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05.03.2019

HIV-Patient frei von Symptomen nach Knochenmarkstransplantation

Timothy Ray Brown gilt seit 2008 als der erste und bisher einzige von einer HIV-Infektion geheilte Mensch [I]. Besser bekannt als „Berliner Patient“ hatten ihn damals Ärzte an der Charité behandelt. Möglicherweise gibt es nun einen zweiten Fall in London.

Britische Ärzte berichten in der Fachzeitschrift „Nature“ den Fall eines HIV-Patienten (siehe Primärquelle), der sich seit 18 Monaten ohne eine HIV-Therapie in Remission befindet, also keinerlei Symptome der Infektion aufweist. Die Londoner Ärzte hatten ihn nach dem gleichen Prinzip behandelt, wie damals die Berliner Kollegen. Sie möchten jedoch nicht vorzeitig von einer Heilung sprechen.

Der HIV-Patient des aktuellen Fallberichts war an einem Lymphdrüsenkrebs, dem Hodgin-Lymphom, erkrankt, für dessen Therapie die Ärzte Knochenmark transplantierten. Der ausgewählte Spender der Stammzellen trug eine genetische Veränderung, die ihn resistent gegen eine HIV-Infektion machte und die sich mit den Stammzellen auf den Empfänger übertrug. Nach der Transplantation behandelten die Ärzte den Patienten 16 weitere Monate gegen HIV mit einer antiretroviralen Therapie. Mittlerweile sind weitere 18 Monate vergangen, seit er diese Therapie abgesetzt hat und in denen er keine Symptome der HIV-Infektion zeigt.

Zum Hintergrund HIV-Resistenz und CCR5-Rezeptor:
Bei Menschen mit dieser Art HIV-Resistenz wird durch eine Genmutation ein Rezeptor auf der Oberfläche von Immunzellen, der CCR5-Rezeptor, fehlerhaft und somit funktionslos gebildet. Das HI-Virus benutzt diesen, aber nicht nur diesen, als eine Art Entrittspforte zur Infektion von Immunzellen. Ohne den funktionierenden Ko-Rezeptor bleibt ihm dieser Weg verwehrt. Menschen, die so weitestgehend resistent gegen eine HIV-Infektion sind, fehlt in ihrem Erbgut in beiden Ausprägungen (Allelen) des CCR5-Gens ein Stück – auch Deletion genannt. Da die Mutation auf beiden Allelen vorkommt, sind diese Menschen homozygot veranlagt. Wissenschaftlich abgekürzt wird diese homozygot vorliegende Mutation so beschrieben: CCR5 Delta32/Delta32. Das CCR5-Gen ist eine wichtige Zielstruktur in der Erforschung von HIV-Therapien, wie beispielsweise einer Gentherapie. Mit Hilfe einer solchen könnte das Erbgut der Zellen in HIV-Patienten hin zu der Resistenzauslösenden Variante verändert werden. Der chinesische Forscher He Jiankui wollte diesen Status erreichen, indem er das Erbgut von Embryonen mittels Genomeditierung veränderte. Er sorgte mit diesem Experiment Ende des vergangenen Jahres für Schlagzeilen [II] und steht bis heute in starker Kritik.

Übersicht

     

  • PD Dr. Gero Hütter, Ärztlicher Leiter der Cellex GmbH, Dresden, und damals behandelnder Arzt des „Berliner Patienten“ Timothy Ray Brown an der Charité – Universitätsmedizin Berlin
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  • Prof. Dr. Jürgen Rockstroh, Oberarzt und Leiter der Infektiologie/ HIV, Universitätsklinikum Bonn
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  • Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln, und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI)
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  • Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich, Direktor der Abteilung Virologie, Universitätsklinikum Heidelberg
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Statements

PD Dr. Gero Hütter

Ärztlicher Leiter der Cellex GmbH, Dresden, und damals behandelnder Arzt des „Berliner Patienten“ Timothy Ray Brown an der Charité – Universitätsmedizin Berlin

„Seit der erfolgreichen Transplantation des ‚Berliner Patienten‘ wird versucht diesen Fall zu reproduzieren. Leider sind einige der Patienten, die die gleiche Behandlung erhalten hatten, früh an Komplikationen oder Rückfällen ihrer Krebserkrankung verstorben. Ein Patient aus Essen erlitt einen Rückfall der HIV-Erkrankung mit einem mutierten Virusstamm, nachdem die HIV-Therapie abgesetzt wurde. Bei drei Patienten liegt die Transplantation schon mehr als ein Jahr zurück, sie erhalten aber weiterhin ihre HIV-Medikation. Der jetzt vorgestellte Fall ist die erste erfolgreiche Wiederholung des ‚Berliner Patienten‘. Die Behandlung wurde insgesamt besser vertragen als bei anderen Patienten, was aber nicht auf eine bestimmte Intervention zurückzuführen ist, sondern dem Spektrum der möglichen Verläufe entspricht. Dennoch wird die Stammzelltransplantation auch zukünftig HIV-Patienten mit zusätzlicher hämatologischer Erkrankung (Erkrankung des blutbildenden Systems; Anm. d. Red.) vorbehalten bleiben. Die derzeitige HIV-Behandlung bewirkt zwar keine Heilung, aber eine deutliche Verbesserung des Überlebens – natürlich verbunden mit erheblichen, aber letztendlich zu akzeptierenden Nebenwirkungen.“

„Bei dem ‚Berliner Patienten‘ entwickelte sich eine wissenschaftliche Kontroverse darum, ob nicht patientenseitige Faktoren zu der Heilung geführt hätten. Damit wäre eine Wiederholung praktisch ausgeschlossen. Dieser neue erfolgreiche Fall deutet jedoch eher darauf hin, dass es durch die Auswahl des Transplantates, das keine Angriffspunkte für HIV lieferte, zu dieser Heilung gekommen ist. Damit wird auch die Entwicklung gentherapeutischer Therapieoptionen gestärkt, um ein Verfahren zu entwickeln, dieses Prinzip der HIV-Heilung praktikabler und für den Patienten risikoärmer umzusetzen.“

Prof. Dr. Jürgen Rockstroh

Oberarzt und Leiter der Infektiologie/ HIV, Universitätsklinikum Bonn

„Dies ist ein interessanter zweiter Fall, der zumindestens die Diskussion darum beendet, ob der erste Patient ein Einzelfall ohne Möglichkeit der Reprodzierbarkeit ist. Ein wichtiger Unterschied allerdings: Dieser Patient hatte vor der Transplantation bereits ein CCR5 Delta 32/ Wildtyp (ein Allel des Gens für den CCR5-Rezeptor lag bereits in mutierter Form vor, das andere in der unveränderten Wildtyp-Form, er war also heterozygot veranlagt; Anm. d. Red.). Dieser Patient, wie auch der ‚Berliner Patient‘, hatten beide eine Graft-versus-Host-Reaktion (zu Deutsch Transplantat-gegen-Wirt-Reaktion, Immunzellen des Spenders aus dem Transplantat richten sich gegen den Körper des Empfängers und verursachen systemische Gewebeschädigungen; Anm. d. Red.), die gegebenenfalls auch eine Rolle bei der Heilung spielen könnte und weniger der CCR5-Tropismus (die Affinität des HI-Virus an den CCR5-Rezeptor zu binden; Anm. d. Red.). Es gibt ja auch negative Ausgänge nach Stammzelltransplantation.“

Auf die Frage, woran es liegen kann, dass die Therapie bei diesem Patienten weniger Nebenwirkungen hat:
„Bei dem aktuellen Fall liegt eine andere maligne (bösartige; Anm. d. Red.) Grunderkrankung vor, die weniger aggressiv behandelt werden müsste; insbesondere auch ohne zusätzliche Ganzkörperbestrahlung.“

„Eine Stammzelltransplantation ist mit einem hohen Morbiditäts- und Mortalitätsrisko verbunden und kann daher nie eine Standardtherapie zur Behandlung einer HIV-Infektion werden. Nur Patienten mit malignen Erkrankungen, bei denen die entsprechende Stammzelltherapie als Therapieoption etabliert ist kommen bei gleichzeitiger HIV-Infektion für ein solches therapeutisches Vorgehen in Frage.“

Auf die Frage, welche Rolle diese Ergebnisse in der Entwicklung wirksamer HIV-Therapien spielen, beispielsweise von Gentherapien:
„Da dies ein zweiter Falll ist, dürfte sich grundsätzlich an den Grundideen zur Entwicklung einer Gentherapie nichts ändern. Gentherapeutisch den homozygoten CCR5 Delta 32 Genotyp (also das Erbgut in Zellen so verändern, dass nur noch die mutierte Variante des Gens vorliegt und keine funktionstüchtigen CC5-Rezeptoren ausgebildet werden; Anm. d. Red.) zu erzeugen, bleibt weiter interessant und wird durch diesen zusätzlichen Fall nochmal Aufwind bekommen.“

Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer

Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln, und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI)

„Es gibt hier viele Parallelen mit dem ‚Berliner Patienten‘. Beide hatten eine fortgeschrittene Tumorerkrankung, bei der eine Knochenmarkstransplatation die einzige Chance auf eine Heilung darstellte. Der Grund für diese sehr eingreifende Maßnahme war also nicht in erster Linie die HIV-Infektion selbst, sondern eine Krebserkrankung. In beiden Fällen hat man dann die Möglichkeit genutzt, Stammzellen eines Spenders zu transplantieren, der eine natürliche Resistenz gegen die Infektion mit HIV aufweist.“

„Bei dem aktuellen, britischen Patienten wurde eine weniger aggressive Chemotherapie vor der Transplantation gegeben, vor allem aber wurde im Gegensatz zum Berliner Patienten keine Ganzkörperbestrahlung durchgefüht. Das macht die sogenannte Konditionierung vor der Transplantation (Abtöten des Immunsystems des Empfängers als Vorbereitung auf die Transplantation; Anm. d. Red.) insgesamt milder. Dennoch handelt es sich bei der Knochenmarkstransplantation weiterhin um eine sehr stark eingreifende Maßnahme, die mit schweren Nebenwirkungen einhergehen kann. Damit kommt sie für die alleinige Therapie der HIV-Infektion nicht infrage, sondern nur dann, wenn zusätzlich eine Krebserkrankung vorliegt, die mittels Stammzeltransplantation heilbar ist. Es müssen also schon sehr spezielle Bedingungen gegeben sein. Hinzu kommen dann noch der sehr große Aufwand einer Transplantation sowie die Notwendigkeit, einen passenden Spender zu finden, der eine natürlich Resistenz gegen HIV aufweist. Die Knochenmarkstransplantation mit dem Ziel der Heilung von HIV wird eine große Ausnahme bleiben.“

„Der Bericht zeigt, dass die Heilung des Berliner Patienten von HIV kein singuläres Ereignis war, sondern prinzipiell wiederholbar ist. Er ist damit von großer Bedeutung und gibt den Anstrengungen von Forschern Auftrieb, die nach Wegen zu einer Heilung von HIV suchen. Allerdings ist noch völlig unklar, welche Methoden hier am Ende erfolgreich sein können. Die Bedeutung des britischen Falles liegt also mehr auf der allgemeinen Ebene als in der Beschreibung eines konkreten wissenschaftlichen Weges. Mit der Stammzelltransplantation ist der Schlüssel zur HIV-Heilung noch nicht entdeckt.“

Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich

Direktor der Abteilung Virologie, Universitätsklinikum Heidelberg

„Die Ergebnisse sind von großer Bedeutung, da der sogenannte ‚Berlin Patient‘ bisher weltweit ein Einzelfall war. Insofern konnte man nicht sagen, ob bei dieser einen Person ganz besondere Voraussetzungen vorlagen und das Ergebnis bei anderen Patienten selbst bei komplett gleichem Vorgehen nicht wiederholbar sein könnte. Jetzt gibt es einen zweiten ähnlichen Fall, bei dem der Verlauf zwar noch nicht so lange beobachtet werden konnte wie beim ‚Berliner Patienten‘, bei dem aber zumindest alle bisherigen Befunde einen ähnlichen Verlauf vermuten lassen. Wiederholbarkeit ist ein entscheidendes Kriterium wissenschaftlicher Evidenz, insofern ist das hier berichtete Ergebnis sehr wichtig.“

„Neben der HIV-Infektion hatten die beiden Patienten sehr unterschiedliche Erkrankungen, die zwar in beiden Fällen eine Therapie mit Stammzellen eines Fremdspenders erforderten, aber unterschiedlich verliefen. Bei dem jetzt berichteten Patienten konnte zur Vorbereitung der Transplantation auf eine Bestrahlung des gesamten Körpers (die beim ‚Berliner Patienten‘ stattfinden musste) verzichtet werden. Außerdem hatte der ‚Berlin Patient‘ einen Rückfall der Leukämie nach der ersten Transplantation und brauchte eine zweite Transplantation, erneut mit Bestrahlung des gesamten Körpers. Dies sind Unterschiede, die nichts mit der HIV-Infektion zu tun hatten, sondern sich aus der Grunderkrankung, die die Transplantation mit Stammzellen erforderte, sowie aus dem unterschiedlichen klinischen Verlauf nach Transplantation ergaben.“

„Auch zukünftig wird die Transplantation mit Stammzellen keine Option für die Heilung der HIV-Infektion darstellen, wenn die Transplantation nicht durch andere Grunderkrankungen erforderlich ist. Es handelt sich auch bei der weniger aggressiven Vorbehandlung immer noch um einen massiven Eingriff mit langem Krankenhausaufenthalt und signifikantem Risiko, der angesichts einer in der Regel gut verträglichen und langfristig wirksamen antiviralen Therapie nicht vertretbar wäre, wenn nicht aus anderen medizinischen Gründen indiziert. Wenn allerdings bei HIV-Patienten eine zusätzliche Erkrankung auftritt, die eine Stammzell-Transplantation erfordert, sollte versucht werden, einen passenden Spender mit CCR5-Deletion zu finden (etwa 1 Prozent der Bevölkerung). Allerdings war die Situation in diesem Fall besonders, da der am besten passende Spender zusätzlich auch CCR5-negativ war.“

„In verschiedenen aktuellen Studien wird versucht, das Gen für den CCR5-Rezeptor mit der Genschere CRISPR/Cas oder anderen vergleichbaren Methoden in den eigenen Stammzellen von Patienten zu zerstören, um so nicht mehr infizierbare Immunzellen dauerhaft aus den Stammzellen der Person produzieren zu lassen. Die Publikation zeigt, dass dies bei Patienten, deren Viren ausschließlich den CCR5-Korezeptor (und nicht den von anderen HIV-Stämmen auch genutzten CXCR4-Korezeptor) verwenden, erfolgreich sein kann, sofern alle T-Zellen diesen Defekt tragen (wie im Fall des Patienten nach Stammzelltransplantation). Allerdings erreicht die Gentherapie nur einen Teil der Stammzellen, so dass aktuell nicht damit zu rechnen ist, dass hierdurch gleichwertige Erfolge zu erzielen sein werden. Man sollte sie eher als einen von mehreren Bausteinen betrachten.“

„Unter Heilung der HIV-Infektion versteht man, dass auch ohne weitere Medikamente oder andere Therapien kein Wiederauftreten des Virus in der Person beobachtet wird. Bei der aktuellen medikamentösen Therapie ist das nicht der Fall. Es treten praktisch immer erhebliche Virusmengen innerhalb von wenigen Wochen nach Absetzen der Behandlung auf. Der hier berichtete Patient bekommt seit über einem Jahr keine Medikamente mehr und es ist bisher kein Virus nachweisbar; auch mit sehr empfindlichen Methoden konnte nichts gefunden werden. Dies ist ein ermutigendes Zeichen, aber kein Beweis für Heilung: Das sogenannte Mississippi Baby hatte insgesamt 27 Monate nach Ende der Therapie keine nachweisbare Virusmenge, danach trat das Virus jedoch wieder auf. Dies ist der bisher längste Zeitraum. Es gibt insofern keinen definierten Zeitpunkt, ab dem man von Heilung sprechen kann, aber natürlich wird diese mit der Länge des Zeitraums ohne Virus und ohne Medikamente immer wahrscheinlicher.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

PD Dr. Gero Hütter: „Keine Interessenskonflikte“

Prof. Dr. Jürgen Rockstroh: „Interessenskonflikte keine“

Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer: „Mögliche Interessenkonflikte:
- Forscher im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) im Bereich HIV Infektion
- eigene Forschungsarbeiten, die sich mit der Frage nach einer Heilung von HIV beschäftigen
- nicht involviert in Projekte, die eine Stammzelltransplantation anwenden
- nicht involviert in den beschriebenen Fall.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Gupta RK et al. (2019): HIV-1 remission following CCR5Δ32/Δ32 haematopoietic stem-cell transplantation. Nature. DOI: 10.1038/s41586-019-1027-4. 

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Hütter G (2009): Long-Term Control of HIV by CCR5 Delta32/Delta32 Stem-Cell Transplantation. New England Journal of Medicine; 360: 692-698. DOI: 10.1056/NEJMoa0802905. 

[II] Science Media Center Germany (2018): Erstmals geneditierte Babys in China geboren? Rapid Reaction. Stand: 26.11.2018.