Zum Hauptinhalt springen
12.02.2021

Möglicherweise geringere Infektiosität durch verringerte Virusmenge nach Impfung

Geimpfte reproduzieren offenbar weniger SARS-CoV-2 als Nicht-Geimpfte, wenn sie sich trotz Impfung mit dem Virus infizieren. Zu diesem Ergebnis kommen israelische Forschende in einem noch nicht-wissenschaftlich begutachteten Preprint, in dem sie die Viruslast von geimpften und nicht-geimpften Infizierten verglichen (siehe Primärquelle). Eine Impfung mit dem mRNA-Impfstoff BNT162b2 der Unternehmen Biontech und Pfizer führte bereits zwölf Tage nach der ersten Impfdosis dazu, dass sich die Viruslast im Falle einer SARS-CoV-2-Infektion nach der Impfung reduzierte. Damit liefere die Studie erste Hinweise darauf, dass Geimpfte bei einer Infektion nicht mehr so infektiös seien wie Nicht-Geimpfte. Die Impfung könnte damit neben dem Selbstschutz der Geimpften auch dazu beitragen, die Verbreitung des Virus zu reduzieren, so die Interpretation der Autorinnen und Autoren.

Für ihre Analyse verwendeten sie PCR-Ergebnisse von 5.794 Infizierten, die im Vorfeld ihrer Infektion nicht geimpft waren oder bei denen die erste Impfung ein bis elf Tage oder 12 bis 28 Tage zurück lag. Der für die Auswertung verwendete Cycle threshold-Wert (Ct-Wert) gibt an, wie lange es dauert, bis die in den Proben vorhandene Ausgangsmenge an Virus-Erbgut quantitativ nachgewiesen werden kann. Je mehr Virusmaterial enthalten ist und damit in die PCR-Reaktion eingesetzt wird, desto niedriger ist der Ct-Wert. Bei geimpften Personen, deren Impfung mindestens zwölf Tage zurücklag, benötigte es im Mittel zwei PCR-Zyklen mehr, um den Virus quantitativ nachzuweisen. Die Virusmenge in der Probe war also im Schnitt geringer als bei ungeimpften Personen und als bei Personen, bei denen eine Impfung höchstens elf Tage zurücklag. Eine Impfung mit dem Impfstoff BNT162b2 könne Geimpfte also nicht grundsätzlich vor einer SARS-CoV-2-Infektion schützen, so die Forschenden. Allerdings trage der Impfschutz bereits nach zwölf Tagen dazu bei, dass die Viruslast geringer bleibe und somit Geimpfte womöglich auch weniger ansteckend seien.

Inwiefern diese Daten tatsächlich als Nachweis dienen können, um auf eine geringere Infektiosität von Geimpften nach zwölf Tagen zu schließen, befragten wir unabhängige Experten und baten sie, die klinische Relevanz einer geringeren Viruslast in Bezug auf die Übertragbarkeit zu erläutern.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing
  •  

  • Dr. Marco Binder, Leiter der Arbeitsgruppe Dynamics of Early Viral Infection and the Innate Antiviral Response, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg
  •  

  • Dr. Susanne Pfefferle, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
  •  

Statements

Prof. Dr. Clemens Wendtner

Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing

„Auch wenn es sich um eine sogenannte Beobachtungsstudie und eben nicht um eine randomisierte, verblindete Phase-III-Studie handelt, präsentieren die Kollegen aus Israel zum ersten Mal ‚real world’-Daten zur verminderten Infektiosität von Geimpften nach Gabe eines mRNA-Impfstoffes (BNT162b2). Damit gibt es Anlass zur Hoffnung: Der Impfstoff BNT162b2 führt nicht nur zu einem Individualschutz des Geimpften hinsichtlich einer COVID-19-Erkrankung, sondern es ist davon auszugehen, dass bei einer ausreichenden Durchimpfung der Bevölkerung auch ein gewisser Bevölkerungsschutz im Sinne einer Vakzin-basierten Herdenimmunität realistisch entstehen kann. Die Beobachtungsstudie basiert auf dem Vergleich von Geimpften, die trotz der Impfung eine SARS-CoV-2-Infektion akquiriert haben mit Nicht-Geimpften. Die Viruslasten, die mittels PCR-Untersuchung ermittelt wurden, sind signifikant bereits zwölf Tage nach Erstimpfung mit BNT162b2 um den Faktor vier reduziert. Nachdem nur bis maximal vier Wochen nach Erstimpfung die Viruslast betrachtet wurde, gibt es keine Langzeitdaten darüber hinaus. Künftige Studien müssen zeigen, ob der Effekt auch über Wochen und Monate anhaltend ist beziehungsweise wann eine erneute Booster-Impfung (Auffrischungsimpfung; Anm. d. Red.) zum Erhalt der verminderten Infektiosität notwendig ist.“

„Vergleicht man die Viruslast, die von Geimpften in den ersten zwölf Tagen nach Erstimpfung beziehungsweise zu einem späteren Zeitpunkt potenziell weitergegeben werden kann, zeigen sich erhebliche beziehungsweise signifikante Unterschiede: der Ct-Wert, der quantitative Unterschiede in der PCR anzeigt, ist zu einem späteren Zeitpunkt um den Faktor zwei höher, da man mehr Amplifikationszyklen in der PCR fahren muss, um überhaupt noch Virusmaterial nachweisen zu können. Da eine Ct-Einheit ungefähr einem Faktor zwei an Viruslast entspricht, wird also die Viruslast um den Faktor vier nach Tag zwölf reduziert. Dies ergibt Sinn, da auch von den großen Phase-III-Studien bekannt ist, dass der Individualschutz der Impfstoffe nach Tag zwölf einsetzt. Letztendlich kann auch spekuliert werden, dass die nach Tag zwölf noch nachweisbaren Viren per se gar nicht mehr infektiös sind, sondern hier nur noch nicht-vermehrungsfähige Virushüllen detektiert werden. Dies bleibt aber spekulativ, da entsprechende Testungen – wie zum Beispiel sogenannte plaque reduction neutralization tests [1] – auf infektiöses Virusmaterial in dieser Studie nicht durchgeführt wurden.“

„Nachdem in dieser Studie ein kombinierter Nasen-Rachen-Abstrich bei den Probanden genommen wurde und bekannt ist, dass eine höhere Infektiosität über den Rachen ausgeht, bleiben Fragen offen, ob die nachgewiesenen Viruslasten in den Geimpften wirklich relevant für eine Transmission sind. Eine hohe Viruslast im Rachen ist für die Infektiosität relevanter als ein Virusnachweis in der Nase, da die Aerosolbildung üblicherweise über Sprechen und Niesen über den Rachen ausgeht. Da aber aus anderen Studien bekannt ist, dass nach etwa zwei Wochen sowohl bei Geimpften als auch bei COVID-19-Erkrankten üblicherweise neutralisierende Antikörper gegen SARS-CoV-2 nachweisbar werden, ist in einem Analogieschluss davon auszugehen, dass per PCR detektierbare Viren nach Tag zwölf nicht mehr infektiös sind – auch wenn dies durch entsprechende Testungen in dieser Studie formal nicht nachgewiesen wurde. Schlussendlich wird sich eine verminderte Übertragung in der Bevölkerung erst mit Verzögerung durch eine Abnahme der klinisch sichtbaren Neuinfektionen, die dann auch infektionsepidemiologisch ins Auge fallen, belegen lassen.“

„In der israelischen Studie wurden derzeit zirkulierende Virusvarianten nicht dezidiert erfasst. Theoretisch könnte ein Ungleichgewicht zwischen den beiden Gruppen – das heißt Geimpfte versus Ungeimpfte – hinsichtlich der Infektion durch die in Großbritannien, Brasilien und Südafrika verbreiteten Virusvarianten existieren. Nachdem inzwischen wissenschaftlich belegt ist, dass diese sogenannten ‚variants of concern‘ (VOC) mit einer höheren Infektiosität im Bereich von 30 bis 50 Prozent einhergehen, könnte dies auch Einfluss auf die nachweisbaren Viruslasten in den Probanden gehabt haben. Unterstellt man aber eine zufällige Gleichverteilung möglicher VOCs in beiden Testgruppen, bleiben die erhobenen Ergebnisse signifikant und praktisch relevant. Durch eine Impfung sollten auch die VOCs ausreichend in Geimpften reduziert werden und daher die Transmission von SARS-CoV-2 in der Bevölkerung signifikant reduziert werden können. Dennoch fehlt der letzte Beweis, dass die Kontrolle der VOCs auch durch den mRNA-Impfstoff BNT162b2 in einem ‚real world‘-Szenario ausreichend gelingt. Dies wäre bestimmt eine Erkenntnis, die, sobald sie vorliegen würde, zu einer Beruhigung in der Impfstoff-Debatte beitragen und weiteres Vertrauen in die Impfung gegen SARS-CoV-2 per se generieren könnte.“

Dr. Marco Binder

Leiter der Arbeitsgruppe Dynamics of Early Viral Infection and the Innate Antiviral Response, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg

„Bislang ist noch weitestgehend ungewiss, inwiefern sich eine SARS-CoV-2-Impfung darauf auswirkt, ob eine Person sich mit dem Virus infizieren kann und falls dem so ist, ob und in welchem Maße sie andere anstecken kann. Diese Frage ist von zentraler Bedeutung, um einordnen zu können, wie groß der epidemiologische Nutzen einer Massenimpfung ist. Bei dem vor-veröffentlichten Bericht aus Israel handelt es sich nicht um eine Studie im engeren Sinne, sondern um eine retrospektive Auswertung der Daten eines zentralen Diagnostiklabors. Zu beachten ist, dass die Untersuchung keine Aussage darüber zulässt, wie hoch der Anteil der Geimpften ist, bei denen eine nachfolgende Infektion komplett verhindert wird. Die Autoren betrachten lediglich jene Fälle, in denen es tatsächlich trotz vorangegangener Impfung (nur erste Dosis) zu einer Ansteckung kam und per PCR-Test nachgewiesen wurde.“

„Die Autoren beschreiben für Personen, bei denen die Impfung bereits mindestens zwölf Tage zurückliegt, dass die durchschnittlich nachgewiesene RNA-Menge signifikant unter der Menge liegt, die bei nicht-geimpften Personen gefunden wird oder bei Personen, deren Impfung vor weniger als zwölf Tagen stattgefunden hat. Das ist grundsätzlich ein erfreulicher Befund, deutet er doch an, dass auch die Viruslast im Nase-Rachen-Raum bei Geimpften niedriger ist und damit ihre Ansteckungsfähigkeit reduziert sein könnte. Allerdings ist der gemessene Unterschied mit ungefähr zwei Zyklen Differenz bei den Ct-Werten verhältnismäßig gering: zwei Zyklen entspricht grob vier-fach weniger RNA und damit möglicherweise auch vier-fach weniger infektiöser Viren. Diese Zahl muss aber ins Verhältnis zu den typischerweise nachgewiesenen RNA-Mengen gesetzt werden, die sich häufig im Bereich von Hunderttausenden oder Millionen von RNA-Molekülen bewegen. Inwiefern sich Anbetracht dieser allgemein sehr hohen Virusmengen eine vierfache Verringerung tatsächlich auf die Infektiosität der betroffenen Personen auswirkt, bleibt fraglich.“

„Die berichteten Daten lassen keine Rückschlüsse auf die Beziehung zwischen Viruslast und Infektiosität zu. Die Aussage, dass Geimpfte eine niedrigere Viruslast tragen und dadurch ein geringeres Risiko für weitere Transmission aufweisen beruht auf der – verbreiteten – Annahme, dass die per PCR gemessene RNA-Menge in direktem Verhältnis zur Menge an infektiösen Viren steht. Diese Annahme wird durch verschiedene Studien gedeckt, aktuell beispielsweise in einem Bericht im Fachjournal ‚The Lancet‘ [2]. Allerdings wird in dieser Lancet-Studie die Transmissionswahrscheinlichkeit, die über Kontaktnachverfolgung bestimmt wurde, mit gemessenen RNA-Mengen über mehrere Zehnerpotenzen hinweg korreliert. Inwiefern darum der aktuell beschriebene, ungefähr vierfache Unterschied einen signifikanten Einfluss auf die Transmission haben könnte, bleibt offen und fraglich.“

„Wichtige Fragen, die bei der vor-veröffentlichten Studie offen bleiben, sind vor allem diese: In wie vielen Fällen kommt es nach Impfung überhaupt zu einer Ansteckung und einem positiven PCR-Test im Vergleich zu einer Kontrollgruppe? Wie wirkt sich die Impfung und die Verringerung der gemessene RNA-Mengen auf die sekundäre Angriffsrate der positiv Getesteten aus? Und wie entwickelt sich die bereits ab zwölf Tage nach der ersten Dosis beobachtete Reduktion der nachweisbaren RNA-Mengen nach der Verabreichung der zweiten Impfdosis? Die Beantwortung dieser Fragen wird Zeit benötigen, aber sie wird unabdingbar sein, um die Auswirkung von Impfkampagnen auf die epidemiologische Lage zuverlässig einschätzen und vorhersagen zu können.“

Dr. Susanne Pfefferle

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

„Ich möchte darauf hinweisen, dass Ct-Werte, wie sie hier im zitierten Preprint angegeben werden, nicht geeignet sind, irgendwas zu korrelieren. Diese Werte sind abhängig von extrem vielen Faktoren wie der RNA-Extraktion, verwendeter Chemie der PCR, dem verwendeten Test, der Zielregion auf dem Genom sowie der Auswertung. Mittlerweile ist international standardisiertes RNA-Material verfügbar, weshalb meines Erachtens Ergebnisse immer in RNA IU/ml (internationale Einheiten pro Milliliter) oder zumindest in der Einheit Kopien pro Milliliter angegeben werden sollten, damit eine Korrelation hergestellt werden kann.“

„Der Unterschied von etwa plus/minus drei Ct-Werten bei einer linearen PCR entspricht nicht einmal einem zehnfachen Unterschied. Das ist bei Abstrichen der anzunehmende übliche Schwankungsbereich der PCR, da Abstriche ein sehr heterogenes Untersuchungsmaterial darstellen, das schwer zu standardisieren ist. Stark schwankend ist der Abstrich, nicht die PCR!“

„Es ist schwierig, anhand eines einzelnen Ct-Wertes auf die Infektiosität der Person im Verlauf der Erkrankung zu schließen. Wenn der Ct-Wert im Moment der Probenentnahme hoch ist, also die Virus-RNA-Menge gering ist, kann es trotzdem sein, dass er sich im Laufe der Infektion noch stark verändert. Es kann auch nicht immer eine direkte Korrelation zwischen in der PCR gemessener RNA-Menge und Stärke der Infektiosität gezogen werden. Die viel genannten Superspreader haben auch nicht unbedingt niedrigere Ct-Werte.“

„Darüber hinaus ist der Unterschied der Ct-Werte in der Studie nicht sehr groß. Selbst wenn die Probanden messbar etwas weniger Virus ausscheiden beziehungsweise in sich tragen, dann heißt das nicht, dass sie nicht doch andere anstecken konnten.“

„Laut Literatur und unserer Erfahrung liegt die Grenze der guten Anzüchtbarkeit des Virus in Zellkultur bei ungefähr 1.000.000 Viruskopien pro Milliliter. Die Wahrscheinlichkeit, Virus aus einer Probe anzüchten zu können, nimmt außerdem mit Dauer der Erkrankung ab. Es wäre wichtig zu wissen, ob die Viren bei den Geimpften nach mehr als zwölf Tagen nach der Impfung überhaupt noch anzuzüchten sind.“

„Die Studie hat – wie von den Autoren selbst angegeben – einige Limitationen und lässt Aspekte offen, mit denen man zeigen könnte, welchen Effekt die Impfung auf die Virusmenge hat. Es wäre zum Beispiel interessant zu wissen, ob die geimpften Personen bereits mit Antikörpern auf die Impfung reagiert haben. Darüber hinaus müsste man in Zellkulturexperimenten die Infektiosität der Virusproben von Geimpften im Vergleich zu Ungeimpften untersuchen und idealerweise die Probe auch sequenzieren. Auch wären Angaben zur klinischen Symptomatik der Probanden sehr interessant.“

„Bei den neu aufgetretenen Virus-Varianten wie B.1.1.7 (die Variante, die zuerst in Großbritannien gefunden wurde; Anm. d. Red.) sehen wir keine auffälligen Unterschiede in den PCR-Ergebnissen. Die Ct-Werte und die Krankheitsverläufe sind mit beiden Virusvarianten vergleichbar. Die erhöhte Übertragbarkeit von B.1.1.7 rührt eher daher, dass das Virus besser an den Rezeptor binden kann, nicht weil Infizierte mehr Virus bilden.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Marco Binder: „Ich habe keine Interessenkonflikte. Ich bin weder an der Entwicklung von Impfstoffen beteiligt noch an Fragen der public health und/oder Diagnostik. Ich erhalte Gelder von der DFG für molekularbiologische und zellbiologische Fragestellungen im Zusammenhang mit SARS-CoV-2.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Levine-Tiefenbrun M et al. (2021): Decreased SARS-CoV-2 viral load following vaccination. medRxiv. DOI: 10.1101/2021.02.06.21251283.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Wölfel R et al. (2020): Virological assessment of hospitalized patients with COVID-2019. Nature; 581: 465–469. DOI: 10.1038/s41586-020-2196-x.

[2] Marks M et al. (2021): Transmission of COVID-19 in 282 clusters in Catalonia, Spain: a cohort study. The Lancet Infectious Diseases. DOI: 10.1016/S1473-3099(20)30985-3.