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21.03.2017

DNA-Profiling und die Wissenschaften: Wie weit kann die erweiterte DNA-Analyse gehen?

Die DNA-Analyse in Strafverfahren soll in Deutschland ausgeweitet werden. Bislang darf mit DNA-Spuren nur das Geschlecht bestimmt werden und „nicht codierende“ DNA-Abschnitte dürfen genutzt werden, um ein „Identifizierungsmuster“ festzustellen; diese können abgeglichen werden mit gespeicherten Einträgen der DNA-Analyse-Datei beim Bundeskriminalamt oder – als ultima ratio – mit DNA-Proben von Freiwilligen aus einer Reihenuntersuchung. Fortan sollen jedoch erstmals auch „codierende“ DNA-Bereiche analysiert werden – um zumindest die Farbe von Augen, Haaren und Haut sowie das Alter zu bestimmen, eventuell auch die biogeografische Herkunft einer unbekannten Person, die mutmaßlich eine Straftat begangen hat. So sieht es der „Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung des Umfangs der Untersuchungen von DNA-fähigem Material“ vor, den das Land Baden-Württemberg beim Bundesrat eingereicht hat. Demnach soll die Strafprozessordnung, genauer §81e, geändert und eine „erweiterte DNA-Analyse“ möglich werden. Anlass für die Initiative war, dass ein vermutlich aus Afghanistan Geflüchteter unter Verdacht steht, eine Medizin-Studentin in Freiburg ermordet zu haben.

Der baden-württembergische Justizminister Guido Wolf (CDU) hält seinen Gesetzesantrag für „[m]it unserer Verfassung [...] unproblematisch vereinbar“. Manche Forscher hingegen befürchten einen Eingriff in die Grundrechte sowie eine Massendiskriminierung. Der bayrische Justizminister Winfried Bausback (CSU) vermisst in der aktuellen Version des Gesetzentwurfs, dass auch „biogeografische Herkunft“ als Merkmal aus der DNA herausgelesen werden dürfe, weil sich „die kontinentale Herkunft einer Person“ mit 99,9-prozentiger Wahrscheinlichkeit korrekt bestimmen ließe und „den Täterkreis einschränke“. Wissenschaftlern zufolge gibt diese Zahl lediglich die Treffergenauigkeit an, einen Menschen aus zum Beispiel Ostasien von einem Menschen aus Sub-Sahara-Afrika zu unterscheiden; zugleich sagt diese Zahl nichts darüber aus, ob diese Person nach Deutschland geflüchtet oder in Deutschland geboren ist.

Kurzum: ein politisches Thema – bei dem wissenschaftliches Wissen als Entscheidungsgrundlage unentbehrlich ist.

Deswegen möchte das Science Media Center Germany Ihnen mit diesem Press Briefing aktuelle wissenschaftliche Aspekte zum Thema DNA-Profiling vermitteln, insbesondere die Methode „forensic DNA phenotyping“.

Wie lässt sich vom Erbgut auf Äußeres schließen und wie gut ist die Trefferquote? Welche Erfolgsbeispiele und Misserfolgsbeispiele gibt es aus Ländern, in denen die erweiterte DNA-Analyse bereits erlaubt ist, wie in den Niederlanden? Was versprechen sich Rechtsmediziner und Kriminaltechniker vom umfassenderen DNA-Profiling? Was wird technisch wissenschaftlich möglich, was politisch machbar? Und welche ethischen wie gesellschaftlichen Grenzen sollte es geben?

Diese Fragen – und Ihre! – beantworten die Experten auf dem Podium.

Experten auf dem Podium

     

  • Prof. Dr. Amade M’charek,
    Department of Anthropology, University of Amsterdam, Amsterdam (NL)
    und Gründerin des Studiengangs “Forensic Science”, dem ersten seiner Art in den Niederlanden
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  • Prof. Dr. Barbara Prainsack,
    Department of Global Health & Social Medicine, King’s College London, London (UK)
    und Mitglied der Ethikgruppe der britischen DNA-Datenbank, UK National Criminal Intelligence DNA Database
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  • Prof. Dr. Lutz Roewer,
    Leiter der Abteilung Forensische Genetik, Institut für Rechtsmedizin, Charité, Berlin
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  • Prof. Dr. Peter M. Schneider,
    Leiter der Abteilung Forensische Molekulargenetik, Institut für Rechtsmedizin, Uniklinik Köln, Köln,
    und Vorsitzender der Gemeinsamen Spurenkommission der rechtsmedizinischen und kriminaltechnischen Institute
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Livestream-Mitschnitt

Den Livestream-Mitschnitt können Sie hier auf dem YouTube-Kanal des SMC abspielen.

Audio-Mitschnitt und Transkript

Einen qualitativ hochwertigen Mitschnitt (.wav-Format) der Veranstaltung können Sie hier herunterladen.

Das Transkript des Press Briefings können Sie hier herunterladen.

Recherchequellen – Politische und sonstige Quellen

„Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung des Umfangs der Untersuchungen von DNA-fähigem Material“. Gesetzesantrag der Länder Baden-Württemberg und Bayern vom 03.02.2017. Bundesrat, Drucksache 117/17. URL: bit.ly/2nznFaR . Permanenter Link: www.bundesrat.de/bv.html

Wortmeldungen zum Gesetzesentwurf von Guido Wolf (Baden-Württemberg) und Prof. Dr. Winfried Bausback (Bayern). Bundesrat, 953. Sitzung, 10.02.2017, Stenografischer Bericht. URL: bit.ly/2nsfON0

Bundesminsterium für Justiz und Verbraucherschutz: Expertenanhörung zu DNA-Analyse in der Forensik am 21.03.2017. URL: bit.ly/2o4R5kD

Spurenkommission (2016): Stellungnahme „Möglichkeiten und Grenzen der DNA-gestützten Vorhersage äußerer Körpermerkmale, der biogeographischen Herkunft und des Alters unbekannter Personen anhand von Tatortspuren im Rahmen polizeilicher Ermittlungen“. Stand: 14.12.2016. URL: bit.ly/2nomX0J

Lipphardt V et al. (2016): Offener Brief zu DNA-Analysen in der Forensik. Stand: URL: 08.12.2016. bit.ly/2mFsjVl

Bundeskriminalamt (BKA): DNA-Treffer Statistik. URL: bit.ly/2iwIJyQ

Bundeskriminalamt (BKA): DNA-Analyse-Datei. URL: bit.ly/2io4oL8

Statistisches Bundesamt: Lange Reihe – Strafverfolgung für Deutschland – Verurteilte Deutsche und Ausländer nach Art der Straftat 2007 bis 2014. Stand: 29.04.2016 URL: bit.ly/2njoOXK

Recherchequellen – Fachliteratur (chronologisch)

Sense about Science & European Forensic Genetics Network of Excellence (2017): Making Sense of Forensic Genetics. What can DNA tell you about a crime? URL: bit.ly/2lWg21X


(Broschüre mit umfassendem Überblick, für interessierte Laien geschrieben; Anm. d. Red.)

Wienroth M et al. (2015-2017): Economic and Social Research Council Research Seminar series on genetics, technology, security and justice. Crossing, contesting and comparing boundaries. URL: bit.ly/2dawfKG


(Sechs wissenschaftliche Tagungen, veranstaltet von der Northumbria University Newcastle; zahlreiche Vortragsfolien verfügbar; Anm. d. Red.)

Isaac Newton Institute for Mathematical Sciences (2016): Probability and statistics in forensic science. URL: bit.ly/2novNf6


(Seminarreihe; zahlreiche Vortragsfolien und Audiomitschnitte verfügbar; Anm. d. Red.)

Eduardoff M et al. (2016): Inter-laboratory evaluation of the EUROFORGEN Global ancestry-informative SNP panel by massively parallel sequencing using the Ion PGM™. Forensic Sci Int Genet;23:178-89. DOI: 10.1016/j.fsigen.2016.04.008. URL: bit.ly/2mHPW14

Toom V et al. (2016): Approaching ethical, legal and social issues of emerging forensic DNA pheno-typing (FDP) technologies comprehensively: Reply to ‘Forensic DNA phenotyping: Predicting human appearance from crime scene material for investigative purposes’ by Manfred Kayser. Forensic Sci Int Genet;22:e1-4. DOI: 10.1016/j.fsigen.2016.01.010. URL: bit.ly/2mnaGYz

Kayser M (2015): Forensic DNA Phenotyping: Predicting human appearance from crime scene material for investigative purposes. Forensic Sci Int Genet;18:33-48. DOI: 10.1016/j.fsigen.2015.02.003. URL: bit.ly/2mmWwHH

Zieger M et al. (2015): About DNA databasing and investigative genetic analysis of externally visible characteristics: A public survey. Forensic Sci Int Genet;17:163-72. DOI: 10.1016/j.fsigen.2015.05.010. URL: bit.ly/2mEOifm

Walsh S et al. (2014): Developmental validation of the HIrisPlex system: DNA-based eye and hair colour prediction for forensic and anthropological usage. Forensic Science International: Genetics;9:150-161. DOI: 10.1016/j.fsigen.2013.12.006. URL: bit.ly/2lWAI9Y

Kloosterman A et al. (2014): Error rates in forensic DNA analysis: definition, numbers, impact and communication. Forensic Sci Int Genet;12:77-85. DOI: 10.1016/j.fsigen.2014.04.014. URL: bit.ly/2nozyRr

Wallace HM et al. (2014): Forensic DNA databases–Ethical and legal standards: A global review. Egyptian Journal of Forensic Sciences; DOI: 10.1016/j.ejfs.2014.04.002. URL: bit.ly/2n4pUq8

Williams R et al. (2014): Public perspectives on established and emerging forensic genetics technologies in Europe. EUROFORGEN-NoE. URL: bit.ly/2nzKQ4U

Roewer L (2013): DNA fingerprinting in forensics: past, present, future. Investig Genet. 2013 Nov 18;4(1):22. DOI: 10.1186/2041-2223-4-22. URL: bit.ly/2mmQ5Ex

Toom V (2012): Bodies of Science and Law: Forensic DNA Profiling, Biological Bodies, and Biopower. J Law Soc;39(1):150-66. URL: bit.ly/2n5aeCZ

M’charek A et al. (2012): Bracketing off population does not advance ethical reflection on EVCs: a reply to Kayser and Schneider. Forensic Sci Int Genet;6(1):e16-7; author reply e18-9. DOI: 10.1016/j.fsigen.2010.12.012. URL: bit.ly/2noFha5

Hindmarsh R & Prainsack B (Hg., 2010): Genetic Suspects. Global Governance of Forensic DNA Profiling and Databasing. Cambrigde University Press.

Prainsack B et al. (2009): DNA behind bars: other ways of knowing forensic DNA technologies. Soc Stud Sci.;39(1):51-79. DOI: 10.1177/0306312708097289. URL: bit.ly/2mVsQEW

M’charek A (2008): Silent witness, articulate collective: DNA evidence and the inference of visible traits. Bioethics;22(9):519-28. DOI: 10.1111/j.1467-8519.2008.00699.x. URL: bit.ly/2nzytpd