Zum Hauptinhalt springen
22.05.2023

Kann das Windenergie-Ausbauziel 2030 mit weniger Windrädern erreicht werden?

     

  • seit drei Jahren zeigt sich ein stärkerer Trend als früher zu immer leistungsfähigeren Windrädern
  •  

  • hält dieser Trend an, könnten sich das Windenergie-Ausbauziel unter Umständen etwas leichter erreichen lassen
  •  

  • Forscher: Trend ist da, reicht aber allein nicht aus, um die Ausbauziele zu erreichen
  •  

Seit 2020 werden in Windparks größere und leistungsfähigere neue Windräder gebaut als in den Jahren zuvor. Darauf deutet die Auswertung der Zubauzahlen für das erste Quartal 2023 hin, die von der Fachagentur Windenergie an Land vorgelegt wurde (Primärquelle). Während die installierte Leistung 2013 bis 2020 insgesamt um ein Drittel stieg, wuchs sie in den folgenden nur drei Jahren ebenfalls um ein Drittel. Im Durchschnitt erreichen die im ersten Quartal angeschlossenen Windräder jetzt eine mittlere Leistung von 4,7 Megawatt (MW) statt 3,4 MW wie 2020.

Der Trend der vergangenen drei Jahre wird voraussichtlich bis mindestens 2025 anhalten. Darauf deuten die Werte für die bereits genehmigten Anlagen hin, die nach einer Ausschreibung in der Regel innerhalb von zwei bis zweieinhalb Jahren gebaut werden: Die im ersten Quartal genehmigten Windräder werden eine mittlere Leistung von 5,53 MW erreichen. Das führt zu einer interessanten Entwicklung: Die Behörden genehmigten einerseits von Januar bis März über hundert Windkraftanlagen weniger als zum Beispiel im Schnitt zwischen 2014 und 2016. Aber weil diese Windanlagen größer sind, ermöglichen sie über ein Drittel mehr Leistung, 1783,5 statt 1308 MW.

Das könnte helfen, das Ausbauziel der Bundesregierung für Windleistung an Land etwas leichter zu erreichen: Hält dieser Trend an, könnte die Zahl der bis 2030 zusätzlich nötigen Windräder in Deutschland sinken. Damit wären im Prinzip weniger Genehmigungen nötig, und unter Umständen auch weniger Fachleute für den Bau. Das SMC hat daher Expertinnen und Experten gefragt, welche Auswirkung dieser Trend tatsächlich haben kann, und auch, welche Maßnahmen auf dem zweiten Windenergiegipfel unbedingt beschlossen werden sollten, um das Tempo des Windenergieausbaus weiter zu beschleunigen.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Manfred Fischedick, Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH, Wuppertal, und Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften (Schumpeter School of Business and Economics), Bergische Universität Wuppertal
  •  

  • Prof. Dr. Uwe Ritschel, Lehrstuhl für Windenergietechnik, Universität Rostock
  •  

  • Prof. Dr. Po Wen Cheng, Leiter Stuttgarter Lehrstuhl für Windenergie (SWE), Institut für Flugzeugbau, Universität Stuttgart
  •  

  • Dr. Carsten Pape, Leiter Szenarien und Systemmodellierung, Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE, Kassel
  •  

Statements

Prof. Dr. Manfred Fischedick

Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH, Wuppertal, und Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften (Schumpeter School of Business and Economics), Bergische Universität Wuppertal

„Der Ausbau der Windenergie geht erfreulicherweise wieder voran. Negativrekorde aus den vergangenen Jahren scheinen vorbei zu sein. Vor allem ist erfreulich, dass im ersten Quartal 2023 nicht nur die neu installierte Leistung gegenüber den Vorjahren zugenommen hat, sondern vor allem auch die genehmigte Windenergieleistung, die einen Fingerzeig für die weitere Entwicklung darstellt. Dies ist auch zwingend notwendig, da die Windenergie für das Erreichen eines klimaneutralen Stromsystems – aus energiewirtschaftlicher Perspektive noch deutlich vor der Photovoltaik – die wichtigste Option darstellt.“

„Die jetzt erkennbaren Trends, die primär noch auf Anlagenplanungen der Vorjahre beruhen und jetzt davon profitieren, dass die Bremsen durch eine insgesamt jetzt windenergiefreundlichere Stimmung etwas gelöst werden konnten, reichen aber bei Weitem nicht aus, um die von der Bundesregierung angestrebten Ausbauziele zu erreichen. Geplant ist die Erhöhung des jährlichen Ausbaus der Windenergiekapazitäten von 2 Gigawatt (GW) im Jahr 2022 auf 5,4 GW für 2023 und 2024 und auf 7,5 bis 8 GW in den Folgejahren bis 2030. Die Windenergie-an-Land-Strategie der Bundesregierung gehört daher sicher zu den aktuell ganz wichtigen Initiativen. Angesichts der Vielzahl an Hemmnissen setzt sie zurecht dabei auf einen Mix aus zwölf unterschiedlichen Handlungsfeldern und Maßnahmen und stellt neben finanziellen Anreizen und den Abbau des Fachkräftemangels vor allem die Sicherung von hinreichend Flächen für den Ausbau in das Zentrum.“

Prof. Dr. Uwe Ritschel

Lehrstuhl für Windenergietechnik, Universität Rostock

„Die Auswertung der Fachagentur stellt relevante Trends gut dar. Bei den Genehmigungen in Abb. 4 gibt es einen Aufwärtstrend. Allerdings ist nicht klar, ob es hier um die realisierten Projekte geht oder nur um die von der Netzagentur genehmigten Zubaumengen. Was ich von Projektierungsgesellschaften höre, mit denen ich in Kontakt bin, sind die Genehmigungsverfahren immer noch sehr zäh und gehen bisher nicht schneller voran. Das muss sich schnell ändern, sonst können die Ausbauziele für Windenergie auf keinen Fall erreicht werden.“

„Die neuen Anlagen haben nicht nur eine höhere Leistung, sondern auch deutlich größere und auf höheren Türmen befindliche Rotoren. Die Rotorfläche ist eigentlich das entscheidende, in zweiter Linie erst die Leistung. Die größeren Rotoren führen dazu, dass ein Megawatt installierte Windleistung heute circa vier Millionen kWh im Jahr erzeugt. Das ist bei älteren Anlagen, von denen heute noch sehr viel in Betrieb sind, viel weniger: circa zwei Millionen kWh.“

„Wenn man also eine 20 Jahre alte Windenergieanlage mit 2,5 MW mit einer heutigen Anlage mit 5 MW vergleicht, erzeugt man heute nicht doppelt so viel elektrische Energie, sondern die vierfache Menge. Beim Vergleich der Offshore Anlagen von gestern und heute ist der Faktor noch größer.“

„Somit ist es richtig, dass man mit viel weniger Anlagen die Ausbauziele erreicht, da es eigentlich nicht auf die Leistung (MW) ankommt, sondern auf de erzeugte Strommenge (kWh). Man muss aber beachten, dass die großen Anlagen auch größere Abstände untereinander brauchen, so dass auf einer gegebenen Fläche nur eine kleinere Anzahl gebaut werden kann.“

Auf die Frage, was diesen Trend ausgelöst hat und wie groß Windanlagen an Land wahrscheinlich noch werden können:
„Größere Anlagen führen aus verschiedenen Gründen zu niedrigeren Gestehungskosten für den Strom.“

„Meiner Meinung nach erreichen wir bei Anlagen an Land langsam das Größenlimit. Begrenzender Faktor sind Transportbeschränkungen. Einzelne Teile, die auf der Straße transportiert werden, können nicht beliebig groß und schwer sein. Unterteilung in kleinere Module erhöht aber wieder die Kosten.“

Prof. Dr. Po Wen Cheng

Leiter Stuttgarter Lehrstuhl für Windenergie (SWE), Institut für Flugzeugbau, Universität Stuttgart

„Rechnerisch muss man zwar weniger Anlagen bauen, um die MW-Leistung zu erreichen, aber das wird an der Anzahl der Genehmigung für Windparks nichts ändern. Da muss die Politik aktiver werden, um den Genehmigungsstau zu beseitigen. Ein positiver Effekt durch die wachsende Anlagegröße ist möglicherweise, dass die Gesamtleistung des Windparks etwas größer ist, als wenn man mit kleineren Anlagen gebaut hätten.“

„Die wachsende Leistung der Anlage geht Hand in Hand mit dem Wachstum des Rotordurchmesser beziehungsweise der Rotorfläche. Wobei die Rotorfläche schneller wächst als die Leistung. Dadurch erreichen wir einen höheren Kapazitätsfaktor, was für Schwachwindstandorte in Süddeutschland von besonderer Bedeutung ist, weil dadurch die Energiegestehungskosten weiter gesenkt werden können. Es kann auch sein, dass die Akzeptanz von größeren Anlagen höher ist, da weniger Anlagen gebaut werden müssen.“

„Theoretisch kann man noch größere Anlage am Land bauen, Goldwind aus China hat eine zwölf MW Onshore Anlage mit 242 Meter Rotordurchmesser vorgestellt. Hier wird man mit logistischen und Akzeptanz-Fragen konfrontiert sein. Meine Einschätzung ist, dass wir bei den Onshore-Anlagen in Europa erstmal eine kleine Pause bei sechs bis acht MW einlegen werden. Ein weiteres Wachstum macht nur dann Sinn, wenn die Leistungsdichte – Leistung pro Fläche (Watt pro Quadratmeter) – weiter angepasst werden kann, um die Schwachwindstandorte attraktiver zu machen durch einen noch höheren Kapazitätsfaktor und noch niedrigere Energiegestehungskosten.“

Dr. Carsten Pape

Leiter Szenarien und Systemmodellierung, Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE, Kassel

„Der Größentrend war grundsätzlich absehbar, jedoch überrascht das Tempo des Größenwachstums. Die Anlagen, die aktuell genehmigt werden, entsprechen von den Dimensionen bereits beinahe den Anlagen, die als durchschnittliche Zubau-Anlagen im Jahr 2030 erwartet wurden. Aus Sicht des Windausbaus ist natürlich die hohe Zahl an Genehmigungen sehr erfreulich, gleichzeitig ist es ernüchternd, dass das Ausbautempo in der Südregion weiterhin sehr gering ist.“

„Die Größenentwicklung der Windenergieanlagen stellt natürlich einen Vorteil für die Erreichung der Ausbauziele der Windenergie dar, da weniger Personal für Genehmigungen, Planung, Wartung et cetera benötigt werden.“

„Die Anzahl Windenergieanlagen wird sich zur Erreichung der Ausbauziele für 2045 – 160 GW – gegenüber dem heutigen Stand nicht erhöhen, vielmehr ist sogar eine Reduktion der Anlagenanzahl vorstellbar. Bei einer Anzahl von 28.500 Windenergieanlagen mit einer Leistung von durchschnittlich sechs MW wäre das Ausbauziel bereits um elf GW übererfüllt.“

„Grundsätzlich ist zu beachten, dass der Flächenbedarf für die Errichtung dieser Leistung aber weitgehend unabhängig von der Größe der Einzelanlagen ist, sondern überwiegend von der Gesamtleistung bestimmt wird. Konflikte um Genehmigung und Akzeptanz drohen also trotz der weitgehend gleichbleibenden Anzahl, da der Flächenbedarf insgesamt steigt. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass teilweise Schutzabstände zum Beispiel zur Wohnbebauung über ein Vielfaches der Gesamthöhe (H) definiert werden – ein Beispiel: bedrängende Wirkung, wenn die Windenergieanlage näher als 2H, dem doppelten ihrer Gesamthöhe, steht. Entsprechend stehen kleinere Flächenpotenziale für die Errichtung sehr große Anlagen zur Verfügung.“

„Der Trend zu immer größeren Anlagen besteht bereits seit der Entwicklung der Windenergienutzung. Auffällig ist jedoch, dass in den vergangenen Jahren ein Leistungssprung zu beobachten war, während zuvor eine gewisse Stagnation über ein paar Jahre in der 3MW-Klasse zu beobachten war.“

„Grundsätzlich ist ein zentraler Treiber hinter der Größenentwicklung immer das Ziel einer Kostenminimierung – Minimierung der Stromgestehungskosten – beziehungsweise eine Gewinnmaximierung. Größere Anlagen führen oftmals zu geringeren spezifischen Investitionen (bezogen auf die Nennleistung). Auch die (spezifischen) Betriebskosten (OPEX je kwh) fallen, bezogen auf die erzeugte Energiemenge, bei großen Anlagen eher niedriger aus.“

„Mit der Größenentwicklung der Anlagen geht meistens auch eine höhere Nabenhöhe einher. Dadurch steigt die durchschnittliche Auslastung der Anlagen, ausgedrückt in Volllaststunden beziehungsweise als Kapazitätsfaktor, durch die höheren durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten, die die Anlagen in größeren Höhen erfahren. Die höhere Auslastung trägt natürlich ebenfalls zur Wirtschaftlichkeit bei.“

„Bis zu welcher Leistung sich dieser Trend fortschreibt, ist schwierig einzuschätzen. In den vergangenen Jahren wurde bereits häufiger postuliert, dass ein Ende des Größenwachstums absehbar sei. Dies wurde unter anderem mit Restriktionen beim Schwerlasttransport für die Rotorblätter, Turmelemente und die Maschinenhäuser begründet.“

„Auch auf Seite der Wissenschaft wurde das Größenwachstum der Windenergieanlagen meist unterschätzt. Die tatsächliche Entwicklung war fast immer deutlich dynamischer als in den meisten Szenarien der Energiesystemtransformation angenommen.“

„Die Größenentwicklung der Offshore-Windenergieanlagen zeigt grundsätzlich, dass technisch noch deutlich größere Anlagen möglich sind, als sie aktuell an Land realisiert werden. Dort werden bereits Anlagen mit über 200 Meter Rotordurchmesser und 15 MW Nennleistung errichtet.“

„Für die Errichtung sehr hoher Anlagen ist jedoch die verfügbare Fläche zunehmend beschränkt. Wie oben bereits erwähnt, erfordern höhere Anlagen teilweise größere Schutzabstände. Insbesondere auch im Bereich der zivilen und militärischen Luftfahrt wirkt sich die Gesamthöhe zunehmend auf die Genehmigungsfähigkeit der Anlagen aus. Viele durch den Luftverkehr bedingten Restriktionen sind abhängig von der Größe der Anlagen, sodass sich die Flächen, die für die Errichtung von Windenergieanlagen geeignet sind, mit zunehmender Größe reduzieren werden. Je nach Ausgestaltung des Vergütungssystems ist es daher auch vorstellbar, dass die Anlagenkonfiguration stärker an die Möglichkeiten und Restriktionen vor Ort angepasst werden, und somit in manchen Regionen auch kleinere Anlagen wieder an Bedeutung gewinnen. Voraussetzung hierfür ist aber immer, dass sich das wirtschaftlich darstellen ließe.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Uwe Ritschel: „Es gibt keine Interessenkonflikte.“

Dr. Carsten Pape: „Keine.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquellen

Fachagentur Windenergie an Land (2023): Analyse der Ausbausituation der Windenergie an Land im Frühjahr 2023.