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13.09.2021

Die deutsche Impfkampagne stockt – Gründe, Lösungen, Perspektiven

Die Impfquote in Deutschland steigt nur noch langsam. Zwar sind laut offiziellen Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) mehr als 61 Prozent der Menschen vollständig gegen SARS-CoV-2 geimpft, dennoch mahnen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Experten mehr Tempo bei den Impfungen an. Im Juli hatte das RKI berechnet, dass sich eine vierte Welle womöglich verhindern lasse, wenn eine Impfquote bei den 18- bis 59-Jährigen von 85 Prozent erreicht werde. Dies sei nicht gelungen, sagte jüngst RKI-Chef Lothar Wieler. Ohne eine höhere Quote drohe die vierte Welle in den kommenden Monaten einen „fulminanten Verlauf“ zu nehmen. Die Inzidenzen stiegen bis zuletzt, wenngleich sich dieser Trend momentan nicht fortzusetzen scheint. Die Intensivstationen füllen sich derweil wieder – fast ausschließlich mit Ungeimpften.

Der Bund startet daher mit Unterstützung der Länder, Kommunen, dem Handel sowie Verbänden und Organisationen ab Montag eine bundesweite Aktionswoche. Unter dem Motto „HierWirdGeimpft“ sollen Bürgerinnen und Bürgern besonders einfache Impfmöglichkeiten angeboten werden. Doch was können derlei Maßnahmen tatsächlich noch bewirken oder gibt es bessere Möglichkeiten, Unentschlossene zu erreichen? Wie ist das bisherige zögerliche Impfverhalten mancher Bevölkerungsgruppen zu erklären? Wieso gibt es ein so starkes Ost-West-Gefälle? Wie viele Geimpfte tauchen in der amtlichen Statistik nicht auf und liegt die tatsächliche Impfquote deshalb womöglich eigentlich höher?

Diese und weitere Fragen beantworteten Fachleute in einem 50-minütigen virtuellen Press Briefing.

Fachleute im virtuellen Press Briefing

     

  • Prof. Dr. Cornelia Betsch
    Professorin für Gesundheitskommunikation, Universität Erfurt, und wissenschaftliche Leiterin des „COSMO – COVID-19 Snapshot Monitoring“
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  • Dr. Felix Rebitschek
    Wissenschaftlicher Leiter Harding Zentrum für Risikokompetenz, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Potsdam, und assoziierter Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Berlin
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  • Dr. Katrin Schmelz
    Psychologin und Verhaltensökonomin am Exzellenzcluster „Die Politik von Ungleichheit“, Universität Konstanz und am Thurgauer Wirtschaftsinstitut, Kreuzlingen, Schweiz
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Abschluss-Statements aus dem Press Briefing

Das SMC hat die Expertinnen und den Experten am Ende des Press Briefings um kurze Abschlussstatements gebeten zu der Frage, mit welchen Maßnahmen Verunsicherte noch erreicht werden können. Diese möchten wir Ihnen nachfolgend als Statements zur Verfügung stellen.

Prof. Dr. Cornelia Betsch

Professorin für Gesundheitskommunikation, Universität Erfurt, und wissenschaftliche Leiterin des „COSMO – COVID-19 Snapshot Monitoring“

„Worüber wir noch gar nicht gesprochen haben, ist der Bildungssektor. Die Uni fängt wieder an und es gibt ja auch einige Menschen in einer Ausbildung, viele junge Leute kommen jetzt also wieder zusammen. Ich glaube, das ist noch einmal eine große Chance, dass man dort konkrete Impf- und Informationsangebote macht. An den Unis könnte 3G dann auch zu einer Entscheidung führen. Die Schwangeren und die Frauen mit Kinderwunsch, auch die Familien mit Kindern, sind nochmal sehr wichtige Zielgruppen, die erreicht werden sollten. Und da wäre mein großer Wunsch, dies zu entpolitisieren und hier viel stärker wieder darauf zu setzen, dass das Impfen eine Gesundheitsentscheidung ist. Auch wenn ich für mich als werdende Mutter oder als Mutter von schulpflichtigen Kindern entscheide, mich nicht impfen zu lassen, dann ist das nicht nur für mich gefährlich, sondern ich gefährde auch mein Kind und die Klasse meiner Kinder und vielleicht die ganze Schule, weil das dann dort weitergetragen wird und gerade die Jüngeren sich noch nicht impfen lassen können. Also diesen Eigennutz- und Solidargedanken sollten wir nochmal stärker in den Fokus bringen, das wäre wichtig.“

Dr. Felix Rebitschek

Wissenschaftlicher Leiter Harding Zentrum für Risikokompetenz, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Potsdam, und assoziierter Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Berlin

„Wenn wir jetzt an dem Punkt sind, dass wir wirklich noch einmal Leute aufsuchen können, dann würde ich das bei den Organisationen versuchen: Arbeitgeberverbände, Vereine, Gewerkschaften. Ihnen sollten wir Informationsmaterialien an die Hand geben, diese also in die Betriebe, in die Vereine geben. Aber wir sollten auch versuchen, zu eruieren, was die Reaktion ist, die da eintritt. Um auch verstehen zu können, wo man dann vielleicht Hilfestellung leisten kann. Also bei welchen Organisationen ist es erforderlich zu sagen, vielleicht machen wir jetzt nicht nur einfach betriebliche Gesundheitsförderung im Sinne von ‚Wie sitze ich an meinem Arbeitsplatz?‘, sondern tatsächlich auch zu sagen: ‚Was gibt es denn jetzt wirklich gerade über den Stand der Dinge zu sagen?‘ Wir haben hier jemanden hergeholt, der hat sich mit den Sachen beschäftigt, mit der Pandemie und kann Ihnen auch zur Impfung und zur Krankheit etwas sagen – und ist auch bereit, mit Ihnen über Ihre Überzeugungen zu sprechen.“  

„Und der zweite Teil, wenn Sie mich nach den Maßnahmen fragen, wäre der, dass ich sagen will, wir haben jetzt öffentlichkeitswirksame Plakatierung mit Menschen mit hochgekrempelten Hemdärmeln gesehen, die Aufmerksamkeit geschaffen hat bei Leuten, die nur informiert sein müssen, dass es das gibt und wo es das vielleicht gibt, die aber im Grunde bereit waren. Das ist schon ein sehr großes Investment, um diejenigen zu erreichen, die es eigentlich sowieso machen würden. Das heißt, man könnte eigentlich jetzt darüber nachdenken, ob man ein Format findet, bei dem man tatsächlich nur die Schlüsselinformationen bereitstellt. Also die Wirksamkeitsinformationen auf Plakaten in verschiedenen Sprachen.“

Dr. Katrin Schmelz

Psychologin und Verhaltensökonomin am Exzellenzcluster „Die Politik von Ungleichheit“, Universität Konstanz und am Thurgauer Wirtschaftsinstitut, Kreuzlingen, Schweiz

„Mir wäre es wichtig, positiv über die Impfbereitschaft zu berichten. Weil das genau das ist, was nachgeahmt werden soll. Diese 62 Prozent Impfquote, die ständig berichtet wird, sendet einfach ein falsches Signal an diejenigen, die sich unsicher sind und daran orientieren, was die meisten anderen machen. Wir sehen in unseren Datensätzen viel Potenzial in der Überzeugungsarbeit, in Längsschnittstudien sehen wir, dass der harte Kern der Impfgegner unter fünf Prozent liegt. Das heißt, bei den Ungeimpften ist einfach noch viel Raum und diese fünf Prozent sind diejenigen, die in jeder Befragungswelle immer dagegen waren. Und alle anderen, die mal dagegen waren, sind irgendwann für das Impfen und lassen sich dann auch impfen. Die Gruppe der Impfgegner ist also nur ein ganz geringer Teil. Und die anderen sind eigentlich auch offen für Überzeugung.“ 

Video-Mitschnitt & Transkript


Ein Transkript finden Sie hier.