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22.10.2018

Hurrikan-Vorhersage bis zu drei Monate im Voraus möglich

Die Vorhersage von Hurrikanen könnte in Zukunft mit Hilfe eines von den Autoren der Studie als neu bezeichneten Ansatzes bereits drei Monate im Voraus möglich sein. Dies würde den von diesen Wirbelstürmen bedrohten Regionen mehr Zeit einräumen, sich auf das Ereignis vorzubereiten und möglicherweise helfen, die entstehenden Schäden zu reduzieren.Das Autorenteam um Enrico Scoccimarro hat den Zusammenhang zwischen der durchschnittlichen Wassertemperatur im östlichen Atlantik und der Vorhersagbarkeit der Entstehung von Hurrikanen untersucht. Dafür haben sie die durchschnittlichen Wassertemperaturen bis in eine Tiefe von 40 Metern berücksichtigt. Normalerweise wird für die Hurrikan-Vorhersage nur die Oberflächentemperatur der Region einbezogen. Mit diesem Ansatz, so die Autoren, sei es möglich, Vorhersagen über Entstehung und mögliche Intensität von Hurrikanen bis zu drei Monate im Voraus zu treffen und somit deutlich früher als mit der bisher geläufigen Methode. Die Studie ist am 22. Oktober 2018 im Fachjournal „PNAS“ (siehe Primärquelle) erschienen.

 

Übersicht

  • Dr. Michael Riemer, Privatdozent am Institut für Physik der Atmosphäre, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
  • Prof. Dr. Andreas Fink, Arbeitsgruppe Atmosphärische Dynamik, Department Troposphärenforschung, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe
  • Prof. Dr. Mojib Latif, Leiter des Forschungsbereiches Ozeanzirkulation und Klimadynamik, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR), Kiel

Statements

Dr. Michael Riemer

Privatdozent am Institut für Physik der Atmosphäre, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

„Diese Studie betrachtet die saisonale Vorhersage von Hurrikan-Aktivität. Dabei wird keine Aussage über einzelne Stürme gemacht, sondern das monatliche Mittel – in der Studie für den Monat September – für den gesamten Nordatlantik untersucht. Die Ergebnisse der Studie sind daher nicht mit der Vorhersage einzelner Stürme zu vergleichen, deren Vorhersagbarkeit ist schon für wenige Tage im Voraus mit hoher Unsicherheit belastet.“

„Saisonale Vorhersagen sind rein statistisch, das heißt, es wird nur eine Wahrscheinlichkeit angegeben, mit der ein gewisses Maß an mittlerer Aktivität erwartet wird. Für Einzelpersonen oder eine einzelne Ortschaft, die nur sehr selten tatsächlich von Hurrikanen betroffen sind, sind diese Vorhersagen daher selten von Interesse, da sie die ‚Wahrscheinlichkeiten nicht spielen können‘. Für verschiedene Unternehmen, zum Beispiel Reedereien, Betreiber von Ölplattformen und so weiter, die sich jedes Jahr aufs Neue den mittleren Hurrikan-Risiken ausgesetzt sehen und sich dagegen absichern können, sind diese Vorhersagen jedoch sehr relevant.“

„Eine Vorhersage wird in diesem statistischen Sinne als brauchbar (‚skillful‘) bezeichnet, wenn sich die vorhergesagte Wahrscheinlichkeit von der im Mittel zu erwartenden Wahrscheinlichkeit unterscheidet. Die Unterschiede in den Wahrscheinlichkeiten sind bei saisonalen Vorhersagen häufig gering und leider machen die Autoren nur eine sehr indirekte Aussage darüber, wie stark sich die Vorhersagbarkeit durch ihre Ergebnisse tatsächlich verbessert.“

„Auf den ersten Blick ist es nicht erstaunlich, dass die Autoren eine verbesserte Vorhersagbarkeit finden, wenn sie den Wärmegehalt des Ozeans betrachten anstatt nur die Oberflächentemperatur. Es ist wohl bekannt, dass Hurrikane ihre Energie aus dem Ozean beziehen und dabei den Ozean durchmischen – oft bis zu 100 Meter tief – und damit auch die Energie der tieferen Schichten anzapfen. Sehr interessant an dieser Studie ist jedoch, dass, auf den zweiten Blick, die Temperatur in diesen tieferen Schichten nur ein indirekter Indikator ist. Sie zeigt nämlich einen verbesserten statistischen Zusammenhang mit einem Ozeanphänomen, das nachweislich eng mit der Hurrikan-Aktivität im Atlantik verbunden ist: der sogenannten AMM (‚Atlantic Meridional Mode‘). Diesen indirekten Effekt nutzen die Autoren für ihre verbesserte Vorhersage aus.“

Prof. Dr. Andreas Fink

Arbeitsgruppe Atmosphärische Dynamik, Department Troposphärenforschung, Institut für Meteorologie und Klimaforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlsruhe

„Die aktuelle Studie analysiert, inwieweit die Temperaturen der Meeresoberfläche oder der Wärmegehalt in der oberen ozeanischen Deckschicht des tropischen Atlantiks sowie des außertropischen Ostatlantiks mit der akkumulierten Zyklonen-Energie in Verbindung gebracht oder zu deren Vorhersage genutzt werden können. Wichtig zu erwähnen ist, dass es sich bei dieser akkumulierten Zyklonen-Energie um eine integrale Größe handelt, das heißt, sie bezieht sich nicht auf einen einzelnen Sturm zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern auf die gesamte Lebensdauer einer Vielzahl von Stürmen im gesamtem tropischen und subtropischen Atlantik während eines definierten Zeitraums. Der verwendete Zeitraum in der Studie ist der Monat September – klimatologisch der Monat mit der stärksten Hurrikan-Aktivität im Nordatlantik.“

„Vorhersagen der akkumulierten Zyklonen-Energie repräsentieren eine Art ‚Hurrikan-Aktivität‘. Sie ermöglichen nicht die Vorhersage der Entstehung, der Intensität oder der Zugbahn eines einzelnen Sturms. Statistische Vorhersagen der Aktivität einer Hurrikan-Saison – von Juni bis November – hat der berühmte Hurrikan-Forscher William Gray bereits in den 1980er Jahren begonnen. Heute machen viele Wetterdienste und einige Forschungseinrichtungen jährlich Vorhersagen dieser akkumulierten Zyklonen-Energie, welche auf statistischen Methoden, gekoppelten Ozean-Atmosphären-Modellen oder aus einem Mix von beiden Ansätzen bestehen. Diese Methoden haben eine nachweisbare Vorhersagegüte, die von Jahr zu Jahr schwankt. Sie erlauben aber nicht die Vorhersage einzelner Stürme. Allerdings bedeutet die Wahrscheinlichkeitsvorhersage einer hohen Sturmaktivität auch eine höhere Wahrscheinlichkeit des Landgangs in der Karibik und den Vereinigten Staaten. Hierin liegt der Wert solcher Vorhersagen.“

„Fazit: Nur unter der ‚gröberen Perspektive‘ der kumulierten Aktivität ist es möglich, den Vorhersagehorizont bis auf 3 Monate auszudehnen.“

„Der Entstehungsort eines Hurrikans lässt sich mit einer verwendbaren Wahrscheinlichkeit etwa eine Woche vorher bestimmen, in einigen Fällen auch wenige Tage vorher. Vorhersagen der Zugbahn sind verwendbar im Bereich von drei bis fünf Tagen. Am schwierigsten vorhersagbar ist die Intensitätsänderung, wie etwa beim jüngsten Beispiel von Hurrikan Michael (Hurrikan, der im Oktober auf Florida getroffen ist; Anm. d. Red.). Hier sind die Vorhersagehorizonte ein bis drei Tage mit größeren Unsicherheiten. Weltweit führend in der Vorhersage tropischer Stürme ist das Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage in Reading in Großbritannien.“

„Betrachtet man die Entstehung eines einzelnen Hurrikans, so sind neben einem hinreichend warmen Ozean die geografische Breite, die vertikale Windscherung – also die Änderung des Windes mit der Höhe –, ein ausreichend starker Anfangswirbel und eine ausreichend feuchte Luftmasse in der unteren und mittleren Troposphäre nötig, damit ein Hurrikan entstehen kann. Für Vorhersagen der akkumulierten Zyklonen-Energie im Bereich von Wochen und Monaten spielen neben den Oberflächentemperaturen des Meeres insbesondere die Stärke der Passatwinde, Wellenphänomene in der tropische Atmosphäre sowie gelegentlich Wellen eine Rolle, die aus dem extratropischen Atlantik in die Tropen eindringen.“

„Die Idee der Autoren, Wassertemperaturen in tieferen Ozeanschichten zu betrachten, ist nicht neu und wird schon seit längerem auch im operationellen Vorhersagebetrieb berücksichtigt. Für die Wahl der Tiefe gibt es keinen einheitlichen Ansatz, da die Tiefe der Mischungsschicht unter anderem von der Sturmintensität abhängt. In der Literatur werden üblicherweise Werte zwischen 50 bis 150 Meter verwendet.“

„Fazit: Die Studie bringt keine grundlegend neuen Erkenntnisse. Sie untersucht aber die Vorhersagbarkeit der akkumulierten Zyklonen-Energie für den Monat mit der stärksten Hurrikan-Aktivität mit einer bisher nicht dagewesenen Systematik, insbesondere was die Tiefe der zu berücksichtigenden Ozeanschicht anbetrifft.“

„Die in der Studie betrachtete akkumulierte Zyklonen-Energie erlaubt es nicht, konkrete Aussagen über die Zugbahn oder Intensität eines einzelnen Sturmes abzuleiten und kann daher nicht mit den üblichen Kurz- und Mittelfristvorhersagen in Relation gesetzt werden.“

„Aufgrund der Kombination des längeren Vorhersagehorizonts und der integralen Methode lassen sich auch keine eindeutigen, direkten Aussagen über Verbesserungen hinsichtlich schadensrelevanter Parameter sowie Präventionsmaßnahmen treffen. Auf dieser zeitlichen Skala lassen sich zwar (regionale) Unterschiede in der Hurrikan-Aktivität ausmachen, sie sind jedoch immer nur als zusammenfassende Größen zu interpretieren.“

„Der Nutzen solcher Vorhersagen mit Vorhersagezeiträumen von mehreren Monaten liegt darin, die Bevölkerung und Katastrophenschutzorganisationen in den betroffenen Küstenabschnitten im Falle der Vorhersage einer aktiven Saison auf einen möglichen ‚Landgang‘ in der Region zu sensibilisieren.“

„Es gibt inzwischen auch schon Arbeiten, welche mit den obengenannten Verfahren versuchen, die Wahrscheinlichkeiten des Landgangs von Stürmen in bestimmten Küstenabschnitten der USA zu bestimmen – zum Beispiel Golfküste im Vergleich zur Ostküste. Hierzu leistet die vorliegenden Studie keinen Beitrag.“

Prof. Dr. Mojib Latif

Leiter des Forschungsbereiches Ozeanzirkulation und Klimadynamik, Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR), Kiel

„Es geht in der aktuellen Studie nicht um die Vorhersage einzelner Hurrikane. Dabei würde es sich um eine Wettervorhersage handeln, und eine Wettervorhersage ist prinzipiell maximal für etwa zwei Wochen im Voraus möglich. Es geht um die Vorhersage der Statistik der Hurrikane, wie man sie zum Beispiel durch den Accumulated Cylone Energy (ACE) Index ausgedrückt. Der ACE Index ist ein Maß für die Stärke einer Hurrikan-Saison, die Anfang Juni beginnt und bis Ende November dauert. Der ACE Index ist definiert als die Aufsummierung der maximalen sechsstündigen Windgeschwindigkeiten (im Quadrat) über alle tropischen Wirbelstürme während der gesamten Hurrikan-Saison. Die Autoren der aktuellen Studie zeigen aber nur die Ergebnisse für den Monat September.“

„Es ist schon lange bekannt, dass die Temperaturen in den oberen etwa 100 Metern des tropischen Atlantiks einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung von Hurrikanen haben. Die Temperaturen unterhalb der Meeresoberfläche werden inzwischen auch routinemäßig mit den sogenannten ‚ARGO Floats‘ gemessen (dies sind knapp 4.000 Treibbojen, die in allen Weltmeeren treibend zwischen null und 2.000 Metern Tiefe auf- und absteigen und dabei physikalische Messdaten erheben [b][c]; Anm. d. Red.). Der Einfluss der Temperaturen unterhalb der Meeresoberfläche liegt schlicht daran, dass die starken Winde eines Hurrikans kälteres Wasser nach oben mischen würden, wenn die sehr warmen Temperaturen nicht auch in der Tiefe vorhanden wären. Und kälteres Wasser würde die Entwicklung von Hurrikanen dämpfen. Die komplexesten Vorhersagemodelle verwenden schon die volle Information aus den Ozeanen, das heißt, auch die Temperaturen bis in Tiefen von 2.000 Metern, die die ARGO Floats messen. In der vorliegenden Studie geht es vor allem um die Temperaturen außerhalb des Gebietes, in dem die Hurrikane entstehen. Die Autoren bleiben aber den Mechanismus schuldig, der erklären würde, warum die Temperaturen außerhalb dieser Region so wichtig sind. Es handelt sich schlicht um einen statistischen Zusammenhang.“

„Da es in der vorliegenden Studie nicht um die Vorhersage einzelner Hurrikane geht, ist auch nicht klar, ob man durch die beschriebenen Ergebnisse wirklich die Schadensvorsorge verbessern kann. Ich wäre da eher skeptisch.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Scoccimarro E et al. (2018): Remote subsurface ocean temperature as a predictor or Atlantiv hurricane activity. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.1810755115

Weitere Recherchequellen

[a] Webseite der NOAA : Atlantic Meridional Mode AMM.

[b] Webseite: International Argo Project Home Page.

[c] Webseite: International Argo Information Centre.