Zum Hauptinhalt springen
14.02.2020

Wie gefährlich wird das Coronavirus?

Das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2, wie es seit dem 11.02.2020 heißt [I], wurde erstmals im Dezember in Wuhan entdeckt und verbreitet sich seither in hohem Tempo in zahlreichen Provinzen in China und in weitere Länder. Mit jedem Tag, an dem die Ausbreitung nicht kontrolliert wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Epidemie der Lungenerkrankung mit dem neuen Namen Covid-19 [II] zu einer Pandemie entwickelt.

Der Director General der Weltgesundheitsorganisation erklärte dazu: „Dieser Ausbruch kann sich noch in jede denkbare Richtung entwickeln”. In der New York Times sagte ein Epidemiologe: „Wir tappen im Dunkel, wir wissen nicht, was uns als nächstes erwartet” [III]. Einer der führenden Modellierer, Neill Ferguson, dessen Forschergruppe sich von Beginn an mit dem rasanten Verlauf der Epidemie beschäftigte und wissensbasierte Szenarien berechnete, schätzte in der BBC: „Ich denke, wir befinden uns in diesem Moment in der frühen Phase einer Pandemie“ [IV].

Die Wissenschaft ist quasi live dabei, den Erreger zu verstehen und seine Eigenheiten zu entschlüsseln. Forschende haben bereits eine Menge über SARS-CoV-2 gelernt, aber welche Wissenslücken verbleiben? Wie gut wäre unsere vernetzte Welt, wären Europa und Deutschland auf diesen Fall vorbereitet? Was wissen wir aktuell über die Schwere der zu erwartenden Infektionswellen? Wieso unterscheiden sich die Sterberaten in der Provinz Hubei und im Rest der Welt?

Im Press Briefing des SMC und der Akademie der WIssenschaften Leopoldina gaben führende Experten auf dem Podium am 13.02.2020 Antworten auf die drängenden Fragen der Journalistinnen und Journalisten vor Ort und im Livestream. Wir haben die wichtigsten Statements der Experten herauskristallisiert und stellen Sie hiermit noch einmal schriftlich, in alphabetischer Reihenfolge der Sprecher zur Verfügung. Das gesamte Press Briefing ist als Audio-Datei und Video bei Youtube verfügbar (siehe Primärquelle).

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
  •  

  • Prof. Dr. Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité – Universitätsmedizin Berlin
  •  

  • Prof. Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing
  •  

  • Prof. Dr. Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Berlin
  •  

Statements

Prof. Dr. Christian Drosten

Direktor des Instituts für Virologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin

„Wir sind jetzt tatsächlich in einer Phase, dass wir über wissenschaftliche Publikationen und auch über eigene Untersuchungen an Patienten auch hier in Deutschland einiges lernen, was wir noch vor einer oder zwei Wochen nicht wussten. Es gibt bestimmte Eigenschaften dieses Virus und des Krankheitsverlauf, aus denen man erste Schlüsse ziehen kann. Für mich sind die allerwichtigste Informationen eigene Beobachtungen und die der versierten Kollegen.“

„Diesem Virus gelingt anscheinend doch eine aktive Vermehrung im Rachenbereich, das ist ein großer Unterschied zu SARS. Eigentlich hatten Experten über den ganzen Januar hinweg das SARS-Virus als Denkmodell verwendet, einen Erreger, der damals relativ gut charakterisiert wurde, über den man viel weiß. Und wir sind eigentlich wegen einer sehr hohen Ähnlichkeit dieses neuen Virus mit dem SARS-Virus immer davon ausgegangen, dass der Rezeptor dieses Virus vor allem in den tiefen Atemwegen vorkommt. So ein Virus muss also in die Lunge eingeatmet werden, und das ist ein weiter Weg. Dann startet es dort im Prinzip sofort eine Erkrankung, weil da viel Gewebe vor Ort ist. Und dann dauert es eine ganze Zeit, bis das Virus in der Lunge zu einer infektiösen Konzentration herangewachsen ist und wieder ausgeschieden wird. Mit anderen Worten: Es ist ein weiter Weg von Lunge zu Lunge. Bei der Influenza ist es so, dass das Virus auch im Rachen repliziert, und wir glauben, dass darin eigentlich erst die gute Übertragbarkeit der Influenza begründet ist. Ein Virus, das von Rachen zu Rachen übertragen wird.“

„Wir vermuten nun anhand erster Patientenbeobachtungen, dass sich das neuartige Coronavirus ebenfalls im Rachen vermehrt, so wie bei der Influenza. Und diese Intensität der Vermehrung (Replikation) ist signifikant in dem Sinne, dass wir beispielsweise in Rachenabstrichen dieses Virus in Zellkultur regelmäßig isolieren können. Das Virus aus dem Rachen von früh infizierten Patienten können wir mit großer Regelmäßigkeit im Labor isolieren. Und das ist etwas, das bei SARS nicht gelungen ist. Das geht anhand von einfachen Abstrichen beim neuartigen Coronavirus jetzt praktisch immer. Und das geht bei Patienten, die in der Frühphase der Symptomatik sind. Das ist eine ganz wichtige neue Information.“

„Gleichzeitig ist aber auch eine ganz wichtige neue Information, dass beispielsweise die Zahlen außerhalb von China – und das sind auch wissenschaftliche Daten – eben doch eher im Bereich der Schwere einer normalen Grippe-Pandemie liegen. 0,2 Prozent Letalität (Wahrscheinlichkeit, an der Erkrankung zu sterben; Anm. d. Red.), das ist eigentlich das, was wir gesehen haben, zum Beispiel bei den typischen Influenza-Pandemien 1957 oder 1968. Da waren das auch solche erwartbaren Zahlen. Und all diese Informationen und Vergleiche führen zu einem Gesamtbild des neurartigen Coronavirus, das man zusammensetzen kann. Das ist natürlich sehr holzschnittartig, aber es ist ein Gesamtbild, das jetzt auf einen Verlauf ähnlich einer Grippe-Pandemie hindeutet, wenn es denn eine Pandemie wird.“

„Man muss wissen: Es gibt sehr unterschiedliche Grippepandemien. Und da muss man dann jetzt auch wieder als Wissenschaftler sagen: Es ist so, dass wir vieles nicht wissen und dass wir vieles wissen müssen. Es gibt beispielsweise eine ganz wichtige epidemiologische Kennzahl: Wie viele von denen, die infiziert werden könnten, wurden denn tatsächlich infiziert? Das wissen wir noch nicht. Diese Zahl haben wir aus China noch nicht bekommen. Das ist schade. Aber man wird das möglicherweise jetzt in einiger Zeit an den Ausbrüchen außerhalb von China erkennen können. Und dann kann man auch bessere Voraussagen darüber treffen, mit welcher Geschwindigkeit sich dieses Virus verbreiten wird, wenn es sich verbreitet.“

„Es ist ganz grundsätzlich so, dass wir sehr empfindliche Nachweismethoden des Virus haben in dem Sinne, als dass sie das Virus auch dann noch nachweisen, wenn der Patient eigentlich nicht mehr infektiös ist. Wir könnten natürlich sagen, erst wenn das Virus auch in den empfindlichsten Tests nicht mehr nachweisbar ist, kann der Patient entlassen werden. Wir müssen aber natürlich auch vordenken für eine Situation, in der es mehrere Patienten gibt und Betten für infizierte Patienten im Verlauf wieder frei gemacht werden müssen. Wir versuchen da gerade pragmatische Kriterien zu finden. Und da geht man eben voran mit Testinfektionen in Zellkultur. Und da sehen wir jetzt in Voruntersuchungen, gerade auch bei den Münchner Patienten, dass diese Zellkultur-Tests schon deutlich früher negativ ausfallen. Das ist wirklich im Bereich von einer Woche und mehr, dass wir sagen können: Eigentlich ist dieser Patient schon in der Zellkultur nicht mehr infektiös – sowohl aus Abstrichen wie auch aus bronchialem Sekret –, wobei wir aber in der RT-PCR immer noch dieses Virus nachweisen können. Das ist natürlich eine schwierige Situation, wo man anhand der wenigen, aber doch greifbaren wissenschaftlichen Daten auch Entscheidungen treffen muss. Diese können auch gestuft ablaufen, wo man sagen könnte, das Krankenhausbett muss frei werden im Sinne von anderen Patienten.“

Auf die Frage, wann ein Patient entlassen werden kann; ob er komplett Virus negativ getestet werden muss:
„So ein Patient könnte zum Beispiel zunächst einmal in eine Heimisolierung entlassen werden und eben nicht gleich wieder zur Arbeit gehen. Dann hätte man nur in der unmittelbaren Familie Kontakte, und diese kann man dann ja wieder sehr gut überwachen. Und erst nach einem zeitlichen Sicherheitsabstand würde man dann sagen, jetzt geht es wieder zurück in das normale Arbeitsumfeld. Solche pragmatischen Vorgehensweisen werden wir in den nächsten Tagen finden müssen.“

Auf die Frage, wieso es in China so hohe Fallzahlen gibt, woanders aber nicht:
„Die Zahlen in China entstehen einfach durch eine Überlastung des Meldesystems. Wir haben in den vergangenen zwei Wochen einen langen Zeitraum gehabt, wo an jedem Tag praktisch gleichviel neue Fälle dazu kamen. Das ist sicherlich nicht die Entwicklung der realen Infektionszahlen, sondern das ist eine mangelnde Kapazität des Meldesystems. Anders ist das bei den Fällen außerhalb von China. Das ist sicherlich die realistische Zahl, die wir da haben. Auch bei der Sterblichkeit, bei dieser deutlich niedrigeren Sterblichkeit.“

Auf die Frage, inwiefern die Forschung an Impfstoffen gegen SARS aus vergangenen Ausbrüchen schon zu einem Protoyp gegen den neuartigen Coronavirus verhelfen und die jetzige Forschung beschleunigen können:
„Bei der damaligen SARS-Zeit war es so, dass noch nicht diese großen Forschungs-Förderprogramme wie CEPI vorhanden waren, sodass eigentlich die Ansätze, die man damals ausprobiert hat, häufig im Tiermodell stecken geblieben sind, sodass man also gar keine klinische Erprobung der Ansätze hatte. Das ist schon mal eigentlich eine schlechte Nachricht, weil ja damit im jetzigen Moment nicht so viel Zeit gewonnen wäre. Zudem muss man sagen: Das SARS-Virus ist gerade in seinem Hauptoberflächen-Protein doch ausreichend unterschiedlich von diesem neuartigen Coronavirus. Wir müssen also bei der Impfstoffentwicklung von null anfangen. Es wird nicht so sein, dass ein SARS-Impfstoff einfach so quer verwendet werden kann.“

Auf die Frage, inwiefern die Belobigungen unserer Versorgungssituation in Deutschland von Gesundheitsminister Spahn die Realität auch in der breiten Versorgung widerspiegeln:
„Das ist keine einfache Frage. Deswegen kann man dazu eigentlich nur ein paar Anhaltspunkte nennen als Wissenschaftler. Selbstverständlich wird es so sein, dass wir volle Wartebereich haben werden in den Kliniken. Da müssen wir uns einfach darauf einstellen, wenn es zu einer Infektionswelle kommt. Wir wissen nicht, wann die kommt und wie groß sie werden kann. Aber wenn es dazu kommt, wissen wir, was auf uns zukommt aus vergangenen Pandemien. Es wird dann schwierig, die normale Versorgung aufrechtzuerhalten. Die Wartebereiche sind voll. Elektive Operationen müssen vielleicht warten, weil Intensivbetten voll sind, die eigentlich für Operationspatienten benötigt würden. Zu solchen Dingen würde es kommen. Gesundheitsämter wären vollkommen überlastet, die sind personell relativ dünn ausgestattet. Und die müssten ja dann das ganze Meldewesen im Griff behalten. Arztpraxen werden voll sein mit Patienten und normale Patienten mit anderen Erkrankungen müssten warten.“

„Gerade jetzt, wo wir in Deutschland noch überhaupt kein Problem haben, wo wir aber schon ein bisschen projizieren können, dass es vielleicht bald eine Infektionsquelle geben könnte, sollte jeder in Deutschland mitdenken und sich einfach mal mit dieser Erkrankung befassen. Man sollte jedoch nicht sagen: Ach, die Chinesen haben das nicht richtig im Blick und da läuft auch schon wieder was falsch. Man sollte nicht immer mit dem Finger auf andere zeigen, auch nicht auf die Politik natürlich, die sicherlich immer wieder irgendwelche Dinge nicht richtig macht. Das ist der falsche Blick. Der richtige Weg zu denken ist als Einzelner: Was kann ich eigentlich heute schon über diese Erkrankung lernen? Was kann ich darüber eigentlich lesen? Wir haben sehr gute Berichterstattung inzwischen in den journalistischen Medien. Man kann darüber einiges lesen. Es gibt viele Dinge, die wir wissen, und es ist wichtig, sich darauf zu fokussieren, was wir eigentlich wissen. Man kann sich als Einzelner klar machen, was man tut, wenn man jemanden hat in der Familie, der bereits eine Grunderkrankung hat. Kann man den schützen? Solche Dinge sind auf der individuellen Ebene relevant und wichtig. Aber in dieser Situation sind wir nicht.“

„Wir haben im Moment null Risiko in Deutschland, in der Bevölkerung, und es ist einfach wichtig, sich klarzumachen, dass man sich selber damit beschäftigt, sich selber darüber aufklärt.“

„Was wir sicher wissen: Wir haben es mit einer Erkrankung zu tun, die für die meisten als Erkältungskrankheit in Erscheinung tritt. Wir wissen, Kinder sind praktisch nicht betroffen. Wir wissen, Schwangere sind wahrscheinlich nicht speziell betroffen. Bei der Influenza aber wohl. Und das ist ein Riesenproblem bei der Influenza. Dieses Problem werden wir bei dem neuartigen Virus vielleicht nicht haben – nach vorläufigen Daten natürlich. Wir wissen auch: Die besondere Risikogruppe sind ältere Patienten. Und es gibt eine Betonung auf das männliche Geschlecht. Und wir wissen deswegen schon, wie man auch bestimmte Patientengruppen schützen kann. All das ist verfügbares Wissen, und es ist viel sinnvoller, seine Zeit darauf zu verwenden, als gebannt nach China zu schauen, wo irgendwelche Dinge passieren mit dramatischen Fernsehbildern, die dann doch immer nur ganz kleine Ausschnitte aus der Realität sind.“

„Die Übertragbarkeit dieses neuartigen Virus ist doch höher als anfangs gedacht, basierend auf SARS. Das bedeutet mit anderen Worten: Eine Eindämmung (Containment) wird dauerhaft nicht durchzuhalten sein. In dieser rigiden Art und Weise, wie sie beispielsweise jetzt bei den Münchner Fällen angewendet wurde: Sie bis zum Letzten zu verfolgen und auch aus dem Kreis selbst die ganzen unbemerkten Infektionen auch per Labortest nachzuweisen. Irgendwann wird es wahrscheinlich dazu kommen, dass unbemerkte Infektionen plötzlich bemerkt werden, und da wird man dann sehen, da sind noch mehr unbemerkte Infektionen, und das Erste, was man da machen, muss, ist sich klarmachen: Es gibt keinen Schuldigen daran. Das ist das Allerwichtigste. Es gibt nichts zu skandalisieren. Das ist ein Naturphänomen, und nicht mit allen Naturphänomene kann man mit vollkommener Sicherheit umgehen. Das können die besten Gesundheitsbehörden nicht leisten.“

Auf die Frage, inwiefern die Ergebnisse einer kürzlichen Publikation im New England Journal of Medicine zu einer asymptomatischen Übertragung noch Bestand haben:
„Es gibt überhaupt keinen Grund, diese Publikation zurückzuziehen. Was Sie da beschreiben, ist eine vollkommen entgleiste Debatte in sozialen Medien, die jeder Grundlage entbehrt. Dieser Bericht zeigt das, was andere Berichte, die inzwischen publiziert sind, auch zeigen. Diese Erkrankung kann übertragen werden von Patienten, die so gering symptomatisch sind, dass es ein akademischer Streit ist, ob das jetzt symptomatisch oder asymptomatisch ist. Wenn jemand ein bisschen Kratzen im Hals hat und sagt: Naja, könnte sein, dass was im Anflug ist, dann könnte er schon übertragungsfähig sein. Das ist das, worüber wir sprechen.“

Auf die Frage, wie der derzeitige Wissensstand zum Ursprung der Erkrankung ist:
„Es gibt nichts Gesichertes. Was gesichert ist, dass das letztendliche ökologische Reservoir all dieser Coronaviren bestimmte Fledermaus-Arten sind, die Hufeisennasen-Fledermäuse. Das kann man wirklich so genau sagen, weil da sehr viel Forschung dazu gemacht worden ist. Dieses Virus wird wahrscheinlich, wie andere solche Viren auch, Zwischenwirte haben. Häufig ist es so, dass der Mensch nicht mit solchen Fledermäusen so nahe in Kontakt kommt, sondern dass dazwischen eine andere Art steht. Bei SARS waren das ja Carnivore, also Schleichkatzen oder Marderhunde, die Viruspositiv gefunden wurden und die auch gehandelt und gezüchtet werden. Und man wird in solchen Arten jetzt auch wieder suchen. Was dagegen herumgeistert im Moment ist eine Meldung über Schuppentiere als Überträger. Ich halte das für biologisch nicht sehr sinnvoll. Schuppentiere fressen keine Fledermäuse, und wir würden schon eher eine carnivore Tierart vermuten, die Fledermäuse jagt. Aber wie gesagt, das muss in China vor Ort beforscht werden. Es kann Monate dauern. Vielleicht wird man es nie rauskriegen, weil dieser Markt geschlossen wurde. Und ich denke, das ist meine persönliche Meinung, es kann auch sehr gut sein, dass es nicht in China auf diesem Markt in Wuhan wirklich losgegangen ist. Es kann stattdessen sein, dass es sich dort vielleicht erstmalig verbreitet hat, weil sich dort ja viele Menschen treffen und dass es vielleicht dort eingeschleppt wurde, der eigentliche Ursprung aber vielleicht ganz woanders liegt. China ist geographisch so groß, und das ist ja jetzt nicht mehr so einfach nachzuvollziehen. Es kann gut sein, dass es sich an einem anderen Winkel in diesem Riesenland das erste Mal an den Menschen angenähert hat und auch anfangs angepasst hat. Denn bei dieser schnellen Geschwindigkeit der Verbreitung sieht es ja schon so aus, als wäre dieses Virus schon relativ gut an den Menschen angepasst. Dazu gibt es dann allerhand Verschwörungstheorien, die aber alle Unsinn sind. Das kann ich wirklich so pauschal sagen. Ich denke, es ist einfach so, dass dieses Virus schon einen bisschen längeren Anlauf hatte, um auf den Menschen überzuspringen.“

Prof. Dr. Heyo K. Kroemer

Vorstandsvorsitzender der Charité – Universitätsmedizin Berlin

„In Berlin haben wir derzeit folgende Situation. Wir sind in der Tat das größte Universitätsklinikum mit etwas über 3.000 Betten, mehr als 150.000 Patienten im Jahr. Berlin haben wir bisher keine positiven Patienten identifiziert, uns aber trotzdem selbstverständlich in der Charité intensiv vorbereitet. Dazu gehört, dass wir seit dem 30. Januar täglich um 13 Uhr eine Videokonferenz haben mit dem sogenannten Pandemie-Stab abhalten. Da kommen alle Leute zusammen, die letztendlich die Vorbereitungen für den Fall treffen müssen, dass tatsächlich ein Ausbruch erfolgt. Es handelt sich um Kolleginnen aus der Virologie, Infektiologen, Pandemiebeauftragte. Das Tropeninstitut ist da vertreten, die Arbeitsmedizin, die Kinderklinik, der klinische Vorstand, die Pflegedirektion, aber auch die Unternehmenskommunikation, unser Facility Management und der Katastrophenschutz. Man wird sich in einer solchen großen Einrichtung wie der Charité auf einen solchen Fall, auch wenn wir nicht genau wissen, wie der aussieht, maximal gut vorbereiten.“

Auf die Frage, wie das Versorgungsniveau in ganz Deutschland aussieht:
„Wenn man jetzt davon ausgehen würde, dass wir eine Pandemie bekämen, dann wäre es ja durchaus zu erwarten, dass da Patienten kommen, die auf einer Intensivstation behandelt werden müssen. Es gibt aber eine andere Seite, die bisher nicht erwähnt wurde, nämlich die zu erwartenden Erkrankungen auf der Seite der Pflegenden und der Ärzte. Da wir das Ausmaß relativ schlecht abschätzen können, kann man da relativ schlecht Prädiktionen machen. Sie müssen auf der anderen Seite sehen, dass gerade im Winter das Krankenhaussystem in der Bundesrepublik Deutschland natürlich auch unter relativer Volllast läuft. Unsere Häuser sind im Mittel zu 85 Prozent belegt, sodass die Variable wahrscheinlich darin bestehen wird, dass man elektive Operationen dann relativ kurzfristig zurückfahren kann.“

Prof. Dr. Clemens Wendtner

Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing

Zum klinischen Verlauf kann ich sagen, dass die Verläufe bei den neun Patientinnen bis auf einen Fall, die ich in Deutschland überblicke, bisher sehr mild sind. Acht Patienten hatten maximal, sage ich mal, die Grippe. Ähnliche Symptome, vielleicht im Einzelfall leichtes Fieber, sonst Husten, aber keine schwere Symptomatik. Ein Patient zeigt auch Zeichen einer Atemwegserkrankung, also einer Lungenentzündung, einer Pneumonie, die nach klinischen Kriterien und radiologischen Kriterien einer Viruspneumonie entsprach. Dieser Patient wurde dann mit Lopinavir und Ritonavir als feste bekannte Kombination behandelt. Hier kann ich eine gute Nachricht verkünden, dieser Patient befindet sich auf dem Wege der Besserung und ist absolut stabil. Und auch hier sind wir sehr zuversichtlich, dass wir bald über eine Entlassung sprechen können.“

„Wieso sehen wir einen teilweise einen sehr sprunghaften Anstieg der Zahlen in China? Das ist nicht zuletzt auch der Tatsache geschuldet, dass die Diagnostik-Kits in China offensichtlich rar werden, sodass man nicht mehr die Kapazitäten hat, exakt zu testen. Dieses Problem haben wir in Deutschland nicht, wie haben sehr viele Verdachtsfälle, die negativ getestet werden. Wichtig ist hier noch mal der Appell, dass die Zentren, die für die Betreuung dieser infizierten Patienten ausgestattet sind, auch nur mit Patienten beschickt werden, die schon extern positiv getestet wurden.“

„Man muss davon ausgehen, dass in China die Krankenhäuser derart überfüllt sind und auch das ärztliche Personal natürlich an sein Limit kommt, sodass man gar nicht mehr die Zeit hat, sich mit den leicht symptomatischen Patienten zu beschäftigen. Das heißt, die Patienten, die wir in den Krankenhäusern sehen, das sind schwere Fälle und dass dabei dann natürlich auch eine entsprechend hohe Letalität vorherrscht, ist gut nachvollziehbar.“

Auf die Frage, wann ein Patient entlassen werden kann; ob er komplett Virus negativ getestet werden muss:
„Wir habend das gestern sehr konkret durchexerziert. Ein erster Patient wurde gestern von uns entlassen. Dieser Patient hatte keinerlei Anzeichen einer Atemwegserkrankung. Der Patient war, sogar wiederholt, im Abstrich negativ getestet worden. Das hat dann in Absprache mit den entsprechenden Behörden dazu geführt, dass wir gesagt haben, dieser Patient kann gefahrlos auch wieder ins häusliche Umfeld entlassen werden.“

Auf die Frage, inwiefern Kontrollmaßnahmen, wie Einreise-Screenings Sinn machen:
„Die Frage, die Sie stellen bezüglich Screenings, das ist ja eine Frage, die immer wieder gestellt wird. Die Vorstellung ist: Da kommen Menschen mit dem Zug oder per Flugzeug und man dann sagen: positiv oder negativ. Das ist eine Utopie. Es gibt keine Methode, mit der Sie in der Lage sind, in einem überschaubaren Zeitraum einen Indikator zu finden, der Ihnen sagt, ob eine Person infiziert ist oder nicht. Das heißt, die Methoden, die wir zurzeit haben, die teilweise verwendete Temperaturmessung, haben natürlich keinerlei Sensitivität oder Spezifität für diese Erkrankung. Daher sind sie mit den jetzigen technischen Möglichkeiten schlichtweg sinnlos.“

Auf die Frage, inwiefern Masken Sinn machen:
„Aus Münchner Sicht würde ich darum bitten, dass wir genügend Masken im ärztlichen und pflegerischen Bereich in Bereitschaft haben, das heißt, dass Masken für diesen Bereich reserviert bleiben. Wir Ärzte sollten uns schützen, wenn wir in das Krankenzimmer reingehen. Das Maskentragen in Deutschland, im öffentlichen Raum, das ist medizinisch nicht sinnvoll. Wenn Chinesen Masken tragen, dann sollten wir das akzeptieren. Aber dass das Risiko der Infektion, durch Maskentragen in Deutschland minimiert werden könnte, ist schlicht Unsinn. Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass eine Befeuchtung der Maske den Barriereschutz schon innerhalb von 20 Minuten aufhebt. Da gibt es auch von der Hygiene ganz klare Hinweise, dass langes Tragen von Masken sinnlos ist.“

Prof. Dr. Lothar H. Wieler

Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Berlin

„Wenn wir die bisherigen Zahlen nüchtern anschauen, dann sehen wir in China eigentlich seit mehreren Wochen tendenziell die gleiche Sterberate. Das ist eine Rate, die man errechnen kann. Anhand der reinen Zahlen gehen wir davon aus, dass etwa 2,2 Prozent der Infizierten in China bislang verstorben sind. Das ist eine Letalität von 2,0 bis 2,2 Prozent. Die Anzahl der Verstorbenen bezogen auf die Anzahl Infizierter im Ausland liegt natürlich deutlich darunter, das heißt, hier liegen wir bei etwa bei einer Sterberate von 0,2 Prozent.“

„Wir sind momentan nicht in der Lage, die Dynamik des Ausbruchs zu prognostizieren. Alle Prognosen, die wir kennen, beruhen natürlich auf diesen Zahlen, die mit gewissen Unschärfen verbunden sind. Wir wissen nicht, in welche Richtung dieser Ausbruch laufen wird. All diese Zahlen müssen mit Vorsicht betrachtet werden. Darum wenden wir sehr, sehr viel Kraft darauf, insbesondere mit den Ländern außerhalb Chinas intensiv zu kommunizieren. Die Chinesen dagegen sind sicher mit diesem riesigen Ausbruch extrem gefordert und sind mit Sicherheit nicht in der Lage, jetzt alle möglichen Zahlen zu liefern. Sie haben einen schweren Ausbruch zu managen. Das muss man auch sehr, sehr deutlich sagen.“

„Wir befinden uns hierzulande in einer Phase, die bezeichnen wir als die Eindämmung oder auch Englisch containment. Das ist ein Begriff aus der Infektionsepidemiologie. In all den Ländern außerhalb Chinas, wo das Virus aufgetreten ist, sind wir in dieser Phase, in der wir Infektionen eindämmen wollen. Das heißt verhindern wollen, dass es zu langanhaltenden Infektionsketten in der Bevölkerung kommt. Und das gelingt bislang auch. In Deutschland haben wir ja 16 Fälle. 14 Fälle davon gehören einem Cluster in Bayern an. Das heißt, sie sind letztlich alle auf eine Person zurückzuführen, die die Infektion dort hineingebracht hat. Bisher gibt es Optimismus, dass man mit dem Containment die Ausbreitung des Virus in Schach halten kann. Das heißt, wir haben die Hoffnung, dass uns das gelingt. Aber natürlich können wir das nicht versprechen.“

Auf die Frage, inwiefern die Belobigungen unserer Versorgungssituation in Deutschland von Gesundheitsminister Spahn die Realität auch in der breiten Versorgung widerspiegeln:
„Ich möchte noch einmal sagen, was sie alle vielleicht auch schon aus dem Blick verloren haben. Wir hatten 2017/2018 eine sehr, sehr schwere Grippewelle. Dort hatten wir zehn Millionen Arztbesuche, zehn Millionen Arztbesuche. Und alle Kliniker, die in Krankenhäusern unterwegs waren, wissen, dass das eine Situation war, in der der normale Krankenhausbetrieb nicht mehr so stattfand. Das wurde gemanagt, das wurde hingenommen. Damals ist natürlich an der Influenza auch Krankenhauspersonal erkrankt. Dort gab es viele Arbeitsausfälle. Das heißt also, die Fähigkeit, solche Situationen zu managen und die Patienten zu versorgen, die hat das System. Aber der Punkt ist genau der, dass die Menschen sich darauf vorbereiten.

„Derzeit sieht es so aus, als wenn diese neuartige Erkrankung wie eine schwere Grippewelle daherkommt, wenn sie denn kommt. Das heißt, ein großes Ziel, das wir zurzeit haben, ist, diese beiden Wellen – also die aktuelle Influenzawelle und das eventuell kommende Coronavirus – zu entkoppeln. Das ist das große Ziel. Deshalb setzen wir so viel Kraft daran, ein sogenanntes Containment, eine Eindämmung, zu schaffen in den Ländern außerhalb von China. Wir wollen Zeit gewinnen und entkoppeln.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Science Media Center Germany (2020): Wie gefährlich wird das neue Coronavirus? Press Briefing. Stand: 13.02.2020.
Unter diesem Link finden Sie weitere Informationen zum Press Briefing, wie den LInk zum Youtube-Video, die Audio-Datei und alsbald auch ein schriftliches Transkript.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Gorbalenya AE et al. (2020): Severe acute respiratory syndrome-related coronavirus: The species and its viruses – a statement of the Coronavirus Study Group. BioRxiv. (Dieses Paper ist auf dem Preprint-Server bioarxiv hochgeladen worden und damit nicht durch ein Peer Review begutachtet worden; Anm. d. Red.)

[II] WHO (11.02.2020): WHO Director-General's remarks at the media briefing on 2019-nCoV on 11 February 2020

[III] Rabin RC (12.02.2020): Coronavirus Cases Seemed to Be Leveling Off. Not Anymore. New York Times.

[IV] BBC News (12.02.2020): More coronavirus cases 'highly likely' in UK - health officials.