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01.03.2023

Einigung über UN-Hochseeabkommen erwartet

     

  • Verhandlungen über UN-Hochseeabkommen laufen bis Freitag in New York
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  • Hohe See – 60 Prozent der Meere – bislang weitgehend ungeschützt
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  • Expertin zufolge bahnt sich eher ein kleinster gemeinsamer Nenner an, als ein starkes Abkommen
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Bis Freitag verhandeln die Vereinten Nationen in New York über ein Abkommen zum Schutz der Hohen See, kurz Hochseeabkommen [I]. Viele Teilnehmende hoffen in dieser Verhandlungsrunde auf eine Einigung. Das Abkommen soll weniger konkrete Regeln, als vielmehr einen rechtlichen Rahmen für den Schutz der Meeresgebiete schaffen, die nicht von einzelnen Staaten kontrolliert werden. Damit soll es zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung von mariner Biodiversität beitragen und der zunehmenden Bedrohung der Weltmeere entgegenwirken.

Als Hohe See gelten alle Bereiche der Ozeane, die mehr als 370 Kilometer von der nächsten Küste entfernt liegen – das trifft für rund 60 Prozent der Meeresfläche zu. Die Definition stammt aus dem UN-Seerechtsübereinkommen, das seit 1994 in Kraft ist. Demnach darf kein Staat den Anspruch erheben, Gebiete der Hohen See unter seine Souveränität zu stellen. Sie gilt als nahezu rechtsfreier Raum.

Das angestrebte Hochseeabkommen soll das Seerechtsübereinkommen ergänzen und umfasst vier Aspekte: Erstens soll es klären, wer an kommerziellen Profiten beteiligt wird, die aus dem Erforschen genetischer Meeresressourcen entstehen. Eine ähnliche Diskussion gab es auch auf der Weltnaturnaturkonferenz COP15 [II]. Zweitens soll das Abkommen Regeln dafür schaffen, wie Meeresschutzgebiete auf der Hohen See eingerichtet und gemanagt werden. Mit Blick auf das Ziel, 30 Prozent der Meeresfläche bis 2030 unter Schutz zu stellen [III], sind solche Regeln besonders relevant. Drittens soll geklärt werden, wie Umweltprüfungen für geplante wirtschaftliche Aktivitäten auf der Hohen See durchgeführt werden – das könnte etwa Ölbohrungen, Tiefseebergbau oder Fischerei betreffen. Und viertens soll das Abkommen regeln, wie Staaten Wissen und Technologie zum Schutz der marinen Biodiversität miteinander teilen.

Als Teil des Seerechtsübereinkommens von 1994 sind auch der Internationale Seegerichtshof in Hamburg und die Internationale Meeresbodenbehörde in Kingston, Jamaika, entstanden. Letztere ist dafür zuständig, den Boden der Tiefsee als ,gemeinsames Erbe der Menschheit‘ zu schützen. Besonders der Tiefseebergbau fällt damit in ihren Zuständigkeitsbereich – konkrete Regeln dafür könnte die Behörde bei ihrem nächsten Treffen im März 2023 erarbeiten. Sollten bis Juli 2023 keine Regeln für den Tiefseebergbau festlegt worden sein, so müssen Anträge von Unternehmen vorläufig genehmigt werden. Wie das Hochseeabkommen mit diesen erwarteten Regeln zusammenhängen wird, ist noch unklar.

Das SMC hat Forschende um Einschätzung der laufenden Verhandlungen gebeten und nach den größten Streitpunkten und dem Zusammenhang mit anderen internationalen Abkommen und Meeresinstitutionen gefragt. Sollte es am Freitag zu einer Einigung kommen, planen wir ein Update dieser Statements.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Alexander Proelß, Professor für für internationales Seerecht und Umweltrecht, Völkerrecht und Öffentliches Recht, Universität Hamburg
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  • Ben Boteler, Senior Wissenschaftlicher Mitarbeiter im im Ocean Governance Team, Research Institute for Sustainability (RIFS), Potsdam
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  • Dr. Alice Vadrot, Professorin für Internationale Beziehungen und Umwelt, Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Österreich
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Statements

Prof. Dr. Alexander Proelß

Professor für für internationales Seerecht und Umweltrecht, Völkerrecht und Öffentliches Recht, Universität Hamburg

„Derzeit findet die Fortsetzung der fünften Verhandlungsrunde einer internationalen Regierungskonferenz statt, deren Aufgabe es ist, den Text eines rechtsverbindlichen internationalen Übereinkommens über den Schutz und die nachhaltige Nutzung der Biodiversität in Räumen jenseits staatlicher Hoheitsgewalt auszuhandeln – das heißt, auf der Hohen See und dem Tiefseeboden. Seit längerem wächst die Besorgnis über die immer weiter ansteigende anthropogene Belastung der Meeresumwelt durch Aktivitäten in der Tiefsee wie Fischerei, Bergbau, Meeresverschmutzung und Bioprospektion (die Untersuchung von Lebewesen auf kommerziell wertvolle Ressourcen; Anm. d. Red.). Deshalb soll das neue Übereinkommen die – vergleichsweise vagen – rechtlichen Vorgaben des UN-Seerechtsübereinkommens konkretisieren und Rechtslücken im Bereich des Meeresschutzes in internationalen Gewässern schließen.“

„Über den Text des Übereinkommens wird bereits seit 2018 verhandelt, in Umsetzung eines Auftrags der UN-Generalversammlung. Ob die Beratungen zu einem erfolgreichen Ende führen werden, ist trotz der in der letzten Verhandlungsrunde erzielten Fortschritte offen. Das hängt mit staatlichen Interessenkonflikten bezüglich der vier Hauptgegenstände des geplanten Übereinkommens zusammen. Diese Gegenstände sind erstens der Zugang zu marinen genetischen Ressourcen, einschließlich Fragen des Vorteilsausgleichs, zweitens gebietsbezogene Bewirtschaftungsinstrumente, einschließlich Meeresschutzgebiete, drittens Vorgaben über Umweltverträglichkeitsprüfungen, und viertens der Kapazitätsaufbau und Transfer von Meerestechnologie.”

„Gestritten wird insbesondere über Art und Umfang, in dem die weniger entwickelten Staaten an den Vorteilen beteiligt werden, die die unter der Hoheitsgewalt der entwickelten Staaten tätigen Forschungsinstitute und Unternehmen aus der Erforschung und Nutzung der marinen genetischen Ressourcen ziehen. Während sich die Entwicklungsstaaten für die Möglichkeit eines auch monetären Vorteilsausgleichs aussprechen, befürchten andere Delegationen, dass ein monetärer Vorteilsausgleich die wissenschaftliche Forschung behindern könnte.“

Ben Boteler

Senior Wissenschaftlicher Mitarbeiter im im Ocean Governance Team, Research Institute for Sustainability (RIFS), Potsdam

„Das künftige Hochseeabkommen wird für fast 60 Prozent der Ozeanfläche gelten. Die Verhandlungen stellen daher eine einmalige Gelegenheit für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt in Gebieten außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit dar. Bislang gibt es keinen übergreifenden Rahmen für die Staaten, um kollektiv und entschlossen Maßnahmen zur Bewirtschaftung und Erhaltung der Hohen See zu ergreifen. Eine solche Vereinbarung ist aber notwendig, um dringende Umweltprobleme wie den Klimawandel, die Überfischung oder die Meeresverschmutzung anzugehen und die Gesundheit der Hohen See für heutige und zukünftige Generationen zu schützen. Das vor 30 Jahren ausgehandelte Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) legt zwar allgemeine Regeln und die Rechtsgrundlage für die Bewirtschaftung der Ozeanräume fest, geht aber nicht vollständig auf den Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt ein und lässt viele Lücken bei der Bewirtschaftung dieser Gebiete.“

„Da es sich um die sechste formelle Verhandlungsrunde handelt – offiziell eine Fortsetzung der fünften Runde –, glauben viele Teilnehmende, dass dies die letzte sein wird. Wenn es den Verhandlungsführern gelingt, die Dynamik aus der vorangegangenen Runde im August 2022 aufrechtzuerhalten, könnte ein Abkommen tatsächlich im März 2023 geschlossen werden. Allerdings sind noch zahlreiche Fragen zu klären.“

„Die Verhandlungsführer müssen einen Kompromiss in Bezug auf die noch offenen Fragen finden – etwa zur Durchführung und Überprüfung von Umweltverträglichkeitsprüfungen. Zur Debatte steht, ob dies ein staatszentrierter Ansatz sein soll oder ob der zukünftigen COP (,Conference of the Parties‘, gemeint ist hier die Weltnaturkonferenz; Anm. d. Red.) oder anderen im Rahmen des Abkommens eingerichteten Gremien eine Aufsichtsfunktion übertragen werden soll. Eine weitere große Herausforderung bleibt die Frage, wie die finanziellen Erträge aus den genetischen Ressourcen der Meere – zum Beispiel dem genetischen Material von Meerespflanzen, Tieren und anderen Organismen – geteilt werden. Die Länder des globalen Südens argumentieren, dass die Ressourcen der Tiefsee ein ,gemeinsames Erbe der Menschheit‘ sind und dass die Vorteile ihrer Nutzung allen Ländern zugutekommen sollte. Sie fordern, dass dieser Grundsatz in dem Abkommen verankert wird. Hingegen argumentieren die reichen Länder, die in erster Linie die Ressourcen der Tiefsee erschließen und nutzen, dass es zwar einen Vorteilsausgleich geben soll, dieser sich aber auf den Austausch von Wissen und Informationen beschränken sollte. Eine mögliche Lösung dieses Interessenkonfliktes besteht darin, dass die Länder, die die marinen Genressourcen nutzen, eine Pauschalgebühr zahlen. Diese soll dann über einen Fonds an die Länder, die die Ressourcen nicht nutzen, verteilt werden. Dieser Ansatz wurde in früheren Verhandlungen nur am Rande diskutiert.“

Auf die Frage, wie das Hochseeabkommen mit anderen internationalen Abkommen zusammenhängt (dem COP15-Abkommen, dem Seerechtsübereinkommen, den erwarteten Regelungen zum Tiefseebergbau der Internationalen Meeresbodenbehörde) und wie sich die Verantwortlichkeiten verteilen:
„Das Verhältnis des künftigen Abkommens und seiner Umsetzung zu anderen Abkommen mit Bezug zur Hohen See bleibt etwas vage und wird es wahrscheinlich auch bleiben. Es besteht Einigkeit darüber, dass das künftige Abkommen bestehende Verträge oder etablierte Institutionen nicht aushöhlen darf, während gleichzeitig der im Abkommen festgelegte Rechtsrahmen nicht untergraben werden darf. Der endgültige Vertrag und der Rechtstext werden ein gewisses Maß an Klarheit schaffen, aber letztlich wird bei der künftigen Umsetzung vieles auf den Prüfstand gestellt und entschieden werden müssen.“

Auf die Frage, inwiefern das Hochseeabkommen dabei helfen könnte, 30 Prozent der Meere bis 2030 zu schützen (30x30-Ziel):
„Das künftige Abkommen wird eine unverzichtbare Gelegenheit bieten, Staaten und Managementorganisationen – von regionalen Fischereiorganisationen bis hin zur Internationalen Meeresbodenbehörde – unter einem Dach zusammenzubringen, um die Herausforderungen der Hohen See mit einem umfassenden und integrierten Ansatz anzugehen. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass das künftige Abkommen keine entscheidenden Ziele oder Vorgaben für die Erhaltung oder Bewirtschaftung der Ressourcen der Hohen See vorgeben wird. Vielmehr bietet es einen rechtlichen Rahmen, durch den die Staaten auf gemeinsame Ziele hinarbeiten können – wie das 30x30-Ziel – also die Einrichtung von 30 Prozent geschützter Gebiete an Land und auf See bis 2030 –, das im Rahmen des Übereinkommens über die biologische Vielfalt vereinbart wurde. In dieser Hinsicht wird der Abschluss der Verhandlungen einen ersten Meilenstein für den Schutz der biologischen Vielfalt auf Hoher See darstellen, aber es wird weiterhin Aufgabe der Staaten sein, diesen Rahmen mit Ehrgeiz und Kooperationswissen für die Gesundheit der Hohen See anzuwenden.“

Auf die Frage, inwiefern das erwartete Hochseeabkommen im Konflikt mit regionalen Vereinbarungen, wie dem Nordost-Atlantik-Schutzabkommen, stehen würde:
„Sowohl die globale als auch die regionale Ebene der Ozean-Governance sind für den zukünftigen Vertrag und seine Wirksamkeit von großer Bedeutung. Die globale Ebene bietet die Möglichkeit, gemeinsame Ziele festzulegen, eine übergreifende Reihe von Prinzipien zu schaffen und Regeln und Leitlinien für die Entscheidungsfindung und Koordination zu entwerfen. Die regionale Ebene – regionale Fischereiorganisationen und regionale Meeresübereinkommen – ist wichtig, um die im Abkommen festgelegten globalen Standards zu untermauern, indem sie bestehende Abkommen koordiniert. Dadurch trägt sie dazu bei, die globalen Ziele zu erreichen und gleichzeitig die Besonderheiten der Regionen, ihre Herausforderungen und Bedürfnisse zu berücksichtigen. Im besten Fall ermöglicht sie sogar Ergebnisse, die über die Ziele hinauszugehen.“

Dr. Alice Vadrot

Professorin für Internationale Beziehungen und Umwelt, Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Österreich

„Die Verhandlungen über ein neues Abkommen zum Schutz der marinen Biodiversität in der Hohen See sind Ausdruck tiefsitzender, historisch gewachsener Ungleichheiten zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden, besonders hinsichtlich der Frage welche Staaten von der Erforschung und Inwertsetzung mariner Ressourcen profitieren und wer letztlich für den Schutz der Meere verantwortlich sein soll. Ob am Ende der zweiten Verhandlungswoche ein Vertragstext vorliegt, auf den sich alle Staaten einigen können, ist für viele Akteure werden ein paar Tage vor Verhandlungsabschluss noch unklar – trotz sichtlicher Bemühungen den unterschiedlichen Interessenslagen in einem Abkommen gerecht zu werden.“

„Was sich abzeichnet ist eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Das kann bedeuten, dass zukünftig im Rahmen des Abkommens ausgewiesene Meeresschutzgebiete nicht für alle Vertragsparteien rechtlich bindend sein werden und Ausnahmeregelung einen ganzheitlichen Meeresschutz erschweren. Der kleinste gemeinsame Nenner bedeutet auch, dass die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen im Ermessen jener Staaten liegen wird, die eine potenziell für die Meeresumwelt schädliche Aktivität auf hoher See planen – was zu wenig ist, wenn es darum geht, die expandierende Nutzung der Meere nachhaltig zu gestalten. Auch der Aspekt der globalen Gerechtigkeit – die über eine Umverteilung der Gewinne aus der Nutzung mariner genetischer Ressourcen sowie einen Kapazitätsaufbau und Technologietransfer erreicht werden sollen –, berücksichtig zwar staatliche Interessen, nicht aber die Tatsache, dass die Hohe See ein Allgemeingut darstellt, dass auch für zukünftige Generationen erhalten sein soll.“

„Eine Hebelwirkung für den Erhalt der marinen Biodiversität für zukünftige Generationen garantiert der kleinste gemeinsame Nenner nicht. Deswegen können die Verhandlungen schon jetzt eher als verpasste Chance für den Meeresschutz gewertet werden. Sie stellen nicht die Erfolgsgeschichte dar, die sich viele – vor allem nicht-staatliche Akteure und Umwelt-NGOs – seit Beginn der Vorverhandlungen vor knapp 20 Jahren gewünscht haben.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Ben Boteler: „Ich habe keine Interessenkonflikte.”

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Weiterführende Recherchequellen

Maripoldata (27.02.2023): A new Marine Biodiversity Treaty in Sight.
Blogpost der Forschungsgruppe von Alice Vadrot zur ersten Woche der aktuellen Verhandlungen zum Hochseeabkommen.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Vereinte Nationen: Intergovernmental Conference on Marine Biodiversity of Areas Beyond National Jurisdiction.
Den aktuellen Entwurf für das Abkommen (vom Dezember 2022) finden Sie hier.

[II] Science Media Center (2022): COP15: großer Streit um genetische Datenbanken. Rapid Reaction. Stand: 29.11.2022.

[III] Science Media Center (2022): COP15: 30 Prozent Schutzgebiete bis 2030. Press Briefing. Stand: 05.12.2022.