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26.02.2021

Neue Diskussionen um Atomkraftwerke – muss die Welt Kernkraft nutzen, um den Klimawandel zu beschränken?

Zehn Jahre ist der Reaktorunfall im Kernkraftwerk Fukushima in Japan inzwischen her. Ließen sich die unmittelbaren Folgen noch als großflächige, regionale Katastrophe beschreiben, so hatte das Ereignis auch globale Auswirkungen. Denn als Konsequenz des Unfalls wurde in Deutschland der Atomausstieg beschlossen; Ende des kommenden Jahres werden die letzten Atomkraftwerke hierzulande vom Netz genommen. Auch in der Schweiz gab es noch im Jahr 2011 die Entscheidung, dass die Kernkraftwerke im Land nur noch bis zum Ende ihrer Laufzeit betrieben und nicht durch Neubauten ersetzt werden dürfen. Im Jahr 2034 ist dann dort spätestens Schluss. Wurden diese Entscheidungen in beiden Ländern vor allem mit Blick auf Risiko- und Sicherheitsfragen getroffen, so mischt sich in die seit einiger Zeit international wieder aufkommende Diskussion um die Nutzung der Kernenergie eine neue Dimension: der fortschreitende Klimawandel.

Denn die Zeit drängt. Die globalen Treibhausgasemissionen müssen so schnell wie möglich massiv gesenkt werden – in den nächsten zehn Jahren um mindestens 50 Prozent –, um die Pariser Klimaziele erreichen zu können. Und so drängen einige Akteure vermehrt auf eine stärkere Nutzung der nuklearen Energiegewinnung: US-Präsident Joe Biden und Microsoft-Gründer Bill Gates sehen in ihr einen Teil der Lösung des Klimaproblems, konservative Abgeordnete des Europa-Parlaments fordern eine „Renaissance der Kernenergie“, um die europäischen Klimaziele zu erreichen. Die Vereinigten Arabischen Emirate betreiben seit vergangenem Jahr ihren ersten eigenen Atomreaktor, drei weitere sind im Bau; Polen will in die Nutzung der Kernenergie einsteigen; China kooperiert mit mehreren afrikanischen Staaten bei der Planung solcher Projekte und auch im eigenen Land hat sich der Anteil des Stroms aus Kernkraftwerken in den vergangenen Jahren fast verdoppelt. Wir möchten diese Entwicklungen gerne nutzen, um mit Ihnen und drei Experten über dieses Thema zu sprechen.

Der Atomausstieg in Deutschland ist politisch beschlossen und wird in wenigen Monaten endgültig vollzogen sein. Doch inwiefern braucht es – global betrachtet – die Nutzung der Kernenergie, um im Kampf gegen den fortschreitenden Klimawandel die CO2- Emissionen möglichst schnell möglichst stark abzusenken? Warum ist das Thema nach vielen Jahren der scheinbaren Ruhe jetzt wieder so umstritten, um welche Interessen könnte es neben den Einsparungen von Treibhausgasemissionen dabei noch gehen? Welche Rolle könnten bei einer weiteren Nutzung der Kernenergie die Reaktoren der vierten Generation und so genannte Small Modular Reaktoren spielen? Könnten diese überhaupt schnell genug in Betrieb genommen werden, um das Klima zu schützen? Inwiefern hätte global betrachtet der Ausbau der Kernenergie tatsächlich eine Chance gegen die immer preiswertere Stromgewinnung aus erneuerbaren Quellen? Und wie lässt sich bei der Abwägung der Folgen weiterer Treibhausgas-Emissionen und der mit der Nutzung der Kernenergie verbundenen Unfallrisiken und Abfallproblematik überhaupt eine ausgewogene Gewichtung finden?

Diese und vor allem Ihre Fragen beantworteten drei Experten in einem 50-minütigen virtuellen Press Briefing.

Experten auf dem Podium

     

  • Dr. Nico Bauer
    Leitender Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter der Arbeitsgruppe Scenario Feasibility, Forschungsabteilung Transformationspfade, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam

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  • Dr. Christoph Pistner
    Bereichsleiter Nukleartechnik & Anlagensicherheit, Öko-Institut e.V., Darmstadt

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  • Prof. em. Dr. Holger Rogner
    emeritierter wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Integrated Assessment and Climate Change, Internationales Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA), Laxenburg, Österreich

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Abschluss-Statements aus dem Press Briefing

Das SMC hat die Experten am Ende des Press Briefings um kurze Zusammenfassungen zu Frage gebeten, ob eine weitere Nutzung der Kernenergie sinnvoll ist, um CO2-Emissionen schnellstmöglich zu reduzieren. Diese möchten wir Ihnen nachfolgend als Statements zur Verfügung stellen.

Prof. em. Dr. Holger Rogner

emeritierter wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Integrated Assessment and Climate Change, Internationales Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA), Laxenburg, Österreich

„Über die Zeit komme ich immer mehr zum Ja und weniger zum Nein. Was wir brauchen, ist ein Mix. Kernenergie allein wird es nicht richten, Renewables allein werden es nicht richten. Enduse Efficiency allein wird nicht richten. Wir brauchen einen Mix von allen drei. Der wird lokal unterschiedlich sein, je nach den verschiedenen Bedingungen: versus finanziell, versus Nachfrage, versus politische Akzeptanz. Aber wir werden diese Kombination brauchen. Was mir am wichtigsten ist: Wir müssen die Externalitäten internalisieren. Das heißt, die wirklichen Kosten müssen dem Konsumenten und den Produzenten klar ersichtlich sein, dann kann er rational entscheiden. Und dazu kommt auch die Planungssicherheit. Mal an, mal off, mal dies, mal jenes, dann werden wir nie zu einer Strategie kommen, die uns 2050 in Richtung Carbon Neutrality bringt.“

Dr. Christoph Pistner

Bereichsleiter Nukleartechnik & Anlagensicherheit, Öko-Institut e.V., Darmstadt

„Ich denke, wenn wir einfach auf die Historie der Kernenergie sehen, dann hätten wir bei einer Strategie, die auf Kernenergie setzt, extrem hohe Risiken. Sie ist langsam, sie ist teuer. Ob sich daran tatsächlich in naher Zukunft irgendetwas ändert, ist hochgradig fragwürdig Und wir haben Alternativen, die nicht mit denselben Risiken verbunden sind wie die Kernenergie.“

Dr. Nico Bauer

Leitender Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter der Arbeitsgruppe Scenario Feasibility, Forschungsabteilung Transformationspfade, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam

„Das Wichtige für den Klimaschutz ist, sich zunächst einmal klarzuwerden: Wir brauchen Strom, aber gleichzeitig müssen aus der Kohleverstromung raus. Das ist absolut essentiell, um die Klimaschutzziele zu erreichen, nicht nur Deutschland, sondern auch weltweit. Es ist eine Frage des Timings, ist eine Frage der Zeit. Die Nuklearenergie wird so schnell nicht ausbaubar sein. Erneuerbare können einen großen Beitrag leisten. Es besteht da noch die Frage, inwiefern zusätzlich Erdgas gebraucht wird. Längerfristig gilt für die Nuklearenergie, es gibt Beschränkungen schon allein durch die Uranverfügbarkeit. Die Möglichkeiten, wie Herr Rogner aufgezeichnet hat, mit neuen Reaktorsystemen bestehenden Müll unschädlich zu machen bzw. Plutonium unschädlich zu machen, das sind Sachen, die würde ich durchaus interessant finden und da gibt es sicherlich auch weitere politische Zielstellungen. Ob man das jetzt alles mit dem Klimaschutz begründen sollte, insbesondere wenn es um Plutonium geht, ist eine andere Frage. Die militärischen Aspekte könnten dort wiederum ausschlaggebender sein als der Beitrag der Nuklearenergie zum Klimaschutz.“

Mitschnitt & Transkript

Ein Transkript finden Sie hier.

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