deshalb erscheint es ratsam, den Zeitplan nicht zu eng zu takten.“

„Drittens muss klar kommuniziert werden, was auf diesen und anderen Veranstaltungen möglich ist und was nicht. Anregungen, konstruktive Kritik, lokales Wissen – all das kann den Prozess um die Findung eines Endlagers bereichern und zur Akzeptanz beitragen. Letztlich treffen jedoch die gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter im Deutschen Bundestag die Entscheidung über die weitere Erkundung beziehungsweise Auswahl von Standorten. Dabei sind jedoch vorschnelle Äußerungen aus der Politik wie etwa aus Bayern kontraproduktiv. Das Verfahren muss ergebnisoffen sein.“

„Man sollte sich generell darauf einstellen, dass es – wie so oft bei externen Großtechnologien – durchaus heftige Reaktionen aus den potenziell betroffenen Gebieten geben wird. Hierfür ist neben Transparenz, Offenheit und Respekt in den Veranstaltungen auch eine gewisse Flexibilität der Formate nötig. Diese wird auch offiziell kommuniziert und ist zukünftig ernst zu nehmen.“

Julia Neles

Gruppenleiterin Entsorgung, Bereich Nukleartechnik & Anlagensicherheit, Öko-Institut e.V.

„Das Standortauswahlverfahren sieht ein gestuftes, wissenschaftsbasiertes, transparentes Verfahren vor mit einer umfangreichen Öffentlichkeitsbeteiligung, die gesetzlich festgelegt ist. Zudem ist das Verfahren nicht starr, sondern soll selbsthinterfragend und lernend sein. Das gab es in Deutschland bisher noch nicht. Es ermöglicht den Bürgerinnen und Bürgern, sich früh in das Verfahren einzubringen. Bei der nun anstehenden Fachkonferenz Teilgebiete besteht für alle Interessierten die Möglichkeit, die bisherigen Ergebnisse der BGE zu diskutieren und eigene Argumente zurückzuspielen. Die BGE muss diese dann im nächsten Schritt berücksichtigen. Damit dieser erste Schritt erfolgreich ist, muss für die Bürgerinnen und Bürger sichtbar werden, dass sie angehört werden und ihre Beiträge Relevanz entfalten.“

„Nicht nur in Deutschland, auch im Ausland gibt es genügend Beispiele dafür, wie die Endlagersuche schief gehen kann. All diese Erfahrungen haben sicher auch dazu beigetragen, dass das deutsche Standortauswahlverfahren Transparenz und Beteiligung einen hohen Stellenwert beimisst. Das bedeutet aber nicht, dass damit alle Konflikte vom Tisch sind. Auch in der Schweiz, die ebenfalls ein gestuftes, wissenschaftsbasiertes und partizipatives Verfahren verfolgt, wird diskutiert. Dort wurde aber bereits die dritte von drei Phasen erreicht: Drei Standorte werden nun auf ihre Eignung hin untersucht.“

„Ein anderer Aspekt ist der wissenschaftliche Austausch. Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr stark mit einer Endlagerung in Salz auseinandergesetzt. Mit Blick auf andere mögliche Wirtsgesteine wie Tonstein oder Kristallin können wir hierzulande auch aus den ausländischen Erfahrungen lernen.“

„Ich denke, es muss deutlich werden, dass das Endlager auf wissenschaftlicher Basis und nicht anhand von politischem Durchsetzungsvermögen ausgewählt werden wird. Klar möchte keiner wirklich gerne ein Endlager vor seiner Haustür haben. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass die Entsorgung der radioaktiven Abfälle eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die nicht späteren Generationen aufgebürdet werden darf. Alle beteiligten Akteure sollten das ernst nehmen und verantwortungsvoll mit der Chance, die der Prozess bietet, umgehen.“

Prof. Dr. Jens Wolling

Professor für Empirische Medienforschung und politische Kommunikation, Technische Universität Ilmenau

„Die Idee, mit einer ‚weißen Landkarte‘ den Prozess zu beginnen, sich auf wissenschaftliche Expertise zu verlassen und höchstmögliche Transparenz beim Vorgehen sicherzustellen, war richtig und unabdingbar. Dennoch ist die Erwartung illusorisch, dass man nach einer sorgfältigen Prüfung der Fakten zu einer Entscheidung kommen kann, die von den Betroffenen akzeptiert wird. Wieso?“

„Erstens: Die Entscheidung über die Endlagerstätte ist in hohem Maße emotional aufgeladen und lässt sich deswegen einfach politisch instrumentalisieren – was bereits jetzt geschieht. Die Erwartung, dass eine rationale Abwägung der Fakten genügt, um diese Gemengelage zu beherrschen, ist unrealistisch.“

„Zweitens: Die Erwartung, dass die Wissenschaft am Ende einvernehmlich sagen wird: ‚Genau dieser eine Standort ist der richtige, und alle anderen sind deutlich schlechter‘, ist unrealistisch. Wahrscheinlicher ist ein Szenario, bei dem einige Standorte zur Auswahl stehen, die alle prinzipiell geeignet sind, aber bestimmte Vor- und Nachteile haben. Das heißt, am Ende muss eine politische Entscheidung getroffen werden.“

„Man sollte auf diese Entscheidung verzichten und über eine Umkehr der Logik nachdenken. Wann nehmen Betroffene Einschränkungen durch Infrastrukturmaßnahmen eher hin? Wenn sie einen Nutzen sehen! Die Autobahn wird akzeptiert, weil man sie nutzen kann, der Bau einer Fabrik wird akzeptiert, weil sie Jobs bringt. Der Widerstand gegen Hochspannungsmasten und Erdkabel hingegen ist besonders groß, weil sie den Betroffenen nur Nachteile und keinerlei Vorteile bringen.“

„Wenn am Ende drei, vier Endlager-Standorte zur Auswahl stehen, dann sollte man die Menschen in den Regionen fragen, wie ein Angebot aussehen könnte, dem sie zustimmen würden. Vielleicht gibt es in dem Szenario dann sogar mehr als eine Region, die unter bestimmten Rahmenbedingungen das Endlager haben möchte. Wenn man an diesen Punkt gelangen würde, dann ginge es nicht mehr darum, eine Entscheidung gegen Widerstand durchzusetzen, sondern eine Entscheidung zwischen Interessenten zu treffen. Das wird sicherlich nicht billig, aber es wäre der Marktpreis.“

Dr. Jürgen Hampel

Akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Technik- und Umweltsoziologie, und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung (ZIRIUS), Universität Stuttgart

„Vorbemerkung: Ich habe mich wissenschaftlich nicht mit Fragen der Endlagerung nuklearer Abfälle beschäftigt, auch nicht mit dem Konzept der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE). Ich kann lediglich allgemeine Anmerkungen zum Thema ‚Bürgerbeteiligung und Akzeptanz‘ machen. Das sind Themen, mit denen ich mich seit langem intensiv beschäftige.“

„Die Entscheidung für den Standort eines nuklearen Endlagers ist eines der am schwersten zu lösenden Probleme der Gegenwart. Dies zeigt nicht zuletzt die Liste der Länder, die dieses Problem bislang nicht haben lösen können.“

Auf die Frage, wovon Akzeptanz abhängt:
„Akzeptanz kann nicht erzeugt werden. Sie ist das Ergebnis eines Prozesses. Darüber, ob etwas akzeptiert wird oder nicht, entscheiden ausschließlich diejenigen, deren Akzeptanz man möchte. Das mag trivial erscheinen, ist es aber nicht, wenn man reale Verfahren betrachtet.“

„Eine erste Voraussetzung von Akzeptanz ist, dass die Ziele, die mit einer Maßnahme erreicht werden sollen, geteilt werden. Eine zweite Voraussetzung ist Vertrauen, sowohl in die Akteure der Entscheidungsfindung als auch in die Verfahren selbst. Vertrauen hat Voraussetzungen: Vertrauen setzt die Erwartung voraus, dass der Handelnde seine Interessen nicht rücksichtslos über die Interessen von Betroffenen stellt. Das bedeutet auch, dass Vertrauen weniger durch Kommunikation als durch Handeln geprägt wird. Eine dritte Voraussetzung ist die Frage, inwieweit Interessen der Betroffenen berücksichtigt werden.“

„Partizipative Verfahren der Entscheidungsfindung können die Akzeptanz erhöhen, sie sind aber kein Instrument zur Erzeugung von Akzeptanz, vor allem keines, das Akzeptanz garantiert. Partizipation kann aber dazu führen, dass Entscheidungen transparenter werden und vermittelt darüber, dass die Legitimität von Entscheidungen zunimmt – vorausgesetzt, die Transparenz von Entscheidungsprozessen delegitimiert nicht das Verfahren. Nicht zuletzt kann sie dazu führen, dass Alternativen gewählt werden, die auf größere Zustimmung stoßen.“

„Deutschland zeichnet sich durch sehr gut organisierte und einflussreiche Umweltorganisationen aus. Für ein erfolgversprechendes Verfahren empfiehlt es sich, diese einzubeziehen.“

„Die Wahl eines mehrfach gestuften Verfahrens erscheint in Anbetracht der Schwierigkeit des Problems unabdingbar.“

„Insbesondere die verfahrensmäßige Trennung der Festlegung von Entscheidungskriterien und der Entscheidung für einen Standort ist hilfreich.“

Auf die Frage nach der Rolle der politischen Kommunikation:
„Wenn Bürgerbeteiligung gewünscht ist, sollte das Mandat dieser Beteiligung klar definiert sein und deutlich formuliert werden. Geht es um Information, um Beteiligung bei der Entscheidungsfindung – wie genau? – oder um die Entscheidung selbst? Unklarheit führt zu Enttäuschungen. Außerdem sollte klar definiert werden, wer in das Verfahren einbezogen wird.“

„Weichen die politischen Entscheidungen von den Ergebnissen von Beteiligungsverfahren ab, sollte dies für die Öffentlichkeit, aber insbesondere für die Verfahrensbeteiligten, nachvollziehbar begründet werden. Die Bereitschaft, sich an solchen Verfahren zu beteiligen, geht verloren, wenn diese in den Entscheidungen keinen Widerhall finden.“

Prof. Dr. Peter Wiedemann

Honorarprofessor für Psychologie, Faculty of Social Sciences, University of Wollongong, Australien und ehemaliger Leiter der Programmgruppe Mensch, Umwelt, Technik (M.U.T.) am Forschungszentrum Jülich

„Es ist nicht einfach zu beantworten, ob die Kommunikation der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) dazu beiträgt, gesellschaftliche Akzeptanz für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle zu schaffen.“

„Wer – wie das BGE – für sein Vorhaben Akzeptanz braucht, hat im Regelfall Probleme aufgrund von tatsächlichen oder erwarteten Interessenkonflikten. Das, was staatlich gewollt ist, wird von den Betroffenen abgelehnt. Die Akzeptanzforschung hat deshalb die fast nicht zu lösende Aufgabe, Ansätze zu erkunden, die es ermöglichen, unbeliebte Infrastrukturprojekte mehrheitsfähig zu machen. Dabei geht es um softe Mehrheitsbeschaffung – eben den zwanglosen Zwang des besseren Arguments, um Reframing (die Wahl einer möglichst positiven Darstellungsform – Beispiel: 95 Prozent fettfrei anstelle von 5 Prozent Fettgehalt) und um Persuasion.“

„Die BGE baut auf Wissenschaft und auf Verfahrenstransparenz und folgt damit dem Ansatz des zwanglosen Zwangs des besseren Arguments. Aber auch damit kann Akzeptanz nicht garantiert werden. Denn im Kern geht es hier nicht um das Ausräumen von Missverständnissen, sondern um Interessengegensätze. Somit greifen Ansätze, die motivieren wollen, sich des Verstandes zu bedienen, zu kurz. Akzeptanz ist eben keine Frage der Einsicht.“

„Zur Abwehr des Endlagers bedienen sich die Betroffenen jeder Möglichkeit. Die Kommunikation der lokalen Politiker, die eben auch lokale Interessen wahrnehmen müssen, spielt dabei eine problematische Rolle. Denn sie mobilisiert Gefühle und operiert und mit einfachen Schwarz-Weiß-Gegensätzen. Damit ist sie immer im Vorteil. Denn, was einfach ist, kommt besser an [2]. Warnungen haben zudem einen höheren Aufmerksamkeitswert als entwarnende Informationen [3]. Hinzu kommt, dass negativ formulierte Botschaften als glaubwürdiger wahrgenommen werden als positive vermittelte Botschaften [4]. Die Thematisierung von Unsicherheiten wird zudem genutzt, um Zweifel an wissenschaftlichen Befunden zu säen [5]. Durch Herausstellen von Kontroversen (die Wissenschaftler sind sich in dieser Frage nicht einig) sowie durch das Betonen von Unsicherheiten (die Wissenschaft weiß es so genau auch nicht) lässt sich die Glaubwürdigkeit von nicht-genehmen wissenschaftlichen Befunden beschädigen [6]. Hier gegenzuhaltend ist extrem schwierig, wie die Forschung zu dem Umgang mit Fake-News zeigt [7].“

„Wird zudem ein Infrastruktur-Vorhaben als moralische Angelegenheit bewertet oder als eine Frage der politischen Überzeugung, dann kommt es auf Fakten nicht mehr an. Wissenschaft ist nicht mehr relevant [8].“

„Akzeptanzprobleme sind deshalb kommunikativ nicht zu lösen. Wohl aber können sie durch Kommunikation verschlimmert werden.“

Prof. Dr. Ortwin Renn

Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung IASS, Institute of Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS), Potsdam

„Positiv ist anzumerken, dass die Verfahrensvorschläge der BGE die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in die Auswahl der geeigneten Standorte und dann auch bei der Umsetzung der Planungsvorgaben als konstitutives Merkmal des Genehmigungsverfahrens anerkennt. Allerdings ist kaum damit zu rechnen, dass innerhalb einer Region die Anwohner von der Ansiedlung eines nuklearen Endlagers begeistert sein werden, unabhängig davon, welche Bedingungen dafür ausgehandelt werden. Für eine positive Akzeptanz sind vier Kriterien ausschlaggebend: die Anerkennung der Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit des entsprechenden Vorhabens; die Wahrnehmung einer positiven Risiko-Nutzen-Bilanz; die Zusicherung, dass die eigene Handlungsfreiheit und der eigene Handlungsspielraum durch das Vorhaben nicht eingeschränkt wird, sowie eine positive auch emotionale Identifikation mit dem Vorhaben, etwa als Anreiz für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in einer Kommune.“

„Um diese vier Kriterien erfüllen zu können, ist zum einen eine überzeugende und eine von allen relevanten Gruppen getragene Kommunikation erforderlich, zum anderen eine aktive Mitwirkung der betroffenen Gemeinden und der dort wohnenden Bürgerinnen und Bürger an der Auswahl und der Ausgestaltung der jeweiligen Vorhaben. Gerade bei Vorhaben, die eher negative oder sogar, wie bei einem Endlager, stigmatisierende Assoziationen wecken, sind Aushandlungsprozesse schwierig, aber nicht unmöglich. Vor allem sind hier attraktive Kompensationsmaßnahmen und positive Anreize besonders wichtig. Sie wirken aber nur, wenn glaubhaft dargelegt wird, dass alle größeren Risiken für Umwelt und Gesundheit nachvollziehbar ausgeschlossen sind.“

„In den meisten Ländern, in denen Kernkraftwerke als Energiequelle genutzt werden, sind bis heute keine Endlager mit entsprechend hoher Kapazität in Betrieb, sondern meist nur Versuchsanlagen. Schweden und Finnland sind bei der Planung von Endlagern am weitesten fortgeschritten. In beiden Ländern wurden Standorte ausgewählt, an denen bereits Nuklearanlagen existieren. Dort war die Bevölkerung also schon seit längerem mit den entsprechenden Technologien vertraut. In beiden Ländern wurde sehr viel Wert auf die Einbindung der jeweiligen Anwohnerinnen und Anwohner gelegt. In Finnland war die Akzeptanz von vornherein relativ hoch, in Schweden hat es mehrere Anläufe gegeben, um letztlich einen Standort festzulegen. Die erste Alternative wurde per Volksentscheid abgelehnt.“

„Ähnliches gilt auch für die Schweiz: Dort wurde zunächst einmal der ausgewählte Standort in einem Referendum von der Mehrheit abgelehnt. Inzwischen hat die Schweiz ein sehr kompliziertes, aber auch viele Bevölkerungsteile integrierendes Verfahren entwickelt, in dem Schritt für Schritt eine Konkretisierung des Standortes vorgenommen wird. Alle diese Erfahrungen aus anderen Ländern können wichtige Rückschlüsse für die deutsche Diskussion geben, aber gleichzeitig ist auch deutlich, dass die Akzeptanz für ein Endlager im eigenen Ort über alle Bevölkerungsteile hinweg zurzeit nicht gegeben ist. Daher wird es besonders auf ein schrittweises und wissenschaftlich wie demokratisch überzeugendes Verfahren ankommen.“

„Ganz wichtig ist es, dass in einem ersten Schritt der Eindruck vermieden wird, dass die ausgewählten potenziellen Standorte nach politischen Kriterien entschieden wurden. Wenn dieser Eindruck aufkommt, werden die betroffenen Kommunen geradezu aufgefordert, mit allen Mitteln gegen eine Nominierung als potenziellen Standort vorzugehen, weil nicht technische oder physikalische Gründe, sondern politische Ränkespiele die Auswahlliste bestimmt hätten. Dann wäre das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Wenn aber anerkannt wird, dass die Liste der potenziellen Standorte ohne politische oder lobbyistische Einflussnahme allein oder zumindest überwiegend aus sachlichen und geologischen Gründen zustande gekommen ist, dann kann sich ein Diskurs anschließen. In dem kann derjenige Standort aus der Liste ausgewählt werden, der nach zusätzlichen sozialen und raumplanerischen Kriterien, der am besten oder zu mindestens besser als die anderen für ein Endlager geeignet ist. Für diesen Auswahlprozess liegen bereits gute Vorschläge für eine konstruktive Bürgerbeteiligung vor. Wenn aber bereits die Liste der Standorte als politisch gefärbt erscheint, wird auch kein noch so ausgefeiltes Konzept für Bürgerbeteiligung zu einer konstruktiven Lösung für die Auswahl eines geeigneten Standorts beitragen können.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung: suche: mitgestalter*innen - Beteiligung in der Endlagersuche. endlagersuche-infoplattform.de.

[2] Schwarz N (2012): Feelings-as-information theory. In: Van Lange P et al.: Handbook of theories of social psychology: 289-308. DOI: 10.4135/9781446249215.n15.

[3] Sigrist M et al. (2001) Better Negative than Positive? Evidence of a Bias for Negative Information about Possible Health Dangers. Risk Analysis; 21(1): 199-206. DOI: 10.1111/0272-4332.211102.

[4] Koch T et al. (2013): Optimisten glaubt man nicht. Wie sich valenzbasiertes Framing auf die Glaubwürdigkeit von Aussagen und deren Kommunikator auswirkt. Medien & Kommunikationswissenschaft; 61 (4): 551-567. DOI: 10.5771/1615-634X-2013-4-551.

[5] Oreskes N et al. (2010): Merchants of Doubt: How a Handful of Scientists Obscured the Truth on Issues from Tobacco Smoke to Global Warming. London: Bloomsbury Press.

[6] Betsch, C. (2017) Advocating for vaccination in a climate of science denial. Nature Microbiology; 2. DOI: 10.1038/nmicrobiol.2017.106.

[7] Walter N et al. (2018): How to unring the bell: A metaanalytic approach to correction of misinformation. Communication Monographs; 85 (3): 423-441. DOI: 10.1080/03637751.2018.1467564.

[8] Friesen JP et al. (2015): The psychological advantage of unfalsifiability: The appeal of untestable religious and political ideologies. Journal of Personality and Social Psychology; 108 (3): 515-529. DOI: 10.1037/pspp0000018.