Zum Hauptinhalt springen
25.06.2020

Fischsterben in der Nordsee

Mehrere deutsche Medien haben ein Fischsterben an der Nordseeküste von Cuxhaven bis Sylt berichtet. Betroffen seien vor allem Heringe, die seit Tagen tot an die Strände gespült würden, aber auch vom Aussterben bedrohte Arten wie Aale und ein Stör seien bei Hamburg gefunden worden. Es gibt mehrere bisher unbestätigte Theorien zur Ursache des Ereignisses. Naturschützer machen die Arbeiten an der Elbvertiefung verantwortlich, eine weitere Hypothese bringt Algenwuchs mit dem Sterben in Zusammenhang. Das SMC hat Fachleute aus verschiedenen Bereichen gebeten, die insgesamt noch unklare Situation einzuschätzen.

Übersicht

     

  • Dr. Jörn Scharsack, Ansprechpartner für Fischkrankheiten in Nord- und Ostsee, Arbeitsbereich Meeresumwelt, Thünen-Institut für Fischereiökologie, Bremerhaven
  •  

  • Dr. Justus van Beusekom, Meeresbiologe im Bereich Aquatische Nährstoffkreisläufe, Institut für Küstenforschung, Helmholtz-Zentrum Geesthacht Zentrum für Material und Küstenforschung (HZG), Geesthacht
  •  

  • Prof. Dr. Henner Hollert, Professor für Evolutionsökologie und Umwelttoxikologie, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
  •  

Statements

Dr. Jörn Scharsack

Ansprechpartner für Fischkrankheiten in Nord- und Ostsee, Arbeitsbereich Meeresumwelt, Thünen-Institut für Fischereiökologie, Bremerhaven

„Das Thema hat sicher eine Relevanz für das Ökosystem aber solch plötzliche Fischsterben passieren eher selten. Das bestehende Ökosystem kann das bisherige Ausmaß des Heringssterbenan der Nordseeküste wahrscheinlich auffangen, es werden vermutlich viele Heringe überleben, die den Artbestand sichern. Die toten Heringe gehen in den natürlichen Stoffkreislauf über.“ 

„Als Erklärung für solche Ereignisse kommen einem zuerst Umweltprobleme in den Sinn. In so einem Fall müssten aber alle Fischarten betroffen sein. Bei dem aktuellen Geschehen ist es so, dass bis auf wenige Ausnahmen nur Heringe betroffen sind. Andere Arten wie Aale und Störe scheinen nur lokal im Bereich der Elbmündung betroffen zu sein, sagte mir ein Vertreter der Schutzstation Wattenmeer. Wenn sich das bewahrheitet, ist es eher wahrscheinlich, dass es sich um eine heringsspezifische Erkrankung handelt. Eine andere mögliche Erklärung wären toxische Algenblüten, die auch zu Massensterben führen können. Aber auch hier wäre es so, dass dann wieder mehr Fischarten betroffen wären. Es kann natürlich sein, dass Heringe als Planktonfresser bei einer Algenblüte besonders stark in Mitleidenschaft gezogen werden, also ist auch das eine mögliche Ursache. Beide Erklärungen – eine heringsspezifische Erkrankung und Algenblüte – sind in meinen Augen plausible Theorien, wobei sich eine Algenvermehrung relativ schnell durch Untersuchung von Wasserproben nachweisen ließe. Wenn sich allerdings herausstellt, dass weitere Arten großräumig betroffen sind, ändert das die Sachlage. Das würde dann eher auf eine Vergiftung hindeuten.“

„Es wurde auch über die Verklappung von Schlick aus dem Hamburger Hafen gesprochen. So etwas kann lokal zu Sauerstoffmangel führen, wenn der Schlick dort ausgebracht wird. Aber das müsste relativ schnell wieder verschwinden und würde auch mehrere Arten betreffen, nicht primär Heringe. Außerdem könnten die Fische diese Bereiche vermeiden und würden sich nicht dort aufhalten. Also eine anthropogene – durch den Menschen ausgelöste – Ursache halte ich für eher unwahrscheinlich.“

„Die Sachlage sollte jetzt weiter untersucht werden. Meines Wissens nach wurden mehrere Proben genommen, von Heringen und vom Wasser, die von den zuständigen Einrichtungen der Länder untersucht werden. Darüber hinaus ist geplant, dass Institutionen, die auf Fischkrankheiten spezialisiert sind, wie das Friedrich-Löffler-Institut auf der Insel Riems oder die Abteilung Fischkrankheiten der Tierärztlichen Hochschule Hannover, Proben erhalten, die sie gezielt auf Fischerreger untersuchen können. Auch wir haben angeboten, Fische zu untersuchen, allerdings können wir nur eine makroskopische Beurteilung des Zustandes des Fisches durchführen, keine bakterielle oder virologische Untersuchung.“

Dr. Justus van Beusekom

Meeresbiologe im Bereich Aquatische Nährstoffkreisläufe, Institut für Küstenforschung, Helmholtz-Zentrum Geesthacht Zentrum für Material und Küstenforschung (HZG), Geesthacht

„Zu den angespülten toten Fischen an der Nordseeküste ist aktuell keine konkrete Ursache bekannt. Im Jahr 2007 gab es einen ähnlichen Vorfall auf Sylt mit mehreren hunderttausenden toten Fischen [1]. Dort vermutete man, dass die Wetterlage schuld sei und zu wenig Sauerstoff im Wasser vorhanden war. Um die jetzige Lage besser einschätzen zu können, müssten jedoch weitere Messungen und Untersuchungen erfolgen.“

Prof. Dr. Henner Hollert

Professor für Evolutionsökologie und Umwelttoxikologie, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

„Meines Erachtens sollte die Hypothese der Giftblüten von Blaualgen (Cyanobakterien) als Ursache genauer überprüft werden. Diese können bekanntermaßen zu solchen Fischsterben führen, wenn Massenvermehrungen stattfinden. Remobilisierung von Sedimenten durch die Elbvertiefung sind meines Erachtens nicht der Grund für das Fischsterben, da es dann eher in der Elbe selbst stärker aufgetreten wäre. Chemikalien sind nicht auszuschließen, aber mit der vorhandenen Information kann man da wenig dazu sagen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Primärquellen

NDR info (23.06.2020): Rätselhaftes Fischsterben an der Nordseeküste.

Buten un Binnen (23.06.2020): Tote Heringe an Stränden: Rätselhaftes Fischsterben in der Nordsee.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Tagesspiegel (11.06.2007): Hunderttausende tote Fische vor Sylt.