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19.12.2020

Niedrige Fallzahlen als gemeinsames Ziel für ganz Europa, um SARS-CoV-2-Pandemie nachhaltig einzudämmen

Die Regierungen in Europa sollten sich im Umgang mit der SARS-CoV-2-Pandemie zu gemeinsamen Zielen verpflichten. Das fordern internationale Fachleute aus verschiedenen Disziplinen in einem Positionspapier, das im Fachjournal „The Lancet“ veröffentlicht wurde (siehe Primärquelle).

Die Coronapandemie fordert und belastet Gesellschaft und Wirtschaft enorm. Ausgangssperren, Lockdowns und die Reduktion sozialer Kontakte dämmen das Virus in vielen europäischen Ländern zum wiederholten Mal ein, manch andere lockern diese Beschränkungen derzeit wieder, nachdem die Fallzahlen gesenkt werden konnten. Deutschland und die Niederlande ziehen die nationalen Maßnahmen an, die Schweiz zögert, in Österreich entspannt sich die Lage wieder etwas. SARS-CoV-2 macht allerdings keinen Halt vor nationalen Grenzen. Selbst wenn ein Land weitreichende Maßnahmen zur Eindämmung ergreift, das Nachbarland aber nicht, droht ein Pingpong-Spiel erneuter Einschleppungen.

Als einziger Ausweg erscheint in der europäischen Situation mit geöffneten Grenzen aus Sicht internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nur eine synchronisierte Eindämmungsstrategie. Ein Maximum von zehn Neuinfektionen pro einer Million Einwohner pro Tag sollte daher erklärtes Ziel in ganz Europa werden. Umgerechnet auf die in Deutschland gängige Einheit der Inzidenz wären das sieben Fälle pro 100.000 Einwohner pro Woche. Die aktuelle Inzidenz laut den Daten der WHO liegt in Deutschland bei circa 180 mit steigendem Trend, bei circa 340 für die Schweiz bei steigendem Trend und für Österreich bei unter 220, nach zwischenzeitlichen Höchstständen knapp unter 600 [I].

Niedrige Fallzahlen würden den Autorinnen und Autoren nach Vorteile auf mehrere Ebenen mit sich bringen: die wirtschaftliche wie psychologische Lage der Gesellschaft könnte sich entspannen und eine effektive Kontaktverfolgung wäre wieder möglich. Um ein niedriges Level auch langfristig halten zu können, seien ausreichend Testkapazitäten von minimal 300 Tests pro Tag pro einer Million Einwohner notwendig.

20 Fachleute aus Virologie, Epidemiologie, Modellierung und Ökonomie veröffentlichten diese Position im Fachjournal „The Lancet“. Viele weitere Personen aus Wissenschaft und Wirtschaft haben sie unterzeichnet.

Wie kann ein gemeinsames europäisches Ziel erreicht werden? Wie greifbar sind derart niedrige Infektionszahlen derzeit überhaupt? Welche Hürden stehen einer internationalen Strategie im Weg? Wie passen regional unterschiedliche Gegebenheiten und eine pan-europäischen Strategie zusammen? Welche Wege und Instrumente der internationalen Zusammenarbeit sind für solche Gemeinschaftsanstrengungen bekannt?

Diese Fragen – und Ihre! – beantworten Expertinnen bei einem virtuellen Press Briefing unter Sperrfrist.

Expertinnen auf dem Podium

     

  • Prof. Dr. Isabella Eckerle
    Leiterin der Forschungsgruppe emerging viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten, Universität Genf, Schweiz, und Unterzeichnerin des Positionspapiers
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  • Prof. Dr. Barbara Prainsack
    Universitätsprofessorin am Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Österreich, Mitglied der European Group on Ethics and New Technologies, und Unterzeichnerin des Positionspapiers
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  • Dr. Viola Priesemann
    Leiterin der Forschungsgruppe Theorie neuronaler Systeme, Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen, und Koordinatorin sowie Autorin des Positionspapiers
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Abschluss-Statements aus dem Press Briefing

Das SMC hat die Expertinnen am Ende des Press Briefings um kurze Zusammenfassungen gebeten, die wir Ihnen nachfolgend als Statements zur Verfügung stellen möchten.

Prof. Dr. Isabella Eckerle

Leiterin der Forschungsgruppe emerging viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten, Universität Genf, Schweiz, und Unterzeichnerin des Positionspapiers

„Ich glaube, man kann vielleicht aus medizinischer Sicht einfach sagen, es ist ein neuer Erreger. Wir haben noch sehr viele offene Fragen. Es gibt sehr viel, was wir noch nicht zu diesem Erreger verstanden haben. Und es muss eigentlich unser oberstes Ziel sein, Infektionen zu vermeiden. Und es wurde jetzt schon von meinen Vorrednerinnen angebracht, aber wir haben die besten Freiheiten, das beste Leben, wir kommen am nähesten an die Normalität, wenn wir wenig Viruszirkulation haben. Ich glaube, man man muss versuchen, ohne das Virus zu leben, nicht mit dem Virus zu leben. Und die Infektionen, die man dann eben noch hat, rechtzeitig einzufangen. So wie man das jetzt mit anderen Infektionen, beispielsweise mit Masernausbrüchen oder mit Ausbrüchen von anderen Infektionskrankheiten ja schon seit hunderten Jahren fast macht oder zumindest schon sehr lange. Und genau so müssen wir das mit den SARS-Coronavirus auch machen, damit alle Menschen davon profitieren. Ich glaube, das ist auch nochmal ganz wichtig. Es gibt keine Zweiteilung in Risikogruppen und in Nicht- Risikogruppen. Alle sind davon betroffen, wenn die Fallzahlen hoch sind, und alle leiden darunter.“

Prof. Dr. Barbara Prainsack

Universitätsprofessorin am Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Österreich, Mitglied der European Group on Ethics and New Technologies, und Unterzeichnerin des Positionspapiers

„Ich möchte Frau Priesemann für die wirklich wichtige Initiative danken. Ich glaube, genau das brauchen wir. Wir brauchen sozusagen eine Allianz der Menschen und auch der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich zusammenschließt und kurz und effizient sagt, was unserer Meinung nach zu tun ist. Es ist kein Nullsummenspiel. Wir können nicht sagen, wenn wir die Wirtschaft offen lassen, leidet die weniger und so weiter. Wir brauchen eine klare Zieldefinition, und wir brauchen Unterstützung der Gruppen, die die Hauptlast dieser Krise tragen.“

Dr. Viola Priesemann

Leiterin der Forschungsgruppe Theorie neuronaler Systeme, Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen, und Koordinatorin sowie Autorin des Positionspapiers

„Ich habe dieses europäische Statement initialisiert, weil ich denke, dass in der Wissenschaft ein wirklich sehr, sehr breiter Konsens herrscht – von der Virologie zur Epidemiologie, zur Wirtschaft und zur Soziologie– dass niedrige Fallzahlen nur Vorteile haben. Hohe Fallzahlen haben keinerlei Vorteile, weder für die Gesundheit, noch für das Sozialleben, noch für die Wirtschaft. Es lohnt sich, die Fallzahlen konsequent runter zu bringen, und dann auch wirklich konsequent dort unten zu halten. Wir haben bei niedrigen Fallzahlen mehr Freiheiten.“

Video-Mitschnitt & Transkript

Ein Transkript finden Sie hier.

Primärquelle

Priesemann V et al. (2020): Calling for Pan-European commitment for rapid and sustained reduction in SARS-CoV-2 infections. Correspondence. The Lancet.

Literaturstellen, die vom SMC verwendet wurden

[I] Corona Zeitreihen der World Health Organization (WHO). Anwendung des Science Media Centers.