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18.03.2021

Sicherheitssignale bei SARS-CoV-2-Impfstoffen

Dieses Fact Sheet bildet den Stand des Wissens vor der Entscheidung des zuständigen Gremiums der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) am Abend des 19.03.2021 ab. Zur Einschätzung der Behörde, der Impfstoff AZD1222 von AstraZeneca sei weiterhin sicher und sein Nutzen überwiege die Risiken, hat das SMC Statements von Fachleuten eingeholt, denen eine aktuelleren Zusammenfassung der Lage vorangestellt ist.

Seit nun einer Woche werden Verdachtsfälle für seltene Impfnebenwirkungen im Zusammenhang mit dem Impfstoff AZD1222 von AstraZeneca öffentlich intensiv diskutiert. Heute Nachmittag entscheidet der zuständige Ausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur EMA, ob und wenn ja welche Maßnahmen in Bezug auf die aktuell diskutierten Sicherheitssignale europaweit empfohlen werden. Im sogenannten Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) sitzen Vertreter aller EU-Staaten, von der EU-Kommission benannte unabhängige Expertinnen und Experten sowie zwei Patientenvertreter [1].

Bereits Ende der zweiten Märzwoche stoppten mehrere Länder national vorsorglich die Impfung mit diesem Vakzin, weil einige Fälle von Thrombosen und nachfolgenden Lungenembolien im zeitlichen Zusammenhang mit Impfungen gemeldet worden waren. Einer der ersten Fälle stammte dabei aus Österreich, wo in Zwettl eine 49-jährige Krankenschwester im engen zeitlichen Zusammenhang mit der AZD1222-Impfung an einer systemischen Gerinnungsstörung verstorben war. Bei den ersten Berichten schien es sich um generell relativ häufig auftretende Erkrankungen zu handeln, ein Zusammenhang mit der Impfung daher unwahrscheinlich. Das nationale Pausieren der Impfungen sei eine reine Vorsichtsmaßnahme, argumentierte die europäische Arzneimittelbehörde EMA [2].

Am Montag, 15.03.2021, pausierte jedoch auch das Bundesgesundheitsministerium auf Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), der für die Zulassung von biologischen Arzneimitteln und Impfstoffen zuständigen Behörde, die Impfungen mit dem AZD1222-Vakzin vorsorglich auch in Deutschland. Zuvor war eine ungewöhnliche Häufung von speziellen und sehr seltenen Blutgerinnseln in Gefäßen des Gehirns bekannt geworden. Diese Sinusthrombosen wurden laut PEI bei bisher sechs Frauen diagnostiziert, die zuvor zeitnah mit dem AstraZeneca-Impfstoff geimpft worden waren. Bei einem weiteren Mann sei eine eng verwandte Blutgerinnungsstörung festgestellt worden. Drei dieser bisher sieben bekannten Verdachtsfälle sind laut PEI verstorben. Die Behörde argumentierte, dass alle konsultierten Expertinnen und Experten „einstimmig“ der Meinung waren, dass „ein Muster“ zu erkennen sei und „ein Zusammenhang der gemeldeten Erkrankungen mit der AstraZeneca-Impfung nicht unplausibel“. Inzwischen berichten erste Medien über weitere Verdachtsfälle [3].

Entscheidende Fragen an die EMA lauten nun: Besteht nach Ansicht des PRAC ein begründeter Verdacht auf einen kausalen Zusammenhang zwischen der Vektor-Impfung und Sinusthrombosen? Konkret: Verursacht die Impfung in sehr seltenen Fällen diese sehr schwere unerwünschte Nebenwirkung? Sind eventuell nur bestimmte Personen betroffen, und wenn ja, welche? Überwöge trotzdem am Ende in der Abwägung der Nutzen der Impfung weiterhin mögliche seltene Risiken? In allen Altersgruppen? Sind Warnhinweise in den Beipackzetteln angezeigt? Was müssen Ärztinnen und Ärzte über die Nebenwirkungen wissen, um eventuell auftretende Erkrankungen rasch erkennen und kompetent behandeln zu können? Sind womöglich weitere Impfstoffe betroffen? Oder handelt es sich nach bisherigen Erkenntnissen um zufällig im zeitlichen Zusammenhang mit Impfungen auftretende Nebenwirkungen?

Dieses Fact Sheet erklärt essenzielles Hintergrundwissen, das wichtig wird, um Details rund um die Entscheidung der EMA einzuordnen.

Generell bleibt festzuhalten, dass sich es bei allen Meldungen um sehr seltene Nebenwirkungen (weniger als 1 Fall pro 100.000 Geimpfte) handelt, obwohl bisher in der EU und dem Vereinigten Königreich bereits knapp 30 Millionen Menschen geimpft wurden. Die bisher zugelassenen SARS-CoV-2-Imfpstoffe gegen COVID-19 schützen nachweislich vor schweren COVID-19-Erkrankungen und zudem helfen sie, die Pandemie ohne dauerhafte Schutzmaßnahmen eindämmen zu können. Durch verfehlte Risikokommunikation und die hohe öffentliche Aufmerksamkeit kann der Schaden für Leib und Leben allein durch Verunsicherungen in der Bevölkerung enorm sein.

Das Fact Sheet können Sie hier als PDF herunterladen.

Übersicht

     

  • Wie werden Verdachtsfälle von Nebenwirkungen untersucht?
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  • Welche Signale unerwünschter Ereignisse nach COVID-19-Impfungen werden derzeit untersucht?
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  • Literaturstellen, die zitiert wurden
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Wie werden Verdachtsfälle von Nebenwirkungen untersucht?

     

  • Placebo-kontrollierte und randomisierte klinische Studien der Hersteller liefern erste Erkenntnisse über das beobachtete Nebenwirkungsspektrum nach COVID-19-Impfungen, auf deren Basis über die Zulassung entschieden wurde, deren Risiko also schon vor der großskaligen Impfung bekannt ist. Daten zu allen bereits von der EMA zugelassenen Impfstoffe finden sich hier [4].
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  • Allerdings: klinische Studien können aufgrund der begrenzten Anzahl an Studienteilnehmerinnen sehr seltene Nebenwirkungen nicht zuverlässig aufdecken. Im Fall der SARS-CoV-2 Impfungen sind das zum Beispiel solche, die in weniger als 1 von 100.000 Impflingen auftreten
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  • daher sammeln das Paul-Ehrlich-Institut und alle weiteren zuständigen Behörden jegliche Meldungen zu gesundheitlichen Ereignissen nach COVID-19-Impfungen im Prozess der Pharmakovigilanz
  •  

  • solche Meldungen aus der Impfpraxis oder von Geimpften müssen nicht zwingend ursächlich auf die Impfung zurückzuführen sein und heißen daher international standardisiert AEFI – Adverse Events Following Immunization, also unerwünschtes Ereignis nach Impfung
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  • in diesen Daten halten die Behörden Ausschau nach Sicherheitssignalen – also Informationen über neue oder bisher unvollständig dokumentierte unerwünschte Ereignisse, welche möglicherweise durch einen Impfstoff verursacht wird und daher weitere Untersuchungen rechtfertigt [5]
  •  

  • um eine Häufung zu identifizieren, wird die gemeldete Anzahl der Ereignisse damit verglichen, wie häufig sie ohne Impfung in dem beobachteten Zeitraum hätte eintreten können (Hintergrundinzidenz), also zum Beispiel wie viele Herzinfarkte “klassischerweise” in der Bevölkerung im Jahr auftreten verglichen mit der Anzahl Herzinfarkte im zeitlichen Zusammenhang zu einer Impfung. In einer Kohortenstudie haben Forschende einmal simuliert, wie häufig bestimmte Erkrankungen allein in zeitlichen Zusammenhang mit HPV-Impfung von jungen Mädchen zu erwarten wären [6].
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  • um schnell relevante sicherheitsrelevante Signale identifizieren zu können, hat ein Expertengremium der Brighton Collaboration bereits vor dem Start der COVID-19-Impfungen sogenannte AESIs definiert – Adverse Events of Special Interest, also unerwünschte Ereignisse von besonderem Interesse, die aufgrund bisheriger Erkenntnisse zum Impfgeschehen plausibel mit einer Impfung zusammenhängen könnten.
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  • Neu gemeldete Sicherheitssignale werden in Europa zunächst von den nationalen Behörden bewertet und zudem bei der europäischen Arzneimittelagentur EMA angezeigt, um dann eventuelle eine koordinierte Risikoanalyse zugelassener Impfstoffe einzuleiten und regulatorische Entscheidungen zu treffen
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  • diese versucht das Phänomen zusammen mit den nationalen Behörden und externen Forschender näher zu charakterisieren: können spezifische Muster oder Risikofaktoren identifiziert werden? Was sagen detaillierte Fallberichte über den Hintergrund der Nebenwirkungsmeldungen aus? Gibt es in der Wissenschaft einen plausiblen Mechanismus, über den die Impfung die beobachteten vermehrten Nebenwirkungen auslösen könnte?
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  • anschließend: das europäische Pharmakovigilance Risk Assessment Commitee (PRAC) wiegt das analysierte Risiko gegen den Nutzen der Impfung ab und entscheidet eventuell über weitere Schritte, zum Beispiel
    • Änderung der Fach- und Gebrauchsinformation (Beipackzettel), also zum Beispiel durch Hinzufügen einer Nebenwirkung
    • Warnhinweise oder Einschränkungen der Zulassung auf bestimmte Bevölkerungsgruppen
    • Information über die Risikokommunikation für Ärzte und Patientinnen und Patienten
    • Aussetzen/Aufheben der Zulassung
    • Auflagen an Hersteller, das vermutete Risiko in weiteren Studien näher zu erforschen
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  • Kernfrage: Ist eine Impfung der Grund für ein unerwünschtes Ereignis?
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  • Antwort auf diese Frage ist in den wenigsten Fällen ein klares Ja oder Nein
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  • zur Annäherung an diese Frage sind nach einer Leitlinie der Weltgesundheitsorganisation stets mehrere Dimensionen zu betrachten [7]:
    • zeitlicher Zusammenhang – tritt Ereignis in einem plausiblen Zeitfenster nach der Impfung auf?
    • Stärke des Zusammenhangs deutlich über Zufallswahrscheinlichkeit
    • Dosis-Wirkung-Zusammenhang – je mehr Impfstoff, desto stärkere Ausprägung (bei zugelassenen Dosierungen allerdings schwer nachzuprüfen)
    • Konsistenz – Ergebnisse können reproduziert werden
    • Spezifität – die Impfung ist einziger möglicher Grund für das Ereignis
    • biologische Plausibilität – gibt es einen Pathomechanismus, der das Ereignis gemäß der bekannten biologisch-medizinischen Forschung auslösen könnte?
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  • beachtet werden muss auch, dass durch die öffentliche Diskussion eine erhöhte Aufmerksamkeit der Fachkreise auf seltene Krankheiten die „Reporting Rate“ steigt, das heißt die Zahl der Nebenwirkungsmeldungen zeitlichen, aber nicht kausalen Verzerrungen („Reporting Bias“) unterliegt
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Welche Signale unerwünschter Ereignisse nach COVID-19-Impfungen werden derzeit untersucht?

Schwere allergische Reaktion – ein Fall für den Beipackzettel

     

  • bisher sind in den Berichten vom PEI vor allem schwere allergische, also anaphylaktischen Reaktionen also sehr seltene, vorher unbekannte Nebenwirkungen auf den COVID-19-Impfstoffen beschrieben worden
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  • dazu gibt es auch mittlerweile einige Untersuchungen in der Fachliteratur, zum Beispiel jüngst zu USA-amerikanischen Mitarbeitern des Gesundheitswesens, die mit RNA-Impfstoffen geimpft wurden [8].
  •  

  • das zuständige PRAC-Kommitee der EMA hat vergangene Woche befunden, dass ein kausaler Zusammenhang als wahrscheinlich gilt und die Information darüber dem Beipackzettel hinzugefügt werden muss, der Nutzen der Impfung das Risiko aber überwiegt [9].
  •  

allgemeine Thrombosen – kein erhöhtes Risiko durch Impfungen

     

  • Ende vergangener Woche unterbrachen einige Länder vorsorglich die Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca, weil vereinzelt Fälle von Blutgerinnseln (Thrombosen) mit vereinzelten Todesfolgen aufgetreten waren
  •  

  • Thrombosen treten allerdings auch unabhängig von Impfungen relativ häufig auf
  •  

  • die europäische EMA [2], das deutsche PEI [10] und auch Fachleute [11] sahen deshalb keine Hinweise auf einen kausalen Zusammenhang mit dem Impfstoff und befanden zudem den Nutzen der Impfung als das potenzielle Risiko überwiegend
  •  

  • zwischenzeitlich stand noch ein Zusammenhang mit einer spezifischen Charge (Batch) ABV5300 des Impfstoffs im Raum, da einige der Fälle bei Impfdosen aus derselben Lieferung stammten, die EMA bezeichnete diesen Zusammenhang bei einer Pressekonferenz am Dienstag jedoch als unwahrscheinlich
  •  

  • die EMA setzt die Untersuchungen nach weiteren Meldungen hinsichtlich dieser Ereignisse allerdings fort [12].
  •  

Mangel an Blutplättchen alias Thrombozytopenie – unerwünschtes Ereignis von besonderem Interesse (AESI)

     

  • im Zusammenhang mit allen drei in Anwendung befindlichen Impfstoffen gegen COVID-19 sind einige Fälle einer sogenannten Immunthrombozytopenie (ITP) aufgetreten – eine Krankheit, bei der sich das körpereigene Immunsystem gegen die für die Gerinnung des Blutes zuständigen Blutplättchen (Thrombozyten) richtet.
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  • die Fälle werden derzeit von dem zuständigen PRAC-Kommittee der EMA eingehend untersucht [9].
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  • auch in den USA, wo bisher nur die RNA-Impfstoffe von Moderna und BioNTech zum Einsatz kommen, sind vereinzelte Fälle von Thrombozytopenien in der Fachliteratur [13] und auch in den Medien diskutiert worden [14] [15], allerdings scheinen sie dort bis Stand Mitte Februar nicht als ungewöhnliche Häufung aufzufallen [16]
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  • ein plötzlicher Verlust von Blutplättchen kann mehrere Gründe haben – sowohl genetische als auch Umwelteinflüsse, wie Infektionen, können dazu führen.
  •  

  • schon im Vorfeld wurden alle Formen einer Thrombozytopenie als ein unerwünschtes Ereignis von besonderem Interesse (AESI) klassifiziert, auf das besonders Aufmerksamkeit gerichtet werden sollte [17]
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  • Wichtige Risikofaktoren für den plötzlichen Verlust von Blutplättchen:
    • Alter – Erwachsene leiden häufiger an einer primären ITP als Kinder, letztere erkranken meist nach einer viralen Infektion
    • Geschlecht – Frauen bis 60 haben ein erhöhtes Risiko im Vergleich zu Männern; auch Schwangerschaften erhöhen das Risiko
    • Impfungen – durch Impfungen ausgelöste ITP sind sekundäre Erkrankungen; für die Impfung gegen Mumps-Masern-Röteln wurde bisher als einzige ein kausaler Zusammenhang festgestellt, sie trat im Median 12 bis 25 Tage nach der Impfung auf.
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  • Je nach Definition (Anzahl der Blutplättchen) und betrachtetem Alter tritt eine Thrombozytopenie zwischen knapp 2 und über 20 mal pro 100.000 Personen auf [17].
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  • Die einzigen Daten, die in eine vorab Bewertung für COVID-19 einflossen, stammen aus den 90er-Jahren und gehen von 2,6 Fällen/100.000 Personen aus
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Kniffliger Fall – Seltene Thrombosen gepaart mit einem Mangel an Blutplättchen

     

  • am Montag empfahl das Paul-Ehrlich-Institut in Deutschland, speziell die Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca auszusetzen, nachdem sieben Fälle von seltene Formen von Blutgerinnseln im Gehirn von Geimpften gemeldet worden waren, drei davon mit Todesfolge [SMC-Material 18].
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  • die Begründung des PEI: eine unerwartete Häufung an Fällen von Sinusthrombosen (CSVT) [19] – also Blutgerinnseln in Windungen, die Blut aus dem Gehirn abführen – mit zeitgleicher Thrombozytopenie (Erklärung siehe oben)
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  • ein Fall wäre in der Beobachtungszeit laut der Hintergrundinzidenz zu erwarten gewesen, sieben sind aufgetreten, was die Behörde als Signal für eine unerwünschte schwere Nebenwirkung wertete und dem Bundesgesundheitsminister empfahl, die Impfung zu pausieren
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  • die europäische EMA stufte das Risiko durch die sehr seltenen Ereignisse weiterhin geringer ein als den Nutzen der Impfung.
  •  

  • Charakteristika der in Deutschland aufgetretenen Fälle von Sinusthrombosen:
    • sechs von sieben Fälle sind Frauen
    • drei Personen sind verstorben
    • Alter zwischen 20 und 55 Jahre – damit ist eine Altersgruppe betroffen, deren Risiko an COVID-19 zu erkranken oder zu sterben nicht sehr stark erhöht ist
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  • in der Fachliteratur sind bisher auch vereinzelt Fallberichte von Sinusthrombosen bei COVID-19-Erkrankungen beschrieben worden [20][21][22]
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  • auf den ersten Blick scheinen Blutgerinnsel und der gleichzeitige Verlust von Blutplättchen, die eben für die Blutgerinnung verantwortlich sind, nicht so recht zusammenpassen zu wollen
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  • allerdings gibt es Umstände, unter denen so viele Blutplättchen zu Thrombosen verklumpen, sodass in peripheren Blutgefäßen – zum Beispiel beim Blutabnehmen –, keine Thrombozyten mehr zu finden sind
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  • nachfolgend sollen daher Mechanismen beschrieben werden, die theoretisch zu genau diesem Erkrankungsbild führen könnten
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Mögliche Pathomechanismen für Sinusthrombosen mit Thrombozytopenie

     

  • Disseminierte intravasale Koagulopathie (DIC)
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  • Bei einer DIC kommt es zu einer Aktivierung der Blutgerinnung in Gefäßen, die zu einem gesteigerten Verbrauch von plasmatischen Gerinnungsfaktoren und Blutplättchen (Thrombozyten) führt. Deren hoher Verbrauch führt dann zu einem anschließenden Mangel dieser Komponenten.
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  • Die DIC kann eine Vielzahl von Ursachen haben, bei den bisher gegen SARS-CoV-2 Geimpften kam es jedoch weder in den USA noch in UK zu einer statistisch auffälligen Häufung im zeitlichen Zusammenhang mit den Impfungen
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  • Ein kausaler Zusammenhang zwischen SARS-CoV-2-Impfungen wird bisher nicht vermutet, allerdings entwickeln COVID-19 Patientinnen und Patienten in sehr seltenen Fällen einen der DIC ähnelnden thrombotischen Phänotyp [23]
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  • Bekannt wurde 1999 ein Todesfall nach einer Gentherapie mit einem adenoviralen Vektor. Dabei entstand bei einem 17-jährigen Amerikaner nach der Infusion von 6x1011 Adenovirus-Partikeln pro Kilogramm Körpergewicht in die Leberarterie nach 18 Stunden ein „systemisches inflammatorischen Syndrom“. Es wurde biochemisch als disseminierte intravasale Koagulopathie klassifiziert [24].
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  • Der Proband der klinischen Studie der Phase I, der an einer genetisch bedingten Stoffwechselstörung litt, starb 98 Stunden nach der Gentherapie an multiplem Organversagen. Eine Vielzahl von Untersuchungen führte zu dem Schluss, dass diese Nebenwirkungen womöglich das Resultat einer zu hohen Dosis von Adenoviralen Vektoren in der Blutbahn war [25][26].
  •  

  • Die bisher von der EMA zugelassenen Impfstoffe auf der Basis von Adenoviren, zum Beispiel AZD1222 werden nicht in die Blutbahn, sondern in deutlich niedrigeren Dosen und intramuskulär verabreicht. Dabei gelangen, soweit man bisher weiß, allenfalls winzige Mengen Vektor in die Blutzirkulation [27][28].
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  • Thrombotische Mikroangiopathien
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  • darunter werden Syndrome zusammengefasst, bei denen vermehrt Blutgerinnsel in sehr kleinen Blutgefäßen im ganzen Körper auftreten
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  • eine Form ist das hämolytische-urämische Syndrom (HUS), das aus verschiedenen Gründen auftreten kann, so zum Beispiel auch bei Infektionskrankheiten mit dem Bakterium EHEC.
    • dabei kommt es zu Schädigungen der Endothelzellen in den Wänden von Blutgefäßen, woraufhin
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  • eine weitere Form ist die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP)
    • dabei arbeitet ein Enzym (ADAMTS-13), das den von-Willebrand-Faktor der Blutgerinnungskaskade spaltet, nicht ausgeprägt genug.
    • der von-Willebrand-Faktor liegt daher zu hochmolekular vor bietet eine große Oberfläche, an die sich viele Blutplättchen zugleich anlagern können und so Verstopfungen in kleinen Gefäßen erzeugen
    • im Rahmen von COVID-19 gibt es heterogene Ergebnisse zur Aktivität der Protease ADAMTS-13, allerdings gibt es durchaus Befunde, bei denen der Schweregrad der Erkrankung mit einer Imbalance im Vergleich zum von-Willebrand-Faktor einhergeht.
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  • bei den sieben in Deutschland aufgetretenen Fällen der Sinusthrombose nach Impfungen steht vor allem ein einzelner Thrombus eines nicht gerade kleinen Gefäßes im Gehirn im Vordergrund, was diese Syndrome unwahrscheinlich als Ursache erscheinen lässt, auch wenn eine entartete Blutgerinnung bei COVID-19 über die beschriebenen Wege eine Rolle zu spielen scheint
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  • allerdings traten bei der neuen Gentherapie Zolgensma, die mit Hilfe eines Adeno-assoziierten Vektors die Spinale Muskelatrophie heilen soll, einige Fälle von Thrombotischer Mikroangiopathie auf; der Impfstoff von AstraZeneca beruht auf einem anderen Adenoviralen Vektor.
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  • Eine heiße Spur: atypische Heparin-induzierte Thrombozytopenie
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  • unter Expertinnen und Experten stark diskutiert wird derzeit ein Phänomen, das der Erkrankung Heparin-induzierten Thrombozytopenie gleicht
    • diese kann bei der Gabe des Blutgerinnungshemmers Heparin auftreten, in dem sich das negativ geladene Heparin an einen positiv geladenen Faktor der Blutgerinnungskaskade im Blut anlagert, den sogenannten Plättchenaktor 4
    • zusammen bilden Heparin und Plättchenaktor 4 einen Angriffspunkt für das Immunsystem – einen sogenannten Immunkomplex – der von bereits vorliegenden Antikörpern erkannt werden kann [31].
    • diese Antikörper können auch an eine Struktur auf der Oberfläche von Blutplättchen binden und lösen eine Verklumpungsreaktion aus – einen Thrombus
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  • es ist möglich, dass weitere negativ geladene Substanzen (Polyanione) als Ersatz für Heparin in der gleichen Kaskade fungieren können und über Antikörper die Blutverklumpung in Gang setzen könnten
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  • eben solche atypischen Verläufe ohne die Beteiligung Heparin könnten auch zu den beobachteten Sinusthrombosen führen, wie bereits vereinzelt beobachtet [32]
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  • Auch bei COVID-19 gibt es Hinweise auf solche Immunkomplexe ohne Heparin-Beteiligung im Zusammenhang mit schweren Krankheitsverläufen [33]
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  • bei COVID-19 sind auch bereits Mechanismen aufgedeckt worden, bei denen Antikörper an Blutplättchen gebunden haben und zu Verklumpungen geführt haben, allerdings sind diese Antikörper erst durch die SARS-CoV-2-Infektion selbst ausgebildet worden [34]; da einzelne Sinusthrombosen im Falle von AstraZeneca allerdings schon vier Tage nach der Impfung aufgetreten sind, kämen für diese frühen Reaktionen nur Antikörper infrage, die schon im Körper vorlagen und nicht erst durch die Impfung vom Körper gebildet wurden; damit müsste ein anderer Mechanismus als bei COVID-19-Erkrankungen greifen, sofern die Patienten nicht vor der Impfung unerkannt an COVID-19 erkrankt sind
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  • in der Theorie könnten also die geimpften Personen, bei denen die Sinusthrombosen auftraten, bereits Antikörper gegen einen Immunkomplex unter Beteiligung von Plättchenaktor 4 aufgewiesen haben und ein Bestandteil des Impfstoffs von AstraZeneca könnte den zweiten Part als Äquivalent zu Heparin gespielt haben, um die seltene Reaktion in Gang zu setzen. Die große Frage bliebe dabei nur, welcher Bestandteil des Impfstoffs? Sind es Teile des Spike-Proteins – dann müsste die Häufung theoretisch auch bei den anderen Impfstoffen auftauchen – oder des Adeno-Vektors? Und: In welcher Dosis muss der Bestandteil im Blut vorliegen, damit eine solche autoimmune Reaktion ausgelöst werden würde?
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  • Diese wichtigen Fragen versuchen Fachleute derzeit zu beantworten, um einem möglichen Pathomechanismus für die Sinusthrombosen mit zeitgleicher Thrombozytopenie als eine mögliche Impfnebenwirkung auf die Spur zu kommen
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  • möglich ist aber auch weiterhin, dass die Häufungen dieser sehr seltenen Thrombosen rein dem Zufall geschuldet sind
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Literaturstellen, die zitiert wurden

[1] European Medicines Agency: PRAC members – Independent scientific experts nominated by the European Commission.

[2] European Medicines Agency (11.03.2021): COVID-19 Vaccine AstraZeneca: PRAC investigating cases of thromboembolic events - vaccine’s benefits currently still outweigh risks - Update. Pressemitteilung der Behörde.

[3] Vogel G et al. (17.03.2021): ‘It’s a very special picture.’ Why vaccine safety experts put the brakes on AstraZeneca’s COVID-19 vaccine. Science Magazine. DOI: 10.1126/science.abi5259.

[4] European Medicines Agency: Authorised COVID-19 vaccines.

[5] European Medicines Agency: Signal management.

[6] Sigrist CA et al. (2007): Human papilloma virus immunization in adolescent and young adults: a cohort study to illustrate what events might be mistaken for adverse reactions. Pediatric Infectious Disease Journal; 26(11): 979-84. DOI: 10.1097/INF.0b013e318149dfea.

[7] World Health Organization (2019): Causality assessment of an adverse event following immunization (AEFI): user manual for the revised WHO classification second edition. Licence: CC BY-NC-SA 3.0 IGO.

[8] Blumenthal KG et al. (2021): Acute Allergic Reactions to mRNA COVID-19 Vaccines. JAMA. DOI: 10.1001/jama.2021.3976.

[9] European Medicines Agency: Meeting highlights from the Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) 8-11 March 2021. Pressemitteilung der Behörde.

[10] Paul-Ehrlich-Institut (11.03.2021): CO­VID-19-Impf­stoff Astra­Zene­ca. Pressemitteilung der Behörde.

[11] Science Media Center Germany (2021): Thrombosen als Verdachtsfälle auf Nebenwirkung eines COVID-19-Impfstoffs. Rapid Reaction. Stand: 12.03.2021.

[12] European Medicines Agency (16.03.2021): Investigation of COVID-19 Vaccine AstraZeneca and thromboembolic events continues. Pressemitteilung der Behörde.

[13] Tarawneh HS et al. (2021): Immune thrombocytopenia in a 22-year-old postCovid-19 vaccine. American Journal of Hematology; 1–2. DOI: 10.1002/ajh.26106.

[14] Grady D (08.02.2021): A Few Covid Vaccine Recipients Developed a Rare Blood Disorder. New York Times.

[15] Grady D et al. (12.01.2021): Doctor’s Death After Covid Vaccine Is Being Investigated. New York Times.

[16] Shimabukuro T et al. (01.03.2021): COVID-19 vaccine safety update. CDC COVID-19 Vaccine Task Force, National Center for Immunization & Respiratory Diseases.

[17] Law B et al. (2021): SO2- D2.5.2.1 - AESI Case Definition Companion Guide for 1st Tier AESI – Thrombocytopenia. Safety Platform for Emergency vACcines. Diss. level: Public; V1.0.

[18] Science Media Center Germany (2021): Impfung mit AstraZeneca-Impfstoff in Deutschland ausgesetzt. Rapid Reaction. Stand: 15.03.2021.

[19] Weimar C et al. (2018): Zerebrale Venen- und Sinusthrombose, S2k-Leitlinie. Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie.

[20] Dakar K et al. (2021): Cerebral Venous Sinus Thrombosis in COVID-19 Infection: ACase Series and Review of The Literature. Journal of Stroke and Cerebrovascular Diseases; 30(1): 105434. DOI: 10.1016/j.jstrokecerebrovasdis.2020.105434.

[21] Abouhashem S et al. (2021): Cerebral venous sinus thrombosis in patients with COVID-19 infection. Interdisciplinary Neurosurgery; 24: 101091. DOI: 10.1016/j.inat.2021.101091.

[22] Aljanabi KSK et al. (2021): A covid-19 Patient with Cavernous Sinus Thrombosis Post Dental Extraction a Diagnostic Dilemma. Indian Journal of Otolaryngology and Head&Neck Surgery. DOI: 10.1007/s12070-021-02460-9.

[23] Iba T et al. (2021): Proposal of the Definition for COVID-19-Associated Coagulopathy. Journal of Clinical Medicine; 10(2): 191. DOI: 10.3390/jcm10020191.

[24] Raper S et al. (2003): Fatal systemic inflammatory response syndrome in a ornithine transcarbamylase deficient patient following adenoviral gene transfer. Mol Genet Metab; 80 (1-2): 148-58. DOI: 10.1016/j.ymgme.2003.08.016.

[25] Cichon G et al. (2003): Titer determination of Ad5 in blood: a cautionary note. Gene Therapy; 10(12):1012-7. DOI: 10.1038/sj.gt.3301961.

[26] Cichon G et al. (1999): Intravenous administration of recombinant adenoviruses causes thrombocytopenia, anemia and erythroblastosis in rabbits. Journal of Gene Medicine; 1(5): 360-71. DOI: 10.1002/(SICI)1521-2254(199909/10)1:5<360::AID-JGM54>3.0.CO;2-Q.

[27] Sheets RL et al. (2008): Biodistribution and Toxicological Safety of Adenovirus Type 5 and Type 35 Vectored Vaccines Against Human Immunodeficiency Virus-1 (HIV-1), Ebola, or Marburg Are Similar Despite Differing Adenovirus Serotype Vector, Manufacturer's Construct, or Gene Inserts. Journal of Immunotoxicology; 5(3): 315–335. DOI: 10.1080/15376510802312464.

[28] Planty C et al. (2020): Nonclinical safety assessment of repeated administration and biodistribution of ChAd3-EBO-Z Ebola candidate vaccine. Journal of Applied Toxicology; 40(6):748-762. DOI: 10.1002/jat.3941.

[29] Mancini I et al. (2021): The ADAMTS13-von Willebrand factor axis in COVID-19 patients. Journal of Thrombosis and Haemostasis; 19(2): 513-521. DOI: 10.1111/jth.15191.

[30] Turecek PL et al. (2021): Recombinant ADAMTS13 reduces abnormally up-regulated von Willebrand factor in plasma from patients with severe COVID-19. Thrombosis Research; 201: 100-112. DOI: 10.1016/j.thromres.2021.02.012.

[31] Arepally GM et al. (2017): Heparin-induced thrombocytopenia. Blood; 129 (21): 2864–2872. DOI: 10.1182/blood-2016-11-709873.

[32] Okada T et al. (2014): Spontaneous heparin-induced thrombocytopenia syndrome without any proximate heparin exposure, infection, or inflammatory condition: Atypical clinical features with heparin-dependent platelet activating antibodies. Platelets; 26(6): 602-607. DOI: 10.3109/09537104.2014.979338.

[33] Nazy I et al. (2020): Platelet- activating immune complexes identified in critically ill COVID- 19 patients suspected of heparin- induced thrombocytopenia. Journal of Thrombosis and Haemostasis; 00:1–6. DOI: 10.1111/jth.15283.
[34] Althaus K et al. (2021): Antibody-induced procoagulant platelets in severe COVID-19 infection. Blood; 137 (8): 1061–1071. DOI: 10.1182/blood.2020008762.