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10.07.2019

Kann ein CO2-Preis unser Klima retten?

Um die Klimakatastrophe einzudämmen, haben sich die Nationen darauf geeinigt, ihren Kohlendioxid-Ausstoß zu reduzieren. Die EU hat dafür Zusagen ihrer Mitgliedsländer für 2020 eingesammelt. Deutschland wird jedoch als eins von fünf Ländern diese Zusagen verfehlen. Doch jetzt scheint Berlin – befeuert durch die Proteste der Fridays for Future Bewegung – endlich aufzubrechen. Die Einführung eines Preises für Kohlendioxid wird breit diskutiert, bis zum Herbst soll die Entscheidung fallen: Emissionshandel oder Steuern? Andere Treibhausgase wie Methan stehen dabei nicht zur Diskussion.

Dieses Fact Sheet stellt zunächst die Rahmenbedingungen vor: Zu welcher CO2-Reduktion hat sich Berlin verpflichtet? Es erklärt dann die Vor- und Nachteile von Emissionshandel oder Steuern, fragt nach dem Preis, was mit den Einnahmen geschehen soll und ob ein moderater Kohlendioxid-Preis überhaupt ausreicht, um die Verpflichtungen gegenüber der EU bis 2030 einzuhalten – oder gar den Auftakt bildet, die globale Klimakatastrophe abzuwenden.

Sie können das Fact Sheet hier als pdf herunterladen.
 

Übersicht

     

  • Die Ausgangslage
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  • Welche Vorteile hätte ein Emissionshandel?
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  • Welche Vorteile hätte eine CO2-Steuer?
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  • Wie teuer sollte Kohlendioxid werden?
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  • Was sollte mit dem Geld aus dem Kohlendioxid-Preis passieren?
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  • Reicht eine Kohlendioxid-Steuer für die Klimawende?
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  • Fazit
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  • Literaturstellen, die zitiert wurden
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Die Ausgangslage

     

  • Die Debatte um den CO2-Preis kommt nicht überraschend. Klimaforscher und Wirtschaftswissenschaftler fordern ihn schon seit vielen Jahren, denn er könnte Menschen und Marktteilnehmer dazu bewegen, weniger Kohlendioxid zu erzeugen [1], [2], vergleiche dazu [3]. Deutschland hat derzeit außerhalb des Emissionshandels keinen auf CO2 zielenden Preismechanismus, um die Menschen zu einem die Atmosphäre schonenden Verhalten zu bewegen: Die Energiesteuern bevorzugen fossile Brennstoffe vor Strom, die Ökosteuer wurde 2003 eingefroren, der europäische Emissionshandel hat bislang kaum Wirkung gezeigt [4, S. 37]. Trotzdem hat die Politik nicht nur versprochen, den Kohlendioxidausstoß zu senken, sondern ist auch rechtlich verbindliche Verpflichtungen eingegangen.
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  • Strom wird in Deutschland mit 18,7 Cent je Kilowattstunde zweieinhalbmal höher mit Abgaben belegt (Steuer, Abgaben und Entgelte) als Benzin (7,3 ct/kWh), knapp viermal höher als Diesel (4,7 ct/kWh), achteinhalb mal höher als Erdgas (2,2 ct/kWh) und über 30 mal höher als Heizöl (0,6 ct/kWh) [5, S. 13], vergleiche [4, S. 37].
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  • Ferner wurden die Öko- und Energiesteuern faktisch seit 15 Jahren nicht mehr geändert, [5, S. 3].
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  • Dazu kommt, dass der Marktpreis für fossile Brennstoffe im Vergleich zur Inflation seit 2012 gefallen ist. Sie kosten heute so viel wie 2008. Strom dagegen ist in den vergangenen 10 Jahren um 50 Prozent teurer geworden [5, S. 14].
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  • Das bedeutet:
    • Elektromobilität lohnt sich in Deutschland kaum. Elektroautos sind zwar deutlich effizienter und brauchen für die gleiche Strecke weniger Energie, die Treibstoffkosten sind jedoch aufgrund der Steuern ungefähr gleich hoch.
    • Wärmepumpen können weniger CO2 freisetzen als Gas- oder Öl-Heizungen, wenn sie mit regenerativ erzeugtem Strom betrieben werden. Sie lohnen sich jedoch kaum, weil die Steuern für Gas- und Öl so niedrig liegen.
    • Ölheizungen werden immer noch installiert, obwohl ihr CO2-Ausstoß deutlich höher liegt als der von Gasheizungen, da die Steuern auf Heizöl noch viel niedriger liegen als auf Gas.
    • Synthetische Kraftstoffe als klimaschützender Ersatz für LKW-Diesel oder Kerosin für Flugzeuge in Deutschland zu erzeugen, ist derzeit noch viel zu teuer – nicht nur, weil die Technik noch viel weiter entwickelt werden muss, sondern auch, weil synthetische Treibstoffe mit viel Strom hergestellt werden müssten – und Strom in Deutschland hoch besteuert wird [5, S. 13], vergleiche [7, S. 202, Abs. 469].
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  • In keinem anderen Europäischen Land gibt es eine vergleichbare Preis-Differenz zwischen fossilen Brennstoffen und Strom. Diesel ist im Europäischen Vergleich bereits heute so günstig, dass Autofahrer aus Elsass-Lothringen zum Tanken über den Rhein oder ins Saarland fahren [5, S. 17]
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  • Dem stehen die Klimaschutz-Zusagen Deutschlands gegenüber:
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  • Freiwillig hat Deutschland zugesagt, seinen gesamten CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent bezogen auf das Jahr 1990 zu senken. Es erreicht jedoch nur rund 32 Prozent. Da es sich um eine freiwillige Verpflichtung handelt, bleibt das ohne Folgen [8, S. 11].
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  • 2016 hat das Bundeskabinett einen Klimaschutzplan 2050 beschlossen, in dem zusätzlich die Klimaziele von Paris aufgenommen sind. In diesem setzt sich die Regierung das Ziel, 2030 den CO2-Ausstoß um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken und bis 2050 um 80 bis 95 Prozent. Der Plan umfasst auch Ziele für einzelne Sektoren wie Verkehr, Landwirtschaft oder Gebäude bis 2030. Der Plan soll Ende 2019/Anfang 2020 das erste Mal routinemäßig überarbeitet werden [9]. Auch der ist rechtlich jedoch nicht verpflichtend [8, S. 11].
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  • Der aktuell diskutierte Entwurf für ein Klimaschutzgesetz von Umweltministerin Svenja Schulze sieht ebenfalls konkrete CO2-Einsparungen pro Sektor und Jahr bis 2030 vor.
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  • Die Emissionen aus größeren Anlagen der Stromerzeugung und der Industrie (mehr als 20 MWth) werden in Europa durch den Emissionshandel erfasst (auch ETS, Emissions Trading System. Wie der funktioniert, erklärt das nächste Kapitel). Hierfür sind die EU und die Mitgliedsstaaten zuständig.
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  • Die Emissionen von Gewerbe, Landwirtschaft, Gebäuden und Verkehr wurden in der EU durch die EU-Effort-Sharing-Entscheidung mit verbindlichen Zusagen der EU-Staaten erfasst und müssen gesenkt werden:
    • Deutschland hat sich bindend verpflichtet, bis 2020 seine Emissionen aus Verkehr, Landwirtschaft und Gebäuden um 14 Prozent unter das Niveau von 2005 zu senken, von 478 Millionen Tonnen CO2 auf 411 Millionen Tonnen [8, S. 12]. Seit 2013 gilt dabei für jedes Jahr ein Emissionsbudget, das eingehalten werden muss.
    • Tatsächlich hat Deutschland seine Zusagen 2016 und 2017 nicht eingehalten; die nicht vom Emissionshandel erfassten Emissionen lagen 2017 bei 465 Millionen Tonnen. Das sind nicht einmal drei Prozent weniger als 2005. Das Problem sind dabei Verkehr und Landwirtschaft:
    • Der Verkehr emittierte 2017 169 Millionen Tonnen CO2, das waren rund sieben Prozent mehr als 2005,
    • Landwirtschaft emittierte rund 72 Millionen Tonnen CO2, das waren rund 4 Prozent mehr als 2005,
    • Gebäude dagegen emittierten rund 129 Millionen Tonnen CO2, das waren rund 16 Prozent weniger als 2005 [8, S. 2 Abb. 1, S. 34].
    • Fallen beziehungsweise steigen die Emissionen auch 2019 wie in den Jahren zuvor, werden 2020 Deutschlands CO2-Emission nur um rund drei Prozent unter dem Niveau von 2005 liegen. Das wären rund 93 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente mehr als verbindlich zugesagt [8, S. 8].
    • Nur Irland, Malta, Belgien und Österreich verfehlen ebenfalls ihre Verpflichtungen. Fast alle anderen EU-Staaten haben ihren CO2-Ausstoß dagegen stärker gesenkt als zugesagt.
    • Ähnlich wie beim Emissionshandel können die Europäischen Nationen jedoch ihre Berechtigungen für den CO2-Ausstoß von Verkehr, Gebäuden und Landwirtschaft verkaufen, wenn sie mehr CO2 eingespart haben als geplant.
    • Deutschland kann daher von diesen Ländern zum Abrechnungsende 2020 Emissionsrechte übernehmen, muss dafür aber nach Ansicht einiger Experten unter Umständen bis zu zwei Milliarden Euro zahlen [7, S. 84f.], [8, S. 8].
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  • Für 2030 haben die EU-Staaten ihre Ziele verschärft. Im Rahmen der in Deutschland sogenannten EU-Climate-Action-Verordnung hat sich Deutschland verpflichtet, seine Klimagas-Emissionen aus Verkehr, Landwirtschaft und Gebäuden um 38 Prozent unter das Niveau von 2005 zu senken. Die Folgen:
    • Ab 2021 werden die Verpflichtungen aller EU Staaten deutlich anziehen. Deutschland muss dann, soweit derzeit absehbar ist, rund 15,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen, um das zugesagte Ziel für 2030 zu erreichen.
    • Weil die Verpflichtung aller EU-Staaten deutlich anzieht, dürfte der Preis für das Zukaufen von Emissionsberechtigungen teurer werden.
    • Verfolgte Deutschland die gleichen Klimaschutzanstrengungen wie in den vergangenen Jahren, könnte es diese Ziele nicht erreichen [8, S. 18].
    • Auch ein Anrechnen von CO2-Senkungen aus dem Bereich des Emissionshandels ist rechtlich nicht möglich, ebenso wenig andere Ausweichhandlungen [8, S. 21-23].
    • Nach Berechnungen der Agora könnte der Zukauf von Emissionsberechtigungen den Deutschen Steuerzahler bis Ende 2030 bis zu 64 Milliarden Euro kosten [8, S. 9].
    • Schafft Deutschland es nicht, seine Emissionen zu senken oder zusätzlichen Rechte zu kaufen, muss es im Folgejahr seine Emissionen schärfer senken. Verfehlt es auch das, droht letztlich ein EU-Vertragsverletzungsverfahren [8, S. 25].
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  • Die im Entwurf des Klimaschutzgesetzes vorgesehenen Jahresmengen für einzelne Sektoren (Anlage 2) sinken etwas mehr als durch die EU vorgegeben. So müssen Gewerbe und Gebäude jedes Jahr zwischen vier und fünf Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einsparen, die Landwirtschaft und Abfallwirtschaft je eine Millionen Tonnen, Verkehr zwischen vier und sechs Millionen Tonnen. Allerdings ist das Gesetz noch nicht beschlossen, und die Verantwortung für das Einhalten der Ziele obliegt den einzelnen Ressorts.
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Welche Vorteile hätte ein Emissionshandel?

     

  • Das Konzept, durch einen Preis ein individuell kurzfristig gewinnbringendes, aber langfristig verheerendes gesamtgesellschaftliches Verhalten von Industrie, Handel, Gewerbe, Banken oder Bürgerinnen und Bürger zu ändern, hat der britische Wirtschaftswissenschaftler Arthur Cecil Pigou bereits 1920 zum ersten Mal beschrieben. Das Konzept geht dabei davon aus, dass der Gesellschaft durch Handeln Kosten entstehen, die nicht durch den Preis des Handelns gedeckt sind, sondern von künftigen Generationen getragen werden. Die „externen“ Kosten würden durch die Steuer auf das Handeln „internalisiert“.
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  • Einige Wissenschaftler empfehlen der Politik dafür, zur Senkung der Deutschen CO2-Emissionen einen Emissionshandel einzuführen [6]. Das Prinzip, grob gesagt: Die Teilnehmer brauchen eine Erlaubnis zum Nutzen der Atmosphäre als Kohlendioxid-Deponie. Der Staat erlaubt eine Emissionsmenge, die aber jedes Jahr sinkt. Die Erlaubnis müssen sich die Teilnehmer als Zertifikate an der Börse kaufen. Weil das „Gut“ Verschmutzungsrechte mit der Zeit knapper wird, wird es stetig teurer, so die Theorie, und es lohnt sich für Unternehmen in Erwartung der langfristigen Preissignale für Verschmutzer, in CO2-arme oder -freie Techniken zu investieren. Dabei reagieren zuerst die Sektoren, in denen es am billigsten ist, CO2-freie Techniken einzusetzen; ein funktionierender Emissionshandel sorgt daher für einen besonders günstigen Klimaschutz [10, S. 135].
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  • Die Politik hätte dabei drei Möglichkeiten:
    • Sie könnte einen rein nationalen Emissionshandel aufsetzen,
    • den europäischen Emissionshandel um die Bereiche Landwirtschaft, Verkehr und Gebäuden erweitern
    • oder die Deutschen Emissionen einseitig in diesen Bereichen im europäischen Emissionshandel handeln lassen [11, S. 16].
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  • Nur die dritte Option ließe sich schnell verwirklichen, die Organisation der beiden anderen würde sich bis Mitte der zwanziger Jahre hinziehen [11, S. 16].
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  • Wobei nicht der Endkunde, sondern die Treibstoffhändler die Emissionsrechte kaufen müssten.
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  • Das würde bedeuten:
    • Im Europäischen Emissionshandel bieten dann Öl- und Gashändler gegen Kraftwerksbetreiber, Fluglinien im EU-Binnenverkehr und die energieintensiven Großindustrien wie Aluminiumhütten, Stahl- oder Zementwerke auf Emissionszertifikate.
    • Bis 2030 sollen die Kohlendioxid-Emissionen im ETS-Bereich gegenüber 2005 um 43 Prozent sinken.
    • Die Einnahmen des Emissionshandels fließen in einen Innovations- und einen Modernisierungsfonds. Damit wird die Einführung CO2-armer Industrieprozesse gefördert, die Erzeugung und Speicherung von Erneuerbarem Strom, sowie der Umbau der Stromerzeugung Osteuropas [12, S. 16], [13 S. 38].
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  • Die Vorteile:
    • Die erlaubte Kohlendioxidmenge wäre eindeutig regelbar [vergleiche Fischedick, 6].
    • CO2 würde dort eingespart, wo es am günstigsten ist [Schmidt, Pehnt, 6].
    • Neben dem am Markt gebildeten Preis kann es sinnvoll sein, zum Bespiel den Aufbau von Infrastrukturen zu fördern. Viele haben das jedoch nicht betont [10, S. 135], [1, S. 152].
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  • Der EU-Emissionshandel hat bisher gezeigt, dass in der Wirklichkeit große Schwierigkeiten auftreten können. So lag bisher der Preis zum Beispiel sehr niedrig [10, S. 136]. Die Gründe:
    • Die Nationen hatten reichlich Zertifikate zum Teil frei ausgegeben.
    • Die Wirtschaft schrumpfte im Jahr 2009 aufgrund der globalen Finanzkrise; damit sanken EU-weit die CO2-Emissionen, die nicht mehr benötigten Zertifikate verblieben aber im System.
    • Aus Russland, der Ukraine und China wurden im Rahmen eines innerstaatlichen Emissionshandels zwischen 2009 und 2013 Emissionsrechte in Europa gehandelt, die auf angeblich in diesen Ländern erfolgten Emissionsreduktionen basieren sollten. Dem war jedoch nicht so.
    • Der nationale CO2 Mindestpreis im UK sorgte für eine zügige Umstellung der Kohleverstromung auf Gas.
    • Die Europaweite CO2 Menge hätte an das Wirtschaftswachstum oder die Erfolge nationaler Klimaschutzpolitik angepasst werden können.
    • Das führte zu einem Überangebot von Zertifikaten. Der Preis pro Tonne fiel zwischenzeitlich auf unter 5 Euro pro Tonne CO2 [12, S. 11], vergleiche [10, S. 136].
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  • Erst 2018 wurde der Emissionshandel reformiert. Seitdem stieg der Handelspreis auf 20 bis 25 EUR [12, S. 29f.], vergleiche [14, S. 9].
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  • Ob diese Entwicklung anhält, oder die Umstellung von Strom- und Wärmeerzeugung auf Gas sowie der beschleunigte Ausbau von Erneuerbaren die Preise wieder sinken lassen könnte, wenn die CO2-Emissionen schneller sinken als geplant, scheint derzeit offen [12, S. 3, 29f.].
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  • Zwei große Nachteile wären:
    • Die Schwankungen wären für den Endkunden wie Bauern, Logistiker, Handel und Gewerbe nur schwer abschätzbar. Sie könnten daher irrtümlich sogar in klimaschädliche Technik investieren, wenn aufgrund von gefallenen Zertifikatspreisen vorübergehend billiger erscheint [Pehnt 6].
    • Ein Ausweg wäre ein nationaler Mindestpreis für den Emissionshandel nach britischem Vorbild [14, S. 9,], [10, S. 140] (siehe auch nächstes Kapitel).
    • Versucht Deutschland, seinen Wärme- und Verkehrssektor in den Europäischen Emissionshandel zu überführen, würden die begrenzte Zahl von Zertifikaten plötzlich unter mehr Interessenten versteigert werden. Es ist zu erwarten, dass andere EU-Länder wegen der eintretenden Verteuerung klagen. Das würde zur Unsicherheit unter den Marktteilnehmern und unklaren Preissignalen führen [11, S. 16], vergleiche [Kemfert, 6], [Pehnt, 6].
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Welche Vorteile hätte eine CO2-Steuer?

     

  • Arthur Cecil Pigou selbst kannte jedoch noch gar keinen Emissionshandel, zu seiner Zeit sahen Wissenschaftler die einzige Möglichkeit einer Internalisierung externer Kosten in einer Steuer. Die funktioniert auch heute noch, und daher schlagen andere Wissenschaftler eine CO2-Steuer vor oder Abgabe: Der Begriff Steuer ist seit einigen Jahren zu einem Unwort geworden. Eine nationale CO2-Steuer ließe sich auf zwei Wegen einführen: Politiker könnten eine CO2-Abgabe neu einführen oder die bestehenden Energiesteuern am Kohlendioxid-Ausstoß neu ausrichten [5, S. 20], vergleiche [7, S. 205, Abs. 478].
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  • Bei einer neuen CO2-Steuer oder Abgabe wird zum Beispiel auf Brennstoffe zusätzlich zu den bestehenden Steuern ein neuer Aufschlag festgesetzt. Der Aufschlag kann für alle gleich sein oder gestaffelt nach dem CO2-Gehalt der Energieträger beziehungsweise dem Ausstoß der Sektoren.
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  • Zwei Vorteile wären:
    • Der Preis ist festgeschrieben, eine Steigerung ist für Endkunden, Landwirte, Gewerbe und Handel vorhersehbar. Sie können daher auf die absehbaren Preissteigerungen reagieren und in alternative Techniken investieren.
    • Eine CO2-Abgabe kann als CO2-Mindestpreis auch auf den Emissionshandel ausgedehnt werden, sowohl national wie auch in Abstimmung mit Frankreich oder den Niederlanden, die ebenfalls einen Mindestpreis planen. Dort kann damit zum Beispiel ein schnellerer Kohleausstieg nach britischem Vorbild erreicht werden [5, S. 23f.], vergleiche ähnlich [14, S. 4, 6f.], [7, S. 216, Abs. 499].
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  • Der Nachteil im Vergleich zum Emissionshandel: Wie sehr oder ob der Kohlendioxidausstoß überhaupt sinkt, lässt sich für den Gesetzgeber nicht vorhersagen.
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  • Bei einer CO2-orientierten, großen Reform der bestehenden Energiesteuern könnte ein CO2-Aufschlag auf die bestehende Steuer eingeführt werden. Dieser Aufschlag könnte sich an einem Preis pro Tonne Kohlendioxid richten, der umgerechnet würde, zum Beispiel auf einen Liter Benzin oder eine Kilowattstunde Gas. 10 Euro pro Tonne CO2 würden zum Beispiel einen Liter Benzin um rund 2,6 Cent pro Liter verteuern, Diesel um rund 3,0 Cent, weil in Diesel mehr Kohlenstoff enthalten ist und beim Verbrennen mehr CO2 pro Liter entstehen [7, S. 208].
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  • Die Vorteile wären:
    • Durch eine Reform der Energiesteuern würden die Anreize für die Investition in Wärmepumpen und Elektroautos verbessert (siehe oben).
    • Der Preis wäre wie bei einer CO2-Steuer festgeschrieben und für alle Markteilnehmer vorhersehbar. Sie könnten sich individuell nach dem Preis richten.
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  • Die Nachteile wären:
    • Eine große Energiesteuerreform zu entwickeln und umzusetzen, dauert unter Umständen länger, als einen CO2-Aufschlag einzuführen.
    • Wie bei der CO2-Steuer wäre nicht direkt steuerbar, wie sehr die CO2-Emission sinkt.
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Wie teuer sollte Kohlendioxid werden?

     

  • Beide Ansätze verfolgen das Ziel, durch einen Preis für Kohlendioxid die Verwendung von fossilen Brennstoffen teurer und damit unattraktiver zu machen. Dass das beim Emissionshandel funktioniert, konnten Wissenschaftler für einzelne Unternehmen nachweisen [15], dass die Steuer funktioniert, zeigt zum Beispiel die Einführung der Abgabe auf Alcopops 2004. Das Ziel ist letztlich, das schädliche Verhalten auf null zu reduzieren. Die Frage ist: Wie hoch muss dafür der Preis für eine Tonne CO2 sein?
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  • Den Auswertungen von Studien durch den IPCC ergab, dass die Preise für CO2-Emissionen in unterschiedlichen Sektoren jetzt eingeführt werden und in den kommenden Jahrzehnten steigen müssen. Konzentriert sich die Politik auf einen Preis für CO2 als Klimaschutzpolitik, sollten die Preise bis 2030 auf Werte zwischen 135 und (schwer verständliche) 6050 Dollar pro Tonne CO2-Äquivalent steigen. Damit ließe sich das 1,5 Grad Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 bis 66 Prozent erreichen [1, S. 152].
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  • Würde die Klimaschutzpolitik flankiert durch weitere Maßnahmen wie etwa ein Verbot für neue Kohlekraftwerke (andere Ideen siehe unten), könnte der CO2-Preis nach den vom IPCC ausgewerteten Studien deutlich niedriger liegen [1, S. 153].
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  • The Carbon Pricing Corridor Initiative hat CO2-Preise für die chemische Industrie und die Stromerzeuger errechnet. Demnach müssten weltweit bis 2020 für die Chemie Preise zwischen 30 und 50 US-Dollar pro Tonne CO2 eingeführt werden, die bis 2030 auf 50 bis 100 US-Dollar steigen. Für Kraftwerksbetreiber müssen die Tonne Kohlendioxid 2020 24 bis 35 US-Dollar kosten, 2030 38 bis 100 US-Dollar [13, S. 23].
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  • Die so genannte Stieglitz-Stern Kommission schätzt, weltweit müsse der Preis für eine Tonne CO2 2020 bei 40-80 US-Dollar liegen, und bis 2030 auf 50 bis 100 USD steigen, um auch nur das 2 Grad Ziel zu erreichen [14, S. 3].
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  • Für das 1,5-Grad-Ziel müsste der CO2 Preis 2030 auf 150 bis 400 US-Dollar steigen.
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  • Es scheint jedoch fraglich, ob ein solcher Preis jemals umsetzbar sein wird [14, S. 4].
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  • Unterschiedliche Sektoren reagieren bei unterschiedlichen CO2-Preisen. Erneuerbare Energien oder Gas als Alternative zu Kohle zum Beispiel sind so günstig, dass ein CO2-Preis von 30 bis 45 Euro pro Tonne einen Wechsel sinnvoll machen kann.
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  • Besonders hoch müsste der Preis für PKW, LKW oder Flugzeuge sein, weil es derzeit keine Alternativen gibt, die mit dem Energiegehalt und dem Preis von Diesel und Kerosin mithalten könnten.
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  • Über die Frage, ob sektorenbezogene CO2-Abgaben sinnvoller sind als ein einheitlicher Preis für alle Sektoren, gibt es unterschiedliche Ansätze.
    • Nach Ansicht der Agora kann es sinnvoll sein, bei einer Energiesteuerreform die Sätze für Gebäude, Landwirtschaft oder Verkehr jedes Jahr sektorbezogen anzupassen, wenn die Sektoren ihr Klimaziel verfehlen. Das kann dann auf Dauer zu unterschiedlichen CO2-Steuersätzen für Strom, Benzin, Diesel oder Heizöl führen, weil damit die unterschiedlichen Preisniveaus für Alternativen implizit berücksichtigt werden und somit jeder Sektor gezielt einen Preis erhält, der einen Umstieg auf CO2-arme oder frei Technik sinnvoll macht [5, S. 33-38].
    • Nach Überzeugung anderer Experten ist es sinnvoller, über die Sektoren hinweg ein Klimaziel zu formulieren und dieses mit einem über die Sektoren hinweg einheitlichen CO2-Preis anzupeilen, weil dies die kosteneffizienteste Methode sei, um die Emissionen zu senken [14, S. 5], vergleiche [7, S. 204, Abs. 475].
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  • Die CO2-Preise, die von Experten als Einstieg für einen CO2-Preis in Deutschland genannt werden, liegen zwischen 40 und 60 Euro pro Tonne Kohlendioxid [7, S. 205, Abs. 480], vergleiche [5, S. 28].
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  • Werden diese Preise als Mindestpreis auf den Emissionshandel ausgedehnt, würden sie für ein stabiles Preisniveau sorgen [5, S. 23] und bei einem Preis von 20 bis 40 Euro pro Tonne den Kohleausstieg beschleunigen [5, S. 24], vergleiche [14, S. 4ff], [13, S. 23]. Für Handel, Gewerbe und Industrie hätten sie eine Signalwirkung bei langfristigen Investitionen. Eine unmittelbare Veränderung des Verbraucherverhalten würden sie allein wahrscheinlich noch nicht auslösen (siehe unten).
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  • Der CO2-Aufschlag müsste in regelmäßigen Abständen überprüft werden. Liegt er zu niedrig, müsste er erhöht werden [11, S. 4], [7, S. 199].
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  • Letztlich ist die Frage, welcher Einstiegspreis für Kohlendioxid erhoben werden soll, die Frage, welche Zumutung Politiker wagen können – und was sie noch planen, um den CO2-Ausstoß schnell und weltweit einzudämmen.
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Was sollte mit dem Geld aus dem Kohlendioxid-Preis passieren?

     

  • Der Sinn einer Pigou-Steuer ist letztlich, das Verhalten der Menschen zu ändern. Eine für den Planeten und die künftigen Generationen sinnvolle CO2-Steuer wäre allerdings ein sehr großer Eingriff in die Gewohnheiten der westlichen Welt. Letztlich soll sie Autofahren, Heizen mit Gas oder Öl, Fliegen oder indirekt auch den Online-Handel teurer machen (weil Pakete mit Diesel-Transportern und Flugzeugen transportiert werden). Die Gelbwesten-Proteste in Frankreich zeigen, wie wichtig es ist, Bürgerinnen und Bürger auf diesem Weg mitzunehmen, und wie wichtig Gegenseitigkeit und das Vertrauen der Menschen darin ist, dass es wirklich um das Ziel Klimaschutz geht, vergleiche hierzu [16, S. 33] sowie [17]. Viele Wissenschaftler betonen daher immer wieder, wie wichtig Kommunikation, Transparenz und eine eindeutige und erkennbare Verwendung der Einnahmen sind.
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  • Die Einnahmen sollten daher nicht in den allgemeinen Haushalt des Bundes fließen. Dann wären sie eine bloße Steuererhöhung. Dagegen hatten sich die Bürger in Frankreich gewendet, nicht gegen den Klimaschutz [17, S. 1], [13 S. 38f], [4, S. 38].
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  • Es gibt verschiedene Berechnungen, wie hoch die jährliche Belastung von Bürgern durch CO2-Preise wäre. Das hängt von vielen Faktoren wie zum Beispiel gefahrene Kilometer, Wohnort, Zahl der Familienmitglieder und Höhe der CO2-Steuer ab [7, S. 202ff., detaillierte Aufschlüsselungen S. 210f. Tab 39, Tab. 40], vergleiche [5, S. 27ff.].
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  • Die Einnahmen einer CO2-Abgabe sollten also von Anfang an den Bürgern an anderer Stelle als Erleichterung wieder zurückgegeben werden.
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  • Viele Experten schlagen vor, zumindest einen Teil der Einnahmen zu verwenden, um den Strompreis zu senken. Entweder durch eine Verringerung der Stromsteuer oder eine steuerfinanzierte EEG-Umlage. Das hätte zwei Vorteile:
    • Eine Senkung des Strompreises käme vor allem den sozial Schwachen zugute, da sie anteilsmäßig mehr für Energie zahlen,
    • der Einsatz von Stromspeichern, Elektroautos und synthetischen Ersatztreibstoffen von Diesel würde billiger [7, S. 216, Abs. 498], [11, S.17], [14, S. 16], vergleiche [Fischedick, Schmidt, Kemfert, 6].
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  • Zweiter Vorschlag ist, den Bürgern tatsächlich Geld zurück zu überweisen [zum Beispiel 5, S. 30].
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  • Insgesamt ergibt sich in allen Vorschlägen für sehr viele Bürger tatsächlich sogar eine Entlastung.
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  • Allerdings sollte die Entlastung durch die CO2-Steuer möglichst sichtbar erfolgen, damit die Bürgerinnen und Bürger stets wissen, was mit dem Geld passiert und keine falschen Vorstellungen und damit Widerstände entstehen [7, S. 216, Abs. 500].
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  • Die meisten Menschen wissen heute nicht genau, wie hoch ihr Strompreis pro Kilowattstunde ist. Daher schlagen einige Experten vor, das Geld in Form eines Schecks direkt an die Bürger zurückzugeben. [5, S. 29], vergleiche [Schmidt, 6]
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  • Um die Industrie mit ins Boot zu holen, ist es in den Augen der Experten wichtig, die derzeit bestehenden und rechtlich abgesicherten Vergünstigungen in das neue System herüberzuholen, wie zum Beispiel reduzierte Steuersätze oder eine Beihilfe für einen CO2-Preis nach britischem Vorbild [5, S. 21], vergleiche [7, S. 199]. Es [14, S. 17] ist es auch denkbar, im Rahmen eines Emissionshandels Unternehmen kostenlose Zertifikate auszugeben, um diese daran zu hindern, mit ihren CO2 Emissionen ins Ausland abzuwandern. Allerdings stellt sich die Frage, inwiefern das Vorgehen Anreize für eine Senkung des CO2-Ausstoßes bietet, vergleiche [18, S. 93].
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  • Handel und Gewerbe wäre es wichtig, eine kalkulierbare Entlastung zu erhalten, zum Beispiel in Form einer Stromsteuersenkung.
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  • Wichtig ist dabei jedoch auch, dass durch die Kompensation kein Anreiz geschaffen wird, der den gewünschten Effekt wieder zunichte macht [19, S. 8].
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  • Will die Politik zur CO2-Senkung eine große Energiesteuerreform anstreben, sollte sie in Phasen schrittweise erfolgen. Denn die Erkenntnisse der Verhaltensforschung zeigen, dass Menschen den Status Quo gegenüber Neuem grundsätzlich bevorzugen. Widerstände gegen die Reform können kleiner sein, wenn die Bürger Zeit haben, sich an das neue System zu gewöhnen. Insgesamt sollte der Übergangs-Prozess aber nicht länger als fünf Jahre dauern, weil Menschen einen erst weit in der Zukunft liegenden Nutzen gegenüber der Gegenwart geringschätzen [7, S. 214, 216, Abs. 501].
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  • Bei der Umsetzung ist es wichtig, dass politische Maßnahmen gut und konsistent sind, und dann überzeugend kommuniziert werden. Eine schlechte Politik sollte zum Beispiel nicht schöngeredet werden [7, S. 217, Abs. 503].
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  • Sogar die Bezeichnung als Reform sollte gut überlegt sein. Es kann sinnvoll sein, zum Beispiel auf die Gewinner der Reform abzuheben (zum Bespiel Klima-Soli [Pehnt, 6]) als auf die CO2-Einsparung [7, S. 217f.].
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Reicht eine Kohlendioxid-Steuer für die Klimawende?

     

  • Eine zentrale Frage bei einer Pigou-Steuer wie bei einem Emissionshandel ist immer auch: Haben die Betroffenen überhaupt die Möglichkeit, ihr Verhalten zu ändern – oder muss der Staat die gewünschte Verhaltensänderung durch zusätzliche Programme unterstützen? Und schließlich ist die Frage wichtig: Können die Betroffenen der gewünschten Verhaltensänderung ausweichen – zum Beispiel, indem sie als Industrie im Ausland produzieren lassen oder als Verbraucher im Ausland zum Beispiel tanken.
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  • Als Antwort liegt nahe, dass ein CO2-Preis zwar ein Einstieg ist, jedoch bei weitem nicht für eine Verhaltensänderung reicht – und dass die Nationen bei einer CO2-Steuer wie einem Emissionshandel dringend kooperieren sollten. Diese Schlussfolgerung ziehen zum Beispiel auch die Autoren des IPCC-1,5-Grad Berichts aus den von ihnen ausgewerteten Studien zur Höhe von Kohlendioxidpreisen: Sie fallen deutlich niedriger aus, wenn der Staat weitere Anstrengungen zum Klimaschutz unternimmt [1, S. 153], vergleiche dazu auch [3, S. 121].
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  • Der größte Problemfall ist der Bereich Verkehr. Dort stiegen die Emissionen um sieben Prozent gegenüber 2005. Hier erwarten Experten keine kurzfristige Lenkung allein durch einen CO2-Preis, weil einfach die Alternativen fehlen.
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  • Es könnte sinnvoll sein, Alternativen zum PKW wie Busse, Bahnen oder Fahrradfahren zusätzlich zu fördern – zum Beispiel durch Rufbusse auf dem Land, dichtere Takte in den Städten, zuverlässigere Fahrten, bessere Radwege – um einen Verzicht auf PKW-Nutzung zu erleichtern.
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  • Flankierend zum CO2 Preis wäre es für eine Senkung der Emissionen durch PKW besonders wichtig, die Energiesteuern tatsächlich dem Energiegehalt anzupassen – also Diesel höher zu besteuern als Benzin [20, S. 9]. Gut zwei Drittel aller neu zugelassenen PKW sind Dienstwagen, sie werden in der Regel nach drei bis vier Jahren ersetzt. Steuervorteile für Null-Emissionsfahrzeuge nach niederländischem oder norwegischem Vorbild könnten schneller zu einer Verbreitung von Elektro-Dienstfahrzeugen führen [20, S. 9].
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  • Hier wäre es sinnvoll, wenn sich Deutschland in Zukunft für schärfere Verbrauchsgrenzwerte in Europa einsetzte. Diese würden letztlich dazu führen, dass in Deutschland die Emissionen von PKW und LKW sinken. Zuletzt hatte sich die Bundesregierung für ein Aufweichen geplanter Grenzwerte eingesetzt. Das wird dazu führten, dass nicht nur Deutschland, sondern alle Europäischen Staaten es schwerer haben, ihre zugesagten CO2-Ziele zu erreichen. Das bedeutet für Deutschland aber auch, dass die Emissionsberechtigungen, die das Land zukaufen muss, teurer werden [8, S. 11, 29].
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  • Besonders drängend ist die Frage nach einem Treibstoff-Ersatz für den LKW- Schiffs- und Luftverkehr. Allein überwiegend schwere LKW machen rund 40 Prozent der Deutschen CO2-Emissionen im Verkehr aus – rund 6 Prozent der gesamten CO2-Emissionen. Weil Deutschland Transitland ist, wäre es für die Berliner Politiker besonders sinnvoll, sich für schärfere CO2-LKW-Grenzwerte einzusetzen [8, S. 31]. Zudem müssten alternative Treibstoffe – sogenannte Synthetische Kraftstoffe, die mit Hilfe von erneuerbarem Strom erzeugt werden sollen – dringend zur Marktreife entwickelt und anschließend auch eingeführt werden, das könnte ein sinnvolles Projekt für Deutschland sein.
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  • Auch in privaten Haushalten – deren Wärme rund 11,5 Prozent des Deutschen CO2-Ausstoß‘ ausmacht – kann man keine kurzfristige Lenkung allein durch einen CO2-Preis erwarten. Alternativen für Öl- und Gasheizungen gibt es zwar in Form von Solarthermie und Wärmepumpen, jedoch sind diese vergleichsweise teuer. Erst wenn eine neue Heizung angeschafft werden muss, können teurere Brennstoffe einen Ausschlag für eine CO2-freie Heizung ergeben.
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  • Dann wäre es allerdings sinnvoll, mit der Heizung auch die Sanierung bestehender Gebäude zu fördern, entweder direkt oder durch Steuernachlässe, um den Wärmebedarf einer neuen Heizung zusätzlich zu senken.
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  • So ist es Dänemark und Schweden gelungen, den CO2-Ausstoß für ihre Gebäude um 38 beziehungsweise 55 Prozent zu senken. Neben einer hohen CO2-Steuer setzten die beiden Länder auf eine Wärmeplanung für die Kommunen, den Ausbau von Fernwärme sowie die Einschränkung von fossil gefeuerten Heizungen [8, S. 30].
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  • Wenn Deutschland sich zunächst drauf konzentrieren sollte, schnell eine CO2-Steuer oder einen Emissionshandel einzuführen, dann könnte ein zusätzlicher Anreiz für den Umstieg von fossilen Brennstoffen durch eine große Energiesteuerreform entstehen [5, S. 19, vergleiche 7, S. 200, Abs. 460].
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  • Das sind allerdings alles Projekte, die ihre Wirkung erst nach Jahren entfalten werden. Um die jetzt anstehenden Treibhausgas-Reduktionen zu schaffen (siehe oben), kann es sich als nötig erweisen, doch noch Beschränkungen einzuführen.
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  • Zum Beispiel könnten Staaten den Energieverbrauch von Haushaltsgeräten begrenzen [1, S. 153], zur Orientierung der Verbraucher dem Stand der Technik angemessene Energieverbrauchslevel einführen oder besonders ineffiziente Energieverbraucher verbieten. So hat die EU beispielsweise den Verkauf von Glühbirnen durch eine Verschärfung der Ökodesign Richtlinie faktisch verboten.
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  • Zu den Folgen einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen gibt es aufgrund fehlender Daten lediglich eine Untersuchung von 1999. Demnach hätte ein Tempolimit von 100 Kilometer pro Stunde auf Autobahnen eine CO2-Einsparung von drei Prozent erbracht, ein Tempolimit von 120 immer noch zwei Prozent, wenn sich 80 Prozent der Autofahrer an diese Grenze halten. Eine erneute Erhebung der Daten und eine erneute Untersuchung wären sicher sinnvoll [21].
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Die internationale Dimension zum Schutz der Atmosphäre

     

  • Ein häufiges Argument gegen einen rein nationalen CO2-Preis ist, dass er auf Dauer unfair für die Wettbewerbsfähigkeit der heutigen nationalen Industrie wäre: Länder ohne CO2 Preis hätten durch niedrigere Kosten wohlmöglich einen wirtschaftlichen Vorteil, würden aber letztlich von den Klimaschutzbemühungen der andere Ländern profitieren, weil die möglichen Schäden durch die Klimakatastrophe ohne eigenen Beitrag reduziert würden.
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  • Heute verbreitet sich in den Wirtschaftswissenschaften die Überzeugung, dass ein wirksamer Klimaschutz einen „polyzentrischen“ Ansatz verfolgen, also auf vielen verschiedenen Ebenen ansetzen muss [3], vergleiche [19, S.4,], [16, S. 36f.].
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  • Das bedeutet aber auch, dass es neben einer nationalen auch eine lokale und eine internationale Ebene des Handelns zum Klimaschutz geben muss.
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  • Auf den CO2-Preis bezogen heißt das, es ist letztlich unabdingbar, eine weltweite CO2-Grenze festzulegen und entweder einen funktionierenden weltweiten CO2-Emissionshandel einzurichten oder eine weltweite CO2-Steuer. Dazu gehörte auch ein weltweiter Mindestpreis für CO2 und Strafzölle für Trittbrettfahrer zu vereinbaren, die ohne eigene Kosten weiterhin die Atmosphäre verschmutzen und Güter in Länder exportieren wollen, die den Schutz des Erdklimas ernst nehmen [19, S. 5, 10], [16, S. 41f.], vergleiche [5, S. 25], [14, S. 18].
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  • Ein globaler Emissionshandel, CO2-Mindestpreis oder eine globale CO2-Emissionssteuer wäre auch deshalb sinnvoll, weil damit auch die Emissionen zum Beispiel von Indien, den USA oder China erfasst würden. Gerade die Reduktion der Kohlendioxid-Emissionen Chinas und der USA werden für ein Eindämmen der Klimakatastrophe sehr wichtig sein. In den USA planen bereits viele Bundesstaaten unterschiedliche CO2-Preissysteme, China hat nach einem Testlauf vor, ab 2020 einen nationalen Emissionshandel einzurichten [13, S. 35f.].
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  • Damit die von einem CO2-Preis betroffenen Industrien nicht einfach in ein anderes Land mit niedrigerem oder gar keinem CO2-Preis ausweichen, ist es zwingend notwendig, internationale Absprachen zu treffen. Diese müssten auf Europäischer Ebene beginnen und dann weltweit als Koalition der Willigen ausgeweitet werden [7, S. 216, Abs. 499].
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  • Derzeit erheben 57 Regionen, Nationen oder Supra-Nationale Verbünde CO2-Preise, entweder als CO2-Abgabe (29) oder Emissionshandel (28). Bisher werden damit erst rund 20 Prozent (11 Gigatonnen) des jährlichen CO2-Ausstoßes mit einem Preis belegt [13, S. 10, 12.].
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  • 96 Nationen, die das Paris-Abkommen unterzeichnet haben, geben an, eine Form von CO2-Preis einführen zu wollen. Wenn das passiert, würde das immerhin bis zu 55 Prozent der globalen CO2-Emissionen betreffen [13, S. 8f.].
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  • Deutschland gehört bislang nicht zu diesen Staaten...
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Fazit

     

  • Die Einführung eines Emissionshandels für Landwirtschaft, Gewerbe, Heizung und Verkehr in Europa scheint politisch aufwändiger als eine nationale CO2-Abgabe zu sein, wenn er genauso sicher funktionieren soll.
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  • Ein nationaler Mindestpreis für den Europäischen Emissionshandel nach britischem Vorbild könnte ein gutes Mittel sein, um den Kohleausstieg über den CO2-Preis zu beschleunigen.
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  • Eine Abstimmung über Mindestpreis und CO2-Abgabe mit den Europäischen Nachbarn, zuerst mit den Niederlanden und Frankreich, die vergleichbare Vorhaben planen oder umgesetzt haben, erscheint wichtig, um eine Verlagerung von CO2-Emissionen ins Ausland oder nach Deutschland zu vermeiden.
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  • Eine internationale Abstimmung über einen CO2-Preis mit Sanktionen oder auch Strafzöllen ist sehr sinnvoll, um klimapolitische Trittbrettfahrer zum Klimaengagement zu zwingen. Das Verhalten Deutschlands gibt dafür das beste Beispiel: Gäbe es bereits Strafzölle auf deutsche Produkte wegen unterlassenem Klimaschutz, wären eine CO2-Abgabe und Programme für Verkehrs- wie Wärmewende wahrscheinlich schon eingeführt.
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  • Ein Preis für CO2 ist ein wichtiges Signal, wird aber kaum so hoch liegen können, dass die Masse der Menschen ihr Verhalten schnell ändern wird.
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  • Um die Klimakatastrophe einzudämmen oder auf ein erträgliches Maß zu begrenzen, müssten daher nach der CO2-Abgabe weitere Rahmenbedingungen geändert werden, um das Verhalten der Menschen rasch zu verändern:
    • Die Energiesteuern in Deutschland müssten reformiert werden, damit Industrie, Handel, Gewerbe und Immobilienbesitzer eine zuverlässige Basis für Entscheidungen in CO2-freie Techniken für Wärme und Transport haben.
    • Ein Programm oder ein Plan für die nächste Stufe der Energiewende wäre sinnvoll, damit genug erneuerbarer Strom für Transport, Wärme und die Erzeugung von synthetischen Treibstoffen erzeugt und transportiert werden kann.
    • Ein Programm für eine Wärmewende, analog zur Energiewende, wäre sinnvoll, um ein Umschwenken auf CO2-freie oder möglichst CO2-arme Techniken einzuleiten.
    • Analog wäre ein Programm für eine radikale Verkehrswende sehr sinnvoll, die den Status des Individualverkehrs in den Herzen der Menschen verändert.
    • Mehr Hinweise wie zum Beispiel dem Stand der Technik entsprechende Energielabel könnten das Kaufverhalten von Menschen zusätzlich beeinflussen.
    • Schließlich wäre ein Programm sinnvoll, das untersucht, wie viel CO2-Emissionen sich kurzfristig und mittelfristig nicht oder nur schwer vermeiden lassen, und daraus Strategien für ein Einfangen und Speichern dieser verbliebenen CO2-Emissionen entwickelt und umsetzt. Auch solche Carbon Capture und Storage sowie Usage Technologien müssen erforscht, entwickelt und in der Praxis erprobt werden – auch in Deutschland.
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  • Letztlich geht es darum, das Zeitalter des Feuers zu beenden und durch das Zeitalter des Stroms oder des Wasserstoffs abzulösen. Viel Zeit bleibt der Menschheit nach Aussagen der Klimawissenschaft nicht mehr, um ihr kollektives Handeln an die Tragfähigkeit des Planeten Erde anzupassen. Wer argumentiert, dass wir unsere Freiheit verlieren, wenn wir dem Klimaschutz einen höheren Stellenwert einräumen und rasch realistische CO2-Preise bezahlen, der vergisst, dass dann künftige Generationen zuerst ihre wirtschaftliche Freiheit verlieren und später auch ihre persönlichen Handlungsfreiheiten.
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  • Bisher behandeln die Staaten die Atmosphäre wie eine Gemeinressource, von der wir inzwischen sicher wissen, dass wir sie nicht nachhaltig bewirtschaften. Der Klimawandel stellt daher ein kollektives Handlungsdilemma der Menschheit dar, bei dem heutige Generationen über die Lebenswirklichkeiten und die Freiheitsgrade für künftige Generationen auf der Erde bestimmen.
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Literaturstellen, die zitiert wurden

[1] Rogelj, J et al. (2018), Mitigation Pathways Compatible with 1.5°C in the Context of Sustainable Development. In: IPCC (2018), Global Warming Of 1.5°C, Chapter Two.

[2] Wall Street Journal (2019), Economists‘ Statement on Carbon Dividends. Bipartisan agreement on how to combat climate change. (Paywall)

[3] Ostrom, E. (2014), A Polycentric Approach for Coping with Climate Change. Annals of Economics and Finance, 15, 1, S. 97-134.

[4] Zech, KM, Lindner, BM (2018), Braucht Deutschland eine CO2-Steuer? In: Energiewirtschaftliche Tagesfragen 68, Heft 10, S. 36-39.

[5] Agora Energiewende (2018), Eine Neuordnung der Abgaben und Umlagen auf Strom, Wärme, Verkehr. Optionen für eine aufkommensneutrale CO2 Bepreisung von Energieerzeugung und Energieverbrauch.

[6] Science Media Center (2019), CO2-Steuer oder Ausweitung des Emissionshandels? Rapid Reaction zur Diskussion über die Einführung eines CO2-Preises.

[7] Löschel, A. et al. (2019), Stellungnahme zum zweiten Forschungsbericht der Bundesregierung für das Berichtsjahr 2017.

[8] Agora Energiewende, Agora Verkehrswende (2018), Die Kosten von unterlassenem Klimaschutz für den Bundeshauhalt

[9] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2016), Klimaschutzplan 2050. Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung.

[10] Knopf, B, et al, Shifting Paradigms in Carbon Pricing. In: Intereconomics 2018, 3, S. 135-140, DOI: 10.1007/s10272-018-0735-6

[11] Agora Energiewende und Agora Verkehrswende (2019), 15 Eckpunkte für das Klimaschutzgesetz.

[12] Agora Energiewende und Öko-Institut (2018), Vom Wasserbett zur Badewanne. Die Auswirkungen der EU-Emissionshandels-reform 2018 auf CO2-Preis, Kohleausstieg und den Ausbau der Erneuerbaren.

[13] The World Bank Group (2019), State and Trends of Carbon Pricing 2019.

[14] Edenhofer, O und Flachsland, C (2018), Eckpunkte einer CO2 Preisreform für Deutschland.

[15] Löschel, A et al (2019), The Impact of the EU ETS on efficiency and economic performance – An empirical analyses for German manufacturing firms. Resource and Energy Economics 56, 71-95.

[16] Cramton, P. et al (2017), Global Carbon Pricing. In: Ders., Global Carbon Pricing. The Path to Climate Cooperation. Boston 2017, S. 31 -90.

[17] Agora Energiewende (2019) Die Gelbwesten-Proteste: Eine (Fehler-)Analyse der französischen CO2-Preispolitik.

[18] Cooper, RN (2017) The Case for Pricing Greenhouse Gas Emissions. In: Cramton P et al., Global Carbon Pricing. The Path to Climate Cooperation. Boston 2017, S. 91-98.

[19] Ockenfels, A et al. (2016), Die essenzielle Rolle des CO2-Preises für eine effektive Klimapolitik. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.

[20] Agora Verkehrswende (2018), CO2-Minderung bei PKW – die Rolle der Steuerpolitik. Ein europäischer Vergleich.

[21] Gohlisch, G und Marlow, M (1999), Umweltauswirkungen von Geschwindigkeitsbegrenzungen.