Zum Hauptinhalt springen
23.02.2021

Laborkapazität an PCR-Tests sinnvoll nutzen

Der flächendeckende Einsatz von Antigen-Schnelltests zur Detektion einer ansteckenden SARS-CoV-2-Infektion zum Beispiel in Apotheken verzögert sich. Gesundheitsminister Jens Spahn hatte angekündigt, die Schnelltest ab 1. März für jeden und jede quasi kostenfrei verfügbar machen zu wollen, allerdings soll nach Auffassung des Corona-Kabinetts nun zuerst die Runde der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten am 3. März darüber beraten. Einige Fragen zu dem Plan seien noch unbeantwortet geblieben.

Unterdessen sank die Anzahl der durchgeführten PCR-Tests pro Woche seit dem Jahreswechsel in Deutschland stetig; derzeit wird nur circa die Hälfte der Laborkapazität für Tests ausgeschöpft [I]. In der aktuellen Woche scheint die Anzahl der durchgeführten Tests ersten Ergebnissen zufolge wieder leicht gestiegen zu sein [II]. Zwar ist die Entwicklung der sinkenden Anzahl an PCR-Tests bei sinkenden Fallzahlen nicht überraschend oder besorgniserregend im Hinblick auf den Pandemieverlauf, solange auch die Testpositivrate weiter fällt. Allerdings könnten die verfügbaren Tests auch dazu genutzt werden, weitere wissenschaftliche Erkenntnisse über die Infektionslage in Deutschland zu gewinnen. Vorbild könnte dafür zum Beispiel die REACT-1-Studie aus England sein, in der systematisch in bisher neun Runden eine große Kohorte zufällig ausgewählter Menschen mit PCR-Tests getestet wurde, um anlassunabhängig herauszufinden, wie viele Infektionen in der Bevölkerung unter welchen Bedingungen stattfinden und wie sich diese Prävalenz über die Zeit entwickelt.

An deutschen Schulen findet seit gestern wieder ein Teil des Unterrichts in Präsenz statt. Vor allem die Schule wird unter Expertinnen und Experten diskutiert als wichtiger Einsatzort von Tests, beispielsweise sogenannter Pool-Testungen, um die Infektionslage zu überwachen [IV][V].

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Ralf Reintjes, Professor für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW), Hamburg
  •  

  • Prof. Dr. Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für medizinische Virologie, Universitätsklinikum Frankfurt
  •  

  • Prof. Dr. Melanie Brinkmann, Leiterin der Nachwuchsgruppe Virale Immunmodulation, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Braunschweig
  •  

Statements

Prof. Dr. Ralf Reintjes

Professor für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW), Hamburg

Auch heute – gut ein Jahr nach Beginn der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in Deutschland – fehlen uns verlässliche epidemiologische Studien, die eine differenzierte Bewertung von verschiedenen gesellschaftlichen Tätigkeiten und der Größe des hiermit verbundenen Risikos der Übertragung in der Realität präzise abschätzen lassen. Mit den freien Testkapazitäten wären diese dringend benötigten epidemiologischen Studien, die unsere Risiken im täglichen Leben deutlich besser abschätzen ließen, gut realisierbar. In der Praxis der Pandemiekontrolle sollten meines Erachtens zusätzlich alle künftigen Lockerungsschritte durch systematische Studien unter Verwendung von PCR-Tests begleitet werden.

„Der Anteil asymptomatischer beziehungsweise nicht durch Tests identifizierter und somit nicht gemeldeter Infektionen ist potenziell groß bis sehr groß und schwankt sicherlich im Verlauf der Pandemie deutlich. Hier wären Ergebnisse regelmäßiger epidemiologischer Studien einer repräsentativen Zufallsstichprobe der Bevölkerung sehr hilfreich.“

Auf die Frage, wieso es in Deutschland solche repräsentativen Studien wie die REACT-Studie aus dem Vereinigten Königreich nicht gibt:
„Diese Frage ist schwer zu beantworten. Es gibt zwar kleinere regionale Studien des Robert Koch-Instituts, aber viele wichtige Fragen sind noch offen.“

Prof. Dr. Sandra Ciesek

Direktorin des Instituts für medizinische Virologie, Universitätsklinikum Frankfurt

„Schon jetzt wird in vielen Krankenhäusern etwa beispielsweise jede Aufnahme mit einer PCR gescreent. Es ist sehr erfreulich, dass es hierfür weiterhin ausreichend Kapazitäten gibt. Wenn neben der Testung von symptomatischen Personen auch Möglichkeiten zur ungezielten Testung asymptomatischer Personen bestehen, dann hat das natürlich Vorteile in der Pandemiebekämpfung. Man könnte noch freie Ressourcen auch zur stichprobenartigen Testung in einer großen Studie, analog zu der REACT-1-Studie in England, durchführen.“

„Es ist hilfreich, wenn unter festgelegten Kriterien regional die Verbreitung des Virus durch Stichprobentestungen beobachtet wird, da eine anlassbezogene Testung – zum Beispiel bei Symptomen – immer gewissen Biases, also ergebnisverzerrenden Einflüssen, unterliegt. Sie könnten somit eine genauere Anpassung der Maßnahmen an eine regionale, tatsächliche Ausbreitung anpassen, solange eine ausreichend große und repräsentativ gezogene Stichprobe verwendet wird.“

„Solche repräsentativen Studien sind sehr aufwendig und zusätzlich werden für solche Studien auch viele Ressourcen verbraucht. Dass es hierzu keine Daten aus Deutschland gibt, stimmt aber auch nicht. In Studien wird auch nicht-anlassbezogen getestet, dann aber meist in bestimmten Bevölkerungsgruppen oder Umfeldern.“

„Besonderes sinnvoll ist eine häufige Testung generell in Umfeldern, die sowohl der Gefahr von Ausbrüchen ausgesetzt sind, in denen diese Ausbrüche aber auch unmittelbar mit einem sehr hohen Risiko für schwere und auch tödliche Verläufe einhergehen kann. Dabei handelt es sich etwa um Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser. Besonders dort ist eine regelmäßige Testung in jedem Fall hilfreich. Auch in Schulen kann natürlich eine PCR-Testung einzelne potenziell infektiöse Fälle aufdecken. Bei niedriger Prävalenz von SARS-CoV-2-Infektionen in der Bevölkerung muss man vermutlich sehr viele Tests durchführen, um einzelne Übertragungen in diesem Umfeld zu verhindern.“

„Ganz allgemein bin ich der Meinung, dass ein PCR-Test immer dann sinnvoll ist, wenn er zur Verfügung steht. Bei Aufnahmen in Kliniken etwa muss man sich besonders auf negative Ergebnisse verlassen können. Aber auch die Antigentests haben eine wichtige Rolle und können etwa dann eingesetzt werden, wenn es besonders wichtig ist, infektiöse Personen kurzfristig zu identifizieren. Hier wäre ein Einsatz in Schulen etwa sinnvoll, solange einem bewusst ist, dass dabei auch einzelne Infektionen übersehen werden könnten.“

Prof. Dr. Melanie Brinkmann

Leiterin der Nachwuchsgruppe Virale Immunmodulation, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Braunschweig

„Testungen auf SARS-CoV-2 sind ein wichtiger Baustein zur Kontrolle der Pandemie. Um die Fallzahlen zu senken oder einen erneuten Wiederanstieg zu verhindern, müssen Infektionsketten frühzeitig erkannt und durch die richtigen Maßnahmen unmittelbar unterbrochen werden. Zur Erkennung von Infektionen können verschiedene Testsysteme und Strategien herangezogen werden.“

„Die zur Verfügung stehenden Testarten haben unterschiedliche Qualitäten und Einsatzbereiche. So ist der Einsatz von Pool-Testungen mittels PCR bei niedrigen Fallzahlen sinnvoll, während der regelmäßige Einsatz von Antigen-Schnelltests einen wertvollen Beitrag zur Eindämmung des Infektionsgeschehens in Hochinzidenzbereichen leisten kann. Es kann dabei sinnvoll sein, verschiedene Testarten zu kombinieren.“

„Ferner erlaubt der strategische Einsatz von Tests einen besseren Überblick der aktuellen Infektionslage sowie über die Ansteckungswege, die vielerorts noch unzureichend bekannt sind. Die Durchführung von lokalen PCR-basierten Testaktionen können, gegebenenfalls mit Pooling, Infektionsherde in großen Gruppen beziehungsweise Ansammlungen erkennen. Diese Methode kann nützlich sein, um sich schnell und zuverlässig einen Überblick über ein neues Ausbruchsgeschehen in einem Wohnhaus, einer Schule oder einem Betrieb zu verschaffen. Abwasserscreenings mittels PCR sind dazu ebenfalls eine sinnvolle Maßnahme.“

„Bei der Wiedereröffnung des Präsenzunterrichts in Bildungseinrichtungen ist eine Eintrittstestung sowie ein gutes Surveillance-Konzept (systematische Überwachung; Anm. d. Red.) durch regelmäßiges und systematisches Testen von Personal und Schüler*innen notwendig. Regelmäßige Testinterventionen können einen Beitrag leisten, Infektionen frühzeitig zu erkennen und Übertragungen zu reduzieren. Da das regelmäßige Testen von Kindern ebenfalls das Umfeld der Kinder erfasst, wird hierdurch ein sehr guter Überblick des Infektionsgeschehens in einem großen Teil der Bevölkerung erreicht.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Melanie Brinkmann: „Es besteht kein Interessenskonflikt.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Robert Koch-Institut (17.02.2021):Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19).

[II] ALM–AkkreditierteLabormedizin (23.02.2021): SARS-CoV-2-Diagnostik – Update KW 07 (15.02.2021-21.02.2021).Präsentation.

[III] Riley S et al. (2021): REACT-1round 9 interim report: downward trend of SARS-CoV-2 in England in February 2021 but still at high prevalence.Vorläufiger Bericht des Imperial College.

[IV] Baumann M et al. (2021): Eine neue proaktive Zielsetzung für Deutschland zur Bekämpfung von SARS-CoV-2 2. Teil: Handlungsoptionen.

[V] Science Media Center (2021): Das Virus im Blick: Strategie zur Diagnostik und Überwachung von SARS-CoV-2 und der zirkulierenden Varianten. Press Briefing. Stand: 04.02.2021.