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25.03.2022

Digital Markets Act zur Regulierung großer Digitalkonzerne

Der Digital Markets Act (DMA) soll die Marktmacht großer Digitalkonzerne einhegen. Die EU hat am 24. März eine vorläufige politische Übereinkunft („provisional political agreement“) zu der Verordnung erreicht (siehe Primärquellen). Im DMA werden Verpflichtungen und Strafen für die als „Gatekeeper“ definierten Unternehmen festgelegt. Dadurch möchte die EU vor allem gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen und verhindern, dass die Gatekeeper ihre dominante Stellung am Markt missbrauchen.

Im Sinne des Gesetzes werden Unternehmen reguliert, die verschiedene Voraussetzungen erfüllen. Zum einen müssen sie in mindestens drei EU-Mitgliedsstaaten mindestens einen Kerndienst – wie eine Suchmaschine, ein soziales Netzwerk, ein Betriebssystem, einen online-Marktplatz oder ein Chatprogramm – betreiben und eine feste, signifikante Rolle am Markt innehaben. Weiterhin muss ein betroffenes Unternehmen entweder eine Marktkapitalisierung von mindestens 75 Milliarden Euro oder einen jährlichen Umsatz von über 7,5 Milliarden Euro im europäischen Wirtschaftsraum über die vergangenen drei Jahre aufweisen. Zuletzt muss ein Gatekeeper im vergangenen Jahr über 45 Millionen aktive monatliche Nutzerinnen und Nutzer und 10.000 Geschäftskundinnen und -kunden innerhalb der EU erreicht haben. Damit würden vor allem große US-amerikanische Unternehmen wie Google, Meta, Amazon und Microsoft unter die Regulierung fallen. Wahrscheinlich betrifft das Gesetz aber auch andere Firmen – die Rede ist von den zehn bis fünfzehn größten Digitalunternehmen auf dem europäischen Markt.

Diese Gatekeeper müssen sich nach der Verordnung an bestimmte Vorgaben halten. So müssen sie den Endnutzerinnen und -nutzern von Geräten erlauben, gewisse vorinstallierte Software zu deinstallieren. Außerdem dürfen die Unternehmen ihre eigenen Produkte nicht in eigenen Suchmaschinen höher einstufen als Konkurrenzprodukte, was insbesondere die Google-Suche und Amazon betreffen dürfte. Bis zum Ende im EU-Trilog diskutiert war die Pflicht für Interoperabilität. Die Verordnung verpflichtet Gatekeeper jetzt dazu, bei Messengern zu gewährleisten, dass die Basisfunktionalitäten auch zwischen unterschiedlichen Messengern möglich sind. Dabei soll die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung erhalten bleiben. Ferner dürfen die Gatekeeper persönliche Daten von Nutzerinnen und Nutzern aus verschiedenen Kerndiensten nicht mehr ohne Zustimmung zusammenführen.

Halten die Unternehmen diese Vorhaben nicht ein, drohen Strafen von bis zu zehn Prozent des jährlichen weltweiten Umsatzes des vorherigen Jahres, bei wiederholten Verstößen sogar von bis zu 20 Prozent.

Der Digital Markets Act wird zusammen mit seiner Schwesterverordnung – dem Digital Services Act – als richtungsweisendes Gesetz gesehen, das auch außerhalb der EU den Trend vorgeben könnte, wie Tech-Giganten in Zukunft reguliert werden. Bevor das Gesetz in Kraft treten kann, muss es noch vom Europaparlament und dem Rat der EU-Staaten bestätigt werden, was aber nur noch als Formalie gilt und dann im Amtsblatt der EU veröffentlicht werden. Das Gesetz muss dann innerhalb von sechs Monaten nach dem finalen Inkrafttreten als EU-Verordnung (regulation) in allen EU-Ländern als geltendes Recht implementiert werden [I]. Obwohl viele der betroffenen Unternehmen große Lobby-Anstrengungen unternommen haben, um das Gesetz aufzuweichen, scheinen diese wenig gefruchtet zu haben.

Wie der Stellenwert des Gesetzes zu beurteilen ist, was die wichtigsten Aspekte sind und was besser hätte geregelt werden können, hat das Science Media Center Experten gefragt.

Die folgenden Statements beziehen sich auf die Angaben aus den Primärquellen und das Wissen der Experten. Sobald das Gesetz im Volltext veröffentlicht wird, werden wir die Experten bitten, zu schauen, ob ihr Statement noch aktualisiert werden muss und diese Aktualisierung gegebenenfalls verschicken. Wir rechnen aber mit keinen großen Änderungen mehr.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Tobias Keber, Professor für Medienrecht und Medienpolitik in der digitalen Gesellschaft, Hochschule der Medien Stuttgart
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  • Prof. Dr. Matthias Kettemann, Programmleiter Forschungsprogramm „Regelungsstrukturen und Regelbildung in digitalen Kommunikationsräumen“, Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), und Universitätsprofessor für Innovation, Theorie und Philosophie des Rechts, Universität Innsbruck, Österreich
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Statements

Prof. Dr. Tobias Keber

Professor für Medienrecht und Medienpolitik in der digitalen Gesellschaft, Hochschule der Medien Stuttgart

Auf die Frage nach einer generellen Beurteilung des DMA und seines Stellenwertes:
„Der Stellenwert des DMA lässt sich nicht isoliert betrachten. Die Europäische Union stellt derzeit die zentralen Weichen für die Wirtschaft und die digitale Gesellschaft der Zukunft. Der DMA ist Teil eines größeren Werkzeugkoffers. Belastbar einordnen kann man seine Implikationen also erst, wenn auch der Schwesterrechtsakt des Digitalpakets, das Gesetz über digitale Dienste (DSA, Digital Services Act), final ausverhandelt ist. In Zukunft wird der europäische Regulierungsrahmen für die Digitalwirtschaft darüber hinaus über weitere Gesetzesvorhaben, namentlich zu Daten (Data Governance Act, Data Act) gesteuert werden, die zum Teil in Vorgaben des Digital-Pakets hineingreifen.“

„Unabhängig von seinem weiteren Kontext hat der Ansatz im DMA mit einem breiten Maßnahmenpaket und enorm hohen Sanktionen jedenfalls großes Wirkungspotenzial. Marktmächtige Gatekeeper riskieren Geldstrafen von bis zu zehn Prozent, im Wiederholungsfall sogar 20 Prozent ihres weltweiten Jahresumsatzes und als ultima ratio gar die Zerschlagung eines Konzerns. Das ist ein Sanktionsrahmen, der noch weit über dem der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) liegt, deren Strafen – bis zu vier Prozent des weltweit erzielten Jahresumsatzes – von manchen bereits als drakonisch bezeichnet wurden.“

Auf die Frage nach den wichtigsten Aspekten und verbesserungswürdigen Punkten:
„Für das Funktionieren einheitlicher europäischer Vorgaben ist essenziell, dass Ausnahmeregeln, Ausgestaltungs- und Beurteilungsspielräume zugunsten nationaler Entitäten und ihr Zuständigkeitsrahmen den Harmonisierungszweck der Vorschriften nicht konterkarieren. Traditionell ist das ein Bereich, der in den Verhandlungen der Rechtsakte zwischen Mitgliedstaaten und Union auch stark umstritten ist. Auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung der unmittelbar anwendbaren Verordnung – es bedarf also keiner nationalen Umsetzungsakte wie bei Richtlinien – hat man sich beim DMA nun auf eine starke Rolle der Europäischen Kommission verständigt.“

„Sicher in die richtige Richtung gehen das Gebot der Interoperabilität und das Verbot der Selbstbevorzugung. Wenn ein Nutzer künftig in der Lage sein wird, seiner Freundin, die ausschließlich den Messenger-Dienst Signal nutzt, über Whatsapp eine Nachricht zukommen zu lassen, dann ist das geeignet, die dominante Position Whatsapps im Markt der Messenger zumindest abzumildern. Interoperabilität kann Wechselbarrieren abbauen und den Wettbewerb beleben. Auch das Verbot, eigene Produkte innerhalb des Portfolios zu bevorzugen, wie es die Suchmaschine Google mit dem Preisvergleichsportal Shopping aus dem eigenen Hause getan hat, ist eine angemessene Reaktion auf in der Vergangenheit beobachtete unfaire Praktiken im Markt.“

„Auch hier stellen sich aber schwierige Detailfragen, die sich erst nach Anwendbarkeit des neuen Regimes in der Praxis vollumfänglich zeigen werden. So darf die Interoperabilität nicht mit Vorgaben des Datenschutzes und der Datensicherheit in Konflikt geraten, die andernorts im neuen Daten- und Digitalwirtschafts-Paket vorgesehen sind. Wenn aber ein Messenger einen bestimmten Datenverschlüsselungsstandard als ein anderer Dienst nutzt, ist das interoperable, also Dienste übergreifende Senden von Nachrichten jedenfalls technisch nicht trivial.“

Auf die Frage, wie die Sanktionsmöglichkeiten zu beurteilen sind und ob sie angemessen und durchsetzbar sind:
„Angesichts der Sanktionshöhe haben die Regeln des DMA sicherlich die damit beabsichtigte abschreckende Wirkung. Bei der Rechtsanwendung und -durchsetzung kann natürlich auch hier der Teufel im Detail stecken. Nehmen wir beispielsweise den Anwendungsbereich des Rechtsakts und die durch ihn adressierten Akteure, die großen Gatekeeper (core platform services). Das sind nach dem DMA solche mit einer Marktkapitalisierung von mindestens 75 Milliarden Euro oder einem Jahresumsatz von 7,5 Milliarden. Weiter müssen diese Unternehmen auch bestimmte zentrale Dienste wie Browser, Sprachassistenten, App-Stores oder soziale Medien anbieten, die mindestens 45 Millionen monatliche Endnutzer in der EU und 10.000 jährliche Geschäftsnutzer haben.“

„Vor diesem Hintergrund kann man die Frage stellen: Muss es sich bei Endnutzern im Sinne der Vorschrift um aktive Nutzer handeln und wenn ja, wie genau bestimmt sich das? Trägt ein potenziell vom DMA adressierter Akteur vor, er falle nicht in den Anwendungsbereich, so ist ein Verfahren vorgesehen, in dem die Kommission die vorgebrachten Argumente überprüft. Es wird sich zeigen, wie viele Streitigkeiten es in diesem Kontext gibt und ob das tatsächlich zu Wirkungsdefiziten führt.“

„Umstritten war wohl bis zum Schluss, wie weit der Schutz Minderjähriger vor personalisierter Werbung Gegenstand des DMA sein soll. Hier gab es unterschiedliche Positionen in Parlament und Rat. Das Parlament hat sich nicht damit durchgesetzt, ein entsprechendes Verbot im DMA aufzunehmen. Als Kompromiss ist jetzt wohl in Aussicht gestellt worden, ein Verbot im noch nicht final verhandelten Digital Services Act aufzunehmen.“

„Insgesamt wird zu sehen sein, wie weit einzelne im DMA nicht konsensfähige Punkte künftig als Streitpunkte im Rahmen des DSA adressiert werden müssen. Da eine klare Abgrenzung der durch die beiden Regelungskomplexe erfassten Inhalte über die ökonomische Perspektive (DMA) einerseits und die (weitergehenden) gesellschaftlichen Implikationen (DSA) andererseits nicht durchgängig möglich ist, wäre das an sich unproblematisch.“

„Zu wünschen bleibt nur, dass im Rahmen der Verhandlungen beider Rechtsakte diskutierte problematische Verhaltensweisen nicht am Ende weder im einen noch dem anderen Regelwerk adressiert werden. Das gilt etwa für ein gegebenenfalls zu definierendes Verbot von ‚Dark Patterns‘, also Designmuster bei digitalen Anwendungen der Internetwirtschaft, die Nutzer zu Handlungen verleiten sollen, welche ihren ‚eigentlichen‘ Interessen zuwiderlaufen.“

Prof. Dr. Matthias Kettemann

Programmleiter Forschungsprogramm „Regelungsstrukturen und Regelbildung in digitalen Kommunikationsräumen“, Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), und Universitätsprofessor für Innovation, Theorie und Philosophie des Rechts, Universität Innsbruck, Österreich

„Der DMA ist ein weiterer starker Pfeil im Köcher der Europäischen Union, den sie gegen die Digitalkonzerne abschießt. Nach dem DSA, der wichtige Rechte für Nutzer*innen bringen soll, hilft der DMA gerade auch kleineren und mittleren Unternehmen, also genau jenen oft europäischen Start-ups und Mittelständlern, die keine Chance gegen die faktische Übermacht der großen Gatekeeper-Plattformen hatten. Der DMA will den Digitalmarkt fairer und den Wettbewerb lebendiger machen. Das kommt am Ende jedenfalls den Kund*innen zugute.“

„Der DMA nimmt die großen Digitalkonzerne in die Pflicht, die Märkte, die sie oft erst geschaffen haben, nicht auszunutzen und sich unfaire Vorteile zu verschaffen. Das macht die Plattformwirtschaft so besonders: dass Gatekeeper sich selbst sehr viel Macht verschaffen. Diese Macht wird jetzt durch Gesetz gebrochen, um einen faireren Wettbewerb sicherzustellen. Große Unternehmen mit Jahresumsätzen von mindestens 7,5 Milliarden Euro und mindestens 45 Millionen Endnutzer*innen müssen nun mit neuen Pflichten leben. Sinnvoll ist, dass Nutzer*innen nun das Recht haben, auch Nicht-Standard-Webbrowser und -Suchmaschinen zu verwenden. Zudem können Nutzer*innen nun auf die Interoperabilität der Grundfunktionen ihrer Instant-Messaging-Dienste vertrauen: Von Telegram auf Signal auf Facebooks Messenger auf Whatsapp müssen Fotos und Nachrichten übertragen werden können. Und wechselt man Messenger, soll man die Nachrichten mitnehmen können.“

„Die App-Entwickler bekommen mehr Macht über die Daten, die ihre Produkte generieren und die bisher von den Gatekeepern abgeschöpft wurden. Auf Amazon wird es bald anders aussehen: Die Gatekeeper dürfen ihre eigenen Produkte oder Dienstleistungen nicht höher einstufen als die von anderen. Außerdem dürfen die Großen Daten, die im Rahmen eines Dienstes gesammelt wurden, nicht einfach für andere verwenden (wie bei Facebook und Whatsapp etwa). Plattformen dürfen auch nicht mehr von App-Entwicklern verlangen, bestimmte Gatekeeper-Dienste für Zahlungen zu nutzen, um in App-Stores gelistet zu werden.“

„Verstöße gegen den DMA sollen kräftig sanktioniert werden. Wer gegen DMA-Pflichten verstößt, riskiert eine Geldstrafe von bis zu zehn Prozent seines weltweiten Gesamtumsatzes. Im Wiederholungsfall kann eine Geldbuße von bis zu 20 Prozent seines weltweiten Umsatzes verhängt werden.“

„Die Geschwindigkeit, mit der die französische Ratspräsidentschaft die Einigung vorangebracht hat, ist beeindruckend. Offensichtlich ist versucht worden, im Fahrwasser des DSA zu schwimmen. Noch mäßig klar ist die Effektivität der Aufsichtsstruktur und das Zusammenspiel zwischen europäischen und nationalen Behörden. Die heute erzielte vorläufige Einigung bedarf noch der formalen Zustimmung des Rates und des Europäischen Parlaments. Der DMA wird dann wohl innerhalb von sechs Monaten nach ihrem Inkrafttreten umgesetzt werden müssen. Schon Mitte 2023 kann sich also die Rechtslage profund geändert haben.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Tobias Keber: „Keine.“

Prof. Dr. Matthias Kettemann: „Interessenkonflikte liegen keine vor.“

Primärquellen

Europäische Kommission (2022): Digital Markets Act: Commission welcomes political agreement on rules to ensure fair and open digital markets. Pressemitteilung.

Europäisches Parlament (2022): Deal on Digital Markets Act: EU rules to ensure fair competition and more choice for users. Pressemitteilung.

Europäischer Rat (2022): Digital Markets Act (DMA): agreement between the Council and the European Parliament. Pressemitteilung.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Europäische Kommission: Types of EU law.

Weitere Recherchequellen

Science Media Center (2020): EU-Kommission schlägt neuen Rechtsrahmen für Plattformbetreiber vor. Rapid Reaction. Stand: 15.12.2020.