Zum Hauptinhalt springen
14.09.2020

Geneditierte Leihväter für Nutztierzucht?

Mit einer Kombination von Genome Editing und einer Stammzelltransplantation wollen US-amerikanische Forschende ausgewähltes Genmaterial effizienter in der Tierzucht einsetzen. In einer „proof of concept“-Studie an verschiedenen Nutztieren und Mäusen erzeugten sie fruchtbare „Leihvater“-Tiere, die ausschließlich Spermien mit dem Erbgut eines Spenders produzierten. Auf diese Weise sollen beispielsweise die Spermien eines ausgewählten Zuchtbullens von anderen Bullen produziert und zur Zucht genutzt werden können. Details ihrer Forschung veröffentlichten sie im Fachjournal „PNAS“ (siehe Primärquelle).

Im Rahmen der Studie wandten die Wissenschaftler zunächst die Genschere CRISPR-Cas9 auf männliche Embryonen an, die später zu den Leihvätern heranwachsen sollten. Damit schalteten sie ein für die männliche Fruchtbarkeit verantwortliches Gen (NANOS2-Gen) aus, sodass die Tiere zunächst steril geboren wurden. Anschließend transplantierten sie in die ansonsten voll funktionsfähigen Hoden spermaproduzierende Stammzellen ausgewählter Spendertiere. Die so behandelten Tiere – Rinder, Schweine, Ziegen und Mäuse – starteten daraufhin mit der Produktion von Spermien, die ausschließlich genetisches Material der Spender enthielten. Mäuse konnten sich zudem durch natürliche Paarung reproduzieren, ihre Nachkommen trugen ebenfalls nur Spendergene. Bei den größeren Tieren führte das Team dieses Experiment noch nicht durch.

Auch wenn die Technologie noch nicht weit genug ausgereift zu sein scheint, um auch bei größeren Tierarten die gewünschte Fruchtbarkeit zu erzielen, sehen die Wissenschaftler in den Ergebnissen einen vielversprechenden Konzeptbeweis. Sie hoffen, damit künftig die globale Nahrungsmittelproduktion effizienter machen und möglicherweise auch gefährdete Arten besser erhalten zu können. Inwiefern eine Umsetzung in der Viehzucht tatsächlich einmal möglich sein sollte, wird stark von der gesellschaftlichen Akzeptanz und der politischen Regulierung abhängen – derzeit sei es nach Auskunft der Autoren noch weltweit verboten, auf diese Weise veränderte Tiere in der Nahrungskette einzusetzen.

Übersicht

     

  • Dr. Björn Petersen, Wissenschaftler am Institut für Nutztiergenetik (ING), Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit (FLI), Greifswald-Insel Riems
  •  

  • Prof. Dr. Jens Tetens, Leiter der Abteilung Functional Breeding am Department für Nutztierwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen
  •  

  • Prof. Dr. Hans-Georg Dederer, Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht, Universität Passau
  •  

  • Prof. Dr. Angelika Schnieke, Professorin für Biotechnologie der Nutztiere am Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt, Technische Universität München (TUM), München
  •  

  • Prof. Dr. Christa Kühn, Leiterin des Instituts für Genombiologie, Leibniz-Institut für Nutztierbiologie (FBN), Dummerstorf (beantwortet Fragen zu Anwendungsperspektiven und Ethik)
  •  

  • Dr. Jens Vanselow, Leiter des Instituts für Fortpflanzungsbiologie, Leibniz-Institut für Nutztierbiologie (FBN), Dummerstorf (beantwortet Fragen zur Technik und rechtlichen Regulierung)
  •  

Statements

Dr. Björn Petersen

Wissenschaftler am Institut für Nutztiergenetik (ING), Friedrich-Loeffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit (FLI), Greifswald-Insel Riems

„Die von Ciccarelli et al. veröffentlichten Ergebnisse stellen einen wissenschaftlich hochinteressanten Fortschritt auf dem Gebiet der spermatogonialen Stammzelltransplantation bei Nutztieren dar. Aus Mäusen kannte man ähnliche Ergebnisse mit Empfängertieren, die zuvor chemisch sterilisiert wurden. Die Autoren zeigen, dass Mäuse, Schweine, Ziegen und Rinder mit einem Verlust von Keimzellen durch einen CRISPR-Cas9-vermittelten Knockout von NANOS2 als optimale Empfänger für Transplantationen von spermatogonialen Stammzellen (SSC, Zellen, die die Grundlage für die lebenslange Spermienproduktion bilden; Anm. d. Red.) dienen. Insbesondere die Feststellung der Spermaproduktion nach Transplantation von SSC in Nutztieren stellt einen großen wissenschaftlichen Fortschritt dar.“

„Zukünftige Schwerpunkte der Forschung liegen aufgrund der präsentierten Ergebnisse auf der Entwicklung optimaler Transferbedingungen der SSCs, wie Zeitpunkt und Menge, um eine reproduzierbarere und effizientere Spermaproduktion zu gewährleisten, dennnur einer von sechs Ebern und einer von fünf Ziegenböcken produzierten nach einer SSC-Transplantation in dieser Studie Sperma. Bei diesen Tierarten fehlt, im Gegensatz zu den Mausergebnissen, auch noch der Nachweis der Fruchtbarkeit durch Produktion von Nachkommen. Spannend wäre herauszufinden, ob auch eine speziesübergreifende Transplantation von SSCs zur Produktion von Sperma und Fertilität führen würde.“

„Potenzielle Anwendungen liegen vor allem bei männlichen Nutztieren mit einem hohen genetischen Zuchtwert. Insbesondere in der Pferdezucht liegen Anwendungsperspektiven, bei der durch diese neue Technik kastrierte Hengste über die Transplantation von SSCs in andere Empfänger wieder für die Zucht zugänglich wären. Aber auch im Rinderbereich könnte man sich die Anwendung vorstellen, um mehr Samenportionen von einem Bullen zu bekommen oder diese weltweit anbieten zu können.“

„Einzustufen sind die präsentierten Ergebnisse bisher als reine Machbarkeitsstudie und eine zeitnahe Verwendung in der Tierzucht ist nicht realistisch. Die Limitierungen bestehen vor allem in der mangelnden Erkenntnis über SSCs bei den Nutztieren im Vergleich zur Maus. Zum anderen bedingt die Technik einen oder besser mehrere NANOS2-Knockout-Empfänger (Tier, bei dem das Gen NANOS2 durch Geneditierung abgeschaltet wurde und in der Folge steril ist. Auch NANOS2-KO-Empfänger; Anm. d. Red.), die zunächst über Genome Editing erstellt werden müssten. Zudem verliert der Spender zumindest einen Hoden für die Gewinnung von SSCs. Daher wäre eine Anwendung vor allem bei wertvollen Zuchttieren denkbar, die aus medizinischen Gründen aus der Zucht ausscheiden und die aufgrund des Sporteinsatzes kastriert werden.“

„Aufgrund der Komplexität der Methoden, die unter anderem das Abschalten des Gens bei dem Empfänger, die Gewinnung, Kultivierung und Aufreinigung von SSCs sowie die Transplantation von SSCs umfassen, ist nicht davon auszugehen, dass sie einen breiten Einsatz in der Tierzucht erfahren werden, ähnlich wie beim Klonen.“

Auf die Frage, wie die Zuchtketten von Vieh derzeit ablaufen und welche Vor- und Nachteile die vorgestellte Methode gegenüber der selektiven Tierzüchtung hätte:
„Die Zuchtverbände organisieren die Zucht der Nutztiere. Genetisches Material wird in Form von Sperma oder Embryonen gehandelt. Die neue Methode stellt keinen Paradigmenwechsel zur selektiven Tierzüchtung dar, sie bietet nur eine neue Methode des Erhalts und Vermehrung von Genetik.“

Auf die Frage, inwiefern unerwünschte Nebeneffekte der Geneditierung kontrolliert werden können:
„Die NANOS2-KO-Empfänger werden in der Regel übers Klonen erstellt. Hierbei besteht die Möglichkeit, das Genom der Spenderzellen für den Klonvorgang vor dem Einsatz komplett auf unerwünschte Modifikationen des Genoms zu untersuchen. Eine genaue Charakterisierung der NANOS2-KO-Tiere ist zudem geboten, um unerwünschte Effekte durch die gezielte Ausschaltung zu verhindern.“

Auf die Frage nach potenziellen Risiken des Eingriffs:
„Werden NANOS2-KO-Empfängertiere über Mikroinjektion in Zygoten produziert, wird eine Untersuchung der Embryonen auf unerwünschte Veränderungen im Genom sehr schwierig, da dazu eine gewisse Menge an DNA benötigt wird, was häufig mit der Vitalität der Embryonen kollidiert. Bei der Generierung durchs Klonen können gesundheitliche Probleme bei den Tieren auftreten, die in der Klontechnik begründet liegen und durch eine ungenügende oder fehlerhafte Rückprogrammierung der Spenderzellen hervorgerufen werden. Solche gesundheitlichen Beeinträchtigungen beobachteten die Wissenschaftler in der vorliegenden Studie ebenfalls. Zwei von sechs NANOS2-KO-Ebern wiesen eine osteopathische Degeneration (Krankheitsbilder, bei denen Knochen oder Bindegeweben schwindet; Anm. d. Red.) auf, die die Autoren vor allem auf den Einsatz der Klontechnik zurückführen. Diese speziellen Risiken gelten allerdings nur für die Ausgangstiere der Zuchtlinien. Spätere NANOS2-KO-Empfängertiere können über Zucht erstellt werden, da heterozygote NANOS2-KO-Tiere fortpflanzungsfähig sind.“

Auf die Frage, welche Regelungen derzeit hierzulande und in Europa in Bezug auf „Leihvaterschaften” und Genome Editing bei Nutztieren gelten:
„Genomeditierte Tiere sind nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) als GVO (genveränderte Organismen) einzustufen, die einer weitgehenden Regulierung unterliegen. Eine spezielle Regelung zu Leihvaterschaften gibt es nicht, da diese Frage bisher nicht präsent war. Eine spannende Frage ist, wie Nachkommen aus dieser Methode einzustufen sind, da die SSCs nicht geneditiert wurden und von einem nicht-geneditierten Spender stammen. An dieser Stelle besteht in der Zukunft großer Handlungsbedarf von Seiten der Regierungen, gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die auch solche Methoden einschließen.“

„Ethisch sehe ich derzeit wenig Probleme, da man sich bisher auf allogene Transplantationen – Transplantationen innerhalb einer Spezies – von SSCs beschränkt. Ethisch fragwürdig wird es, sollte es gelingen, xenogene Transplantationen durchzuführen, zum Beispiel von Maus zu Schwein oder schlimmstenfalls Mensch zu Tier.“

Prof. Dr. Jens Tetens

Leiter der Abteilung Functional Breeding am Department für Nutztierwissenschaften, Georg-August-Universität Göttingen

„Ein wesentlicher Faktor für die erfolgreiche spermatogoniale Stammzelltransplantation ist die Verfügbarkeit eines Empfängertieres mit vollständiger Ablation (Entfernung/Abwesenheit; Anm. d. Red.) der eigenen Keimbahn und ansonsten ungestörter Hodenfunktion. Zusätzlich kann es wie bei jeder Transplantation zu Abstoßungsreaktionen kommen. In dieser Studie werden durch Genomeditierung erzeugte männliche Empfängertiere verwendet, die aufgrund eines homozygoten Knockouts des NANOS2-Gens (das Gen ist auf beiden Kopien des Erbguts ausgeschaltet; Anm. d. Red.) die oben genannten Bedingungen erfüllen.“

„Das ist grundsätzlich nicht neu und die Gruppe hat auf diese Weise vor einigen Jahren bereits die Keimbahnablation im Schwein gezeigt. Ein großer Vorteil dieser Methode ist die Tatsache, dass der Knockout keinen Effekt auf die weibliche Fruchtbarkeit hat und heterozygote männliche Tiere ebenfalls fruchtbar sind, sodass eine Empfängerlinie einfach auf natürlichem Wege erhalten werden könnte.“

„In der Studie wird gezeigt, dass männliche Empfängermäuse nach der allogenen Stammzelltransplantation eine im Prinzip normale Fruchtbarkeit erreichen können, was eine wesentliche Voraussetzung für die praktische Anwendbarkeit des Verfahrens in der Nutztierzucht wäre. Nicht alle Transplantationen sind jedoch erfolgreich. Bei Schweinen und Ziegen konnten die Autoren zeigen, dass es nach Transplantation zur Spermatogenese (Spermienproduktion; Anm. d. Red.) kommt und offenbar keine Abstoßungsreaktion zu beobachten ist. Bei Bullen konnte zumindest eine vollständige Keimbahnablation demonstriert werden.“

„Die Studie liefert damit den konzeptionellen Nachweis, dass die Methode auch beim Nutztier anwendbar wäre. Was die praktische Anwendbarkeit in Zuchtprogrammen angeht, wäre ich jedoch nicht so optimistisch wie die Autoren, denn zukünftige Studien müssen erst zeigen, ob sich der Erfolg der Methode wirklich durch einige simple Anpassungen der Prozedur optimieren lässt, wie sie schreiben. Gegen Ende der Studie gehen sie insbesondere auf das Rind ein und heben die Möglichkeit, auf diese Weise besonders erwünschte Gene sehr weit in Zuchtpopulationen zu verbreiten, als interessantes züchterisches Werkzeug hervor. Gerade in der Milchrinderzucht jedoch, in der künstliche Besamung Standard und Sperma bestimmter Vatertiere im Prinzip weltweit verfügbar ist, stellt sich die Frage nach dem zusätzlichen Nutzen der Methode. Zudem birgt die noch stärkere Fokussierung auf einzelne Bullen die Gefahr steigender Inzucht.“

„Es sei noch erwähnt, dass man sich letztlich rein theoretisch vorstellen könnte, dass auf diese Weise genomeditierte Bullen, die eine besondere Kombination vorteilhafter Allele aufweisen, in der Population propagiert werden. Das ist jedoch derzeit keine Option, denn neben der Tatsache, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen dies bei uns nicht zulassen, spricht die komplexe Natur der meisten züchterisch relevanten Merkmale dagegen. Sie werden von sehr vielen Genen mit jeweils nur sehr kleinen Effekten auf die Merkmalsausprägung beeinflusst, sodass wir trotz aller verfügbaren Technologie, bis jetzt nur sehr wenige kausale Genvarianten für diese Merkmale kennen.“

Prof. Dr. Hans-Georg Dederer

Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, Völkerrecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht, Universität Passau

„Tierschutzrechtlich stellen sich im Lichte der Publikation im Grundsatz keine neuartigen, anderen Fragen als bei sonstigen Tierversuchen und Verfahren der Tierzüchtung. Mit Blick auf das Tierwohl beachtet werden sollte allerdings der Hinweis in der Publikation auf das relativ gehäufte Auftreten von ‚ostheopathic degeneration‘ bei Schweinen.“

„Die Anwendbarkeit des Gentechnikrechts setzt einen ‚gentechnisch veränderten Organismus‘ (GVO) im Rechtssinne voraus. ‚Organismus‘ im Sinne des Gentechnikrechts ist nur eine solche ‚biologische Einheit, die fähig ist, sich zu vermehren oder genetisches Material zu übertragen‘. Deshalb ist in der Literatur umstritten, ob sterile Organismen überhaupt ‚Organismen‘ im gentechnikrechtlichen Sinne sind. Diese Frage dürfte nach der EuGH-Rechtsprechung – wie im Fall Bablok [1] – zu verneinen sein. Dann wären gentechnisch veränderte, aber sterile Organismen prinzipiell keine GVO im Rechtssinne, weil sie gentechnikrechtlich schon keine ‚Organismen‘ sind.“

„Für das Szenario der Publikation bedeutet dies, dass die Tierembryonen zunächst ‚Organismen‘ sind, weil und soweit die daraus hervorgehenden Tiere prinzipiell fortpflanzungsfähig wären. Die Ausschaltung des NANOS2-Gens mittels CRISPR-Cas9 bildet im Lichte des EuGH-Urteils vom 25. Juli 2018 [2] eine gentechnische Veränderung im rechtlichen Sinn. Gleichwohl werden durch die Genomeditierung der Tierembryonen keine GVOs im Rechtssinne hergestellt, weil die Embryonen im Fall erfolgreicher Ausschaltung des NANOS2-Gens zwar gentechnisch verändert, aber nunmehr eben steril sind. Allerdings dürfte es dem Schutzzweck des Gentechnikrechts entsprechen, bis zur Feststellung des erfolgreichen NANOS2-Knockouts zunächst von einem GVO auszugehen. Im Anschluss an eine solche Feststellung ist dagegen anzunehmen, dass die GVO-Eigenschaft fortan nicht mehr besteht.“

„Die erfolgreiche Transplantation der spermatogonialen Stammzellen (SSC) in die geborenen Tiere mit NANOS2-Knockout führt zur Fortpflanzungsfähigkeit der zunächst steril geborenen Empfängertiere (‚Leihvatertiere‘). Die Empfängertiere sind ab dann nach Gentechnikrecht wieder ‚Organismen‘ und damit außerdem GVO, da der durch Genomeditierung erzielte NANOS2-Knockout in ihrem Genom fortbesteht. In jedem Fall keine GVO sind dagegen die Nachkommen der ‚Leihvatertiere‘, weil jene aus der genetisch unveränderten Keimbahn des Spendertieres hervorgegangen sind – der NANOS2-Knockout des Empfängertiers (‚Leihvatertiers‘) also nicht weitergegeben wurde.“

„Das in der Publikation beschriebene Verfahren ist auch auf den Menschen übertragbar. Es führt zu einer ‚gespaltenen Vaterschaft‘. Diese ist im deutschen Recht – anders als die Leihmutterschaft – dem Grunde nach nicht verboten. Sofern die Ausschaltung der Keimbahn des Leihvaters mittels NANOS2-Knockouts in einer Keimbahnzelle erfolgt, liegt indes eine nach dem Embryonenschutzgesetz verbotene Keimbahnmanipulation vor. Keimbahnzelle ist dabei jede Zelle derjenigen Zelllinie, die mit der befruchteten Eizelle beginnt und zu den Keimzellen (Ei- oder Samenzellen) des daraus hervorgehenden Menschen führt.“

Prof. Dr. Angelika Schnieke

Professorin für Biotechnologie der Nutztiere am Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt, Technische Universität München (TUM), München

„Durch die Inaktivierung von NANOS2 haben die Tiere keine eigenen Keimbahnzellen. Die implantierten spermatogonialen Stammzellen müssen also nicht mit denen des Empfängers konkurrieren und Spermien kommen allein vom männlichen Spendertier.“

„Die Technik bietet die Möglichkeit, genetisches Material beziehungsweise Spermien von Elite-Zuchttieren in größeren Mengen zu generieren. Man könnte spermatogoniale Stammzellen isolieren, in Kultur vermehren und für spätere Anwendungen einfrieren, etwa um seltene Rassen zu konservieren, um genetische Vielfalt beizubehalten oder für den Fall, dass ein wichtiges Zuchttier plötzlich verstirbt. Zum gewünschten Zeitpunkt könnte man dann die Zellen in NANOS2-Knockout-Tiere implantieren und mit denen züchten. Außerdem könnte man SSC gezielt genetisch verändern, um beispielsweise Krankheitsresistenzen zu erzeugen oder Mutationen zu korrigieren, die das Tierwohl beeinträchtigen. Beides würde voraussetzen, dass man die SSC-Zellen gut kultivieren und konservieren kann – dies wurde in der Publikation nicht gezeigt. So wurden beispielsweise beim Schwein die SSC frisch nach Isolierung eingesetzt.“

„Die vorgestellte Technik könnte im Agrarbereich bei Zuchtebern Anwendung finden. Während man Spermien von Rindern gut einfrieren und anschließend erfolgreich zur künstlichen Besamung nutzen kann, wird bei Schweinen fast nur frisches Sperma verwendet. An diesert Stelle könnten die NANOS2-Knockout-Tiere als ‚Spermabank‘ dienen. Ansonsten können sie auch dort als ‚Spermabank‘ dienen, wo die Infrastruktur die Lagerung und den Einsatz von gefrorenen Spermien nicht ermöglicht.“

„Die Methode ist noch nicht marktreif: Nur für Mäuse konnte gezeigt werden, dass befruchtungsfähige Spermien generiert wurden und eine natürliche Besamung erfolgen konnte.“

Auf die Frage nach derur Sicherheit der Methode, insbesondere des Genome-Editings:
„Nur die NANOS2-Knockout-Tiere sind genetisch verändert und damit lediglich die Empfänger der unveränderten SSCs eines Spendertieres. Werden diese Tiere für die Zucht verwendet, ist es, als hätte man mit dem Spendertier der SSC gezüchtet – die Geneditierung ist für die Zucht irrelevant. Nebeneffekte der Geneditierung in den NANOS2-Knockout-Tieren können durch Untersuchung von Gesundheit, Verhalten und physiologischer Parameter sowie durch die Sequenzierung des Genoms und eventuell des Transkriptoms überprüft werden.“

Auf die Frage nachpotenziellen Risiken einer breiteren Anwendung:
Genetische Vielfalt ist nur dann beeinträchtigt, wenn für alle Züchtungen nur noch eine geringe Zahl an SSC-Spendern verwendet wird.“

Auf die Frage nach der rechtlichen Regulierung:
„Genomeeditierung fällt unter die gleichen Regeln wie genetisch veränderte Tiere (GVO). Es ist zu beachten, dass durch den Einsatz von NANOS-Knockout-Tieren keine genetisch veränderten Tiere gezüchtet würden.“

Prof. Dr. Christa Kühn

Leiterin des Instituts für Genombiologie, Leibniz-Institut für Nutztierbiologie (FBN), Dummerstorf
(beantwortet Fragen zu Anwendungsperspektiven und Ethik)

„Diese Forschungsergebnisse sind in einem größeren Zusammenhang zu sehen mit den Bestrebungen, Genomeditierungen bei Nutztieren für Zuchtunternehmen effizienter gestalten zu können [3]. Die Vision ist, neben der Genomeditierung zur Erzeugung von Leihvätern – wie in dieser Studie beschrieben – auch die Spender(zellen) genetisch zu verändern. Das Ziel dabei ist, die Zucht nach Zielmerkmalen gegenüber der bisherigen Tierzüchtung zu beschleunigen [4], indem nur noch extrem wenige Eliteväter zur Erzeugung der Tiere auf der Produktionsebene eingesetzt werden. Über Leihväter lassen sich diese Eliteväter wesentlich stärker vermehren als dies derzeit der Fall ist.“

„Bislang hinderte – neben rechtlichen Hürden bei der Zulassung (zum Beispiel in Europa) – vor allem der hohe Aufwand an Zeit und Geld für die Erzeugung einer größeren Zahl genomeditierter Tiere eine Anwendung in der Nutztierzucht. Die vorliegende Studie zeigt jetzt einen Weg auf, wie sich dies in Zukunft ändern könnte. Besonders interessant könnte diese Technik bei allen Tierarten sein, bei denen die künstliche Besamung biologisch bedingt schwierig (Schweine) oder wegen umfangreicher Weidehaltung in der Praxis schlecht nutzbar ist (Fleischrinder, Schafe, Ziegen). Allerdings zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass einem Transfer der Leihväter-Technik in die Praxis noch viele Schwierigkeiten entgegenstehen. So sind bislang weder die Fruchtbarkeitsergebnisse der Leihväter befriedigend, noch können gesundheitliche Probleme der Leihväter – wie die Daten zeigen – ausgeschlossen werden.“

„Wesentlich gravierender sind allerdings mögliche weiterreichende Konsequenzen für die Tierzucht insgesamt. Konzepte über die Nutzung von Leihvätern zusammen mit Genomeditierung [4][5] sehen eine Übertragung von Ansätzen aus der Pflanzenzucht in die Tierzucht vor. Dies ist jedoch mit großen Risiken behaftet. Zu befürchten ist vor allem eine weitere Verringerung der genetischen Diversität. Kleine, regionale Populationen haben in diesen Konzepten kaum noch einen Platz. Bei der Umsetzung von Leihväter-Konzepten ist zu erwarten, dass nur noch eine sehr kleine Zahl an Spendern zu Vätern der nächsten Generation wird. Das könnte zu Problemen führen, wenn diese Tiere unbekannte Defekte haben oder zum Beispiel sehr empfänglich für neue Erkrankungen sind. Die im Zusammenhang mit einem Leihväter-Konzept zu erwartende Tendenz, extrem spezialisierte Elternlinien erstellen zu wollen, läuft aktuell auftretenden Forderungen nach verstärktem Einsatz von Zwei- oder Mehrnutzungsrassen entgegen.“

„Sollte das Leihväter-Konzept, gegebenenfalls zusammen mit Genomeditierung, in der Praxis eingeführt werden, wäre weiterhin zu erwarten, dass es zu einer starken Konzentration von Zuchtunternehmen kommt, da nur wenige Player auf dem Markt über ausreichende finanzielle Mittel und Know-How verfügen, entsprechender Konzepte umzusetzen. Gerade in der Rinderzucht, die beispielsweise in Deutschland bislang noch stark in der Hand bäuerlicher Genossenschaften organisiert ist, würde das zu massiven Änderungen führen.“

Auf die Frage nach ethischer Einschätzung und möglichem Missbrauchspotenzial:
„Das Konzept der Leihväter ist vielleicht am ehesten mit einem erweiterten Ansatz einer Eizellspende zu vergleichen. Die männlichen Individuen dienen dabei nur noch zur Produktion von Spermien. Ihre eigene genetische Identität können sie jedoch nicht mehr weitergeben. Die Leihväteronzepte für die Nutztiere orientieren sich dabei stark an der Pflanzenzüchtung, wobei aus meiner Sicht das Tier nur noch als gegebenenfalls zu editierender Bestandteil eines Systems, aber nicht mehr als Individuum wahrgenommen wird.“

„Zudem sind analog zur Pflanzenzucht bereits Konzepte angedacht, um das, was im Pflanzenbau ‚Nachbau‘ genannt wird, zu unterbinden. Mitwettbewerber sollen also mit Tieren aus dem eigenen Zuchtprogramm nicht weiterzüchten können. Bereits im Pflanzenbau hat dies zu großen Diskussionen geführt. Der immer wieder vorgebrachte Nutzen von Leihvätern, etwa zur Konservierung von gefährdeten Rassen oder Arten, ist aus meiner Sicht kritisch zu sehen, da dort die betreffenden Tiere oft alt und in der Fruchtbarkeit beeinträchtigt sind, sodass ein Erfolg von Leihväter-Konzepten noch nachzuweisen wäre. Zum anderen kann auch ein Leihväter-Konzept das Dilemma eines nur noch extrem kleinen Genpools in diesen Populationen nicht wirklich aufheben. Was das Missbrauchspotential angeht, so ist natürlich im Nachhinein kaum nachweisbar, ob ein Nachkomme von Spermien eines Leihvaters oder des Spendervaters erzeugt wurde.“

Dr. Jens Vanselow

Leiter des Instituts für Fortpflanzungsbiologie, Leibniz-Institut für Nutztierbiologie (FBN), Dummerstorf
(beantwortet Fragen zur Technik und rechtlichen Regulierung)

„In der Arbeit von Ciccarelli und Kollegen wird ein neuartiges Verfahren der Keimzelltransplantation in männliche Tiere, deren eigene Spermienproduktion ausgeschaltet wurde, vorgestellt. Die Technik funktioniert offensichtlich nicht nur unter Laborbedingungen bei der Maus, sondern ansatzweise auch bereits bei Nutztieren wie Schwein, Ziege und Rind. Die Autoren greifen dafür auf bereits bekannte Methoden zurück: die Transplantation von Spermienstammzellen [6][7] und das Unterbinden der eigenen Spermatogenese durch Ausschalten des NANOS2-Gens durch Genome Editing mit CRISPR-Cas9 [8][9]. Sie kombinierten diese Methoden zu einem Verfahren mit möglichem Potenzial für die Praxis in der Nutztierzucht und anderen Bereichen.“

„Bemerkenswert ist, dass Abstoßungsreaktionen gegenüber den transplantierten Spermienstammzellen, die bei früheren Versuchen regelmäßig beobachtet wurden, bei diesem Verfahren nicht auftraten. Die Methode – von der Herstellung keimzellfreier Empfängertiere über die Gewinnung, Kultivierung und Vermehrung von Spermienstammzellen bis hin zu transplantierten männlichen Tieren mit normaler Fruchtbarkeit – konnte nur bei der Maus durchgängig demonstriert werden. Es ist aber zu erwarten, dass dies in absehbarer Zeit auch bei Schwein, Ziege und Rind funktionieren wird.“

„Die Editierung des NANOS2-Gens über CRISPR-Cas9 ist mittlerweile gut etabliert und wurde bei vielen verschiedenen Tierarten erfolgreich durchgeführt. Nach wie vor lassen sich aber sogenannte ‚off-target‘-Mutationen, also ungewollte Mutationen in ganz anderen Regionen des Genoms, nicht ganz ausschließen. Dies wird auch von den Autoren selbst diskutiert, da bei den genetisch veränderten Ebern vermehrt osteopathische Degenerationserscheinungen auftraten. Weiterhin ist auch nicht wirklich auszuschließen, dass das Ausschalten des NANOS2-Gens zur Erzeugung der Empfängertiere (‚Leihväter‘) bei diesen keine, bislang noch nicht erkannten Gesundheitsschäden hervorruft. Auch ist nicht klar, ob die Tiere normales Paarungsverhalten zeigen. Die Familie der NANOS-Gene spielt bei der Embryonalentwicklung eine entscheidende Rolle. NANOS2 ist zwar hauptsächlich in den männlichen Keimzellen aktiv, ist dort allerdings für deren Entwicklung essenziell [9].“

„Nach dem ‚Expression Atlas‘ des Europäischen Instituts für Bioinformatik [10] ist NANOS2 bei Menschen und Mäusen zum Beispiel auch in verschiedenen Gehirnregionen aktiv. Seine Eliminierung könnte demnach auch dort zu ungewollten ‚Nebeneffekten‘ führen. Neben den Risiken für die Empfängertiere ist auch noch nicht absehbar, inwieweit epigenetische Prägungen zu ungewollten Effekten bei deren Nachkommen führen können. Es ist bekannt, dass über die Spermien nicht nur die väterlichen Gene, sondern auch epigenetische Faktoren des Vaters auf die Nachkommen übertragen werden. Eine sorgfältige Risikoanalyse ist also vor einer Anwendung dieses Verfahrens in der Tierzucht dringend erforderlich.“

„In Bezug auf ‚Leihvaterschaften‘ bei Nutztieren gibt es in Europa keine einschränkenden Regelungen. Für einen breiten Einsatz in der Tierzucht wären aber Regelungen erforderlich, da dann männliche Zuchttiere zum Einsatz kommen, die fremde und nicht die eigenen oder gar editierte Gene weitergeben. Seit der EuGH im Juli 2018 festgestellt hat, dass durch Mutagenese gewonnene Organismen genetisch veränderte Organismen (GVO) sind und damit grundsätzlich den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen unterliegen, ist der Einsatz von Genome Editing – etwa mithilfe des CRISPR-Cas9-Verfahrens – bei Nutztieren in Europa keine realistische Option mehr. Somit ist das in der Arbeit von Ciccarelli und Kollegen vorgestellte Verfahren zur Herstellung von Empfängertieren durch Ausschalten des NANOS2-Gens im größeren Maßstab, also außerhalb der im Gentechnikgesetz vorgeschriebenen strengen Kontrollen, nicht möglich und damit in der Tierzucht kaum einsetzbar. Ganz abgesehen davon wäre auch die Verbraucherakzeptanz zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl nicht gegeben.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Angelika Schnieke: „Es gibt keinen Interessenkonflikt.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Ciccarelli M et al. (2020): Donor-derived spermatogenesis following stem cell transplantation in sterile NANOS2 knockout males. PNAS; DOI: 10.1073/pnas.2010102117.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Europäischer Gerichtshof (2011): EuGH-Urteil zum Fall Bablok.

[2] Europäischer Gerichtshof (2018): EuGH-Urteil zum Fall Confédération paysanne u. a.

[3] Bishop TF et al. (2020): Genome editing approaches to augment livestock breeding programs. Journal of Experimental Biology; 223. DOI: 10.1242/jeb.207159.

[4] Gottardo P et al. (2019): A Strategy To Exploit Surrogate Sire Technology in Livestock Breeding Programs. G3-Genes Genomes Genetics; 9 (1): 203-15. DOI: 10.1534/g3.118.200890.

[5] Jenko J et al. (2015): Potential of promotion of alleles by genome editing to improve quantitative traits in livestock breeding programs. Genetics Selection Evolution; 47 (1): 55. DOI: 10.1186/s12711-015-0135-3.

[6| Brinster et al. (1994): Germline transmission of donor haplotype following spermatogonial transplantation. PNAS; 91 (24): 11303-11307. DOI: 10.1073/pnas.91.24.11303.

[7] Brinster et al. (1994): Spermatogenesis following male germ-cell transplantation. PNAS; 91: 11298-11302. DOI: 10.1073/pnas.91.24.11298.

[8] Park KE et al. (2017): Generation of germline ablated male pigs by CRISPR/Cas9 editing of the NANOS2 gene. Scientific Reports; 7: 40176. DOI: 10.1038/srep40176.

[9] Tsuda M et al. (2003): Conserved role of nanos proteins in germ cell development. Science; 301 (5637): 1239-1241. DOI: 10.1126/science.1085222.

[10] EMBL-EBI: „Expression Atlas“ (Online-Tool).