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05.01.2023

Notwendige Investitionen auf dem Weg zu Netto-Null-Emissionen

     

  • ab sofort bräuchte es jedes Jahr Investitionen von 302 Milliarden Euro, um die EU auf den Weg zu Netto-Null-Emissionen zu bringen
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  • bereits bis 2030 müssen massiv in den Umbau zu emissonsarmen Technologien investiert werden, um genügend Emissionen einzusparen
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  • Experten loben die Metastudie und illustrieren Möglichkeiten, diese Summe bei entsprechendem politischen Willen aufzubringen
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In der Europäischen Union bräuchte es ab sofort die Investition von 302 Milliarden Euro pro Jahr, um den Pfad zum Netto-Null-Emissionsziel einzuschlagen und dieses Ziel im Jahr 2050 auch zu erreichen. Somit müssten jedes Jahr 87 Milliarden Euro mehr investiert werden als jährlich im Zeitraum von 2016 bis 2020. Zu diesem Ergebnis kommt die Metanalyse eines Teams von der ETH Zürich, die am 05. Januar 2023 im Fachjournal „Nature Climate Change“ veröffentlicht wurde (siehe Primärquelle). Am ausgeprägtesten sind demnach die Investitionsverschiebungen bei den Kraftwerken für erneuerbare Energien, den Stromnetzen und der Schieneninfrastruktur.

Im Pariser Klimavertrag verpflichten sich die Vertragsstaaten, ihre Treibhausgasemissionen zügig und nachhaltig zu mindern, um den fortschreitenden Klimawandel einzudämmen. Im Rahmen der Nationalen Selbstverpflichtungen (NDCs) hat auch die Europäische Union Minderungsziele für ihre Treibhausgasemissionen ausgerufen. Bereits im Jahr 2030 sollen 55 Prozent weniger klimarelevante Emissionen ausgestoßen werden als noch 1990. Im Jahr 2050 soll das so genannte Netto-Null-Ziel erreicht sein. Die dann noch unvermeidlichen Emissionen sollen mit Hilfe negativer Emissionen kompensiert werden. Um diese Minderungsziele unter dem bestehenden Zeitdruck zu erreichen, sind massive und schnelle Investitionsverlagerungen hin zu emissionsarmen Technologien notwendig.

Für ihre Metastudie haben die Forschenden über 600 Zeitreihen aus 56 bereits erschienen Studien analysiert, von denen allerdings nur 18 im akademischen Kontext erarbeitet wurden und dem Peer Review unterlagen. Sie finden dabei heraus, dass bereits aktuell (Zeitraum 2021 bis 2025) der für die nächsten fünfzehn Jahre größte Investitionssprung und damit die Umleitung etablierter Finanzströme notwendig ist, um auf dem Weg zum Netto-Null-Ziel mit ausreichender Geschwindigkeit voranzukommen. Sie identifizieren für nahezu alle Technologien einen notwendigen Investitionszuwachs. Nur die Investitionen in konventionelle Kraftwerke und die Öl- und Gasinfrastruktur sollten sinken. Insgesamt sind Investitionen von 302 Milliarden Euro pro Jahr notwendig. Dies sind jedes Jahr 87 Milliarden Euro mehr als jährlich in den vorangegangenen fünf Jahren. Den größten Bedarf an zusätzlichen jährlichen Investitionen sehen die Forschenden bei den Kraftwerken für erneuerbare Energien (plus 24 Milliarden Euro), den Stromleitungen und Energiespeichern (plus 24 Milliarden Euro) und der Schieneninfrastruktur (plus 25 Milliarden Euro).

Das SMC hat Forschende gefragt, inwiefern Investitionen in dieser Größenordnung überhaupt realisierbar wären, welche Politikinstrumente dabei wirkungsvoll eingesetzt werden könnten und inwiefern das durch die aktuelle politische Situation mit dem Krieg in der Ukraine und den Turbulenzen in der Ampelkoalition der Bundesregierung erschwert werden könnte.

 

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Felix Creutzig, Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Berlin
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  • Dr. Michael Pahle, Leiter der Arbeitsgruppe Klima- und Energiepolitik, Department Transformationspfade, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam
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  • Dr. Martin Weibelzahl, Co-Fachbereichsleiter am Kern­kompetenz­zentrum Finanz-­ & Informations­management, Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik, Bayreuth, und Mitglied des Institutsteils Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT) und Lehrbeauftragter an der Universität Bayreuth
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  • Dr. Sascha Samadi, Co-Leiter des Forschungsbereichs Sektoren und Technologien, Abteilung Zukünftige Energie- und Industriesysteme, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal
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  • Dr. Stefan Thomas, Leiter der Abteilung Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal
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Statements

Prof. Dr. Felix Creutzig

Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzung, Infrastruktur und Transport, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC), Berlin

„Die Studie ist ausgezeichnet und von großem Wert, um die europäische Investitionspolitik zeitgemäß aufzustellen. Eine Metastudie zu diesem Thema ist hilfreich, da dieses bestehende Wissen und Abschätzungen zusammenträgt und vergleichbar macht. Da Studien ab dem Jahr 2016 einbezogen wurden, sind möglicherweise veraltete Kostenannahmen mitberücksichtigt. So wissen wir, dass insbesondere im Bereich Solar/Photovoltaik die Kostendegression (sinkende Stückkosten bei zusätzlich produzierten Einheiten; Anm. d. Red.) historisch von den meisten Akteuren unterschätzt wurde. Modelle mit aktuellen Kostenannahmen sollten also größere Gewichtung in der Gesamtbewertung finden.“

Auf die Frage, inwiefern die in der Studie genannten hohen Beträge umsetzbar sind und welche Politikinstrumente dabei besonders wirkungsvoll wären:
„Die Liquidität kann sicherlich geschaffen werden, es fehlt an politischem Willen. Wenn es 200 Milliarden Euro für eine Gas- und Strompreisbremse gibt – zu großem Teil eine Subvention für fossile Treibstoffe – dann kann es auch 87 Milliarden Euro für Zukunftsinvestitionen geben. Eine sozial-ökologische Steuerreform, welche die Folgekosten fossiler Treibstoffe vollständig einpreist, könnte ohne Weiteres die Zukunftsinvestitionen finanzieren.“

„Des Weiteren sollten sich öffentliche Haushalte an den benötigten Investitionen orientieren. Im Verkehrsbereich wäre ein Bau-Moratorium für neue Straßen hilfreich. Der Bund gibt immer noch mehrere Milliarden Euro jährlich für den Neubau von Fernstraßen und Autobahnen aus. Das ist nicht angemessen – Deutschland hat schon eines der wichtigsten Straßennetze der Welt. Und es ist unverantwortlich: Sowohl Neubau als auch Nutzung bedeuten zusätzliche Treibhausgasemissionen. Ein Verschieben dieser Investitionen in den Schienen- und Fahrradverkehr kann viel bringen.“

„Ein weiterer Punkt ist die Beschaffung der öffentlichen Hand. Bei der Berliner S-Bahn-Ausschreibung gibt es keine Konkurrenz zum Konsortium der DB. Der Berliner Senat könnte damit auf milliardenhohen Extrakosten sitzen bleiben, die das Monopol-Unternehmen verlangen kann. Eine erneuerte Ausschreibung könnte die Kosten um bis zu eine Milliarde senken.“

„Schließlich könnten die Europäische Investitionsbank und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ihre Kreditlinien für Erneuerbare Energien, Netzinfrastrukturen und Eisenbahnnetze verdoppeln und insbesondere auch in Osteuropa günstige Kreditlinien anbieten.“

„Die Botschaft der Studie an die Politik ist eine wichtige: Der bisherige Haushalt europäischer Staaten ist nicht zukunftssicher! Das war so vorher nicht mit soliden Zahlen belegt.

Auf die Frage, inwiefern insbesondere der Verkehrssektor, den die Studie als sehr wichtig identifiziert und dabei vor allem den Ausbau des Schienenverkehrs und die Einführung von E-Autos als Schlüsselelemente sieht, Gefahr läuft, seinen Beitrag zur Einhaltung Klimaschutzgesetzes nicht zu leisten, nachdem Bundesverkehrsminister Volker Wissing erklärt hat, auch der Ausbau von Fernverkehrsstraßen hätte für ihn Priorität und zudem die Förderung für den Kauf von E-Autos zum Jahresbeginn abgesenkt wurde:
„Das Verkehrsministerium wird seiner staatspolitischen Verantwortung nicht gerecht und verfehlt es, gesetzlich festgeschriebene Maßnahmen zur Emissionsreduktion zu liefern. Das Spektrum wirksamer Maßnahmen mit gesellschaftlichem Nutzen ist ausbuchstabiert: Moratorium für Straßenneubau, Reform der Straßenverkehrsordnung, um kommunalen Klimaschutz zu ermöglichen, Neuaufstellung der Kfz-Steuer nach französischem Vorbild, Abschaffen des Dienstwagenprivilegs und Einführung einer orts- und zeitabhängigen PKW-Maut. Solange hier keine Maßnahmen ergriffen werden, bleibt das Verkehrsministerium die klimapolitische Leerstelle der Bundesregierung.“

Dr. Michael Pahle

Leiter der Arbeitsgruppe Klima- und Energiepolitik, Department Transformationspfade, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam

„Die Methodik der Studie ist rigoros und das Vorgehen gut dokumentiert. Dafür spricht auch, dass der Artikel erfolgreich das Begutachtungsverfahren der Zeitschrift durchlaufen hat.“

„Im letzten Abschnitt der Studie wird diskutiert, wie Investitionen in dieser Höhe umsetzbar sein könnten, allerdings nur mit Bezug auf den EU Sustainable Action Finance Plan. Die Autoren stellen klar, dass dieser nicht zielführend (erste Säule) beziehungsweise ausreichend (zweite Säule) ist, auch wenn die Europäische Investitionsbank (EIB) ihr Finanzvolumen für direkte Investitionen erhöhen wird. Weitere Investition auf nationaler Ebene durch Investitionsbanken wären nötig, so die Autoren, aber dazu bräuchte es öffentliche Investitionsbanken wie die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die es in vielen anderen Ländern jedoch nicht gibt.“

„Außerdem schlagen die Autoren vor, dass die Investitionen auch durch öffentliche Investitionen – aus den Staatshaushalten, also durch Steuern – zumindest co-finanziert werden könnten. Dies wird allerdings nicht weiter konkretisiert. Meiner Einschätzung nach dürfte dafür auch wenig Spielraum bestehen, weil die fiskalische Lage der EU-Staaten derzeit – auch wegen der Energiekrise – recht angespannt ist und wegen der steigenden Zinsen für Staatsanleihen. Eine Ausnahme sind die (verbleibenden) Gelder der EU-Aufbau- und Resilienzfazilität (ein Instrument, das wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Corona-Pandemie abfedern sollte; Anm. d. Red.) – rund 200 Milliarden –, die im Rahmen des REPowerEU Programms zum Großteil für diese Investitionen verwendet werden sollen [1].“

„Nicht diskutiert werden in der Studie private Finanzierungen als Alternative. Für Stromnetze und Schienen könnte dies über Abgaben/Entgelte von Verbrauchern passieren, wie dies zum Beispiel in Deutschland für Stromnetze schon der Fall ist. Damit könnte man am Kapitalmarkt – beziehungsweise aufgrund des geringen Risikos bei Banken – Kredite für die Investitionen bekommen; allerdings würden sich dadurch natürlich auch die Strom- und Ticketpreise erhöhen, das heißt, die Verbraucher würden dafür am Ende bezahlen. Auf gleiche Weise könnte man auch die Investitionen in Erneuerbare Energien finanzieren, was ebenfalls in Deutschland über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) schon der Fall ist.“

„Das qualitative Ergebnis – es braucht viel mehr Geld – ist in der Tat nicht überraschend, aber die Quantifizierung ist trotzdem sehr hilfreich und relevant. Denn sie zeigt, was an weiteren Maßnahmen nötig ist, und insbesondere auch, dass es ohne höhere Preise für Verbraucher nicht funktionieren wird. Diesen Punkt macht die Studie zwar nicht explizit (warum auch immer), aber es lässt sich (wie von mir getan) aus ihr ableiten. Das wiederum ist ein wichtiger Punkt für die politische Debatte beziehungsweise die Politik: Sie muss sich diesbezüglich ‚ehrlich machen‘ und klar kommunizieren, dass die Transformation teuer wird – auch wenn das politisch natürlich eine bittere Pille ist.“

Auf die Frage, inwiefern insbesondere der Verkehrssektor, den die Studie als sehr wichtig identifiziert und dabei vor allem den Ausbau des Schienenverkehrs und die Einführung von E-Autos als Schlüsselelemente sieht, Gefahr läuft, seinen Beitrag zur Einhaltung Klimaschutzgesetzes nicht zu leisten, nachdem Bundesverkehrsminister Volker Wissing erklärt hat, auch der Ausbau von Fernverkehrsstraßen hätte für ihn Priorität und zudem die Förderung für den Kauf von E-Autos zum Jahresbeginn abgesenkt wurde:
„Auch Elektrofahrzeuge fahren auf Straßen und Brücken, insofern ist das Geld sicher nicht ‚verkehrt‘ ausgegeben. Allerdings sind gerade im Bereich der Bahn/Schiene erhebliche öffentliche Investitionen notwendig, die nach derzeitiger Lage zu einem erheblichen Teil steuerfinanziert sind – und da scheint das Limit erreicht (siehe oben). Eine Alternative wäre, die Ticketpreise zu erhöhen, aber das will beziehungsweise schafft die Politik nicht, weil sie das den Wählern offenbar nicht zumuten will – gerade deshalb ist es wichtig, jetzt reinen Wein in Sachen Kosten einzuschenken. Was die E-Auto-Prämie betrifft: Der viel bessere beziehungsweise effizientere Weg wäre, durch einen (höheren) CO2-Preis Verbrenner-Autos teurer und damit E-Autos finanziell attraktiver zu machen. Das würde den Staat nichts kosten, sondern im Gegenteil noch Einnahmen bringen – zum Beispiel für Investitionen in die Schiene. Aber auch hier traut sich die Politik nicht, und zwar nicht nur die FDP [2].“

Dr. Martin Weibelzahl

Co-Fachbereichsleiter am Kern­kompetenz­zentrum Finanz-­ & Informations­management, Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik, Bayreuth, und Mitglied des Institutsteils Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT) und Lehrbeauftragter an der Universität Bayreuth

„Die Studie unterstreicht erneut, dass der Klimawandel nicht auf uns wartet und wir schnell unsere Infrastruktur zukunftsgerichtet umbauen müssen. Nur so schaffen wir das notwendige Fundament einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft.“

„Es ist von zentraler Bedeutung, dass wir die richtigen ökonomischen Anreize setzen, damit Investitionen genau dort passieren, wo sie benötigt werden, und so schnell ihre Wirkung entfalten können. Die Zeit läuft uns ansonsten davon. Planungssicherheit und Verlässlichkeit politischer Entscheidungen spielen für Investoren eine entscheidende Rolle und sollten eine entsprechende politische Priorität haben.“

„In der Studie wird der notwendige Ausbau erneuerbarer Energien hervorgehoben. Da diese im Gegensatz zu konventionellen Kraftwerken eine verstärkte Wetterabhängigkeit unserer Energieversorgung mit sich bringen, braucht es bei einem Umbau unserer Infrastruktur besonders auch Investitionen in Flexibilität. Diese bleiben in der Studie ungenannt. Ohne hinreichende Flexibilität riskieren wir bei einem hohen Anteil an wetterabhängigen Erneuerbaren Energien unsere Versorgungssicherheit – und damit unsere Wettbewerbsfähigkeit sowie letztlich unseren Wohlstand.“

„Die Energiewende bedeutet auch eine zunehmende Dezentralität, denn sie findet überall statt: Auf See, auf dem Land und zum Beispiel auch auf unseren (Haus-)Dächern. Diese Dezentralität ist eine große Chance für unser Land, unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft. Entsprechend spielen neben der absoluten Höhe an Investitionen auch regionale Investitionsanreize eine entscheidende Rolle, um dieser steigenden Dezentralität zu begegnen, regionale Initiativen weiter zu stärken und sicherzustellen, dass jeder Euro genau dahin fließt, wo er seine größte Wirkung entfaltet.“

Auf die Frage, inwiefern insbesondere der Verkehrssektor, den die Studie als sehr wichtig identifiziert und dabei vor allem den Ausbau des Schienenverkehrs und die Einführung von E-Autos als Schlüsselelemente sieht, Gefahr läuft, seinen Beitrag zur Einhaltung Klimaschutzgesetzes nicht zu leisten, nachdem Bundesverkehrsminister Volker Wissing erklärt hat, auch der Ausbau von Fernverkehrsstraßen hätte für ihn Priorität und zudem die Förderung für den Kauf von E-Autos zum Jahresbeginn abgesenkt wurde:
Im Zuge einer erfolgreichen Dekarbonisierung des Verkehrssektors dürfen wir Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren nicht einfach eins zu eins durch Elektrofahrzeuge ersetzen. Wir müssen – auch auf dem Land – neue Mobilitätskonzepte wie das Carsharing weiter ausbauen und stärken. Die Mobilitätswende erfordert dabei vielfältige Innovationen – von technologischen bis hin zu gesellschaftlichen Innovationen.“

„Elektromobilität ist eine große Chance und Aufgabe zugleich: Beispielsweise können durch einen steigenden Anteil an Elektrofahrzeugen gänzlich neue Lastspitzen entstehen, für die unsere aktuellen Stromnetze nicht ausgerichtet sind. Einfach ‚nur‘ in mehr treibhausgasarme Fahrzeuge zu investieren, greift daher zu kurz. Die Mobilität von morgen benötigt aufgrund einer hohen Vernetzung beispielsweise auch eine intelligente Steuerung von Ladeprozessen. Hierzu bedarf es flankierend zu dem notwendigen Infrastrukturausbau mit neuen Ladesäulen auch einer raschen und flächendeckenden Digitalisierung. So wird Mobilität smart und klimafreundlich.“

Dr. Sascha Samadi

Co-Leiter des Forschungsbereichs Sektoren und Technologien, Abteilung Zukünftige Energie- und Industriesysteme, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal

„Metastudien haben nicht das Ziel, bahnbrechende neue Erkenntnisse zu liefern. Sie sollen vielmehr den aktuellen Wissensstand zu bestimmten Fragestellungen aus verschiedenen vorliegenden Einzelstudien zusammenführen und aufbereiten. Diese Metastudie stellt heraus, wie groß bis 2035 voraussichtlich der Investitionsbedarf in Europa im Bereich der Energie- und Transportinfrastruktur sein wird, wenn die bestehenden Klimaziele erreicht werden sollen. Die Arbeit wertet viele wichtige Studien der vergangenen Jahre aus und gibt einen guten Überblick über die in diesen Studien erwarteten Investitionsbedarfe. Zum einen wird dabei für einzelne Technologien der Investitionsbedarf im Durchschnitt über alle Studien aufgeführt, zum anderen auch aufgezeigt, bei welchen Technologien sich die Studien hinsichtlich der zukünftigen Investitionsbedarfe relativ einig sind und in welchen Bereichen sie stärker voneinander abweichen. Eine solche Metaanalyse lag bisher noch nicht vor und die gut aufbereiteten Ergebnisse stellen einen Mehrwert für Wissenschaft und Politik dar. Die Methodik der Studie ist transparent erläutert und erscheint für den Zweck der Studie angemessen.“

„Die benötigten Investitionen klingen in absoluten Zahlen natürlich sehr hoch. Um eine Einordnung dieser Zahlen zu ermöglichen, ist es sinnvoll, diese Investitionen als Anteil der Wirtschaftsleistung Europas auszudrücken. Eine entsprechende Einordnung wird von den Autor*innen der Studie auch vorgenommen. Sie weisen darauf hin, dass der Anteil der Investitionen in die betrachtete Infrastruktur im vergangenen Jahrzehnt zwischen 1,3 und 1,5 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts lag und im laufenden Jahrzehnt voraussichtlich auf 1,5 bis 1,8 Prozent steigen müsste. Dieser notwendige Anstieg von maximal 0,5 Prozentpunkten des Bruttoinlandsprodukts verdeutlicht, dass es wirtschaftlich für Europa durchaus möglich wäre, auch kurzfristig die Investitionen auf das notwendige Maß zu erhöhen. Zudem haben auch in vergangenen Jahren die entsprechenden Investitionen stark geschwankt.“

„Eine Verschärfung des europäischen Emissionshandels ist von hoher Bedeutung, um privatwirtschaftliche Investitionen verstärkt in grüne Infrastruktur zu lenken. Eine entsprechende Verschärfung des Emissionshandels hat die EU vor einigen Wochen beschlossen. Aus meiner Sicht wäre – trotz des derzeit recht hohen Preisniveaus der CO2-Zertifikate – auch die Festlegung eines Mindestpreises hilfreich, um die mittel- bis langfristige Investitionssicherheit für klimafreundliche Investitionen zu erhöhen. Gerade bei neuartigen Infrastrukturen – wie bei Wasserstoff- sowie CO2-Pipeline-Netzwerken – könnten staatliche Beteiligungen notwendig sein, da die zukünftigen Erlöspotenziale für diese Infrastrukturen für einzelne Marktakteure noch zu unsicher sind beziehungsweise zu weit in der Zukunft liegen.“

„Um die notwendige schnelle Erhöhung der Investitionen in grüne Infrastruktur ermöglichen zu können, sind zudem Vereinfachungen und Beschleunigungen der Planungs- und Genehmigungsprozesse von hoher Bedeutung. Gleichzeitig sind Bemühungen zu intensivieren, die gesellschaftliche Akzeptanz für die Transformation hochzuhalten, unter anderem durch Aufklärung, klare Kommunikation sowie finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger*innen und Kommunen.“

Auf die Frage, welche Signale die Studie an die Politik senden könnte:
„In der Tat ist allgemein bekannt, dass der Investitionsbedarf – unter anderem – in die Energie- und Transportinfrastruktur im Rahmen der Transformation kurz- und mittelfristig deutlich ansteigen wird. Der Wert der vorliegenden Metaanalyse ist es, diese Erkenntnis – auf Grundlage vorliegender Studien – genauer und auch für viele einzelne Technologien übersichtlich darzustellen. Solche Studien, die den Wissensstand zusammenfassen und verständlich kommunizieren, können auch für die Politik hilfreich sein. In diesem Fall kann beispielsweise der Beitrag von finanziellen Förderprogrammen zur Erreichung der notwendigen Investitionen abgeschätzt werden. Zudem besteht die Hoffnung, dass solche Studien, die deutlich die Lücken zwischen den bisherigen Entwicklungen und den notwendigen zukünftigen Entwicklungen aufzeigen, den Druck erhöhen können, notwendige politische Rahmenbedingungen zügig umzusetzen.“

Auf die Frage, inwiefern insbesondere der Verkehrssektor, den die Studie als sehr wichtig identifiziert und dabei vor allem den Ausbau des Schienenverkehrs und die Einführung von E-Autos als Schlüsselelemente sieht, Gefahr läuft, seinen Beitrag zur Einhaltung Klimaschutzgesetzes nicht zu leisten, nachdem Bundesverkehrsminister Volker Wissing erklärt hat, auch der Ausbau von Fernverkehrsstraßen hätte für ihn Priorität und zudem die Förderung für den Kauf von E-Autos zum Jahresbeginn abgesenkt wurde:
„In der Tat werden die in Deutschland im Bundeshaushalt 2023 vorgesehenen Erhöhungen der Investitionen in die Schieneninfrastruktur nach vorliegenden Studien nicht ausreichend sein, um die bis 2030 gewünschten – und für das Erreichen der Klimaschutzziele im Verkehrssektor notwendigen – Verlagerungen von Personen- und Güterverkehr auf die Schiene zu ermöglichen. Bei den staatlichen Investitionen in das Schienensystem werden daher in Deutschland möglichst kurzfristig weitere Impulse benötigt. Dabei ist es sinnvoll zu prüfen, ob Teile der hierfür benötigten Mittel und Planungskapazitäten durch geringere staatliche Investitionen in den Straßenbau, insbesondere den Straßenneubau, freigesetzt werden können. Neben dem Ausbau der Schieneninfrastruktur werden zusätzliche politische Maßnahmen notwendig sein, um die gewünschten deutlichen Steigerungen der Anteile der Schiene am Personen- und Güterverkehr erreichen zu können. Hierzu zählen erhöhte Mittel für eine räumliche Ausweitung und Taktverdichtung des öffentlichen Personenverkehrs sowie eine Erhöhung der Kosten des CO2-Ausstoßes im Verkehr. Schließlich sollten auch politische Konzepte zur Verkehrsvermeidung verfolgt werden. Sofern nicht der Kauf und die Nutzung von Autos mit Verbrennungsmotoren kurzfristig durch höhere Steuern und Abgaben beziehungsweise den Umbau des Dienstwagenprivilegs deutlich verteuert wird oder alternativ die von der Bundesregierung beschlossene Absenkung der Förderung der Elektroautos überdacht wird, ist aus meiner Sicht in der Tat damit zu rechnen, dass auch die Ziele beim Hochlauf der Elektroautos bis 2030 nicht realisiert werden können. Auch die Strompreise an Ladesäulen sollten durch geeignete Maßnahmen gesenkt werden. Verschiedene aktuelle Studien bestätigen, dass bei den derzeitigen verkehrspolitischen Rahmenbedingungen die Minderung der Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor deutlich unter den notwendigen Minderungen zurückbleiben wird.“

Dr. Stefan Thomas

Leiter der Abteilung Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal

„Wie jede andere Studie auch, kann diese Studie nicht alle relevanten beziehungsweise interessanten Aspekte des Themenbereichs behandeln. So fokussiert sie zum einen auf Investitionsbedarfe, erlaubt also keine Aussagen über die erwarteten Gesamtkosten von ambitioniertem Klimaschutz, da für diese auch die zukünftige Entwicklung von Betriebskosten – zum Beispiel Brennstoffkosten – in den Blick genommen werden müssten. Zudem beschränkt sich die Studie auf die Betrachtung von Infrastruktur (nach einer bestimmten Definition), weshalb für die Transformation relevante Investitionskosten in bestimmten Bereichen – insbesondere im Gebäudesektor, bei den Fahrzeugen und bei Industrieanlagen – nicht mit einfließen. Schließlich untersucht die Studie auch nicht im Detail, wie der zukünftige Investitionsbedarf beeinflusst werden kann, zum Beispiel durch stärkere Investitionen in Energieeffizienz anstelle neuer Infrastrukturen, einer Variation des Mixes an Erneuerbaren Energien in der Stromerzeugung oder durch Änderungen der Lebensstile der Menschen.“

„Wichtig ist in der Tat, dass die Politik die richtigen – unter anderen klima- und energiepolitischen – Rahmenbedingungen setzt, damit in den nächsten Jahren tatsächlich die Investitionen in die ‚grünen‘ Infrastrukturen erhöht werden, und Investitionen in Infrastrukturen der fossilen Energiewirtschaft so gering wie nötig gehalten werden. Grundsätzlich kommt es bei Infrastrukturinvestitionen darauf an, sie erstens wirtschaftlich attraktiv zu machen – beziehungsweise überhaupt zu ermöglichen – und sie zweitens schneller zu genehmigen, dabei aber Menschen und Umwelt zu respektieren.“

„Für die drei größten Bereiche, die die Studie identifiziert hat, heißt das konkret:
- Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien: Hier hat die neue Bundesregierung mit dem Erneuerbaren Energie Gesetz (EEG) 2023 und zahlreichen weiteren Maßnahmen schon viel getan, um die Investitionen wieder attraktiver zu machen und die Prozesse zu beschleunigen.
- Ausbau der Stromnetze: Diese ist Aufgabe der Netzbetreiber und wird über die Netzentgelte finanziert. Hier ist demnach insbesondere die Netzregulierung, also die Bundesnetzagentur gefragt, die angemessenen Anreize zu setzen. Vor allem der Roll-out der Smart Meter muss in Deutschland beschleunigt werden.

- Ausbau des Schienennetzes: Laut Koalitionsvertrag soll das Angebot im Fernverkehr bis 2030 verdoppelt und auch der Nahverkehr ausgebaut werden. Hier ist es der Staat, der entsprechend in Planungskapazitäten und Bau der Anlagen investieren muss.“

Auf die Frage, welche Signale die Studie an die Politik senden könnte:
Für die Politik ist sicher erhellend, dass zum Beispiel der Bedarf an Investitionen in Strom- und Schienennetze jeweils deutlich höher ist als für den Ausbau der Wasserstoff-Infrastrukturen und der Ladesäulen für Elektrofahrzeuge zusammengenommen, obwohl diese in den letzten Jahren viel stärker diskutiert wurden. Also: Die Politik sollte selbst genauer hinschauen, wo der Handlungsbedarf liegt, und entsprechend aktiv werden.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Martin Weibelzahl: „Interessenkonflikte bestehen nicht.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Klaaßen L et al. (2023): Meta-analysis on necessary investment shifts to reach net zero pathways in Europe. Nature Climate Change. DOI: 10.1038/s41558-022-01549-5.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Europäischer Rat (14.12.2022): EU-Aufbauplan: vorläufige Einigung über REPowerEU erzielt. Webseite des Europäischen Rates.

[2] Naumann F (30.12.2021): Ampel-Check: Klima-Rückzieher mit fadenscheiniger Begründung? Experte mahnt - Grüne findet Lösung „okay“. Merkur.