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03.06.2019

Tumorklassifikation und verbesserte Versorgung mittels Algorithmus?

Ein Algorithmus kann eine sogenannte Mikrosatelliteninstabilität (MSI) im Tumorgewebe aus Bildern von Gewebeschnitten identifizieren und damit eventuell zu einer besseren Therapie verhelfen. Bisher sind dafür zusätzliche biochemische und genetische Analysen notwendig.

Bei Krebserkrankungen mit einer Mikrosatelliteninstabilität liegen Mutationen in den Genen des DNA-Reparatursystems vor, wodurch Fehler beim Vervielfältigen der DNA nicht korrigiert werden. Im Tumorgewebe häufen sich daher Mutationen, die durch einen Vergleich mit gesundem Gewebe des Patienten als Mikrosatelliteninstabilität erkannt werden können.

In einer Studie im Fachjournal „Nature Medicine“ (siehe Primärquelle) stellte eine Arbeitsgruppe – mit Autoren unter anderem aus Aachen, Heidelberg, Berlin und Hamburg – einen Algorithmus vor, der den Mikrosatelliten-Status von Patienten mit Magen- und Darmkrebs direkt aus Gewebeschnitten ableiten kann. Patienten mit einer Instabilität könnten dann von einer bei ihnen wirksamen Immuntherapie profitieren; laut der Autoren würde das 15 Prozent der Betroffenen beider Krebsarten betreffen. Die Gewebeschnitte, die für dieses Verfahren herangezogen werden, werden standardmäßig angefertigt und liegen flächendeckend vor. 

Übersicht

     

  • Dr. Roland Schwarz, Leiter der Arbeitsgruppe Evolutionäre und Krebsgenomik, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), Berlin
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  • Prof. Dr. Barbara Dockhorn-Dworniczak, Ärztliche Leiterin des Zentrums für Pathologie Kempten-Allgäu, Medizinisches Versorgungszentrum am Klinikum Kempten, Zentrum für Pathologie Kempten-Allgäu, und Vorsitzende des Hochschulrates, Hochschule für angewandte Wissenschaften Kempten
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Statements

Dr. Roland Schwarz

Leiter der Arbeitsgruppe Evolutionäre und Krebsgenomik, Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), Berlin

„Die Unterscheidung zwischen Mikrosatelliteninstabilität-(MSI) und Nicht-MSI-Tumoren ist von sehr hoher klinischer Relevanz, da es sich um zwei große Subtypen mit sehr unterschiedlichen Prognosen und Behandlungsmöglichkeiten handelt. Der Nachweis von MSI erfordert typischerweise genomische oder immunhistochemische Messwerte. Ein direkter Nachweis von MSI mittels Bildverarbeitung aus Hämatoxylin-Eosin-gefärbten histologischen Schnitten, die routinemäßig in der klinischen Praxis entnommen werden, würde eine Routineuntersuchung der Patienten ermöglichen und sich direkt auf die Standardprozedur auswirken.“

Auf die Frage hin, welche Aussage anhand der Berechnung eines AUC-Wertes von 0,84 getroffen werden könne:
„Die Forscher verwendeten ROC-Kurven (receiver operating characteristic curves) zur Beurteilung der Leistung ihres Tests. ROC-Kurven zeichnen die wahre positive Rate (Sensitivität) eines Tests gegen seine falsch positive Rate (1-Spezifität) bei verschiedenen Schwelleneinstellungen des Testwertes. Sensitivität und Spezifität können daher direkt aus einer ROC-Kurve für einen beliebigen Schwellenwert abgelesen werden. Die Fläche unter der Kurve (area under the curve, AUC) ist dann ein integriertes Leistungsmaß über alle möglichen Schwellenwerte (höher ist besser). Die AUC kann als die Wahrscheinlichkeit verstanden werden, dass ein zufällig ausgewählter MSI-Fall ein höheres Testergebnis erzielt als ein zufällig ausgewählter Kontrollfall, wobei eine AUC von 0,5 zufälligem Schätzen gleich käme.“

Prof. Dr. Barbara Dockhorn-Dworniczak

Ärztliche Leiterin des Zentrums für Pathologie Kempten-Allgäu, Medizinisches Versorgungszentrum am Klinikum Kempten, Zentrum für Pathologie Kempten-Allgäu, und Vorsitzende des Hochschulrates, Hochschule für angewandte Wissenschaften Kempten

„Immuntherapien nehmen einen zunehmenden und sehr wesentlichen Stellenwert in der Behandlung von verschiedenen und auch hier zunehmende Krebserkrankungen ein. Insbesondere bei den Tumorerkrankungen des Magen- und Darmtraktes sind die Bestimmungen zum Mikrosatellitenstatus als prädikativer und auch prognostischer Biomarker inzwischen in vielen Organzentren zum Standard geworden. Obwohl noch nicht verbindlich in die S3-Leitlinien aufgenommen, werden diese Bestimmungen im Rahmen der Tumorboards gefordert und auch angefordert. Jegliche Form eines validierten Tests wäre somit ein Zugewinn. Die bisher durchgeführten und etablierten Testverfahren (Immunhistologie, Molekularpathologie) sind stabile Verfahren und können durch die Pathologen in kurzer Zeit und verlässlich durchgeführt werden. Die Kosten sind überschaubar und werden durch das Krankenkassensystem abgedeckt.“

„Der Test zeigt, wie auch die anderen etablierten Verfahren, Tumoreigenschaften, die durch den Pathologen am Mikroskop in dem Gewebeschnitt alleine nicht gesehen werden. Der Algorithmus kann unterstützend zur Erfassung von Biomarkern eingesetzt werden. Ob er generell verlässlicher als andere Verfahren ist, bleibt noch an den verschiedenen Tumorentitäten abzuklären.“

„Die Bestimmung des MSI-Status ist für verschiedene Tumorerkrankungen eine wesentliche Voraussetzung für den Einsatz einer Immuntherapie. Der Test setzt jedoch ein Training an den verschiedenen Tumorerkrankungen voraus und ist nicht eins zu eins übertragbar.“

„Der Test zeigt offenbar am FFPE (in Formalin fixierte und in Parafin eingebettete Schnitte; Anm. d. Red.) eine gute Übereinstimmung mit den vorhandenen Daten aus der Immunhistochemie und Molekularbiologie. Es scheint jedoch eine AUC von 0,84 erforderlich zur sein, um ein verlässliches Ergebnis zu erzielen. Die bislang vorhandenen Methoden können an durchaus kleineren Biopsien durchgeführt werden. Insbesondere molekulare Untersuchungen haben das MSI-Panel meist im Gesamtansatz inkludiert.“

„Künstliche Intelligenz ist sicher ein innovativer Ansatz für die Zukunft. Die notwendigen Voraussetzungen dafür sind eine stabile digitale Pathologie. Diese setzt eine zurzeit noch schwer und nur mit hohen Kosten verbundene Infrastruktur voraus, die kaum in Europa vorgehalten wird. Auch die präanalytischen Bedingungen sind essenziell und müssen beachtet werden, da diese eine Bildauswertung beeinflussen können.“

„Die in der Veröffentlichung angegebene Kostenstruktur ist meines Erachtens für Deutschland nicht realistisch. Unsere Untersuchungen, insbesondere die Immunhistochemie, kosten einen Bruchteil und werden derzeit in fast jedem Institut vorgehalten. Nicht vorgehalten wird eine digitale Pathologie, die vor allem wegen der oft nicht vorhandenen generellen Infrastruktur und der extrem hohen Kosten für das Institut selbst nicht realisierbar sind.“

„Ich bin derzeit noch sehr skeptisch, ob diese Verfahren alltagstauglich sind. Nicht weil sie nicht valide sind, sondern weil die erforderliche Infrastruktur, die uns eine vollumfängliche digitale Pathologie ermöglicht, nicht vorhanden ist. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass die digitale Pathologie mit einer entsprechenden Bildauswertung durch beispielsweise solche Algorithmen einen großen Stellenwert in der Zukunft haben wird. Ob diese dann die präzisen molekularen Untersuchungen immer ersetzen kann, bleibt zu beweisen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Kather JK et al. (2019): Deep learning can predict microsatellite instability directly from histology in gastrointestinal cancer. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-019-0462-y.