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18.05.2020

Kompromiss zum Mindestabstand bei Windrädern

Die Bundestagsfraktionen der CDU/CSU und SPD haben den Streit über den Mindestabstand für Windräder beigelegt. Danach soll es den Ländern freigestellt werden, einen Mindestabstand bis 1000 Metern zwischen Wohnbebauung und Windrädern einzuführen. Nach Kompromiss soll ein Abstand bis zu 1000 Metern von Mastzentrum bis zur nächsten Wohnbebauungsgrenze erlaubt sein, Einzelheiten sollen die Länder regeln dürfen. Das bedeute, so Peter Altmaier, dass es von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Regeln geben werde, zum Beispiel ab welcher Zahl von Häusern dieser Abstand gilt.

Gleichzeitig soll der PV-Förderdeckel „unverzüglich” aufgehoben werden, Investitionen durch Veränderungen des Planungsprozesses beschleunigt und ein „Koordinierungsmechanismus” zwischen Bund und Ländern eingerichtet werden, mit dem „kontinuierlich” der Ausbau der Erneuerbaren kontrolliert werden sollen. Peter Altmaier kündigte an, den PV-Deckel jetzt in einem laufenden Gesetzverfahren schnell abschaffen zu wollen. Auch soll der Aktionsplan Windenergie vom Spätherbst 2019 jetzt zügig umgesetzt werden. Damit soll die Akzeptanz von Windrädern erhöht und der Ausbau beschleunigt werden.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Claudia Kemfert, Abteilungsleiterin der Abteilung „Energie, Verkehr und Umwelt“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin
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  • Prof. Dr. Manfred Fischedick, Vizepräsident, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH, Wuppertal
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  • Prof. Dr. Roland Dittmeyer, Institutsleiter, Institut für Mikroverfahrenstechnik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen
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  • Prof. Dr. Uwe Leprich, Hochschule für Wirtschaft und Technik des Saarlandes, Saarbrücken, langjähriger wissenschaftlicher Leiter des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES)
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  • Prof. Dr. Christian Rehtanz, Institutsleiter, Institut für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft (ie3), Technische Universität Dortmund
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Statements

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin der Abteilung „Energie, Verkehr und Umwelt“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin

„Es ist zwar kein Durchbruch, aber immerhin geht es nach langem Stillstand endlich wieder vorwärts. Besonders gut ist die Entscheidung, den Solardeckel unverzüglich abzuschaffen. Planungsbeschleunigungen sind gut und richtig. Windabstandsregeln sind, egal wo, kontraproduktiv und sollten grundsätzlich nicht ermöglicht werden, da sie ausbauhemmend wirken. Windabstandsregeln erhöhen die Akzeptanz nicht, sondern machen die Gräben noch tiefer. Wenn nun viele Bundesländer dieses ‚opt-in‘ nutzen, wird Deutschland die Energiewende-Ziele nicht erreichen. Es werden mehr konkrete Schritte für den Zubau von Windanlagen notwendig sein, damit der Kohleausstieg möglich wird und wir in keine Ökostromlücke und Versorgungslücke schlittern.“

„Die Ausbaumengen erneuerbarer Energien müssen deutlich erhöht werden. Es wird ein deutlich schnellerer Ausbau von Windenergie notwendig sein, diesen schafft man nicht mit der Ermöglichung von Abstandsregeln. Bürgerverträglich sind die Ermöglichung von Windabstandsregeln nicht, dazu wären finanzielle Beteiligungsmodelle besser geeignet, wie man beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern eingeführt hat. Allerdings gibt es dafür keine juristisch einheitliche Regelung, das sollte die Bundesregierung ermöglichen. Die muss auf Bundesebene verbindlich festgelegt werden. Zudem sollte man die finanzielle Förderung über die Ausschreibungen anpassen in Richtung Systemdienlichkeit und Speicherung. Besser als Ausschreibungen wären ohnehin die Einspeisevergütungen wie früher im EEG. Und die Genehmigungsverfahren müssen in der Tat deutlich vereinfacht werden.“

Prof. Dr. Manfred Fischedick

Vizepräsident, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH, Wuppertal

„Ich bin zurückhaltend, von einem Durchbruch zu sprechen, da mit Blick auf den Ausbau der erneuerbaren Energien jetzt viel davon abhängt, wie die Länder die Vereinbarung ausfüllen und für sich übersetzen. Zudem stellt sich die Frage, warum dieser Kompromiss erst jetzt kommt, wenn man so will: mal wieder fünf Minuten vor Zwölf und auf Kosten einer massiven Verunsicherung der Branche in den letzten Monaten. Die Aufhebung des PV-Deckels ist überfällig, ansonsten hätte der Zusammenbruch des PV-Ausbaus gedroht. Zentrale Abstandsregeln sind wenig sinnvoll, da es auf die konkreten Bedingungen vor Ort ankommt, um die Auswirkungen des Windausbaus bemessen zu können. Dies gilt für die Eingriffe in das Landschaftsbild genauso wie den Artenschutz. Und schließlich sind natürlich vereinfachte und beschleunigte Genehmigungsfragen zentral für einen hinreichend schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien. Solange aber weite Teile der Regierungsparteien nicht wirklich vollständig hinter der Energiewende und damit auch den Ausbau erneuerbarer Energien stehen, bin ich skeptisch, was die Umsetzung angeht und welche Hürden dem Ausbau der Windenergie in der Praxis weiter entgegenstehen.“

„Kurz gefasst braucht es eine verstärkte Verlagerung der Entscheidungen auf die lokale beziehungsweise regionale Ebene (inklusive einer frühen Einbindung der Anwohner in die Planungsphase), verstärkte Möglichkeiten der Beteiligung von Anwohnern an den Investitionen und eine anteilige Abführung der Einnahmen von Windrädern an die Kommunen, um eine regionale Bindung an den Ausbau vor Ort aufzubauen. Zudem braucht es auf übergeordneter Ebene immer noch einen breiten gesellschaftlichen Diskurs, um endlich verstärkt nicht nur über den ‚Ausstieg‘ zu sprechen, also die Optionen wie Kohle und Kernenergie, die man richtigerweise nicht mehr möchte, sondern über den ‚Einstieg‘, also die Optionen, die man für die Energiewende bereit ist in Kauf zu nehmen zu diskutieren. Die Energiewende ist nicht zum Nulltarif zu haben, denn jede Energieform der Zukunft hat ihre Vor- und Nachteile über die man sich als Gesellschaft ehrlich austauschen und transparent gegeneinander abwägen muss.“

Prof. Dr. Roland Dittmeyer

Institutsleiter, Institut für Mikroverfahrenstechnik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen

„Die PV-Deckelung bei 52 GW installierte Leistung in Deutschland wird abgeschafft. Gut so! Das war allerhöchste Zeit. Ich hoffe nur, dass die von Minister Altmaier angekündigte, für alle Beteiligten rechtssichere, Umsetzung im Gesetzgebungsverfahren jetzt auch wirklich schnell geht.“

„Ob der mit gleicher Überzeugung vorgetragene Aktionsplan Windenergieausbau dagegen die gewünschte, den Ausbau beschleunigende, Wirkung entfaltet, wird man erst sehen müssen. Die Bundesregierung spielt hier den Ball an die Länder, die nun den berühmten Mindestabstand vom Mast einer Windenergieanlage zur nächsten Wohnbebauung von bis zu 1000 Metern im eigenen Ermessen festlegen können, inklusive der Frage, was denn genau als Wohnbebauung zählt. Gleichzeitig sollen die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Hier müssen aber mehrere Ministerien an einem Strang ziehen, was bekanntermaßen schwierig sein kann, insbesondere dann, wenn diese in der Hand verschiedener politischer Parteien sind. Mehrfach sind die Worte ‚zügig und schnell‘ gefallen. Daran sollte man die Akteure dann messen, denn es steht viel auf dem Spiel.“

„Registriert habe ich außerdem die Aussage, dass beim Corona-bedingten Konjunkturprogramm die Bundesregierung und auch das Wirtschaftsministerium eine Ausrichtung auf Nachhaltigkeit wünscht. Ich halte das auch für dringend geboten, denn kurzsichtig motivierte Investitionen in Technologien und Infrastrukturen, die eben nicht zu einer drastischen Senkung der Treibhausgasemissionen führen, wären schlicht eine Katastrophe, denn hinterher werden die Kassen leer sein.“

Prof. Dr. Uwe Leprich

Hochschule für Wirtschaft und Technik des Saarlandes, Saarbrücken, langjähriger wissenschaftlicher Leiter des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES)

„Nachdem die Bundesregierung nach Regierungsantritt 2018 noch vollmundig verkündet hatte, am bisherigen Ziel festzuhalten, im Jahr 2030 einen Anteil von 65 Prozent erneuerbare Energien am Bruttostromverbrauch zu erreichen, tat sich zunächst sprichwörtlich gar nichts.“

„Im Gegenteil: Den im EEG verankerten Zielwert eines Ausbaus der Photovoltaik um 2.500 MW pro Jahr verfehlte bereits die alte Regierung in den Jahren 2013 bis 2017 dramatisch, und auch die Jahre 2018 und 2019 lagen noch weit unter den Rekordwerten zu Anfang des Jahrzehnts, so dass von einem Aufholen nicht die Rede sein konnte. Gleichwohl näherte man sich der ebenfalls im EEG fixierten Deckelung von 52 GW, was eine gesamte Branche in Deutschland lähmte, und man sich in den letzten Monaten immer stärker die Frage stellen musste, ob hier bewusst ein zukunftsweisender Wirtschaftszweig politisch an die Wand gefahren werden soll. Die jetzt endlich in Aussicht gestellte Abschaffung dieses anachronistischen PV-Deckels ist daher auch keinesfalls als Bekenntnis zu einem neuen energiepolitischen Aufbruch zu deuten, sondern als ein überfälliges Erwachen aus einer politischen Totenstarre.“

„Ähnliches gilt für die Windenergie. Seit Oktober 2018 lag bei sechs von sieben Ausschreibungen das Leistungsvolumen der angebotenen Projekte unter dem Ausschreibungsvolumen; zum Teil erreichten die Angebote nicht einmal ein Drittel der nachgefragten Windleistung. 2020 wird vermutlich das erste Jahr, in dem mehr Windanlagen stillgelegt als zugebaut werden. Die jahrelange Untätigkeit der Bundesregierung lässt sich nur so erklären, dass eine Mehrheit von Windkraftgegnern innerhalb der Bundesregierung kein Interesse an einem weiteren Ausbau hat – und das 2030-Ziel schon zu den Akten gelegt hat. Die heute verkündete Länderöffnungsklausel schiebt den schwarzen Peter für den weiteren Ausbau der Windenergie den Bundesländern zu, und lediglich mit dem vagen Hinweis auf eine Planungsbeschleunigung versucht man, Aktivismus zu demonstrieren. Wobei man bei letzterem Ansatz sicher sein kann, dass die Ressortabstimmungen dazu innerhalb der Bundesregierung keine schnelle Lösung erwarten lassen.“

„Kurzum: Die heutigen Beschlüsse der Bundesregierung zum weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien zur Stromerzeugung sind seit zwei Jahren überfällig, geben keinerlei Hinweise darauf, wie das 2030-Ziel erreicht werden soll und dokumentieren eine politische Hasenfüßigkeit, die in auffälligem Kontrast steht zu den teilweise waghalsigen Beschlüssen, die in Reaktion auf die Coronakrise reihenweise durchgewunken wurden.“

„Wenn man hingegen der Perspektive Rechnung tragen will, bis 2050 das gesamte Energiesystem fossil-frei zu gestalten, erscheint es zu Anfang dieses Jahrzehnts dringend geboten, den Rechtsrahmen neu zu justieren. Insbesondere die Parallelität von Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWK-G) wird der künftigen Gestaltungsaufgabe nicht mehr gerecht. Daher sollten die anstehenden Reform des Rechtsrahmens zum Anlass genommen werden, ein übergreifendes Gesetz (‚Energieleitgesetz‘) vorzuschalten, dass klare Leitplanken für die genannten Gesetze vorgibt und sie dadurch eng aufeinander abstimmt. Viele Jahre lang wurde an den einzelnen Gesetzen und Verordnungen herumgewerkelt, die Zeit scheint nun reif für  einen ‚großen Wurf‘, zumal infolge der Corona-Krise ohnehin überall neu gedacht werden muss und der politische Mut in manchen Bereichen wieder zugenommen hat.“

Prof. Dr. Christian Rehtanz

Institutsleiter, Institut für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft (ie3), Technische Universität Dortmund

Wir ergänzen online das Statement von Prof. Rehtanz, das uns erst nach Redaktionsschluss erreichte:

„Die Abstandsregel bedurfte dringend einer Vereinheitlichung, damit Planungssicherheit gegeben ist und klare Regeln bestehen. Es scheint aber so, dass die Länder doch noch davon abweichen dürfen und insbesondere Bayern am Sonderweg festhält. Somit ist es ein Kompromiss und keine richtige Lösung des Problems.”

„Die weiteren Ziele müssen sein, dass Flexibilitäten für Markt und Netz einem einheitlichen marktbasierten Schema folgen und dass der Nutzen der Smart Meter im Sinne der Digitalisierung bis hin zu flexiblen Tarifen zur besseren Netzauslastung vorangetrieben wird.”

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.