Gasspeicher-Report – Ausblick auf den Winter 2023/24
In der ersten Version dieses Reports wurde der gesetzlich vorgeschriebene Füllstand von 40 % irrtümlich auf den 1. April gelegt. Das korrekte Datum ist jedoch der 1. Februar, die Grafiken und Textstellen wurden entsprechend aktualisiert. Der Datenstand ist jetzt der 23. Oktober 2023.
Im vergangenen Winter haben wir monatlich auf die Datenlage bei der Gasversorgung in Deutschland und Europa geschaut und Szenarien betrachtet, die unter bestimmten Annahmen mögliche Entwicklungen modelliert haben. Zurzeit scheint dies nicht mehr notwendig zu sein, da die Gasversorgung aktuell stabil ist. Zu Beginn der Heizperiode in diesem Herbst werfen wir einen Blick auf die aktuelle Lage, halten fest, was wir aus dem vergangenen Winter lernen konnten und nutzen dieses Wissen für angepasste Szenarien, die den kommenden Winter betrachten
Der gesetzlich geforderte Füllstand der Gasspeicher in Deutschland von 95 Prozent am 01. November wurde bereits am 25. September erreicht. Auch in der EU sind die Erdgasspeicher-Kapazitäten im Mittel zu 95 Prozent gefüllt, in keinem Land weisen die Speicher Füllstände von unter 90 Prozent auf. Damit sind die Speicherstände in der EU mit denen im Herbst 2022 vergleichbar.
Die Ukraine besitzt mit über 320 TWh deutlich mehr Speicherkapazität als Deutschland (rund 250 TWh), gleichzeitig liegt ihr jährlicher Gasverbrauch bei weniger als einem Drittel des deutschen Gasverbrauchs. Anfang November 2022 waren ukrainische Gasspeicher mit fast 106 TWh Gas gefüllt, in diesem Jahr sind es jetzt schon mehr als 120 TWh. Besser gefüllte ukrainische Gasspeicher können unter Umständen einen Beitrag zur Versorgungssicherheit in Europa leisten. Die im Vergleich zum Vorjahr zusätzlich gespeicherte Gasmenge würde rein rechnerisch zum Beispiel den Mehrbedarf Deutschlands in einem harten Winter von etwa 50 TWh zu etwa 30 Prozent decken. Deutschland ist der größte Gasverbraucher in der EU, es verbraucht knapp ein Viertel des genutzten Erdgases in Europa.
Die Grafik zeigt den Verlauf der Speicherstände seit Anfang 2022 sowie die Fortschreibung des aktuellen Trends der Speicherstände. Dafür wird der Verlauf der letzten sieben verfügbaren Tage genutzt.
Die folgende Grafik zeigt, wie viel Gas aktuell (mit dem üblichen Meldeverzug von zwei Tagen) in den Ländern der EU, der Ukraine und des Vereinigten Königreichs gespeichert ist und wie weit die Speicher damit gefüllt werden. Die Speicher in der Ukraine sind ein Sonderfall. Sie werden nicht im vollen Umfang zur Sicherstellung der dortigen Versorgungslage benötigt.
Für eine sichere Versorgungslage sind drei Parameter zentral: die Menge der Netto-Einspeisungen, der Speicherfüllstand und die Höhe des Verbrauchs. Zu Beginn der vergangenen Heizperiode waren zwar die Gasspeicher gut gefüllt, bei den verfügbaren Importmengen und beim Verhalten der Gasverbraucher-Gruppen „Haushalte und Gewerbe“ sowie „Industrie“ gab es aber durch die geänderte Marktlage (kein Gasimport über Nordstream, gestiegene Gaspreise durch den Krieg in der Ukraine) große Unsicherheiten. Auch wenn sich durch unvorhersehbare Ereignisse die Situation in diesem Jahr spontan ändern kann, lässt sich für den kommenden Winter der Raum der plausiblen Szenarien besser als im vergangenen Jahr einschränken.
Die Netto-Einspeisung ergibt sich aus dem Gesamtimport Deutschlands plus der Produktion beziehungsweise Förderung in Deutschland minus dem Export. Deutschland leitet Gas an andere Länder weiter.
Im vergangenen Winter sind in keinem Monat die mittleren täglichen Netto-Einspeisungen unter 2,3 TWh gesunken. Seit Juni dieses Jahres sind die Netto-Einspeisungen zwar deutlich unter 2 TWh/d gesunken, dies liegt aber am fehlenden Bedarf im Sommer. Mit den LNG-Terminals in Brunsbüttel, Wilhelmshaven und Lubmin stehen in diesem Jahr weitere Importkapazitäten bereit.
Im vergangenen Winter wurden von allen Verbrauchern pauschal 20 Prozent Einsparungen gefordert, um eine Gasmangellage ausschließen zu können. Der Blick zurück zeigt: Die Industrie hat insgesamt tatsächlich rund 20 Prozent eingespart und spart das auch weiter. Haushalt und Gewerbe haben insgesamt etwas über 15 Prozent eingespart.
Betrachtet man die wöchentlichen Einsparungen, fällt auf, dass die Einsparung sowohl bei der Industrie als auch bei Haushalten und Gewerbe von Woche zu Woche schwankt – wobei Haushalte und Gewerbe größere Schwankungen aufweisen. Ein wichtiger Einflussfaktor ist dabei die Temperatur in der jeweiligen Woche. Ist sie unterdurchschnittlich, fallen die Einsparungen geringer aus, oder es kommt sogar zu einem Mehrverbrauch. Für die Versorgungssicherheit sind die oben betrachteten langfristigen Einsparungen aber die relevanten.
Ein relevanter Teil des durch die Industrie verbrauchten Gases ist auf die Stromerzeugung zurückzuführen. In diesem Jahr ist die Verstromung von Gas im Vergleich zu den Vorjahren bis jetzt nicht gestiegen und liegt eher im Mittelfeld.
Mit den beobachteten Werten für Netto-Einspeisung und Verbrauchseinsparung lassen sich für den kommenden Winter neue Szenarien berechnen. Wie immer bei Szenarien kann anhand der hier betrachteten Daten nicht berechnet werden, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie eintreten, da ihr Eintreten von externen Parametern (Gasverfügbarkeit und Verhalten der Verbraucher) abhängt. Vielmehr dienen sie dazu zu simulieren, wie sich die Zukunft entwickeln könnte, wenn bestimmte Annahmen eintreten.
Für die Netto-Einspeisung werden zwei Szenarien betrachtet: eine tägliche Einspeisung von 2,5 TWh (entspricht ungefähr der Netto-Einspeisung des Winters 2022/23) und ein Stressszenario mit einer täglichen Einspeisung von nur 2 TWh.
Beim Verbrauch werden Industrie (inklusive Stromerzeuger) und Haushalt und Gewerbe (alle Gasverbraucher bis zu einem Jahresverbrauch von 1,5 GWh) getrennt betrachtet. Betrachtet werden drei Szenarien:
Im ersten Szenario wird davon ausgegangen, dass die Einsparbereitschaft weiterhin hoch ist, während das zweite Szenario zum Beispiel eintreten kann, falls durch die gesunkenen Gaspreise die Einsparbereitschaft in den Haushalten im zweiten Winter nicht mehr vorhanden sein sollte. Das dritte Szenario kann praktisch als worst-case-Szenario dienen. Ein besonders kalter Winter kann diesen Szenarien hinzugefügt werden, indem man im Geiste vom Speicherfüllstand am Ende des Winters rund 50 TWh abzieht.
Die drei Szenarien sind natürlich vereinfachend, zeigen aber, welche Bandbreite an Entwicklungen erwartbar ist. Weitere Unsicherheiten sind vorhanden, wurden aber in diesen einfachen Szenarien nicht berücksichtigt:
Die Speicher in Deutschland dienen zum Teil auch zur Versorgung anderer Länder. Andererseits sind beispielsweise Teile der österreichischen Speicher auch für die Versorgung von Deutschland (insbesondere Bayern) vorgesehen. Dies wird bei den betrachteten Szenarien implizit durch die verschiedenen Werte für die Netto-Einspeisung berücksichtigt. Der Speicherstand ist dabei nur der Startwert für die Berechnungen, denn das gespeicherte Gas kann nicht als Gasmenge angenommen werden, die vollständig im deutschen Gasnetz verbleibt. Würde mehr Gas aus deutschen Speichern in andere Länder exportiert und weniger importiert, würde dies letztlich die Netto-Einspeisung reduzieren.
Unter der Annahme, dass in diesem Winter so viel Gas eingespeist wird wie im vergangenen Winter, reichten die Einsparungen der Industrie alleine schon aus, um den gesetzlich geforderten Speicherstand von 40 Prozent zum ersten Februar sicher zu erreichen. Auch ein Mehrverbrauch von 50 TWh durch einen kalten Winter könnte diesen Grenzwert nicht unterschreiten. Steigt der Gasverbrauch durch einen kalten Winter in Europa insgesamt, kann aber auch die Netto-Einspeisung sinken.
Die Punkte markieren die gesetzlich vorgegebenen Mindestfüllstände zu verschiedenen Zeitpunkten.
In einem Szenario mit im Schnitt nur 2 TWh Netto-Einspeisung pro Tag würden die 40 Prozent Speicherfüllstand Anfang Februar mit den betrachteten Einsparungen nicht erreicht, wenn auch noch ein Mehrverbrauch durch einen kalten Winter hinzukommt. Aber auch hier führen die beiden Szenarien mit Einsparungen dazu, dass die Speicher in einem durchschnittlichen Winter nicht leer fallen.
Die Punkte markieren die gesetzlich vorgegebenen Mindestfüllstände zu verschiedenen Zeitpunkten.
Alle betrachteten Szenarien zeigen zu Beginn des Winters ein deutlich optimistischeres Bild als die im vergangenen Jahr diskutierten Szenarien. Der Hauptgrund sind die gestiegenen Netto-Einspeisungen, die wir in diesem Jahr aufgrund der Erfahrungen des Vorjahres annehmen. Ereignisse, die die Verfügbarkeit von Gas auf dem Weltmarkt ändern, können aber dazu führen, dass auch wieder pessimistischere Szenarien betrachtet werden müssen.
Den Code für diesen Data Report stellen wir hier zur Verfügung. Neben Standard R-Paketen wird ein eigenes Paket verwendet, das hier bereitgestellt wird.
Die Speicherstände der Gasspeicher entstammen dem Aggregated Gas Storage Inventory. Die Daten werden zwei Tage verzögert publiziert. Der aktuelle Wert ist also der Speicherstand für Vorgestern, bezogen auf das Erscheinungsdatum. Nicht alle Speicher melden an allen Tagen Daten. Nicht gemeldete Daten werden von Gas Infrastructure Europe (GIE) geschätzt und bei späteren Updates auf die gemeldeten Daten korrigiert. Dies kann insbesondere dazu führen, dass sich der aktuelle Trend der letzten Tage auch umdrehen kann. Bei Trendwenden ist es deshalb ratsam, ein paar Tage abzuwarten, ob diese noch korrigiert werden. Auch eine Plausibilisierung mit anderen Informationsquellen ist empfehlenswert.
Insbesondere nach Wochenenden kann es auch zu fehlenden Werten kommen, was dann an den spontan sinkenden Speicherkapazitäten ersichtlich ist. Vereinzelt existieren Füllstände, die etwas höher liegen als die angegebene Kapazität, dadurch sind Füllstände von über 100 Prozent möglich.
Die Verbrauchsdaten werden von der Bundesnetzagentur bereitgestellt. Die Werte können sich zum Teil auch mit mehreren Wochen Verzögerung noch deutlich ändern.
Seitens der Gasversorger wird der Verbrauch für die Kleinverbraucher (Haushalt und Gewerbe) geschätzt und über so genannte Standard-Lastprofile bilanziert. Diese basieren auf den Erfahrungen der vergangenen Jahre. Für die Einschätzung des tatsächlichen Verbrauchs im Winter, der mit Blick auf die langjährige Gasversorgung ungewöhnlich ist, reichen diese Schätzungen jedoch nicht. Die BNetzA berechnet daher den Verbrauch für die Kleinverbraucher aus den Messdaten am Eingang der Verteilnetze sowie weiteren Daten mit einem selbst entwickelten Verfahren.
Wenn Sie Fragen zu diesen Daten haben oder weitere Auswertungen erhalten wollen, kann das SMC Lab Auswertungen erzeugen.
Redaktion
Sönke Gäthke, Redakteur für Energie und Mobilität
redaktion@sciencemediacenter.de
Datenauswertung
Bernhard Armingeon
Lars Koppers
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