Zum Hauptinhalt springen
03.06.2019

Hoch potente Stammzellen von Mensch und Schwein hergestellt

Erstmals scheint es einer internationalen Forschergruppe aus Deutschland, Großbritannien und China gelungen zu sein, einen besonders vielseitigen Typ von embryonalen Stammzellen von Maus, Schwein und sogar Mensch im Labor längerfristig zu vermehren. Molekular besitzen diese extrem wandlungsfähigen Stammzellen (expanded potential stem cells, EPSC) nach Angaben der Forscher die Entwicklungspotenz individueller Blastomere. Blastomeren sind die noch totipotenten Zellen im frühen Embryo, die in den ersten Zellteilungen aus der befruchteten Eizelle entstehen. Zunächst hatten die Forscher die EPSC bei der Maus erzeugt [I], in der aktuellen Publikation im Journal „Nature Cell Biology“ (siehe Primärquelle) gelang es nun, EPSC auch von Schwein und Mensch (human expanded potential stem cells, hEPSC) zu vermehren und zu charakterisieren. Die bei Schweinen etablierten Zellkultur-Bedingungen und nötigen biochemischen Signale erlaubten es dann, menschliche embryonale Stammzellen und induzierte pluripotente Stammzellen in EPSC zu verwandeln.

Die patentierten hEPSC sind besonders deshalb interessant, weil sie alle drei Keimblätter hervorbringen können, insbesondere Zelllinien, die dem Trophoblasten ähneln, einem Zelltyp, aus dem die Hülle des sich entwickelnden menschlichen Embryos entsteht. Das neue Paradigma einer biochemischen Hemmung bestimmter Entwicklungspfade von embryonalen Stammzellen eröffne neue Wege, schreiben die Autoren: „Pluripotente Stammzellen von Säugetieren“ könnten nun in vitro hergestellt werden ohne weiteren Embryonenverbrauch. EPSC stellten zudem eine „einzigartige zelluläre Plattform für die translationale Forschung in der Biotechnologie und der regenerativen Medizin dar“.

Zu erwarten ist, dass sich die Biomedizin nun auf den Weg begibt, in der Petrischale auch menschliche Embryonen-ähnliche Gebilde zu erzeugen – in der Fachsprache synthetische, menschliche Entitäten mit embryoartigen Eigenschaften (synthetic human entities with embryo-like features, SHEEFs). Zu dieser Entwicklung hatte das SMC bereits im Dezember 2018 Ethiker und Juristen befragt [II]. Mit Hilfe solcher Embryonenmodelle könnten Entwicklungsstörungen erforscht und die künstliche Befruchtung sowie Verhütungsmethoden verbessert werden. Auch das Genome Editing wäre in solchen vermehrungsfähigen Zellen möglich. Anwendungen dieser Art sind in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz aus dem Jahre 1990 reglementiert. Am 4. Juni hat die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina zum Embryonenschutzgesetz eine Stellungnahme mit dem Titel „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – für eine zeitgemäße Gesetzgebung“ veröffentlicht und auf einem Podium diskutiert [III].

 

Statement

Prof. Dr. Hans Schöler

Leiter der Abteilung Zell- und Entwicklungsbiologie, Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, Münster

„Ich halte die Veröffentlichung für ausgezeichnet! Sicher kann man immer noch mehr verlangen, aber diese Publikation ist recht üppig mit Daten ausgestattet. Die zahlreichen namhaften Labore belegen zudem, dass die ‚expanded-potential stem cells‘, EPSC, auf Herz und Nieren von Experten überprüft worden sind. Da es sich um eine eher deskriptive Arbeit handelt, in der ein bislang für den Menschen und Schweine noch nicht beschriebener Zelltyp untersucht wird, ist der eigentlich spannende Aspekt der Arbeit, was diese Stammzellen möglicherweise können. In einer weiteren Arbeit von Januar 2019 [I], in der die Autoren die detaillierte Ableitung von Maus EPSC darlegen, sprechen sie selbst eben diesen Punkt der Potenz an: ‚EPSCs retain some of the molecular features and developmental potential of blastomeres‘. Damit bewerten sie die EPSC genauso wie die sogenannte 2C-Population, eine totipotent-ähnliche Subpopulation embryonaler Stammzellen, die bestimmte Eigenschaften von totipotenten Zellen besitzen. Weder aus den EPSC der Maus, noch aus 2C-Zellen der Maus wurden meiner Kenntnis nach synthetische Embryonen kreiert. Da das Manuskript, in dem die EPSC der Maus beschrieben wurden, bereits im November 2016 bei Nature eingereicht wurde, kann man davon ausgehen, dass sie die Zellen wohl schon seit mindestens 2015 im Labor untersucht haben. Da es technisch recht einfach ist, aus einer Handvoll einzelner Blastomeren der Maus eine Maus abzuleiten, hätte man wohl inzwischen aus EPSC Embryonen abgeleitet, wenn es denn so einfach wäre. Die Autoren hüten sich ja auch mit Recht davor, Begriffe wie totipotent in dieser neuesten Publikation zu verwenden. Ganz korrekt schreiben sie, dass die Zellen bestimmte Eigenschaften von Blastomeren haben, mehr erst einmal nicht.“

„Die Frage ist nun, ob man mit diesen Zellen zu einem besseren Verständnis gelangen könnte, wie man Zellen ableitet, die Blastomeren entsprechen. Das könnte meines Erachtens durchaus sein. Ein spannender Aspekt an frühen embryonalen Zellen ist ja, dass sie sich im Embryo kontinuierlich weiterentwickeln, in der Kulturschale aber in bestimmten Zuständen gleichsam festgehalten werden können. Daher kann man ja pluripotente Zellen mit den unterschiedlichsten Eigenschaften stabil in Kultur halten. Ausschlaggebend sind dabei die Kulturbedingungen, die eine Differenzierung unterbinden und dafür sorgen, dass die Zellen sich im ‚festgehaltenen‘ Zustand vermehren können. Dabei können die Zellen in der Kulturschale beträchtliche Unterschiede zu den Zellen im Embryo aufweisen. Trotzdem können sich solche in vitro Artefakte nach Injektion in Embryonen integrieren und alle Zellen der Maus bilden. Unter bestimmten Bedingungen lassen sich ja sogar Mäuse ableiten, die ganz und gar von solchen Zellen stammen (tetraploide Aggregation). Wie genau sorgen die Blastomere des tetraploiden Vierzellers dafür, dass die pluripotenten Zellen eine Maus bilden können? Kann man Bedingungen definieren, unter denen sich einzelne Blastomere in der Petrischale vermehren lassen? Gibt es Bedingungen unter denen sich pluripotente Zellen in Zellen überführen lassen, die noch mehr Eigenschaften von Blastomeren haben, wie EPSC? Solche Fragen werden uns noch eine ganze Weile beschäftigen. In dieser Hinsicht sind meines Erachtens diese Arbeiten an EPSC Mosaiksteine zu einem besseren Verständnis davon, was den frühen Embryo ausmacht. Wo genau die Arbeiten im fertigen Mosaik ihren Platz haben, muss sich erst noch zeigen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Gao X et al. (2019): Establishment of porcine and human expanded potential stem cells. Nature Cell Biology. DOI: 10.1038/s41556-019-0333-2. 

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[I] Yang J et al. (2019): In vitro establishment of expanded-potential stem cells from mouse pre-implantation embryos or embryonic stem cells. Nature Protocols; 14: 350-378. DOI: 10.1038/nature24052. 

[II] Science Media Center Germany (2018): Ethik und Recht bei Embryonenmodellen aus Stammzellen. Research in Context. Stand: 12.12.2018. 

[III] Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften: Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – für eine zeitgemäße Gesetzgebung. Vorträge und Diskussionen.