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06.08.2018

Hitzeaktionspläne für Gesundheit der Bevölkerung in einem Sommer wie diesem

Sind die europäischen Länder vorbereitet auf die nächste große Hitzewelle?“: So lautete der Titel einer Evaluation des Regionalbüros Europa der Weltgesundheitsorganisation (WHO/Europe) [I]. Von den 53 Mitgliedsstaaten hatten 18 Länder Gesundheitspläne für Hitzeperioden entwickelt; 33 hatten das nicht und zwei wurden nicht in die Evaluation einbezogen (Stand: 10/2012). Und die bestehenden Pläne unterschieden sich deutlich. Lücken gab es insbesondere bei den Langzeit-Maßnahmen, der Überwachung (Surveillance) und der Evaluierung der Pläne.

Zusätzlich zu dieser Rapid Reaction gibt es das Fact Sheet „Hitzestress fürs Hospital: Wie das Gesundheitswesen auf Hitzewellen vorbereitet ist“, das sich hier als PDF herunterladen lässt.

 

Übersicht

     

  • Dr. Martina Ragettli, Epidemiologin, Abteilung Physikalische Gefahren und Gesundheit, Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH)
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  • Prof. Dr. Hans Peter Hutter, Stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien
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  • Prof. Dr. Henny Annette Grewe, Professorin am Fachbereich Pflege und Gesundheit, Hochschule Fulda – University of Applied Sciences
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Statements

Martina Ragettli, PhD

Epidemiologin, Abteilung Physikalische Gefahren und Gesundheit, Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH)

„Der Sommer 2003 war der heißeste Sommer seit Messbeginn in der Schweiz. Spätestens seitdem ist bekannt, dass Hitze negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann. In den Monaten Juni bis August 2003 starben in der Schweiz rund 1000 Personen mehr als in einem normalen Jahr zu erwarten gewesen wären. Dies entspricht einer Zusatzsterblichkeit von 6,9 Prozent [1]. Daraufhin wurde der Bund aktiv und hat entschlossen: Es muss etwas getan werden. Das Bundesamt für Gesundheit hat zusammen mit dem Bundesamt für Umwelt eine Informationskampagne zum Verhalten bei Hitze lanciert [2]. Der Bund stellt seit 2005 Poster und Flyer zur Verfügung, die auf die Gefahr von Hitzewellen aufmerksam machen. Dazu gehören Verhaltensempfehlungen während Hitzetagen – die sogenannten Drei goldenen Regeln für Hitzetage – sowie Fachinformationen für Fachpersonen im Gesundheitsbereich, z. B. zu Symptomen bei Hitzestress und Handlungsempfehlungen. Besonders ältere Menschen und Pflegebedürftige benötigen vermehrt Aufmerksamkeit während Hitzetagen.“

„Allerdings ist die Schweiz so organisiert, dass der Bund nur Empfehlungen geben kann. Die Kantone können das dann umsetzen, müssen es aber nicht. Viele haben die Empfehlungen aufgenommen und die Bevölkerung und die Fachleute informiert. Einzelne Kantone in der französisch- und italienischsprechenden Schweiz (Genf, Freiburg, Neuenburg, Waadt, Wallis, Tessin) sind noch einen Schritt weitergegangen und haben einen Hitzeaktionsplan entwickelt, um die Bevölkerung vor den negativen Gesundheitsauswirkungen von Hitze zu schützen. Darin sind alle Maßnahmen festgehalten sowie deren organisatorische Umsetzung beschrieben und geregelt.“

„In einem Hitzemaßnahmenplan sind Maßnahmen während drei Phasen vorgesehen: vor, während und nach dem Sommer. Vor dem Sommer wird die Bevölkerung über die negativen Gesundheitsauswirkungen von Hitze und das richtige Verhalten während einer Hitzewelle informiert. Wichtig bei diesen Sensibilisierungskampagnen ist es vor allem, speziell gefährdete Personen zu erreichen, d. h. ältere Menschen, (chronisch) kranke Personen, Kleinkinder und schwangere Frauen, sowie deren Angehörige, Pflegepersonal und Ärzteschaft. Kurz vor und während der Hitzewelle erfolgen Handlungen zur Warnung, Information und aktiver Prävention von hitzebedingter Morbidität und Mortalität (Krankheit und Sterblichkeit; Anm. d. Red.). Nach dem Sommer wird die Strategie evaluiert. Alle Hitzepläne beinhalten ein Hitzewarnsystem. Dafür wird die Wettersituation während des Sommers anhand regelmäßiger Informationen von MeteoSchweiz überwacht.“

„Wir haben den Zusammenhang zwischen der Temperatur und der Sterblichkeit für den Zeitraum von 1995 bis 2013 für acht größere Städte in der Schweiz untersucht [3] [4]. Die Analysen haben gezeigt [5] [6], dass sich in Städten ohne kantonale Hitzemaßnahmenpläne – Basel, Bern, Luzern, St. Gallen, Zürich – der Zusammenhang zwischen Temperatur und Sterblichkeit in den Sommermonaten nach 2003 nicht verändert hat, währendem in den anderen Städten mit Hitzemaßnahmenplan – Genf, Lausanne, Lugano – das hitzebedingte Sterberisiko nach 2003 merklich zurückgegangen ist.“

„Im Sommer 2015 gab es die zweite große Hitzewelle in der Schweiz nach 2003 [7]. Wieder hat sich gezeigt, dass extreme Hitzeperioden die Gesundheit ernsthaft gefährden. Die geschätzte Zusatzsterblichkeit in der Schweiz betrug 5,4 Prozent bzw. rund 800 zusätzliche Todesfälle zwischen Juni und August 2015 [8]. Daraufhin haben wir im Auftrag des Bundes evaluiert, welche Maßnahmen die Kantone auf dem Level des Gesundheitsdepartements im Jahr 2015 zur Prävention von negativen hitzebedingten Gesundheitsfolgen ergriffen haben. Die Präventionsstrategien unterscheiden sich hinsichtlich Maßnahmen, Organisation und Partnerorganisationen. Fünf Kantone in der Westschweiz (Freiburg, Genf, Neuenburg, Waadt, Wallis) sowie das Tessin hatten einen Hitzeplan. Die Hitzemaßnahmenpläne sind jedoch nicht in allen sechs Kantonen gleich. Das Tessin, der Kanton Waadt und Genf gehören zu den aktivsten Kantonen im Bereich Prävention von hitzebedingten Sterblichkeit und Krankheit. Die restlichen Kantone haben im Sommer 2015 einzelne Maßnahmen ergriffen, die nicht in Form eines Hitzeplans geregelt sind. Es stellte sich heraus, dass rund die Hälfte der Kantone keine Maßnahmen in Kraft hatten. Dies wurde zum Teil mit dem im Kanton herrschenden Klima begründet (Bergkantone). Zum anderen haben vor allem kleine Kantone nicht die Ressourcen für spezielle Maßnahmen, weil sie im Gesundheitsbereich andere Prioritäten setzen. Oft wurde auch die Auffassung geäußert, dass die Bevölkerung durch die nationalen Medien bereits genügend über die Hitzewelle sowie deren Gesundheitsrisiken informiert würden und somit keine zusätzlichen Maßnahmen nötig erscheinen. Bei der Evaluation haben wir auch herausgefunden: Viele Kantone wissen gar nicht, wie sie reagieren sollen.“

„Um den betroffenen Akteuren und Behörden einen Überblick über mögliche Maßnahmen zu geben, haben wir im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG), eine Toolbox mit Maßnahmen zur Minimierung der hitzebedingten Gesundheitsfolgen entwickelt [9]. Diese haben wir im Mai 2017 Behördenverteter/innen und anderen Interessierten während eines Workshops vorgestellt. Diese ‚Hitzewellen-Massnahmen-Toolbox’ ist ein Maßnahmenkatalog für Behörden. Es soll den Kantonen erleichtern, ihren eigenen Hitzeaktionsplan zu entwerfen. Eine erfolgreiche Prävention umfasst Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen. Dazu gehören: A) Sensibilisierung und Schulung der Bevölkerung und der Akteure des Gesundheitssystems, B) Management der Extremereignisse, und C) langfristige Anpassung an die zunehmende Hitzebelastung.“

„Unsere Forschung zeigt außerdem, dass schon mit relativ einfachen Maßnahmen relativ viel erreicht werden kann und hitzebedingte Todesfälle verhindert werden können, nämlich mit richtigem Verhalten, besonderer Betreuung von Risikopersonen, kontinuierlicher, alljährlicher Sensibilisierung zum Thema Hitze und Gesundheit.“

Prof. Dr. Hans Peter Hutter

Stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien

„Die Politik, nicht nur in Österreich, hinkt beim Klimaschutz und auch bei Anpassungsmaßnahmen stark hinterher. Schon in den 1980er, 1990er Jahren ist der Klimawandel ein Begriff und bekannt geworden. Bereits damals war absehbar, dass Extremwetterereignisse, also auch Hitzeperioden öfter und intensiver auftreten werden. Trotzdem hinkt man bis heute hinterher. Krankenhäuser, die Mitte des letzten Jahrhunderts gebaut worden waren, haben noch eher eine gute Speichermasse, also ein massives Mauerwerk mit dicken Wänden. Da bleibt die Hitze draußen und macht bei einer Hitzewelle wie momentan weniger Probleme. Bei Krankenhäusern, die in Österreich in den 1990er Jahren, aber auch später errichtet wurden, wurde praktisch nicht für diese Wetterereignisse vorgesorgt: Architekten und Bauherren wussten entweder nichts davon oder haben die Prognosen schlichtweg ignoriert. Architekten sollten auch Weitblick beweisen. Es kann ja nicht angenommen werden, dass etwa nach fünf bis zehn Jahren umgebaut oder saniert wird. Leider sind wir jetzt den Folgen einer wenig energieeffizienten und klimatauglichen Bauweise konfrontiert.“

„Wenn es heute tagelang weit über 30 °C hat, fragen wir uns in den Krankenhäusern: Was machen wir mit den Patienten? Der erste Ruf ist dann der nach Klimatisierung. Aber kann einfach irgendeine Klimaanlage nachträglich eingebaut werden? Nein. Kleinstklimaanlagen aufzustellen, birgt Infektionsrisiken; Infektionserreger könnten so verbreitet werden – das ist in einem Spital klarerweise ein No-Go. Es gibt durchaus kluge, gesunde, CO2-sparsame Anlagen. Doch diese sind technisch aufwändig, bautechnisch schwierig einzubauen und auch teuer; schließlich müssen sie auch bewilligt werden, was wahrscheinlich auch nicht ganz einfach ist.“

„Man muss sich auch überlegen, ob es eine kluge Idee ist, dass moderne Krankenhäuser oft sehr verglast sind und vollklimatisiert. Ich kenne Architekten und Bauherren, die sehr umwelt- und gesundheitsbewusst arbeiten. Aber ich kenne auch Architekten, denen es nur ums Aussehen geht.“

„Wir empfehlen Ventilatoren – für Gesundheitseinrichtungen wie auch für Privathaushalte. Zumindest, wenn diverse expositionsreduzierende Maßnahmen versagen, also Maßnahmen, die vor Sonneneinstrahlung und Hitzestau schützen, zum Beispiel, weil man unterm Dach wohnt. Ventilatoren haben eine bessere Klimabilanz im Vergleich zu Klimaanlagen. Der einfachste Schutz vor Überhitzung sind Außenrollläden – das gilt auch für Spitäler oder Pflegeeinrichtungen.“

„Kleinklimaanlagen können enorm CO2-lastig – und zudem noch eine Lärmquelle. Aus Untersuchungen ist bekannt: Die Umgebungstemperatur heizt sich zusätzlich um bis zu zwei Grad Celsius auf [10]. Das heißt also für jene Nachbarn, die nachts das Fenster auflassen, dass es lauter wird und auch noch wärmere Luft hereinkommt.“

„Man muss auch bedenken, dass mit Klimaanlagen neue Probleme auftauchen: Stichwort Zugluft, zu trockene Luft oder zu kalt. Aber auch die Zugluft von Ventilatoren kann manchen Menschen Probleme bereiten.“

„Der Rat, den man momentan oft hört, nämlich am Tag drei bis vier Liter Wasser zu trinken, ist zu einfach. Manche Menschen sind gebrechlich, haben deswegen Probleme, auf die Toilette zu gehen, und werden diesen Ratschlägen nicht nachkommen können. Einfacher ist die Empfehlung, mehr zu trinken oder besser aufs Trinken zu achten. Aber selbst das kann zu kurz gegriffen sein, denn es ist ganz wesentlich, den Flüssigkeitsbedarf auch auf den jeweiligen Gesundheitszustand anzupassen. Dazu muss auch auf etwaige Medikamenteneinnahme geachtet werden. Ja, der Flüssigkeits- und Mineralstoffverlust muss ausgeglichen werden – aber nicht kopflos.“

„Hausärzte sollten bereits vorab – vor dem Sommer bzw. vor Hitzewellen – mit ihren Patienten reden, sie entsprechend vorbereiten und zum Beispiel notwendige Umstellungen von Medikamenten erläutern.“

„Bei einer Hitzewelle – wie derzeit – gibt es in Pflegeeinrichtungen und Krankenanstalten mehr zu tun als sonst. Deswegen sollten sie eigentlich bereits im Mai mit dem Wichtigsten begonnen haben, wie der Ressourcenplanung. Es muss vorgesorgt sein, dass genügend Mitarbeiter im Sommer da sind; zumal ja gerade Urlaubszeit ist und eher weniger als mehr Menschen arbeiten, es aber gerade während Hitzewellen mehr Aufgaben gibt. Es sollte Schulungen gegeben haben, damit die Mitarbeiter jetzt wissen, wie sie hitzebedingte Probleme erkennen und darauf reagieren können oder besser noch: denen vorbeugen können.“

„Unterversorgt sind übrigens auch oft jene, die die Pflege oder Therapien durchführen: das Personal. Hier braucht es viel mehr Beachtung als bisher: Wie geht es den Mitarbeitern eigentlich? Und wie entwickelt sich die Raumtemperatur auf Station im Laufe des Tages, der Woche? Gibt es die Möglichkeit für ausreichend Pausen? Für Hygiene, Infektion und Abfall gibt es in Einrichtungen Beauftragte – aber für Aktivitäten während Hitzewellen?“

„Was auch oft vergessen wird: Säuglinge und Kleinkinder sind auch besonders gefährdet bei Hitze. Mitunter haben sie bei diesem Wetter zu viel an: Windel, Body, Jacke, Haube – und dann liegen sie auch noch in schlecht belüfteten Kinderwagen. Da droht ein Hitzestau. Die Anpassungsfähigkeit an die Temperatur ist bei Säuglingen noch nicht voll entwickelt. So wie sie ab etwa 65 Jahren wieder abnimmt. Deswegen sind beide Altersgruppen gefährdet: die ganz Jungen und die Älteren.“

„Wir brauchen Hausverstand, aber der stirbt aus, egal, ob es um den Umgang mit Hitze oder um Nahrungsmittel geht oder anderes: Kritisches Denken wird heute nicht mehr als für so wichtig erachtet. Das ist enttäuschend und gefährlich.“

„Bei der historischen Hitzewelle im Jahr 2003 hatten wir in Wien rund 130 zusätzliche hitzebedingte vorzeitige Todesfälle zu beklagen [11]. Und im Jahr 2017 gab es in Österreich mehr Hitzetote als Verkehrstote [12] [13]. Zumal gerade in den Städten der sogenannte Backofen-Effekt auftritt: Es heizt sich tagsüber immer weiter auf, und nachts kühlt es kaum mehr ab. Im Umland, im Grünen ist es abends und nachts vergleichsweise um bis zu zehn, elf Grad Celsius kühler als in der dicht verbauten Stadt. Da sind die Widerstandskräfte, die Ressourcen der in diesen Hitzeinseln lebenden Bevölkerung deutlich schneller erschöpft. Es ist also wichtig, mehr Verständnis zu haben für jene, die nicht gerade in den Ferien sind oder unter der Woche baden gehen können: Kranke, Alte, Bauarbeiter, Mitarbeiter im Gesundheitswesen und und und.“

Prof. Dr. Henny Annette Grewe

Professorin am Fachbereich Pflege und Gesundheit, Hochschule Fulda – University of Applied Sciences

„Andere Nationen mögen weiter sein mit Hitzeaktionsplänen, aber ob und wie diese umgesetzt werden, das ist eine andere Frage.“

„Das Vereinigte Königreich zum Beispiel hat ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem und verfügt daher über alle Daten: Häufigkeit und Anlass ambulanter Kontakte, Krankenhausaufenthalte, Diagnosen, Behandlungen etc. Der Hitzeaktionsplan, der nach der Hitzewelle 2003 erarbeitet wurde, gilt nur für England – nicht für das gesamte Vereinigte Königreich. Er wird seitdem regelmäßig fortgeschrieben. In der Umsetzung hakt es aber auch nach mehr als zehn Jahren noch, unter anderem weil die Gesundheitsfachleute, die den Plan ausführen, die gesundheitlichen Gefahren hoher Umgebungstemperaturen nicht als prioritär ansehen oder weil es an Ressourcen wie klimatisierten Räumen in Krankenhäusern mangelt und weil es Abspracheprobleme zwischen den beteiligten Ebenen gibt.“

„In Frankreich, Italien, Spanien und Portugal gab es im Sommer 2003 sehr viele Menschen, die an den Folgen der Hitze gestorben waren [14]. Danach haben sich diese Länder wirklich gekümmert. Die Hitzeaktionspläne schließen als ein wichtiges Element die sehr zeitnahe Auswertung (Monitoring) der täglichen Sterbezahlen ein. Frankreich ist sehr konsequent in der Umsetzung, und dort funktioniert das Monitoring sehr gut.“

„Ich arbeite an einer Hochschule und habe mitgeholfen, den Vorschlag für einen Hessischen Hitzeaktionsplan zu entwickeln [15]. Die Umsetzung eines derartigen Vorschlags steht allerdings außerhalb des Verantwortungsbereiches einer Hochschule: Hier ist die Politik gefragt. Hochschulen können die Ausarbeitung eines Plans auf unterschiedlichen Ebenen – etwa Ländern, Kommunen, Krankenhäusern, Pflegeheimen – begleiten und zum Beispiel dokumentieren, wie so ein Plan umgesetzt wird, ob die Maßnahmen wirken, wie die Kommunikation funktioniert und verbessert werden könnte usw. [16]. Die Evaluation umfasst also zwei Bereiche: Zum einen die Evaluation des Netzwerkes, der Kommunikationsstrukturen – also: Wie arbeiten die Menschen miteinander? Wo hakt es? Zum anderen die summative Evaluation – also: Bringt der Plan etwas? Wirken die Maßnahmen? Sterbedaten sind die härtesten Daten zur Wirksamkeitsabschätzung, allerdings müssen größere Bevölkerungsgruppen betrachtet werden, um statistische Aussagen machen zu können. Es böten sich tagesgenaue Auswertungen der Sterberate auf Ebene der Bundesländer an. In Hessen zum Beispiel starben während der Hitzewelle im Sommer 2003 etwa 800 bis 1000 Menschen mehr als in den entsprechenden Kalenderwochen in den Jahren zuvor.“

„Die Weltgesundheitsorganisation hat 2008 Vorschläge für nationale Hitzeaktionspläne herausgegeben [17] und 2013 aktualisiert [18]. Dort wird unterschieden nach kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Maßnahmen. Langfristig bedeutet zum Beispiel, eine Stadt ‚umzubauen’, d. h. die Stadtplanung danach auszurichten, mittels Kaltluftschneisen Abkühlung in die häufig verdichteten Innenstädte zu bringen, neue Baugebiete nur dort auszuweisen, wo sie den Luftaustausch zwischen den erwärmten Stadtgebieten und der Umgebung nicht behindern, Platz für neue Grünanlagen zu schaffen usw. Mittelfristig meint zum Beispiel, eine schon vorhandene Straße zu begrünen. Und kurzfristig bezieht sich auf Akutmaßnahmen. Um diese zu ergreifen, müsste man eigentlich erst einmal wissen: Sterben mehr Menschen als sonst, weil gerade eine Hitzewelle da ist? In Italien und Frankreich kann man das in 24 bis 48 Stunden erkennen, denn da werden die täglichen Sterbedaten umgehend an eine dafür bestimmte Stelle weitergeleitet und sofort ausgewertet. In Deutschland dauert es normalerweise etwa ein Jahr, bis die Sterbedaten, die ja täglich über die Standesämter erfasst werden, gesammelt zur Auswertung bereitstehen. In Hessen zum Beispiel geht ein Durchschlag des Totenscheins ans Standesamt und ein zweiter – der vertrauliche Teil – an das zuständige Gesundheitsamt. Das Statistische Landesamt führt die Daten für die Todesursachenstatistik zusammen. Diese tagesgenauen Daten kann die mittlere Gesundheitsbehörde dann zur Auswertung anfordern; d. h. in Hessen das Hessische Landesprüfungs- und Untersuchungsamt im Gesundheitswesen (HLPUG). In anderen Bundesländern ist das ähnlich. Man kann also erst nach etwa einem Jahr evaluieren, ob es überhaupt Hitzetote gab und ob kurzfristige Maßnahmen gewirkt haben. Das ist für die Planung und Anpassung von Maßnahmen während einer Hitzeperiode viel zu lange.“

„Wir haben einen Algorithmus entwickelt, wie man im Routinebetrieb mit diesen Datensätzen umgehen kann. Wenn sich die Auswertung automatisieren ließe und sie regelmäßig retrospektiv stattfinden könnte, wäre schon viel geschafft.“

„Hitzeaktionspläne müssen wie Katastrophenschutzübungen in ihrer Umsetzung geübt werden: Man braucht die Pläne und die Übungen, aber die Ressourcen dafür sind knapp.“

„Ein Problem (für einen nationalen Hitzeaktionsplan; Anm. d. Red.) in Deutschland ist: Das Bundesministerium für Gesundheit und somit auch das Robert Koch-Institut als oberste Gesundheitsbehörde haben das Thema Hitze – oder allgemeiner: Klimawandel und Gesundheit – nicht bzw. nur rudimentär auf ihrer Agenda. Das liegt wahrscheinlich vor allem daran, dass die Themen Klimawandel und Klimaanpassung gänzlich beim Umweltministerium angesiedelt sind, sowohl auf der Bundesebene als auch auf der Länderebene. Auch im Umweltbundesamt ist gesundheitliche Expertise vorhanden, aber wenn nicht die Gesundheitsexperten beider Ministerien und ihrer jeweiligen Behörden bei diesem Thema zusammenarbeiten, dann ist die Reichweite gering und bleibt wie bislang auf der unverbindlichen Empfehlungsebene. Wenn sich das Bundesgesundheitsministerium nicht ernsthaft mit der Frage des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung während Hitzewellen beschäftigt, dann fehlt ein wichtiger politischer Player.“

„Ein anderes großes Problem (für einen nationalen Hitzeaktionsplan; Anm. d. Red.) in Deutschland ist: Das Gesundheitssystem ist versicherungsbasiert. Wir werden nicht vom Öffentlichen Gesundheitsdienst versorgt, sondern von Hausärzten, Kliniken etc., die über die Krankenversicherung finanziert werden. Krankenkassen sind, historisch gewachsen, für Kranke da – nicht für Prävention. Das Präventionsgesetz von 2015 [19] sollte dem zwar entgegenwirken, aber das Thema Hitze kommt darin nicht vor. Dabei wäre es wichtig und sinnvoll, zum Beispiel in Altenheimen und in der ambulanten ärztlichen Versorgung in Prävention vor Krankheit und Tod wegen Hitze zu investieren. Für die Planung und Implementierung bevölkerungsbezogener Maßnahmen während Hitzewellen müsste man also die Kranken- und Pflegekassen, die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Bundesärztekammer, die Landesärztekammern etc. mit ins Boot holen. Der öffentliche Gesundheitsdienst weiß gar nicht, wo zum Beispiel die Personen sind, die alt und hitzeanfällig sind und Hilfe brauchen in diesen Tagen. Diese Menschen haben aber in der Regel Hausärzte. Die Hausärzte könnten bei ihren Patienten anrufen und sagen: ‚Denken Sie daran, dass Sie bei diesem Wetter die Vorhänge zumachen.’ Oder: ‚Kommen Sie mal in die Praxis, damit wir Ihre Medikamente besser einstellen.’ Aber dürfen die Hausärzte das überhaupt? Unser Versorgungssystem ist reaktiv ausgelegt, d. h. der Patient oder die Patientin entscheidet, ob und wann er oder sie Hilfe benötigt, und kontaktiert dann z. B. den Hausarzt oder sucht das Krankenhaus auf – wenn er oder sie das noch kann.“

„Nach Auskunft der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) sind Altenheime Wohngebäude (persönliche Kommunikation; Anm. d. Red.). Das bedeutet, dass dort die technische Regel für die Raumtemperatur (ASR A3.5) [20] für das Personal nicht greift. Es gibt auch keine Vorschriften für den Altenheimbau, die eine energetische Sanierung unter dem Aspekt Hitzeschutz vorsehen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Henny Annette Grewe: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Alle anderen: Keine angegeben.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Grize L et al. (2005): Heat wave 2003 and mortality in Switzerland. Swiss Medical Weekly, 135(13-14): 200-205. DOI: 2005/13/smw-11009.

[2] Bundesamt für Gesundheit (BAG), Schweiz: Hitzewelle. Die wichtigsten Verhaltensempfehlungen und Informationen zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Hitzewellen.

[3] Schweizerisches Tropen- und Public Health Institut (Swiss TPH): Evaluation of heat wave related mortality and adaptation measures in Switzerland. Projektbeschreibung.

[4] Bundesamt für Umwelt (BAFU), Schweiz: Pilotprojekt zur Anpassung an den Klimawandel „Effekt von Hitzeperioden auf die Sterblichkeit und Adaptionsmassnahmen“.

[5] Schweizerisches Tropen- und Public Health Institut (Swiss TPH): Effekt von Hitzeperioden auf die Sterblichkeit und Evaluation von Adaptationsmassnahmen zwischen 1995 und 2013. Zusammenfassung der Ergebnisse.

[6] Ragettli MS et al. (2017): Exploring the association between heat and mortality in Switzerland between 1995 and 2013. Environ Res; 158:703-709. DOI: 10.1016/j.envres.2017.07.021.

[7] Bundesamt für Umwelt (BAFU), Schweiz (2016): Hitze und Trockenheit im Sommer 2015.

[8] Vicedo-Cabrera AM et al. (2016): Excess mortality during the warm summer of 2015 in Switzerland. Swiss Med Wkly;146:w14379. DOI: 10.4414/smw.2016.14379.

[9] Hitzewelle-Massnahmen-Toolbox. Ein Massnahmenkatalog für den Umgang mit Hitzewellen für Behörden im Bereich Gesundheit. Erstellt vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG).

[10] Salamanca F et al. (2014): Anthropogenic heating of the urban environment due to air conditioning. Journal of Geophysical Research: Atmospheres banner. DOI: 10.1002/2013JD021225.

[11] Hutter HP et al. (2007): Heatwaves in Vienna: effects on mortality. Wien Klin Wochenschr; 119(7-8):223-7. DOI: 10.1007/s00508-006-0742-7.

[12] Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (AGES): Hitze-Mortalitätsmonitoring.

[13] Bundesministerium Inneres (Österreich): Verkehrsangelegenheiten – Unfallstatistik.

[14] Robine JM et al. (2008): Death toll exceeded 70,000 in Europe during the summer of 2003. C R Biol.;331(2):171-8. DOI: 10.1016/j.crvi.2007.12.001. (frei zugängliche, aber nicht finale Version)

[15] Heckenhahn M et al. (2013): Hitzewarnsystem und Hitzeaktionsplan in Hessen. Dialoge zur Klimaanpassung, Berlin, 23.05.2013. Vortragsfolien.

[16] Grewe HA et al. (2012): Hessischer Aktionsplan zur Vermeidung hitzebedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen der Bevölkerung (HEAT). Abschlussbericht.

[17] WHO/Europe (2008): Heat-Health Action Plans. Guidance.

[18] WHO/Europe (2011): Public Health Advice on preventing health effects of heat. New and updated information for different audiences.

[19] Bundesministerium für Gesundheit: Präventionsgesetz.

[20] Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA): Technische Regeln für Arbeitsstätten. ASR A3.5 Raumtemperatur.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Bittner MI et al. (2013): Are European countries prepared for the next big heat-wave? European Journal of Public Health; 24(4): 615–619, DOI: 10.1093/eurpub/ckt121.

Weitere Recherchequellen

Science Media Center Germany (2018): Hitzestress fürs Hospital: Wie das Gesundheitswesen auf Hitzewellen vorbereitet ist. Fact Sheet. Stand: 06.08.2018.

Röösli M et al. (2018): Klimawandel und zunehmende Urbanisierung: Was heisst das für die Medizin der Zukunft? Synapse; 1:5-6.

Gasparrini A et al. (2017): Projections of temperature-related excess mortality under climate change scenarios. Lancet Planet Health; 1(9):e360-e367. DOI: 10.1016/S2542-5196(17)30156-0.