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27.07.2020

Vorindustrielle Aerosolkonzentration höher als bisher angenommen

Die vorindustrielle Konzentration von Aerosolen in der Atmosphäre lag möglicherweise höher als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forscherteam. Dies könnte wichtige Auswirkungen auf bisherige Klimamodellierungen haben, denn diese menschengemachten Partikel – sogenannte anthropogene Aerosole – könnten somit weniger kühlend auf das Erdklima wirken als bisher berücksichtigt. Die Studie deutet darauf hin, dass dieser Kühlungseffekt wahrscheinlich moderater ausfällt als dies in den Modellen angenommen wird.

Aerosole in der Atmosphäre haben sowohl direkten als auch indirekten Einfluss auf den Strahlungshaushalt der Erde und damit auf das Klima. Zum einen reflektieren sie die Sonneneinstrahlung teilweise zurück ins All – dies hat eine abkühlende Wirkung. Einige Aerosole dagegen absorbieren die kosmische Strahlung, wodurch sich Teile der Atmosphäre erwärmen, bodennahe Schichten wiederum abkühlen. Zum anderen entfalten sie ihre indirekte Wirkung über ihren Einfluss auf die Wolkenbildung und die Niederschläge. Aerosole dienen dabei als Kondensations- und Kristallisationskeime für Tröpfchen und Eiskristalle, die Wolken formen. Sind mehr Aerosole in der Atmosphäre, können sich mehr Wassertröpfchen bilden. Insgesamt maskieren die Aerosole etwa ein Drittel des durch die anthropogenen Treibhausgas-Emissionen verursachten Strahlungsantriebs. Eine Reduzierung der Aerosole durch weniger Verbrennung fossiler Energieträger und durch eine Verbesserung der Luftqualität im Allgemeinen würde somit die globale Erwärmung beschleunigen. Generell ist das Wissen über die klimatische Rolle der Aerosole – vor allem über die Aerosol-Wolken-Wechselwirkungen – noch mit zahlreichen Fragezeichen behaftet. Dies führt zu erheblichen Unsicherheiten bei Klimaprojektionen.

Das Wissenschaftlerteam ermittelte mithilfe von Satellitenmessungen über dem südlichen Ozean, wie hoch die Konzentration sogenannter Wolkentropfen in der Atmosphäre ist, im Fachterminus Wolkentropfen-Anzahlkonzentration genannt. Mehr Aerosole führen zu einer erhöhten Tröpfchenanzahl-Konzentration. Ihre Messdaten nutzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dann als Referenz für die ursprünglichen, vorindustriellen Werte und setzten sie in Kontrast mit den Messwerten der heutigen Nordhemisphäre, die deutlich mit anthropogenen Aerosolen belastet ist. Die Ergebnisse deuten den Autoren zufolge darauf hin, dass Klimamodelle die vorindustriellen Aerosol- und Wolkentropfenkonzentrationen unterschätzen und dass der natürliche vorindustrielle aerosol-bedingte Abkühlungseffekt durch direkte und indirekte Rückstrahlung – Albedo genannt – stärker war als bisher angenommen.

Die Studie wurde im Fachjournal „PNAS“ veröffentlicht (siehe Primärquelle).

Übersicht

     

  • Jun.-Prof. Dr. Stephanie Fiedler, Leiterin der Arbeitsgruppe Energie-Meteorologie, Institut für Geophysik und Meteorologie, Universität zu Köln und Forschungsbereichsleiterin Klimamonitoring und Diagnostik im Hans-Ertel-Zentrum für Wetterforschung
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  • Dr. Johannes Hendricks, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Globale Aerosolmodellierung, Abteilung Erdsystem-Modellierung, Institut für Physik der Atmosphäre, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Oberpfaffenhofen
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  • Dr. Johannes Mülmenstädt, Geowissenschaftler in der Abteilung Global Atmospheric Modeling, Pacific Northwest National Laboratory, Richland, Washington, Vereinigte Staaten von Amerika
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Statements

Jun.-Prof. Dr. Stephanie Fiedler

Leiterin der Arbeitsgruppe Energie-Meteorologie, Institut für Geophysik und Meteorologie, Universität zu Köln und Forschungsbereichsleiterin Klimamonitoring und Diagnostik im Hans-Ertel-Zentrum für Wetterforschung

„Die aktuelle Studie basiert auf einer anderen Methode als vorherige Veröffentlichungen. Die Methode hat – wie andere Ansätze – Unsicherheiten, aber es ist ein sinnvoller Beitrag, dessen Ergebnisse sich im Rahmen von anderen Abschätzung bewegen.“

„Wir können grundsätzlich die tatsächliche globale Verteilung von vorindustriellen Aerosolkonzentrationen – also Kleinstpartikeln, die aus überwiegend natürlichen Quellen stammen – nicht mehr messen. Die Autoren der aktuellen Arbeit nutzen deswegen eine Region, die heutzutage vergleichsweise unberührt von direkten menschlichen Aerosolemissionen ist. Die Meeresregionen nahe der Antarktis kommen aus diesem Grund in Frage und werden in dieser Arbeit untersucht. Dabei ist zu bedenken, dass andere Regionen durch die Emission anderer natürlicher Aerosole stärker beeinflusst werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist Saharastaub, der über große Distanzen transportiert werden kann und andere Eigenschaften als Aerosole aus dem Meer hat. Somit sind die Ergebnisse nicht unbedingt auf andere Weltregionen übertragbar. Weiterhin gibt es heute streng genommen keine Regionen mehr, die absolut frei von menschlichen Einflüssen sind, weil der Klimawandel weltweite Auswirkungen hat.“

„Als vorindustrielle Aerosole betrachtet man typischer Weise solche, die aus natürlichen Quellen stammen, zum Beispiel Emissionen von Staub in der Wüste, Seesalz aus den Ozeanen, Pollen von Pflanzen oder auch Vulkanasche. Die Mengen natürlicher Aerosole werden mit komplexen Computermodellen für das Klima und auch aus optischen Messungen, zum Beispiel von Satelliten, abgeschätzt. Aber beide Verfahren haben Unsicherheiten.“

„Die Wirkung von Aerosolen auf das Klima ist seit Langem Gegenstand der Forschung. Aerosole beeinflussen das Klima durch Streuung von Sonnenlicht und der Funktion von Aerosolen in der Bildung von Wolkentröpfchen. Die Größe des Aerosoleffekts auf Wolken ist hierbei besonders unsicher. Es gibt immer wieder Studien, die den Aerosolen größere oder kleine Wirkung auf Wolken zuschreiben, unter Anderem, weil die Prozesse sehr komplex sind. Einen aktuellen Überblick zum Wissensstand zu diesem Thema bietet [1].“

„Die Wirkung der anthropogenen Aerosole auf das Klima ist von großem Interesse, um zu verstehen, wie stark sie dem wärmenden Effekt vom anthropogenen Treibhauseffekt entgegenwirken. Für die Zukunft nehmen wir in den meisten Szenarien an, dass anthropogene Emissionen von Aerosolen sinken werden, zum Beispiel wegen einer insgesamt besseren Luftreinhaltung zum Nutzen der menschlichen Gesundheit. Globale Abschätzungen zum Aerosolstrahlungsantrieb der Erde für die aktuellen Zukunftsszenarien ist auch Gegenstand meiner Forschung [2]. Somit kann man im globalen Mittel davon ausgehen, dass die zukünftige kühlende Wirkung der Aerosole sich verringert und das Klima sich deswegen noch etwas mehr erwärmen kann. Aber wie stark dieser Effekt ist und wie er sich im Einzelnen – vor allem auf das Wetter und Klima in einzelne Regionen – auswirkt, wissen wir noch nicht.“

Dr. Johannes Hendricks

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe Globale Aerosolmodellierung, Abteilung Erdsystem-Modellierung, Institut für Physik der Atmosphäre, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Oberpfaffenhofen

„Zur Quantifizierung der Klimawirkung anthropogener Aerosole mithilfe von Klimamodellen ist die Kenntnis des vorindustriellen Zustandes des atmosphärischen Aerosols als Ausgangspunkt der Berechnung essenziell. Dazu sind jedoch nur sehr begrenzte Information aus Messungen verfügbar, was neue innovative Forschungsansätze erforderlich macht. Der Ansatz der aktuellen PNAS-Studie, Hinweise dazu aus Messungen über den südlichen Ozeanen zu gewinnen, ist vielversprechend, da dort eine nur geringe anthropogene Verschmutzung vorliegt. Vergleiche der Situation auf der verschmutzten Nordhemisphäre mit den Messungen über den südlichen Ozeanen können Rückschlüsse auf die Unterschiede zwischen den gegenwärtigen und vorindustriellen Bedingungen erlauben. Die neue Studie zeigt, dass in Klimamodellen die natürlichen ozeanischen Aerosolquellen möglicherweise zu schwach sind, was zu einer Überbewertung des anthropogenen Aerosoleffektes führen kann, insbesondere durch eine zu starke Beeinflussung von Wolken.“

„In zukünftigen Studien sollte jedoch geklärt werden, wie repräsentativ die südlichen Ozeane für die weltweite vorindustrielle Situation wirklich sind. Die Nordhemisphäre zeigt einen deutlich stärkeren Einfluss von Kontinenten, wo natürliche Aerosole auch verstärkt in Form von Mineralstaub oder biogenen Partikeln aus der Vegetation vorkommen. Gerade die vorindustrielle Menge derartiger biogener Partikel ist noch ungeklärt. Um die Rolle der Aerosole im Klimawandel besser verstehen zu können, ist es zudem erforderlich, die anthropogenen Partikelquellen noch besser zu erfassen. Die gegenwärtige Forschung richtet sich dabei unter anderem auf die Aerosolbildung aus organischen Gasen aus Verkehrsemissionen und anderen Quellen sowie deren Beschreibung in Klimamodellen.“

Dr. Johannes Mülmenstädt

Geowissenschaftler in der Abteilung Global Atmospheric Modeling, Pacific Northwest National Laboratory, Richland, Washington, Vereinigte Staaten von Amerika

„Quantitative Klimaprojektionen sind schwierig.Das liegt zum Teil daran, dass die Reaktion des Klimasystems auf vom Menschen verursachte Verschmutzung auf zwei gegenläufige Effekte zurückzuführen ist: Treibhausgase, die eine Erwärmung verursachen, und Aerosole, die eine Abkühlung bewirken.Wir wissen aus direkten Temperaturmessungen, wie hoch die gesamte Erwärmung in den vergangenen zweieinhalb Jahrhunderten war, aber wir können nicht jeden einzelnen Effekt isoliert messen. Stattdessen stützen wir uns auf eine Kombination von Methoden – Beobachtungen, Modelle, physikalische Überlegungen –, die alle unterschiedliche Stärken und Schwächen haben, sodass wir uns über die Stärke der Erwärmungs- und Abkühlungseffekte getrennt weit weniger sicher sind.Warum ist das von Bedeutung?Der jetzige Temperaturanstieg könnte dadurch zustande gekommen sein, dass eine schwache Treibhauserwärmung teilweise durch eine schwache Aerosolabkühlung ausgeglichen wird – oder dadurch, dass eine starke Treibhauserwärmung teilweise durch eine starke Aerosolabkühlung ausgeglichen wird.Künftige Aerosolkonzentrationen werden wahrscheinlich niedriger sein, während die Treibhausgaskonzentrationen steigen, sodass ein Teil des Temperaturausgleichs durch die Aerosolabkühlung verschwinden wird. Das wird uns entweder eine drastische Erwärmung oder eine weniger drastische Erwärmung bescheren.Es wäre schön, im Voraus zu wissen, was auf uns zukommt.Diese Studie ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, da sie mehr Klarheit über die Stärke der Aerosolabkühlung liefert.“

„Die in der Studie angewandte Methode fällt in die Kategorie, Klimamodelle mit Beobachtungen – in diesem Fall von Satelliten – zu konfrontieren. Während die Klimamodelle in ihrer Darstellung atmosphärischer Prozesse immer ausgefeilter geworden sind, hat dies alleine noch nicht dazu geführt, dass alle Modelle zu einer einzigen – hoffentlich richtigen – Antwort für den Kühlungseffekt der Aerosole konvergieren.Im Gegenteil: Die Spreizung zwischen den verschiedenen Modellen ist so groß wie eh und je, denn die Art und Weise, wie wir derzeit Modelle mit Beobachtungen konfrontieren, lässt den Modellen immer noch viel Spielraum.Dies gilt insbesondere dann, wenn Aerosole mit den Wolken wechselwirken, um sie heller werden zu lassen. Das heißt, sie reflektieren mehr einfallendes Sonnenlicht, was einen beträchtlichen Anteil des gesamten Kühleffekts ausmacht und für die Modelle der schwierigste Aspekt der Aerosolkühlung ist. Diese Studie gehört zu einer kleinen, aber schnell wachsenden Zahl von Studien, die herauszufinden versuchen, welche Arten von Beobachtungen tatsächlich wirksam sind, um Modelle festzunageln.“

„Die abschließende Schätzung der Autoren ist, dass die Aerosolabkühlung aufgrund der Wolkenaufhellung in den oberen Teil des Bereichs fällt, den wir auf der Grundlage früherer Studien für plausibel halten, aber immer noch bequem innerhalb dieses Bereiches liegt.Sich nur auf diese Titelnummer zu konzentrieren, würde jedoch ein Ergebnis verschleiern, das in unserer Disziplin sicherlich für Aufregung sorgen wird.Nach Ansicht der Autoren trägt der Mensch weniger zur Gesamt-Aerosolbelastung bei als in anderen Schätzungen. Die relativ starke Reaktion der Wolken deutet also darauf hin, dass die Wolken recht empfindlich auf Aerosoländerungen reagieren. Es wird spannend zu sehen sein, ob Studien, die Wolken als weniger empfindlich befunden haben, dies aber auf der Grundlage unsichererer Messungen der Aerosolmenge taten, angesichts dieser Ergebnisse noch haltbar sind. Es ist ein langsamer und mühsamer Prozess, neue Erkenntnisse in den Wissensfundus aufzunehmen. Aber aufgrund der hohen methodischen Qualität dieser Studie ist ein schwacher Kühlungseffekt des Aerosols meiner Meinung nach gerade ein wenig unwahrscheinlicher geworden – was mich mehr denn je über die bevorstehende Erwärmung beunruhigt.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Johannes Hendricks: „Keine.“

Dr. Johannes Mülmenstädt: „Ich unterhalte zu vielen der Autoren dieser Studie ein herzliches kollegiales Verhältnis, habe aber nicht direkt mit ihnen zusammengearbeitet, abgesehen von breit angelegten Bewertungsberichten innerhalb einer großen Gruppe von Co-Autoren.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

McCoy IL et al. (2020): The hemispheric contrast in cloud microphysical properties constrains aerosol forcing. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.1922502117.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Bellouin N et al. (2020): Bounding global aerosol radiative forcing of climate change. Reviews of Geophysics; 58, e2019RG000660. DOI: 10.1029/2019RG000660.

[2] Fiedler S et al. (2019): First forcing estimates from the future CMIP6 scenarios of anthropogenic aerosol optical properties and an associated Twomey effect. Geosci. Model Dev.; 12, 989–1007. DOI: 10.5194/gmd-12-989-2019.