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21.03.2019

Erste Geburt von Makake nach Transplantation von präpubertären Hodengewebe

Erstmals konnten Forscher aus unreifem Hodengewebe von Makaken, das sie vor Eintritt der Pubertät eingefroren hatten, mittels einer späteren Transplantation reife Spermien erzeugen. Bei den Versuchen von US-Forschern, die im Fachjournal „Science“ publiziert wurden (siehe Primärquellen), wurde zunächst kryokonserviertes Hodengewebe nach einer Kastration der Primaten autolog transplantiert. Die Keimzell-Vorläufer im Hodengewebe reiften daraufhin in den zuvor kastrierten Affen über Monate heran. Dabei entwickelten sich reife Spermien, mit denen Forscher Eizellen künstlich befruchten konnten. Es gelang eine Schwangerschaft zu etablieren und ein Makaken-Baby entwickelte sich letztlich aus Keimzell-Stammzellen im Transplantat. Die Erfolgsrate der Proof-of-Concept-Studie ist gering: In den Versuchen mussten die Forscher 138 Eizellen künstlich mit Spermien befruchten, lediglich 39 davon teilten sich zumindest einmal. 16 Zygoten entwickelten sich augenscheinlich normal, 11 Embryonen wurden sechs Makaken-Weibchen eingesetzt. Bei einer Schwangerschaft kam es zur Geburt.

Chemo- und Strahlentherapie bei männlichen Krebs-Patienten vor der Pubertät können dazu führen, dass Spermien-Vorläuferzellen in den Testikeln zerstört werden. Die Patienten werden dann dauerhaft unfruchtbar. Eine Kryokonservierung von Spermien – also das Einfrieren der Spermien – gilt bereits heute als sichere Methode für Krebspatienten, um ihre Fruchtbarkeit auch nach einer Chemo- oder Strahlentherapie zu erhalten.

Bei Jungen, die die Pubertät noch nicht erreicht haben und noch keine Spermien produzieren, ist diese Möglichkeit zum Erhalt der Furchtbarkeit bisher keine Option. Zwar liegt die Überlebensrate bei Kindern mit Krebsdiagnose derzeit bei rund 80 Prozent – rund ein Drittel der Patienten erhalten aber im späteren Lebensverlauf die Diagnose Unfruchtbarkeit.

Bisherige Studien an Mäusen, Ziegen, Schweinen, Affen, Katzen und Hunden hatten bereits gezeigt, dass es möglich ist, Hodengewebe auf Empfänger einer anderen Spezies (zum Beispiel Mäuse) erfolgreich zu transplantieren. Ethische Bedenken und das Risiko der Übertragung von Erregern beim Einsatz von tierischen Transplantat-Empfängern haben den Einsatz dieser Methode der xenogenen Spermienreifung beim Menschen bisher verhindert. Mit der ersten gelungenen autologen Transplantation von Hodengewebe in Primaten rückt nun die Möglichkeit näher, die Methode auch beim Menschen klinisch zu erproben. Nach Angaben der Forscher seien zuvor allerdings weitere präklinische Studien nötig.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Stefan Schlatt, Direktor des Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster, und
    Dr. Nina Neuhaus, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster
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  • Prof. Dr. Artur Mayerhofer, Anatomie III – Zellbiologie, BioMedizinisches Centrum, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München
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  • Prof. Dr. Christine Wyns, Leiterin der Abteilung Gynäkologie und Andrologie, Saint Luc Universitätsklinik Brüssel, Belgien
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Statements

Prof. Dr. Stefan Schlatt

Direktor des Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster, und

Dr. Nina Neuhaus,

Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster, beide haben einen Kommentar zur Originalpublikation in Science verfasst

„Diese Studie zeigt erstmals, dass nun eine effiziente autologe Methodik für die Entwicklung von Spermien aus unreifen Hodengeweben bei Primaten existiert und Nachwuchs gezeugt wurde. Damit rückt eine Nutzung der seit vielen Jahren in Kryobanken eingelagerten humanen Gewebe näher.“

„Da sich Affe und Mensch im Hinblick auf die Hodenentwicklung und Steuerung sehr ähneln, ist anzunehmen, dass diese Methodik prinzipiell auf den Menschen übertragbar ist.“

„Erste klinische Studien in einigen Zentren sind angebahnt und werden durch dieses Ergebnis sicherlich forciert. Problem war bisher, dass die Ethik-Kommissionen noch auf verlässliche Daten aus relevanten Tierversuchen gewartet haben, die nun vorliegen. Alle experimentellen Befunde zeigen zudem, dass das Skrotum der vielversprechendste Ort der Gewebeansiedlung ist.“

„Unser Programm ‚Androprotekt‘ ist eines von mehreren Netzwerken in Europa. Wir haben knapp 100 Proben von Patienten aus ganz Deutschland kryokonserviert. Die Tendenz ist deutlich steigend. In Europa bieten mindestens fünf weitere Zentren die Kryokonservierung an. Wir schätzen, dass bisher von circa 1.000 Patienten Hodengewebe eingelagert wurde.“

„Laut Angaben des deutschen Kinderkrebsregisters erkranken jährlich etwa 1.000 Jungen an Krebs und erhalten eine gonadotoxische (schädlich für Keimzellen; Anm. d. Red.) Behandlung. Darüber hinaus existieren noch Patienten mit nicht-malignen chronischen Erkrankungen, die gonadotoxische Behandlungen erfahren – zum Beispiel bei einer Sichelzellanämie. Auch diesen Patienten wird Hodengewebe entnommen und kryokonserviert.“

„Allerdings eignen sich nicht alle Proben für die autologe Transplantation. Erstens bestehen individuelle Unterschiede in der Anzahl an Stammzellen im Hoden und zweitens sollten Patienten mit metastatischen oder hämatologischen Tumorerkrankungen zunächst nicht berücksichtigt werden, da hier die Gefahr der Einschleppung von Tumorzellen durch das Transplantat besteht. Wir nehmen an, dass etwa die Hälfte der eingefrorenen Hodengewebe sowohl genügend Stammzellen als auch ein vertretbar geringes Risiko für Kontaminationen mit Krebszellen aufweisen.“

„Xenografting bedeutet eine Transplantation über Artgrenzen hinweg. Humane Xenografts werden für gewöhnlich auf Mäuse transplantiert. Auch wenn eine Gefährdung unklar ist, erscheint aus ethischen Gründen die Verwendung von Spermien, die in Mäusen heranreifen, nicht vertretbar. Zudem benötigen wir Studien, die beweisen, dass keine Veränderungen der Keimbahnzellen vom Menschen im Gastorganismus auftreten.“

Prof. Dr. Artur Mayerhofer

Arbeitsgruppenleiter am BioMedizinischen Centrum München (BMC), Lehrstuhl Zellbiologie (Anatomie III), Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), Martinsried

„Bei der Arbeit von Fayomi und Kollegen handelt sich nach meiner Ansicht um eine solide Studie, die von ausgewiesenen Experten des Gebiets durchgeführt wurde. Sie berichtet von einem wichtigen Fortschritt und verdient zurecht mediale Aufmerksamkeit.“

„Die Studie beschreibt die erste erfolgreiche autologe Transplantation von unreifem Hodengewebe beim nicht-humanen Primaten. In den transplantierten Fragmenten wurden Spermien produziert. Der daraus resultierende Erfolg ist ein Nachkomme, ein offenbar gesundes Affenbaby.“

„Untersuchungen an unseren nächsten Verwandten, wie hier nun bei Rhesus Affen, sind potenziell von translationaler, also medizinischer Bedeutung. Eine ähnliche autologe Transplantation auch beim Menschen mit Erfolg durchzuführen scheint somit nun in greifbare Nähe zu rücken.“

„Dennoch ist natürlich Vorsicht geboten und es sind vorher noch eine Reihe von wichtigen Fragen zu klären:Erstens: Bisher wurden nur kastrierte Affen untersucht – ist eine Spermienbildung in den Fragmenten auch bei intakten Verhältnissen möglich? Die Klärung dieser grundsätzlichen Frage ist essenziell für eine mögliche praktische Anwendung beim Menschen. Zweitens: Praktische Überlegungen betreffen unter anderem die Optimierung des Transplantationsortes und des Präservierungszeitraumes. Kann man das Gewebe über Jahrzehnte tatsächlich kryo-präservieren? Beim Menschen kommen derartige große Zeiträume in Betracht, bislang sind beim Affen aber nur Monate untersucht. Drittens: Selbst wenn sich ein Erfolg nach Transplantation einstellt, ist eine letztlich entscheidende Frage: Ist diese Methode sicher für die Nachkommen? Es gilt genau zu klären, ob es mögliche genetische und/oder epigenetische Konsequenzen der Methode gibt.“

„Die Geburt eines offenbar gesunden Affenbabys ist ein erster und bedeutsamer Schritt. Weitere genaue Untersuchungen des Babys, das Verfolgen seiner Entwicklung und auch seiner Fruchtbarkeit müssen sich jedoch anschließen.“

„Diese angeführten Punkte lassen sich nun am Modell des nicht-menschlichen Primaten zielführend weiter erforschen. Aber dennoch: Gute, belastbare Ergebnisse und die Antworten auf die genannten Fragen kann man schon aufgrund der Komplexität der Materie sicher nicht schon morgen erwarten. Das wird auch bei optimistischer Sichtweise noch einige Zeit – also Jahre – dauern.“

„Verschiedene Zentren bieten bereits seit einiger Zeit die Kryopräservierung von Hodengewebe an. Junge Tumorpatienten, hämatologische Tumorpatienten wahrscheinlich ausgenommen, könnten in Zukunft davon profitieren – so wurde bislang argumentiert. Welche Methoden dabei aber zum Einsatz kommen sollten, um die Fertilität zu erhalten, war bisher unklar. Die erfolgreichen Transplantationsexperimente beim Affen weisen erstmals auf eine ganz konkrete Möglichkeit hin. Das ist ein wichtiger Fortschritt.“

Prof. Dr. Christine Wyns

Leiterin der Abteilung Gynäkologie und Andrologie, Saint Luc Universitätsklinik Brüssel, Belgien

„Diese Studie stellt einen wichtigen Meilenstein auf dem Gebiet der Infertilitätsbehandlung dar. Sie könnte Ärzte ermutigen, ihren Krebspatienten eine Kryokonservierung von präpubertärem Hodengewebe vorzuschlagen – mit Blick auf eine zukünftige klinische Anwendung. Eine Übertragung der Erkenntnisse in die klinische Praxis wäre sehr dringlich, da immer mehr Patienten ihr Gewebe bereits kryokonserviert haben und auf eine sichere Technik warten, die ihre Fruchtbarkeit nach sterilisierenden, aber heilenden Therapien wiederherstellen könnte.

„Die Übertragbarkeit der Technik von Makaken auf den Menschen ist sehr wahrscheinlich. Allerdings besteht vor möglichen klinischen Versuchen die dringende Notwendigkeit, einige zentrale Fragen in weiteren präklinischen Studien zu klären:- Das in der Studie von Fayomi verwendete Hodengewebe stammte aus fünf Makaken ähnlichen präpubertären Alters (38 bis 40 Monate). Es kommt dem Pubertätsalter in dieser Spezies nahe. Es ist möglich, dass der Erfolg einer autologen Transplantation mit Gewebe von jüngeren, tatsächlich präpubertären Individuen weniger erfolgreich wäre. - Die Qualität der in den Transplantaten heranreifenden Spermien muss zusätzlich auf genetischer und epigenetischer Ebene untersucht und bewertet werden.- Die hormonelle Umgebung des Empfängers des Transplantats kann die Ergebnisse verändern: Da Krebspatienten oft eine Resthodenhormonsekretion haben, ist die Umgebung des transplantierten Gewebes nicht mit dem Hormonspiegel nach einer Kastration vergleichbar, wie sie in Fayomis Studie erzeugt wurde. - Darüber hinaus müssen die Techniken auf Hodengewebe beschränkt werden, das kein Risiko birgt, Krebszellen zu enthalten. - Was eine mögliche Transplantation beim Menschen angeht: Der Hodensack ist wahrscheinlich der am besten geeignete Ort, da die menschliche Spermatogenese niedrigere Temperaturen um 34 bis 35 °C erfordert, während höhere Körpertemperaturen einen Stillstand der Reifung der Spermien verursachen können.“

„Eine Xenotransplantation ist eine Technik, die stets das Risiko einer Übertragung mikrobiologischer Erreger tierischen Ursprungs auf den Menschen birgt. Sie kann deshalb für eine klinische Anwendung nicht empfohlen werden. Ein solches Risiko bestünde aber nicht, wenn eine autologe Transplantation von Hodengewebe vorgenommen werden könnte.“

„Im Idealfall sollte jeder Krebspatient, der mit einer Therapie behandelt wird, die Unfruchtbarkeit auslösen kann, Zugang zur Kryokonservierung von Hodengewebe haben. Fruchtbarkeit ist eine Frage der Lebensqualität. Bisher gibt es weltweit nur eine begrenzte Anzahl von Zentren, die eine Kryokonservierung von präpubertären Hodengewebe anbieten. Zahlen über den Anteil der Patienten, die von dieser Technik profitieren, sind bisher nicht in großem Umfang verfügbar. Wird ein kollaborativer Versorgungspfad für diese Patienten eingerichtet, dann erreicht die Zahl der Überweisungen 65 Prozent aller Krebspatienten, die eine Chemotherapie benötigen. Das sind zumindest die Ergebnisse unserer Klinik, die im Jahr 2015 veröffentlicht wurden [1].“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Artur Mayerhofer: „Es bestehen keine Interessenskonflikte.“

Alle anderen: Keine angegeben.

Primärquellen

Fayomi AP et al. (2019): Autologous grafting of cryopreserved prepubertal rhesus testis produces sperm and offspring. Science; 363 (6433): 1314-1319. DOI: 10.1126/science.aav2914. http://science.sciencemag.org/cgi/doi/10.1126/science.aav2914

Neuhaus N et al. (2019): Stem cell–based options to preserve male fertility. Science; 363 (6433): 1283-1284. Perspective. DOI: 10.1126/science.aaw6927. http://science.sciencemag.org/cgi/doi/10.1126/science.aaw6927

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Wyns C et al. (2015): Fertility preservation in the male pediatric population: factors influencing the decision of parents and children. Hum Reprod.; 30 (9): 2022-30. DOI: 10.1093/humrep/dev161.

Weitere Recherchequellen

Del Vento F et al. (2018): Tissue Engineering to improve testicular Tissue and cell Transplantation Outcomes: One Step Closer to Fertility Restoration for Prepubertal Boys Exposed to Gonadotoxic Treatments. Int J Mol Sci.;19 (1). DOI: 10.3390/ijms19010286.

Giudice MG et al. (2017): Update on fertility restoration from prepubertal spermatogonial stem cells: How far are we from clinical practice? Stem Cell Res.; 21: 171-177. DOI: 10.1016/j.scr.2017.01.009.

De Michele F et al. (2017): Fertility restoration with spermatogonial stem cells. Current Opinion in Endocrinology, Diabetes & Obesity; 24 (6): 424-431. DOI: 10.1097/MED.0000000000000370.