Zum Hauptinhalt springen
29.04.2019

Pflicht für Masernimpfung in Deutschland?

aktualisiert am: 17.10.2019

Morgen, am 18.10.2019, um 15:15 Uhr berät der Deutsche Bundestag über das Masernschutzgesetz – also eine verpflichtende Impfung gegen Masern für Kinder, die in Schule oder Kindergarten eintreten. Außerdem soll sich laut Gesetz auch das Personal von öffentlichen und medizinischen Einrichtungen verpflichtend impfen lassen. Der Bundestag muss dem Gesetz zustimmen, damit es in Kraft tritt.
In der Tagesordnung des Bundestages für die morgige Beratung finden sich neben dem Gesetzentwurf auch die Antwort der Bundesregierung (LINK) auf die Stellungnahme des Bundesrates zum Masernschutzgesetz.

aktualisiert am: 02.05.2019

Das Robert Koch-Institut hat am 2. Mai 2019 die aktuellen Impfquoten bei Schulanfängern für 2017 veröffentlicht [VIII]. Der Veröffentlichung ist zu entnehmen, dass die Impfquote für die erste Masernimpfung wie im Jahr 2016 bei 97,1 Prozent liegt. Für die zweite Masernimpfung ist die Quote um 0,1 Prozentpunkte auf 92,8 Prozent gesunken. Bereits zwei Tage zuvor kündigte Gesundheitsminister Jens Spahn bei einem Besuch in Bremen an, dass er dem Bundestag einen Vorschlag für eine Masernimpfpflicht vorlegen wird [IX].

Stand 30.04.2019:

Gesundheitsminister Jens Spahn und einzelne Landesregierungen plädieren dafür, eine allgemeine Impfpflicht gegen Masern einzuführen. Ein unter Experten umstrittener Weg könnte sein, den Zugang von Kindern zu Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas oder Schulen an den Nachweis einer Masern-Impfung zu koppeln. Einen entsprechenden Regelungsentwurf hat der Gesundheitsminister für Mai angekündigt.

Im Zuge der europäischen Impfwoche findet am Dienstag, den 30. April 2019, die zweite Nationale Konferenz zur Masern- und Röteln-Elimination in Berlin statt und am Donnerstag, den 2. Mai 2019, will das Robert Koch-Institut in Berlin die aktuellsten Impfquoten für Deutschland veröffentlichen. Diese waren in den vergangenen Jahren im Falle der ersten Impfung konstant hoch geblieben beziehungsweise bei der zweiten Impfung kontinuierlich gestiegen. Für die erste Masernimpfung lag die Impfquote 2016 bei Schulanfängern bundesweit bei 97,1, für die zweite bei 92,9 Prozent [I]. Das ernannte Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für eine Impfquote bei Masern liegt bei 95 Prozent für beide Impfungen [VII]. Der Impfkalender der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfiehlt die zweite Impfung von Kindern bis zum Alter von 24 Monaten. (Korrektur zu einer vorangegangenen Version.) Bei einer Impfquote ab 95 Prozent stellt sich die sogenannte Herdenimmunität ein, die neben geimpften Personen vor allem jene schützt, die sich nicht oder noch nicht impfen lassen können – dazu zählen beispielsweise Säuglinge unter neun Monaten oder chronisch kranke Menschen. Die Impfquote für die zweite Masern-Impfung ist deutlich angestiegen und befand sich zuletzt bei 92,9 Prozent.

Entscheidend für die in Deutschland verbliebenen Impflücken bei den Masern sind Bevölkerungsgruppen mit medizinischer Unterversorgung sowie solche, in denen Impfvorbehalte verbreitet sind – etwa weil es an Vertrauen in das Impfsystem mangelt oder in konkrete Impfempfehlungen, es bisher keinen niederschwelligen Zugang zu Impfungen gibt und die wahrgenommenen Erkrankungsrisiken niedrig sind. Diverse Studien zeigen, dass der alles entscheidende Einflussfaktor für höhere Impfquoten die Einstellungen und Beratungen durch Ärztinnen und Ärzte zu Impfungen sind [II-VI].

Rechtlich und medizinisch umstritten ist, ob und wenn ja mit welchem Ziel eine Impfpflicht in Deutschland erlassen werden kann und welche Ausnahmetatbestände dabei beachtet werden müssten. Im §20 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) wird das BMG in Absatz 6 ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass „bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen teilzunehmen haben“, wenn „eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist.“ Ob das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit insoweit eingeschränkt werden darf, ist speziell im Fall der Masernimpfung unklar, vor allem angesichts der aktuellen Impfquoten bei Kindern und verbliebenen Impflücken eher bei Erwachsenen.

Aktuell wird die Masernimmunität in Deutschland zudem durch einen Dreifach- beziehungsweise Vierfachkombinationsimpfstoff erreicht. Ein monovalenter Masernimpfstoff ist hierzulande zwar zugelassen, wird allerdings derzeit nicht vertrieben.

Einige europäische Länder haben bereits mehr oder weniger flexible Impfpflichten eingeführt, eine Pflicht für nur eine einzelne Impfung wurde jedoch ausschließlich in Belgien gegen Polio implementiert. In allen weiteren Ländern dehnt sich die Impfpflicht auf 9 bis 14 Impfungen aus, die Regeln ändern sich zudem häufig und sind wenig konsistent, was zum Beispiel mögliche Sanktionen angeht.

Das SMC hat Experten-Statements zu den deutschen Diskussionen angefragt, um evidenzbasierte Argumente zum Zweck, zur Frage der Angemessenheit und zu möglichen Nebenwirkungen einer auf Masern beschränkten Impfpflicht zu versammeln.

 

Übersicht

     

  • Dr. Katharina Paul, Senior Research Fellow am Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Österreich
  •  

  • Prof. Dr. Georg Marckmann, Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Ludwig-Maximilians-Universität-München (LMU)
  •  

  • Prof. Dr. Ulrich Heininger, Leitender Arzt und stellvertretender Chefarzt Pädiatrie, Pädiatrische Infektiologie und Vakzinologie, Universitäts-Kinderspital beider Basel, Schweiz, und Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) als auch der Eidgenössische Kommission für Impffragen, Eidgenössisches Departement des Inneren, Bern (EKIF)
  •  

  • Prof. Julie Leask, Professorin der Susan Wakil School of Nursing and Midwifery, Universität Sydney, Australien
  •  

  • Prof. Dr. Cornelia Betsch, Heisenberg-Professorin für Gesundheitskommunikation, Schwerpunkt Impfentscheidung, Universität Erfurt
  •  

  • Prof. Dr. Thomas Mertens, ehemaliger ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie, Universitätsklinikum Ulm, und Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO)
  •  

  • Assoc.-Prof. Dr. Peter Schröder-Bäck, Assoziierter Professor am Care and Public Health Research Institute (CAPHRI), Maastricht University, Niederlande, und Präsident der Ethik-Sektion, European Public Health Association (EUPHA), Utrecht, Niederlande
  •  

  • Dr. Felix Rebitschek, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Harding Zentrum für Risikokompetenz, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin
  •  

  • Prof. Dr. Ansgar Lohse, Direktor I. Medizinische Klinik und Poliklinik und Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Hamburg
  •  

  • Dr. Tracey Chantler, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Public Health Evaluation zum Thema Bereitstellung von Impfstoffen und Vertrauenswürdigkeit, London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHTM), Vereinigtes Königreich
  •  

  • Prof. Dr. Wolfram Höfling, Di­rek­tor des In­sti­tuts für Staats­recht der Uni­ver­si­tät zu Köln, und Mitglied des Deutschen Ethikrates
  •  

  • Dr. Jan Leidel, bis 2017 Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO)
  •  

  • Dr. Hedwig Roggendorf, Verantwortliche der Reise-Impfsprechstunde/ Gelbfieberimpfstelle am Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München (TUM)
  •  

  • Prof. Dr. Fred Zepp, Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin und Leiter der AG Immunologie und Infektiologie, Universitätsmedizin Mainz
  •  

Statements

Dr. Katharina Paul

Senior Research Fellow am Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Österreich

„Die Durchimpfungsraten können natürlich herangezogen werden, um das Impfsystem zu bewerten. Doch auch andere Faktoren sollten als Bewertungsgrundlage dienen: Welche systemischen Barrieren existieren im System? Wie gestaltet sich der Zugang zu Impfungen – einerseits für Familien mit erwerbstätigen Elternteilen, andererseits auch für Erwachsene, die womöglich Aufholbedarf haben? Wie lassen sich die Beratungsgespräche zu Impfungen effektiver gestalten und welche Ressourcen sind hierfür nötig? Wie können wir Datenerfassung – und damit auch praktische Politikevaluierung – verbessern und Zielgruppen mittels Impfregister erfassen und auch erreichen? Wieso gelingen in manchen Regionen sehr hohe Durchimpfungsraten und welche systemischen und politischen Gründe gibt es dafür? Gerade dieser letzten Frage kann sich die Sozialwissenschaft vermehrt widmen, mit politischer Unterstützung für entsprechende Forschung.“

„Diesen Fragen muss sich auch die Politik widmen, denn eine allgemeine Impfpflicht bietet hierfür keine Lösung. Da sind sich SozialwissenschafterInnen grundsätzlich einig. Eine selektive Impfpflicht, wie für jene in gesundheitlichen oder pädagogischen Berufen, ist allerdings durchaus anzudenken.“

„Impfpflicht ist zudem ein schwieriger Begriff, da eine solche Politikmaßnahme im internationalen Vergleich sehr unterschiedlich gestaltet ist. Um welche Zielgruppe soll es sich etwa handeln? Welche Sanktionen werden formuliert und wie soll dies implementiert werden? Der Deutsche Ethikrat erwägt etwa, Erwachsene – also Volljährige – stärker in die Pflicht zu nehmen, vor allen jene, die zum Beispiel in Gesundheitsberufen arbeiten. Einen solchen Ansatz finde ich vertretbar.“

„Es gibt eine weite Bandbreite von Impfpflicht in und jenseits von Europa [1]. In Australien lässt sich beobachten, dass finanzielle Sanktionen durch Familien in Kauf genommen werden, man dadurch aber Familien (und damit auch Kindern) vor allem sozioökonomisch schadet [2]. In Frankreich lassen sich auf ersten Blick mit der rezenten Ausweitung der Impfpflicht durchaus höhere Impfraten beobachten. In Italien gestaltet sich die Einführung einer ausgeweiteten Impfpflicht institutionell schwierig, auch aus politischen Gründen. Zudem entsteht das Risiko, das Kindern der Zugang zu Bildungsinstitutionen verwehrt wird – und das kann nicht die Intention von Gesundheitspolitik sein. Hier ist also Vorsicht geboten. Zuletzt: internationale Beispiele sind nur bedingt informativ als Vorbild oder Modell für Deutschland einsetzbar, da nationale Impfsysteme historisch gewachsen und heterogen sind – damit bilden sie auch gut die Heterogenität von Staat-Gesellschaftsbeziehungen ab [3].“

Prof. Dr. Georg Marckmann

Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München

„In Deutschland ist die für eine Eliminierung der Erkrankung erforderliche Impfquote von über 95 Prozent (vollständiger Impfschutz) bei Masern noch nicht erreicht. Da durch eine hohe Durchimpfungsrate nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch Dritte geschützt werden können, die selbst keine ausreichende Immunität aufbauen können, gibt es gute ethische Gründe, die Bemühungen zur Erhöhung der Masern-Impfquote weiter zu intensivieren. Eine gesetzliche Impfpflicht ist jedoch erst dann ethisch vertretbar, wenn alle anderen möglichen Interventionen wie Informationskampagnen, Erinnerungssysteme, gezielte Nachimpfung und weitere versagt haben. Die Erfahrungen anderer Länder, insbesondere Skandinaviens, belegen, dass auch ohne eine gesetzliche Impfpflicht ausreichend hohe Impfquoten für die Eradikation der Masern erreicht werden können. Eine gesetzliche Impflicht erscheint deshalb in Deutschland aktuell nicht gerechtfertigt, zumal mit einer Gegenbewegung der Impfgegner zu rechnen ist und die Durchsetzung der Impfpflicht viele noch offene Fragen aufwirft.“

„Hinzu kommt, dass nur etwa zwei Prozent der Bevölkerung Impfungen in Deutschland generell ablehnen. Etwa 13 Prozent stehen der Impfungen kritisch gegenüber, vor allem aufgrund von Angst vor Nebenwirkungen oder aufgrund der Überzeugung, dass es besser ist, Krankheiten selbst durchzumachen. Diese impfkritischen Personen sind nicht durch eine gesetzliche Impflicht zu überzeugen, sondern nur durch proaktive Information und Aufklärung. Im Gegenteil: Eine gesetzliche Impflicht könnte das Vertrauen in die empfohlenen Impfungen weiter unterminieren. Fazit: Individuelles Vertrauen statt kollektivem Zwang!“

„Verschiedene Studien belegen, dass die Impfraten in der Bevölkerung mit Erinnerungen erhöht werden können. In Deutschland sind insbesondere die Raten der zweiten Masernimpfung noch zu niedrig, sodass hier eine Erinnerung der Eltern per Telefon, Brief, Postkarte, Email oder auf verschiedenen Wegen die Impfquoten erhöhen könnte. Insbesondere die Erfahrungen in Finnland belegen, dass auch ohne eine gesetzliche Impflicht die Masern eradiziert werden können. Neben Aufklärungskampagnen in den Medien stehen dort die gezielte Kontrolle und Komplettierung des Impfschutzes im Vordergrund. So erfolgt beispielsweise im Vorschulalter eine gezielte Nachimpfung der noch nicht geimpften Kinder. Darüber hinaus müsste man in Deutschland bei den Erwachsenen noch bestehende Lücken bei der Masernimpfung schließen.“

„In den USA gibt es eine sehr lange Tradition gesetzlicher Impfpflicht, sodass die Bevölkerung bereits daran gewöhnt ist. Die internationalen Erfahrungen weisen insgesamt darauf hin, dass eine Impfplicht dann ohne größere Probleme eingeführt werden kann, wenn es ohnehin bereits eine hohe Zustimmung zu der jeweiligen Impfung innerhalb der Bevölkerung gibt. Andernfalls droht eine Gegenbewegung durch die Impfgegner, die am Ende den erwünschten positiven Effekt auf die Impfraten unterminieren können.“

Prof. Dr. Ulrich Heininger

Leitender Arzt und stellvertretender Chefarzt Pädiatrie, Pädiatrische Infektiologie und Vakzinologie, Universitäts-Kinderspital beider Basel, Schweiz, und Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) als auch der Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF), Bern

„Für eine allgemeine Impfpflicht auf der Basis der STIKO-Standardimpfempfehlungen für Kinder sprechen folgende Gründe:
1. Der Schutz des Kindes vor schweren Krankheiten ist das oberste Ziel.
2. Hohe Durchimpfungsraten nützen auch dem Gemeinwohl, denn alle Standardimpfungen außer gegen Tetanus, richten sich gegen Infektionskrankheiten, die von Mensch zu Mensch übertragen werden. Mitmenschen mit schweren Immunstörungen, die selbst deshalb nicht geimpft werden können, profitieren vom reduzierten Ansteckungsrisiko.
3. Mit Einführung einer Impfpflicht würde Impfen zur Normalität werden und weniger darüber diskutiert werden.
4. Impflücken beruhen häufiger auf Gleichgültigkeit und Unwissenheit, als dass sie aktiv abgelehnt werden. Durch eine Impfpflicht werden weniger Impfungen ‚vergessen‘.“

„Die Umsetzung der Impfpflicht könnte durch eine Aufforderung des örtlichen Gesundheitsamtes an die Sorgeberechtigten des Kindes unterstützt werden, gefolgt von einer Kontrolle der Durchführung. Die Umsetzung der Impfungen sollte dann kontrolliert und belohnt werden, zum Beispiel durch eine Reduktion des Krankenkassenbeitrags.“

„Anmerkung: Eine Impfpflicht sollte alle Standardimpfungen umfassen und nicht allein auf Masern begrenzt sein.“

Prof. Julie Leask

Professorin der Susan Wakil School of Nursing and Midwifery, Universität Sydney, Australien

„Die Regierungen sollten sorgfältig nachdenken, bevor sie eine Pflichtimpfung einführen. Das Wiederaufleben der globalen Masern hat die Regierungen verständlicherweise zum Handeln motiviert. Aber Mandate sind kein Allheilmittel gegen niedrige Impfungquoten und können das Problem der Impfstoffverweigerung verschärfen und zu unbeabsichtigten Folgen führen. Sanktionen wie die Verweigerung des Zugangs von Kindern zur Bildung untergraben die obersten Ziele der Impfung – Wohlbefinden und Gedeihen des Menschen. Sie lassen die Kinder effektiv für die Entscheidungen ihrer Eltern bezahlen und verstoßen gegen die UN-Erklärung über die Rechte des Kindes, insbesondere wenn Familien sonst keinen Zugang zur Bildung haben. Es gibt andere Optionen, die effektiver und ethisch nachhaltiger sein können.“„Die Ablehnung von Impfstoffen ist ein lästiges Problem, das schwer zu ändern ist. Aber Verweigerung ist nur einTeil des Bildes und kann mit nuancierteren Ansätzen besser bewältigt werden. Bei relativ hohen Impfraten bei Kindern in Deutschland dürften andere Bevölkerungsgruppen Aufmerksamkeit benötigen und die Regierungen sollten sich auf sie konzentrieren.“

„Ein flexibles verbindliches System kann effektiv, fairer und weniger gegenläufig sein. Anforderungen an eine vollständige Impfung mit angemessenen Ausnahmen können wirksam sein, aber nur, wenn sie mit guten Buchhaltungssystemen, einer starken Unterstützung bei der Umsetzung und starken Systemen der Grundversorgung umgesetzt werden, die die Hindernisse für die Impfung minimieren. Die Folgen der Nichteinhaltung dürfen das Wohlergehen der Familie oder des Kindes nicht beeinträchtigen.“

„Australien hat 1999 ein ‚flexibles Mandat‘ eingeführt. Die Evidenz deutet darauf hin, dass es zum Teil dazu beigetragen hat, die Kinderimpfung von 53 auf über 90 Prozent zu erhöhen. Die Auflage knüpft die Impfung an den Erhalt von Familienbeihilfen an. Die Impfungen für Kinder mussten auf dem Laufenden sein, um die Zahlungen zu erhalten. In Ausnahmefällen konnten die Eltern eine schwer zu erwerbende Freistellung einreichen. Dies hielt die Messlatte für das Aussteigen hoch und hielt diese Gruppe bei nur 1,8 Prozent. Begleitet war diese Maßnahme mit einem umfassenden Plan, der die Impfung leichter zugänglich und leicht zu bekommen machte. Dieses System war hart, aber fair. Und es funktionierte nur, weil wir ein nationales Register hatten. Die Bestrafung einer Familie, die aufgrund eines Fehlers in den Buchhaltungssystemen der Regierung trotz erforderten Impfstandes auf dem neuesten Stand ist, ist unethisch.“

„Auf die jüngste Gesetzgebung von 2016 ‚No Jab No Pay‘ folgte ein leichter Anstieg der Impfquoten bei den unter Fünfjährigen – insgesamt 1,4 Prozent. Es gab jedoch auch eine Reihe anderer Initiativen zur Verbesserung des Zugriffs und der Datenhaltung, so dass es schwierig ist, die wesentlichen Auswirkungen zu entwirren. Wenn also eine Bestimmung umgesetzt wird, kann es ausreichen, ein System zu haben, das Ausnahmen für Impfstoffeinwände beibehält, die allerdings eine Diskussion und Freigabe durch einen Arzt erfordern. Aber nur dann, wenn sie die anderen Verpflichtungen erfüllen kann – was viele Länder nicht können.“

„Anforderungen, die auch andere Hindernisse nicht berücksichtigen, sind unethisch. Nicht alle Unterimpfungen entstehen durch bewusste Ablehnung, sondern stehen praktischen und logistischen Hindernissen gegenüber. In Australien traf dies auf mehr als die Hälfte der untergeimpften Kinder zu. Die Auflage diente den Eltern als Erinnerung, ihre Kinder auf den neuesten Stand zu bringen, mit einem Auslassventil für starke Impfstoffablehner.“

„Abschließend ist die Erkenntnis aus Australien, dass medizinische Ausnahmeregelungen streng und durchgesetzt sein müssen, aber nicht so eng, dass sie das Expertenurteil von spezialisierten Kinderärzten untergraben, wenn es klinische Unsicherheiten darüber gibt, ob das Kind auf zukünftige Impfstoffe reagieren könnte.“

„Bevor die Regierungen auf Zwangsimpfungen zurückgreifen, sollten sie folgende Maßnahmen ergreifen, die aus systematischen Untersuchungen hervorgehen:

     

  • Die nationalen Regierungen sollten über umfassende Impfstrategien verfügen, die alle Ebenen abdecken. So könnte der deutsche Gesundheitsminister beispielsweise einen nationalen Runden Tisch leiten, um mit denjenigen an vorderster Front der Impfprogramme zu beraten. Es geht in erster Linie darum zu verstehen, warum Menschen nicht geimpft werden und was nötig ist.
  •  

  • Nationale Aufzeichnungen, die es Ärzten ermöglichen, den Impfstatus ihres Patienten leicht zu erkennen. Nach meinem Verständnis hat Deutschland ein nationales System, aber Ärzte können die Aufzeichnungen einer Person nicht überprüfen.
  •  

  • Überprüfung und Anregung des Impfnachholens ‚opportunistisch‘ in allen Ebenen des Gesundheitswesens - der junge Erwachsene besucht eine Arztpraxis, das Kind besucht eine Notaufnahme, und so weiter.
  •  

  • Die Impfdienste so komfortabel wie möglich zu gestalten, mit flexiblen Arbeitszeiten und einfachem Zugang, insbesondere für berufstätige Eltern.
  •  

  • Überprüfung und Feedback an die Impffachleute, damit sie sich verbessern können, wenn ihre Praxisraten hinter den Erwartungen zurückbleiben.
  •  

  • Impfungen bei Hausbesuchen für sehr hausgebundene Familien
  •  

  • Impfkliniken, die einladend, unvoreingenommen und kulturell sicher sind.
  •  

  • Aufklärung der Ärzte darüber, wie man effektive impfunwillige Eltern konsultiert und wie man die Ablehnung von Impfstoffen bewältigen kann.
  •  

  • Bereitstellung von Ressourcen und Informationen für Eltern, die auf ihre Bedürfnisse und ihren Gesundheitszustand zugeschnitten sind.
  •  

  • Kampagnen, um Menschen zur Impfung zu motivieren, die besonders darauf achten, was die Verhaltensforschung gelernt hat. Nicht alle Nachrichten sind effektiv und es gibt einige Fehlzündungen.
  •  

  • Junge Erwachsene überprüfen ihren eigenen Impfstatus und sind sicher, dass sie zwei Dosen MMR gehabt haben.“
  •  

„Mandate können eine Gegenreaktion der Impfstoffverweigerer hervorrufen - der Gruppe, die sie betreffen sollen. Eltern, die sich nicht impfen lassen, sind oft ziemlich fixiert. Unsere australische Forschung fand einige, die beschrieben, dass sie am Zaun waren, aber sich entschieden sich einzugraben, sobald sie sich gezwungen fühlten. Forschungen der deutschen Wissenschaftlerin Cornelia Betsch haben ergeben, dass diese ‚Reaktanz‘ ein Problem darstellt, wenn ein Impfstoff vorgeschrieben ist, andere aber nicht. Verordnungen untergraben die tatsächliche Motivation und können so die Bereitschaft zum Einsatz von nicht obligatorischen Impfstoffen verringern.“

„In Australien verpassten Familien, die nicht impfen, bis zu 15.000 Dollar an Familienunterstützungszahlungen und Kinderbetreuungsgeldern. Einige Mütter kündigten ihre Arbeit oder ihr Studium. Andere berichteten von finanziellen Schwierigkeiten. In einigen Staaten sind sie von der frühkindlichen Bildung ausgeschlossen, was bedeutet, dass die Kinder zweimal bezahlen - zuerst werden sie nicht geimpft und verpassen dann eine wichtige Vorschulbildung. Es gab Berichte über Pläne für eine informelle Kinderbetreuung für völlig ungeimpfte Kinder - ein perfekter Sturm für einen Masern-Ausbruch.“

„In einigen Ländern wird die Zwangsimpfung als Vorzeigeprojekt für Regierungen genutzt, die bei derImpfdebatte stark erscheinen wollen. Allerdings gibt es keine Systeme zur Erfassung oder Durchsetzung der Politik und oft auch keinen einfachen Zugang zu Impfungen und Dienstleistungen für die Willigen. In anderen Ländern muss der Arzt die Anforderung durchsetzen und untergräbt die Beziehungen zu seinen Patienten. Wieder in anderen Ländern werden große Anstrengungen unternommen, um Mandate umzusetzen, die von effektiveren Lösungen innerhalb von Routineprogrammen ablenken.“

„Die jüngste Eskalation des Anti-Impfaktivismus und des Protestes deutet darauf hin, dass in einigen Ländern mehr Zwangsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Impfung einige Bürger aktivieren, um in ihrem Widerstand gegen die Impfung noch militanter zu werden. Dies könnte zu einer weiteren Eskalation führen. Wenn Mandate neue ideologische Abstufungen dieser Unterschiede schaffen, sehen wir uns zudem mit den politischen Polarisierungen konfrontiert, wie wir sie vom Klimawandel kennen.“

„Einige Eltern haben sich als Folge der Verpflichtung geimpft. Die Frage ist, ob der Nutzen dieser Maßnahmen die Risiken überwiegen und ob es bessere Wege gibt, die ethisch nachhaltiger sind. Der Nutzen wäre ein erheblicher Schutzgewinn in einer Kohorte, die einen großen Beitrag zur Verbreitung der Krankheit leistet. Diese Bewertung erfordert die Konsultation von Experten und eine sorgfältige Prüfung der epidemiologischen Erkenntnisse.“

Prof. Dr. Cornelia Betsch

Heisenberg-Professorin für Gesundheitskommunikation, Schwerpunkt Impfentscheidung, Universität Erfurt

„Eine Impfpflicht, insbesondere eine teilweise Impfpflicht (nur Masern) für eingeschränkte Zielgruppen (nur Kita-Kinder), wie sie gerade diskutiert wird, ist aus den folgenden Gründen sehr kritisch zu sehen.“

„Erstens: Die wichtige Zielgruppe der Erwachsenen wird nicht erreicht. Aktuelle Ausbrüche der Masern zeigen, dass auch Erwachsene betroffen sind [4]. Eine Impfpflicht nur für Kita-Kinder würde also definitiv zu kurz greifen und wichtige Zielgruppen nicht erreichen. Bei den Erwachsenen handelt es sich offensichtlich um ein Informationsdefizit – 75 Prozent der unter 50-Jährigen wissen nicht, dass sie ihren Impfstatus prüfen sollen, 61 Prozent geben an, niemand habe sie darauf hingewiesen [5].“

„Zweitens: Die Impfquoten in der Zielgruppe der Kinder sind bereits relativ gut. Ferner zeigen die Impfquoten, dass beim Schuleintritt 97 Prozent der Kinder einmal und 92 Prozent zweimal gegen Masern geimpft sind; über die letzten Jahre war dieser Trend steigend [I]. In der Tat ist das zeitgerechte Impfen dort noch verbesserungswürdig – zum empfohlenen Zeitpunkt sind nur 87 Prozent der 15 Monate alten Kinder einmal und 73 Prozent der 24 Monate alten Kinder zweimal gegen Masern geimpft [6]. Das heißt, diese Zielgruppe ist bereits relativ gut geimpft, benötigt aber Unterstützung, dies zeitgerecht zu tun.“

„Drittens: Eine teilweise Impfpflicht kann psychologische Nebenwirkungen haben. Aufgrund der Häufung der Masernfälle wird vor allem über eine partielle Impfpflicht diskutiert, die also nur die Impfung gegen Masern verpflichtend machen will. Hierbei wird nicht beachtet, dass es weiterhin Impfungen geben wird, die freiwillig bleiben. Eine Studie hat gezeigt, dass in einem solchen Fall eine freiwillige Impfung insbesondere von etwas kritischeren Personen ausgelassen wird [7]. Dies hat mit psychologischer Reaktanz zu tun, also Ärger als Antwort auf die Einschränkung von Entscheidungsfreiheit. Diese Entscheidungsfreiheit holen sich die Personen dann bei freiwilligen Impfungen zurück und impfen dann eher nicht. Dies könnte also ein bestehendes Impfprogramm erheblich schädigen. Zu bedenken ist an dieser Stelle auch, dass derzeit mit einem Dreifachimpfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft wird. Bei einer teilweisen Impfpflicht müsste ein Einzelimpfstoff verfügbar gemacht werden, der derzeit in Deutschland nicht auf dem Markt ist [8]. Es wäre auf der Basis der genannten Studie und der dann notwendigen Verwendung von Einzelimpfstoffen also möglich, dass in der Folge weniger zum Beispiel gegen Röteln geimpft wird, die Impfquoten sinken – und das Eliminationsziel für die Röteln erheblich gefährdet wird.“

„Nicht jede ausgelassene Impfung ist eine bewusst ausgelassene Impfung. Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zeigen, dass praktische Barrieren in Deutschland Menschen vom Impfen abhalten [5, 9]. Die Kampagne ‚Deutschland sucht den Impfpass‘ wirkt wie eine ironische Selbsterkenntnis: das System ist kompliziert, der Bürger muss selbst ans Impfen denken und wissen, wann er wieder dran ist, Ärzte vergessen im Alltag, vor allem Erwachsene ans Impfen zu erinnern [10], es gibt kein Impfregister, das automaisch ans Impfen erinnert oder erfasst, wogegen Personen schon geimpft sind.“

„Wichtig ist nun, Verfahren zu vereinfachen und rechtliche Grundlagen für einfaches Impfen zu schaffen. Impfen ist eine öffentliche Aufgabe, aber sie wird im Prinzip durch den privaten Sektor – durch Krankenkassen und Ärzte – abgewickelt. Hier sollte wieder anders gedacht werden und der öffentliche Gesundheitsdienst gestärkt werden. Ein zentrales Impfregister mit automatisierten Erinnerungen, Impfen in Kindergärten und Schulen oder durch andere Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitsdienstes könnten und sollten Impfen in Deutschland einfacher machen. Erinnerungssysteme haben sich als effektiv erwiesen und werden in Deutschland nur von engagierten Ärzten freiwillig und auf eigene Kosten genutzt [11].“

„Neben einer Veränderung der Verhältnisse ist auch die Information über das Impfen zu verbessern: Nur neun Prozent der Zielgruppe und vier Prozent des medizinischen Personals kennen das Informationsangebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, www.impfen-info.de. Knapp die Hälfte der Deutschen, 45 Prozent, fühlt sich weniger gut oder schlecht über das Impfen informiert [5]. Über gezielte und aktiv verbreitete Informationsangebote kann die Risikowahrnehmung für die Erkrankungen, das Vertrauen in Impfungen und das kollektive Verantwortungsgefühl beeinflusst werden – diese Aspekte haben sich als wichtig für die Impfbereitschaft erwiesen [12].“

„Ferner sind Ärztinnen und Ärzte die wichtigste Quelle für Informationen über das Impfen; ein wertschätzendes Gespräch und eine starke Impfempfehlung kann ausschlaggebend sein [13]. Motivierende, wertschätzende Gesprächsführung durch trainierte Fachkräfte hat in Kanada sehr gute Erfolge und wird mittlerweile großflächig eingesetzt [14]. Also auch die Aus- und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten in Gesprächsführung ist ein wichtiger Punkt, um die Impfquoten zu erhöhen.“

„Sollten diese Maßnahmen nach Evaluation nicht fruchten, kann zuletzt immer noch eine Widerspruchslösung eingeführt werden, nach der Impfen die Regel ist, aber Ausnahmen beantragt werden können. Dies erhält die Entscheidungsfreiheit aufrecht – führt also nicht zu Reaktanz – und kann dennoch die Impfrate steigern [15, 16]. Eine Impfpflicht sollte erst eingeführt werden, wenn alle anderen möglichen Maßnahmen erschöpft sind [17].“

„Generell lässt sich nicht sagen, dass innerhalb der Europäischen WHO-Region Länder mit Impfpflicht eine höhere Durchimpfungsrate haben. Eine Analyse über 53 Länder: [18]. Zusätzlich ist zu bedenken, dass eine teilweise Impfpflicht zu negativen Folgen führen kann: Freiwillig verbleibende Impfungen werden dann womöglich seltener wahrgenommen, was das gesamte Impfprogramm schädigen kann [7]. Auch die Reaktion auf potenzielle Impfnebenwirkungen kann sich verändern – besonders impfkritische Personen reagieren mit stärkerer Ablehnung der Impfpflicht, wenn innerhalb der Impfpflicht Nebenwirkungen auftreten [19].“

Prof. Dr. Thomas Mertens

ehemaliger ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie, Universitätsklinikum Ulm, und Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO)

„Die Frage einer Impfpflicht ist eine politische Entscheidung und keine Entscheidung der Wissenschaft, was offenbar schwer zu verstehen ist. Viele wollen diesen zentralen Punkt auch nicht verstehen. Es gibt in dieser Frage kein einfaches ‚richtig oder falsch‘, sondern nur Argumente dafür und dagegen. Wenn unsere Gemeinschaft (parlamentarische Demokratie!) nach Abwägung eine Entscheidung trifft, so ist diese ‚richtig‘ und wir müssen uns daran halten. In Europa gibt es mehr als zehn Länder mit Impfpflicht für ein bis zwölf Impfungen, die leider auch wieder geändert werden, ohne dass es neue wissenschaftliche Daten hierfür gäbe.“

„Wir brauchen eine hohe, homogene und frühzeitig erreichte Impfquote bei den Masern (größer 95 Prozent), da die Masern eine ernste Erkrankung sind (etwa jeder 1000. Masernerkrankte stirbt und weltweit deutlich mehr als 100.000 Menschen pro Jahr). Wir haben uns als Bundesrepublik dem Masern-Ausrottungsprogramm der WHO verpflichtet. Neben dem Schutz des Geimpften gibt es auch den wesentlichen Aspekt des ‚Gemeinschaftsschutzes‘ (Herdenimmunität). Die erforderliche Impfquote (Durchimpfungsrate) wurde bislang nicht erreicht (2 Masernimpfungen mit 24 Monaten). Es gibt derzeit keinen Masern-Einzelimpfstoff, so dass eine Masern-Impfpflicht zugleich eine Röteln- und Mumpsimpfpflicht bedeuten würde.“

„Da wir Impflücken bei den jungen, nach 1970 geborenen Erwachsenen haben, würde eine Impfpflicht für Säuglinge und Kleinkinder nicht zu einem raschen Erfolg führen, sondern erst langfristig. Eine Impfpflicht müsste also auch die jungen Erwachsenen betreffen, was schwer durchsetzbar sein dürfte, auch weil diese Altersgruppe eher selten ‚zum Arzt‘ geht (außer zum Gynäkologen). Wenn die Entscheidung zugunsten einer Impfpflicht fällt, darf es ausschließlich medizinische Gründe für Ausnahmen geben. Alles andere ist meines Erachtens juristisch nicht haltbar und für mich undenkbar. Es ergeben sich mehrere, teils psychologische Probleme wie anhaltende Diskussionen mit Impfgegnern, Belastung des Arzt-Patienten-Verhältnisses und so weiter. Sanktionen sind nur schwer vorstellbar und man wird die Ärzte nur schwer verpflichten können, Impfverweigerer zu melden. Ein Impfnachweis als Eingangsvoraussetzung für Kindergarten, Schule oder Anstellung im Krankenhaus halte ich für denkbar.“

„Eine bessere Ausbildung der Ärzte in Impffragen ist essenziell, da Ärzte letztlich entscheidend sind für das Impfverhalten ihrer Patienten. Auch medizinisches Hilfspersonal sollte sehr gut informiert sein und hier die Möglichkeit einer Zusatz-Qualifizierung geschaffen werden. Ein ‚niederschwelliges‘ Impfangebot sollte unbedingt verfügbar sein und jeder Arzt-Patient-Kontakt sollte genutzt werden, um Impfungen nachzuholen.“

„Es gibt nur wenige ‚wissenschaftliche Daten‘ zu dieser Frage. Die Erfahrungen aus anderen Ländern sind auch nur bedingt verwertbar, da die einschlägige ‚Kultur‘ in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich ist. In Frankreich gab es eine gewisse Steigerung der Impfquoten, aber es kommt offenbar auch zu gegenteiligen Effekten bei nicht vorgeschriebenen Impfungen und es konnten bei Masern nicht alle Ziele erreicht werden. In Italien gab es eine deutliche Steigerung der Impfquoten, aber diese waren zuvor deutlich unter das Niveau in Deutschland abgefallen, was zum Handeln zwang.“

Assoc.-Prof. Dr. Peter Schröder-Bäck

Assoziierter Professor am Care and Public Health Research Institute (CAPHRI), Maastricht University, Niederlande, und Präsident der Ethik-Sektion, European Public Health Association (EUPHA), Utrecht, Niederlande

„Eine Impfpflicht gegen Masern bei Kindern erscheint weder notwendig noch hinreichend, um die Masern-Impflücke zu schließen. Sie ist nicht notwendig, weil es andere Maßnahmen gibt, die auf Drängen und Zwang verzichten und effektiv sein können.“

„Ferner wäre eine Impfpflicht gegen Masern bei Kindern nicht hinreichend, weil die zu schließende Impflücke auch bei Erwachsenen besteht, die man mit dieser Maßnahme nicht erreichen würde.“

„Eine Impfpflicht gegen Masern jetzt holterdiepolter einzuführen, könnte das ‚Kind mit dem Bade ausschütten‘. Verbesserte Maßnahmen zur Erhöhung der Durchimpfungsrate sind wichtig. Eine einzelne Maßnahme wie eine Impfpflicht gegen Masern kann kein ‚Allheilmittel‘ sein. Die Möglichkeiten anderer, aufklärerischer Interventionen sind noch nicht ausgeschöpft.“

„Eine Impfpflicht gegen Masern halte ich aus verschiedenen Gründen für nicht geeignet: Der strafende und sanktionierende Staat in einem solchen sensiblen Bereich könnte negative Effekte auf das Gesundheitsverhalten von Personen haben. Diese Annahme erscheint plausibel, da es zu solchem Verhalten zumindest experimentelle Evidenz gibt [7].“

„Eine Impfpflicht gegen Masern bei Kindern verkennt zudem, dass eine Impflücke auch bei Erwachsenen besteht. Ein Großteil der nicht-Masern-Geimpften wendet sich nicht kategorisch gegen Impfung oder steht ihr skeptisch gegenüberstehen. Oft führt ein Wissensdefizit über Impfungen oder den persönlichen Impfstatus dazu, dass Erwachsene nicht geimpft sind. Interventionen sollten darauf abzielen, diesen Mangel zu beheben.“

„Es kann sicherlich nicht nur eine Maßnahme geben, mit der sich die Impflücke schließen lässt. Vielmehr sollten mehrere Gesundheitsinterventionen erörtert und umgesetzt werden. Dazu gehört beispielsweise eine Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes in seiner aufsuchenden und aufklärenden Rolle. Auch andere Aufklärungsarbeiten durch verschiedene Akteure – Hausärzte, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Betriebsärzte und weitere – müssen intensiviert werden. Multiplikatoren – also Lehrer, Erzieher und Angehörige aller Gesundheitsberufe – müssen besser über Masern und Impfungen aufgeklärt werden.“

„Es existiert wenig Evidenz über die Rolle von ÄrztInnen und Hebammen in diesem Zusammenhang im deutschen Gesundheitssystem. Eine auf kleineren Fallstudien begründete Hypothese ist, dass es auch Vertreter in diesen Gesundheitsberufen gibt, die von der MMR-Impfung (Dreifach-Impfung gegen Mumps, Masern und Röteln; Anm. d. Red.) abraten und Skepsis säen, um sich als ‚sanft‘ und ‚alternativ‘ darzustellen. Dies muss genauer erforscht werden, um auch hier gegebenenfalls anzusetzen.“

„Das Argument, dass es eine Impfpflicht gegen Masern auch in anderen Ländern – sogar innerhalb der EU gibt – wird oft vorgebracht. Frankreich und Italien haben erweiterte Impfpflichten zu Beginn des vergangenen Jahres implementiert. Erste Hinweise aus Italien deuten darauf hin, dass sich die Durchimpfungsrate seitdem leicht erhöht hat [20]. Durch einen Politikwechsel wurde in Italien die Implementierung zwischenzeitlich weniger rigide verfolgt. Ob es signifikante unbeabsichtigte Nebenfolgen für die öffentliche Gesundheit und das Vertrauen in öffentliche Institutionen gibt, ist meines Wissens bisher nicht bekannt.“

„Generell gilt aber: Der Kontext in anderen Ländern ist verschieden von der Situation in Deutschland. Die Problemlagen, die bisherigen Maßnahmen, die kulturellen Werte und Erfahrungen sind nicht identisch, so dass eine einfache Übertragbarkeit von Maßnahmen nicht gegeben ist [21].“

„Auch unbeabsichtigte Nebenfolgen sind vom Kontext abhängig. Man muss die jeweiligen Kontexte gut kennen und die mögliche Übertragbarkeit einer solchen Maßnahme intensiv prüfen. Eine Studie, die diese Übertragbarkeit in Bezug auf eine MMR-Pflichtimpfung hinreichend überzeugend prüft, liegt meines Wissens noch nicht vor.“

Dr. Felix Rebitschek

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Harding Zentrum für Risikokompetenz, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin

„Eine Impfpflicht müsste zunächst sehr genau definiert sein: Wie sieht sie genau aus? Für wen gilt sie? Für welche Impfstoffe ist sie gedacht, wie soll sie durchgesetzt werden, wie wird ihr Nutzen quantifiziert, wer verantwortet selten auftretende, aber schwerwiegende Impfreaktionen? Ansonsten wäre eine Bewertung des Vorhabens kaum möglich. In Anbetracht der Durchimpfungsraten stehen mit Sicherheit andere Instrumente zur Verfügung, wie zum Beispiel zielgruppenspezifische, evidenzbasierte Aufklärung zur Auffrischung der Impfung.“

„Ohne die kommenden Vorhaben zu kennen, lässt sich festhalten: Zum einen ist eine Masernimpfung eine zwingende Voraussetzung, um mit Menschen zu arbeiten, die nicht geimpft werden können, wie Babys in den ersten Monaten, Schwangere und Menschen mit Immundefekten. Immerhin würden etwa 93 von je 100 Nichtgeimpften bei Kontakt mit dem Virus erkranken. Bis zu 6 von ihnen würden infolgedessen an einer Lungenentzündung erkranken, 1 von diesen 93 an einer Entzündung des Gehirns. Zum anderen sind auch die Impfstoffe nicht perfekt: Geschätzt zwischen 1 und 7 von je 100 geimpften Menschen werden erkranken, wenn man sie dem Erreger aussetzt. Masern sind zudem ansteckend, bevor sie durch masernspezifische Symptome erkennbar sind. Die Verantwortlichen von Kinderbetreuungseinrichtungen haben also gute Gründe, ein impfbares Kind, das nicht gegen Masern geimpft ist, nicht aufzunehmen, selbst wenn schon alle anderen Kinder geimpft sind.“

„Um bestehende Impflücken zu schließen, ist eine ausgewogene, nach belegten Prinzipien entwickelte, verständliche Gesundheitsinformationen wichtig. Die evidenzbasierte Aufklärung über einen möglichen Nutzen für einen selbst und für andere sowie Schäden und Nebenwirkungen ist noch lange nicht ausgereizt – gerade für jene Gruppen, in denen die Durchimpfungsraten problematisch sind.“

„Experimentelle Ergebnisse von Cornelia Betsch deuten an, dass im Fall einer Impfpflicht freiwillige Impfungen gegen andere Krankheiten weniger in Anspruch genommen werden könnten. Eine direkte Übertragung von Erfahrungen anderer Länder halte ich nicht für sinnvoll, da wir bei vielen Gesundheitsfragen eindeutig länderspezifische Voraussetzungen, Vorstellungen und Verhaltensweisen vorfinden. Eine generelle Impfpflicht durchzusetzen, würde zum Beispiel mit der in Deutschland gesetzlich festgeschriebenen informierten Entscheidungsfindung kollidieren. Diese soll dem Einzelnen ermöglichen, zusammen mit seinem Arzt zu entscheiden – unter Kenntnis der besten medizinischen Evidenz zu potenziellen Nutzen und Schäden und unter Berücksichtigung seiner eigenen Wünsche und Ziele sowie der persönlichen Voraussetzungen. Mein Vorschlag wäre, jene Ressourcen, die eine mögliche Impfpflicht kommunizieren sollten, stattdessen dafür zu nutzen, verdichtete, evidenzbasierte Informationen zu den Vor- und Nachteilen des Impfens und Nichtimpfens öffentlichkeitswirksam zu kommunizieren. Sinnvoller wäre also eher eine Pflicht, sich mit den Fakten rund um das Impfen auseinanderzusetzen.“

Prof. Dr. Ansgar Lohse

Direktor I. Medizinische Klinik und Poliklinik und Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Hamburg

„Der enorme Nutzen von Impfungen wird in Deutschland nicht hinreichend genutzt. Die Hauptgründe hierfür sind darin zu suchen, dass die Hürden in unserem Gesundheitssystem zu hoch sind, und die Informationen über Vor- und Nachteile von unterschiedlichen Impfungen – auch in der Ärzteschaft – nicht ausreichend bekannt sind. So könnten Maßnahmen wie niederschwellige Impfangebote in Kindergärten und Schulen sehr viel bewirken. Von denjenigen Ländern zu lernen, die sehr viel bessere Impfquoten als Deutschland haben, muss oberste Priorität sein. In besonderen Fällen, aber eben nur in besonderen Fällen, kann dazu auch eine Impfpflicht gehören. So wäre durchaus zu diskutieren, ob nicht Ärzte und Pflegekräfte, die leider mehrheitlich nicht gegen Influenza geimpft sind, diese Impfung zur Berufsausübung jährlich vorweisen müssten.“

Dr. Tracey Chantler

wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Public Health Evaluation zum Thema Bereitstellung von Impfstoffen und Vertrauenswürdigkeit, London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHTM), Vereinigtes Königreich

„Wie 2017 in der Neuausgabe der WHO- und UNICEF-Schätzungen zur Immunisierung berichtet wird [22], ist die Abdeckung für die Masernimpfung von 97 Prozent für MCV1 (First Dose of Measles Containing Vaccine, Anm. d. Red.) hoch, die Rate von 93 Prozent für MCV2 erreicht jedoch nicht das WHO-Ziel von 95 Prozent. Diese Rate muss erhöht werden, um die Verbreitung der Masern zu unterbrechen. In Deutschland wie in vielen anderen europäischen Ländern ist die Zahl der Masernfälle in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, und die meisten dieser Fälle sind bei ungeimpften und teilgeimpften Personen aufgetreten. Masernfälle wurden in allen Altersgruppen gemeldet, so dass eine verbindliche Richtlinie dies berücksichtigen müsste. Die Einführung einer gemeinsamen Kinderbetreuung, wie Schule oder Kindergarten, mit Zugangsvoraussetzungen für eine vollständige Masernimpfung, wäre nicht ausreichend. Da die MCV2-Rate bei fast 95 Prozent liegt, halte ich eine obligatorische Masernimpfung an dieser Stelle nicht für notwendig. Wenn die Abdeckungsraten jedoch im vergangenen Jahr weiter gesunken sind (unter 95 Prozent für die MCV1 und unter 90 Prozent für die MCV2), könnte es ein Argument für die Einführung einiger verbindlicher Maßnahmen neben anderen Initiativen geben, die darauf abzielen, sicherzustellen, dass nicht geimpften Bevölkerungsgruppen Masernimpfungen angeboten werden.“

„Wie bereits erwähnt, glaube ich nicht, dass die oben genannten gemeldeten Deckungsraten eine verbindliche Politik rechtfertigen, aber wenn das Robert Koch-Institut am 2. Mai 2019 über Rückgänge dieser Deckungsraten berichtet, kann es ein Argument für einige verbindliche Maßnahmen geben (zum Beispiel eine Anforderung für eine vollständige (zwei Dosen) Masernimpfung für die Aufnahme in die kollektive Kinderbetreuung und Mandate für die Masernimpfung von Gesundheitspersonal). Die Größe des zu erzielenden Nutzens oder des Schadens, der durch eine bestimmte Impfpolitik vermieden werden soll, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Je größer der erwartete Nutzen und je größer der zu vermeidende Schaden, desto stärker ist das Argument für eine Intervention. Wenn verbindliche Richtlinien eingeführt werden, wird es sehr wichtig sein, den Nutzen dieser Richtlinien klar und deutlich gegenüber der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Die Unterstützung der Öffentlichkeit wird bei der Einführung dieser Art von Politik unerlässlich sein (auch wenn es sich nur um eine kurzfristige Politik handelt). Die Richtlinie sollte medizinische und möglicherweise philosophische oder religiöse Ausnahmen zulassen, wie dies in den meisten Staaten der USA der Fall ist.“

„Wie bereits erwähnt, halte ich eine obligatorische Impfung für ungeeignet, wenn die Deckungsrate für Masernimpfstoffe weiterhin über oder sehr nahe bei 95 Prozent liegt. Ich denke, es ist wichtiger: i) die Gründe für die suboptimale (unter 95 Prozent) Deckungsrate zu verstehen, ii) die Vorteile von Impfungen und Masernimpfungen zu kommunizieren und genaue Informationen darüber zu liefern und iii) mehr zu verstehen, was die Überzeugungen derjenigen prägt, die sie durchführen und derjenigen, die keine Impfung akzeptieren. Die Impfung als Mittel zur Förderung des sozialen Nutzens, zur Schadensreduzierung und zum Schutz gefährdeter Gruppen muss stärker in den Vordergrund gerückt werden. Dies ist im Hinblick auf hochansteckende Krankheiten wie Masern von Bedeutung, die schwere Folgen für empfindliche Bevölkerungsgruppen haben können, insbesondere für solche, die aufgrund medizinischer Grundbedingungen nicht immunisiert werden können. Es bedarf einer offeneren Diskussion über die moralische Verpflichtung, Schäden durch Impfung zu verhindern, und über die Folgen der Verweigerung von Impfungen – sowohl für den Einzelnen als auch für seine sozialen Netzwerke. Als Teil davon ist es notwendig, Fake News über Impfungen auf Social Media-Websites zu bekämpfen und maßgeschneiderte und soziokulturell geeignete Impfinformationsmaterialien und -maßnahmen für Bevölkerungsgruppen zu entwickeln, in denen die Zurückhaltung gegenüber des Impfstoffs stärker ausgeprägt ist.“

„Zusätzlich zu den Strategien, die darauf abzielen, das Vertrauen in den Impfstoff zu stärken, muss Folgendes geschehen:

     

  • Aufholkampagnen für untergeimpfte Gruppen: Teenager, Jugendliche, Menschen, die aus Orten ins Land einreisen, an denen die Gesundheitssysteme durch humanitäre Krisen zerstört wurden.
  •  

  • Gesundheitskontrollen bei jüngeren Kindern und erneuter Erinnerung an diejenigen, die keine 2 Dosen Masernimpfung erhalten haben.
  •  

  • Verbesserung des Zugangs zur Masernimpfung für unterimpfte Bevölkerungsgruppen.“
  •  

„In den USA gibt es seit Jahrzehnten obligatorische Impfvorschriften, aber obwohl es sich hierbei um eine sehr maßvolle Politik handelt, die medizinische und philosophische und religiöse Ausnahmen umfasst, ist die Stimmung gegen Impfungen weit verbreitet und es kommt immer noch zu Masernherden.“

„Die jüngste Einführung von Impfstoffmandaten in Italien führte zu zivilen Protesten, und die Aufhebung dieser Mandate wurde als politisches Instrument zur Stimmensicherung genutzt.“

„Die jüngste Einführung zusätzlicher Impfstoffmandate in Frankreich ist angesichts der niedrigen Schutzimpfungsraten für Masern verständlich. Die Behörden hoffen, dass diese die Bedeutung, die der Staat dem Schutz der öffentlichen Gesundheit beimisst, vermitteln werden. Es wird interessant zu beobachten sein, ob diese zu einer Erhöhung der Impfquote geführt haben. Es ist zu erwarten, dass diese Statistiken in Kürze veröffentlicht werden. Die französischen Institute für öffentliche Gesundheit sind auch bestrebt, die Qualität der Informationen über die Immunisierung, die öffentlich zugänglich sind, zu verbessern.“

„Einige Belege für die Folgen der Einführung einer ‚No Jab - No Pay‘-Policy in Australia deuten darauf hin [2], dass diese Politik nicht dazu geführt hat, dass sich die Wahrnehmung der Immunisierung durch Impfverweigerer verändert hat. Anstatt die Einhaltung der Vorschriften zu unterstützen, ließ die Maßnahme einige Menschen behaupten und akzeptieren, dass sie keine Vorteile erhalten würden. Dies deutet darauf hin, dass es sich um einen negativen politischen Schritt handelte, der nicht dazu diente, das Vertrauen in die Programme zur Einmischung zu stärken.“

„Fazit: Meines Erachtens ist die Größe des zu erzielenden Nutzens oder des zu vermeidenden Schadens durch eine bestimmte Impfpolitik entscheidend. Wenn die Masernabdeckung durchweg zu niedrig ist, um Masern-Ausbrüche und -fälle zu verhindern, dann gibt es einen Grund für die Einführung von maßgebenden Auflagen. Jegliche Art von Ausschlussmechanismen muss jedoch durch maßgeschneiderte und soziokulturell angemessene Impfinformationen, Beratung und Impfdienste unterstützt werden. Die Impferfahrung muss positiv sein, und potenzielle Impfstoffempfänger brauchen die Möglichkeit, Bedenken zu äußern und eine angemessene und sensible Beratung zu erhalten. Wenn die Deckungsraten jedoch konstant über oder nahe den WHO-Zielen liegen, würde ich die Einführung von Mandaten nicht empfehlen. In diesem Fall könnten Mandate das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Impfung untergraben und als staatliche Verletzung der bürgerlichen Freiheiten angesehen werden. Es ist wichtiger, mehr zu tun, um das Vertrauen in die Impfstoffe kontinuierlich zu stärken.“

Prof. Dr. Wolfram Höfling

Di­rek­tor des In­sti­tuts für Staats­recht der Uni­ver­si­tät zu Köln, und Mitglied des Deutschen Ethikrates

„Nach aktuellen Daten liegt die Quote der ersten Impfung gegen Masern für Kinder und Jugendliche im Alter zwischen drei und siebzehn Jahren bei 97,4 Prozent. Damit wird die für den Gemeinschaftsschutz (die sogenannte Herdenimmunität) bedeutsame Schwelle von 95 Prozent erreicht, und zwar in allen Altersgruppen und unabhängig vom Geschlecht, vom sozialen Status oder Migrationshintergrund. Der Schwellenwert von 95 Prozent wird allerdings im Fall der zweiten Masernimpfung knapp verfehlt; er liegt für die Gesamtkohorte bei 93,6 Prozent. Allerdings konnte hier in den vergangenen Jahren die Quote deutlich gesteigert werden. Vor diesem Hintergrund erscheint die verbreitete Forderung nach einer gesetzlichen Impfpflicht allein für Kinder wenig überzeugend.“

„Wer eine ernsthafte Debatte über eine Impfpflicht führen will, muss diese differenziert führen. Dies gilt zum einen für den denkbaren Adressatenkreis. Die Impfpolitik muss vor allem die Altersgruppe der nach 1970 Geborenen in den Blick nehmen, bei der erhebliche Impflücken bestehen. Im Übrigen ist die geläufige Redeweise von einer ‚Impfpflicht‘ wenig aussagekräftig, wenn nicht zugleich konkretisiert wird, wie diese durchgesetzt beziehungsweise ihre Missachtung sanktioniert werden soll. Körperliche Zwangseingriffe oder die Koppelung von Schulbesuch und hinreichendem Impfstatus sind jedenfalls verfassungsrechtlich problematische Lösungsansätze.“

„Eine wichtige Maßnahme, um die Impfpolitik auf eine bessere Datenbasis stützen zu können, ist die Einrichtung eines strukturierten Impfregisters. Darüber hinaus sollte es niedrigschwellige Aufklärungs- und Impfangebote geben, zum Beispiel offene Impfsprechstunden für Berufstätige oder regelmäßige Impftage an Kitas und Schulen. Im Übrigen sollten Träger von Gemeinschaftseinrichtungen im Bildungs- und Gesundheitswesen verpflichtet werden, sich Kenntnis über relevante Impfungen ihrer Beschäftigten zu verschaffen. Gegebenenfalls müsste von Personen, von denen aufgrund ihrer Tätigkeit, wie zum Beispiel auf onkologischen Stationen, ein besonders hohes Infektionsrisiko ausgehen kann, der Nachweis eines hinreichenden Impfstatus gefordert werden.“

Dr. Jan Leidel

bis März 2017 Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO)

„Auch ich halte eine Erhöhung der Impfquoten generell, besonders auch bei der Masernimpfung, für erforderlich. Allerdings ist nach meiner Einschätzung die Einführung einer Impfpflicht für Kinder dafür der falsche Weg.“

„Eine Impfung gegen den Willen des Betroffenen ist rechtlich eine Körperverletzung. Eine Impfpflicht bedeutet also einen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. In unserem Rechtsstaat müssen dafür bestimmte Voraussetzungen gegeben sein, nämlich die Erforderlichkeit der Maßnahme, ihre Geeignetheit und ihre Verhältnismäßigkeit. Am Vorliegen dieser Voraussetzungen habe ich erhebliche Zweifel.“

„Erforderlich wäre die Pflicht, wenn es kein milderes Mittel gäbe, mit dem das Ziel ebenfalls erreicht werden könnte. Tatsächlich gibt es aber eine Fülle von durchaus bekannten, bisher aber nicht oder allenfalls halbherzig umgesetzten Maßnahmen zur Verbesserung der Impfbeteiligung sowie Impfhindernisse, die zunächst beseitigt werden müssten. Bevor also eine Impfpflicht für Masern diskutiert wird, sollten die folgenden Rahmenbedingungen für das Impfen deutlich verbessert werden.

     

  • Der Medizinrechtler Prof. Deutsch hat bereits vor Jahren in einem Gutachten darauf hingewiesen, dass Ärzte ihren Patientinnen und Patienten – unabhängig von ihrer persönlichen Einstellung – die öffentlich empfohlenen Impfungen nahelegen müssen. Auch die STIKO weist in ihren jüngsten Empfehlungen auf diese rechtliche Pflicht hin. Gleichwohl müssen impfkritische Ärzte, die von Impfungen eher abraten, keinerlei berufsrechtliche Konsequenzen zum Beispiel seitens der Ärztekammern befürchten.
  •  

  • Noch immer müssen Kinderärztinnen und -ärzte, die Impflücken bei begleitenden Eltern schließen oder Frauenärztinnen und -ärzte, die dies beim begleitenden Ehemann tun, in manchen Krankenversicherungs-Bezirken mit einem Regress rechnen.
  •  

  • Für nicht wenige Haus- oder Frauenärzte/innen erscheint das Impfen wenig attraktiv. Eine Impf-Praxissoftware mit Erinnerungsfunktion, die erfahrungsgemäß die Impfquoten in einer Praxis deutlich steigert, sollte nahegelegt oder vorgeschrieben werden.
  •  

  • Die seit 2007 bestehende Verpflichtung der Krankenkassen gemäß § 20i SGB V, mit den zuständigen Landesbehörden Rahmenverträge abzuschließen, die zum Beispiel das Schließen von Impflücken in den Schulen durch den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) ermöglichen könnten, ist bislang nicht in allen Bundesländern umgesetzt. Und wo sie es ist, wird sie schon wegen des Personalmangels im ÖGD kaum genutzt.
  •  

  • Schutzimpfungen sollten deutlich niedrigschwelliger erreichbar sein, zum Beispiel in der Schule, am Arbeitsplatz, eventuell in den Apotheken.
  •  

  • Fehlinformationen gehören zu den wichtigsten Impfhindernissen. Ihnen müsste rasch und nachhaltig entgegengetreten werden. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und das deutsche Grüne Kreuz in Marburg könnten dies bei entsprechender Finanzierung leisten.“
  •  

„Hinsichtlich der Geeignetheit habe ich erhebliche Zweifel, dass eine Impfpflicht für Kinder wesentlich zur Erhöhung der MMR-Impfquoten führen würde. Kinder werden zwar derzeit häufig später als von der STIKO empfohlen gegen MMR geimpft. Aber bei der Schuleingangsuntersuchung 2016 waren von den Kindern, die einen Impfpass vorlegen konnten, 97,1 Prozent einmal und 92,2 Prozent zweimal gegen MMR geimpft.“

„Kinder, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können, unterliegen natürlich auch nicht der Impfpflicht. Und es liegt nahe, dass impfkritische Ärzte die Hürde für entsprechende Atteste eher niedrig halten werden. Insgesamt wird die Kontrolle der Impfpflicht einen erheblichen Aufwand erfordern.“

„Die Erfurter Psychologin Prof. Cornelia Betsch hat mit ihrer Arbeitsgruppe zeigen können, dass sich die Pflicht zu bestimmten Impfungen mit hoher Wahrscheinlichkeit nachteilig auf die Impfquoten insgesamt auswirken würde.“

„Und zur Verhältnismäßigkeit: Masern sind bei weitem nicht so harmlos, wie Impfkritiker oft behaupten. Und eine Elimination halte auch ich für wichtig. Aber sie sind längst nicht so bedrohlich, wie es zum Beispiel die Pocken waren.“

„Für derart schwerwiegende impfpräventable Krankheiten gibt es bereits im Infektionsschutzgesetz die Möglichkeit, dass die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates anordnet, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist.“

„Fazit: Eine Masern-Impfpflicht, die bei den derzeit verfügbaren Impfstoffen eine Impfpflicht für Masern, Mumps und Röteln wäre, halte ich für rechtlich problematisch und wenig geeignet, die Impfquoten im Kindesalter nennenswert zu erhöhen. Völlig in Ordnung finde ich es allerdings, wenn – wie in Essen – die Eltern einer privaten Kindertageseinrichtung beschließen, dass nur vollständig geimpft Kinder aufgenommen werden können.“

Dr. Hedwig Roggendorf

Verantwortliche der Reise-Impfsprechstunde/ Gelbfieberimpfstelle am Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München (TUM), München

„Eine Masern- Impfpflicht ist nicht unbedingt ein Erfolgsrezept. Schweden, die Niederlande und auch andere Länder haben die Masern ohne Impfpflicht eliminiert, während andere trotz Impfplicht noch mit den Masern kämpfen – wie zum Beispiel Polen. Die Masern-Ausbrüche der vergangenen Jahre in Deutschland zeigen große Impflücken bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Nach Ergebnissen einer RKI-Studie sind bei den 18- bis 44-Jährigen mehr als 40 Prozent nicht gegen Masern geimpft. Diese Gruppe würde man mit einer Impfpflicht gar nicht erreichen.“

„Andererseits sind nach Analysen von Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland 90 Prozent der 15 Monate alten, 96 Prozent der 24 Monate alten und 98 Prozent der 36 Monate alten Kinder des Geburtsjahrgangs 2014 ein Mal gegen Masern geimpft, das heißt, es werden zwar hohe Impfraten erreicht – aber zu spät. Viel schlechter sieht es für die zweite MMR Impfung aus: Nur 74 Prozent der 24 Monate und 87 Prozent der 36 Monate alten Kinder sind zwei Mal gegen Masern geimpft [23]. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren, denn offensichtlich gibt es ja eine große Bereitschaft, die Kinder impfen zu lassen. Möglicherweise wird die zweite Impfung vergessen oder wegen ‚falscher‘ Kontraindikationen zum Beispiel leichtes Fieber, Husten, Schnupfen nicht durchgeführt.“

„Laut STIKO sollte ‚Jeder Arztbesuch von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen dazu genutzt werden, die Impfdokumentation zu prüfen und gegebenenfalls den Impfschutz zu vervollständigen.‘ Da dies jedoch zu oft nicht der Fall ist, entstehen in Deutschland Impflücken durch verpaßte Impfchancen in der Arztpraxis. Re-Call Systeme, um an fällige Impfungen zu erinnern, haben sich als effektiv erwiesen [24]. Eine individuelle Impfbuchkontrolle und Impfberatung vor Eintritt in die Kita und in den siebten Klassen durch das Gesundheitsamt wie zum Beispiel in Essen, Nordrhein-Westfahlen und Bayern erhöht nachweislich die Impfquoten [25, 26]. Darüberhinaus waren niederschwellige Vor-Ort-Impfangebote in Schulen zum Beispiel in Australien, Kanada aber auch in Deutschland (bis 1980) ein effektives und bewährtes Mittel um Impflücken zu schließen.“

Prof. Dr. Fred Zepp

Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin und Leiter der AG Immunologie und Infektiologie, Universitätsmedizin Mainz

„Schon vor mehr als zehn Jahren sollten die Masern in Deutschland eliminiert sein. Stattdessen erleben wir seit Jahren wiederholt Masernausbrüche unterschiedlichen Ausmaßes. Bei Masern handelt es sich um eine schwerwiegende Infektionskrankheit. Unter etwa 1000 erkrankten Menschen ist mit einem Todesfall zu rechnen. Ein relevanter Anteil erkrankter Menschen erleidet neurologische Folgeschäden, einer unter 3000 bis 10000 Erkrankten wird nach Jahren eine tödlich verlaufende Panenzephalitis entwickeln. Angesichts derart besorgniserregender Entwicklungen wird – wie übrigens bei jedem größeren Ausbruch der jüngeren Vergangenheit – schnell der Ruf nach verpflichtenden Maßnahmen, wie beispielsweise einer Impfpflicht laut.“

„Nach den Meldezahlen des RKIs sind bei Masernausbrüchen weniger die Kinder als die Jugendlichen und jungen Erwachsenen das Problem. Auch die aktuelle Zunahme an Masern-Infektionen erklärt sich wie schon in den vergangenen Jahren durch Impflücken, die besonders bei Jugendlichen und Erwachsenen bestehen. Tatsächlich sind die Durchimpfungsraten bei Kleinkindern in Deutschland gut. Etwa 95 Prozent erhalten die erste Impfung, die Rate für die zweite Impfung liegt je nach Bundesland zwischen 85 und knapp über 90 Prozent. Um einen umfassenden Herdenschutz zu erzeugen, gehen Fachleute von einer 95-prozentigen Durchimpfungsrate für zwei Impfungen aus. Dazu fehlt in Deutschland nur noch wenig. Eine Impfpflicht für Kinder würde das eigentliche Problem mithin nur unzureichend adressieren. Die aktuellen STIKO-Empfehlungen zur Masernimpfung richten sich deshalb eben nicht nur an Kinder, sondern auch an alle Erwachsenen, insbesondere die nach 1970 geboren sind und in der Kindheit keine oder nur eine Impfung erhalten haben, beziehungsweise bei denen der Impfstatus unklar ist.“

„Tatsächlich erscheint es schwierig, eine Impfpflicht gesetzlich durchzusetzen. Grundsätzlich erlaubt das Infektionsschutzgesetz zwar per Rechtsverordnung eine Impfflicht für bedrohte Teile der Bevölkerung Schutzimpfungen anzuordnen, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist. Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit kann insoweit eingeschränkt werden, laut Grundgesetz allerdings nur durch den Erlass von Gesetzen. Für eine Impfpflicht wäre daher wahrscheinlich ein Gesetz erforderlich.“

„In einer aufgeklärten, modernen Gesellschaft sollten verpflichtende Maßnahmen durch den Staat allerdings immer nur dann in Frage kommen, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. Auch wenn in Umfragen aktuell eine Impfpflicht mehrheitlich befürwortet wird, steht die Öffentlichkeit verpflichtenden Maßnahmen letztendlich meist eher kritisch gegenüber.“

„Erfahrungen aus Ländern mit Impfpflicht, wie zum Beispiel in den USA vor Schuleintritt, zeigen, dass auch dort Eltern von Ausnahmeregelungen für ihre Kinder Gebrauch machen und die Impfquoten durch eine Pflicht nicht automatisch höher sind. Zwölf Länder in der europäischen Region haben Impfpflichten für eine bis zu 14 Impfungen eingeführt, damit allerdings bislang nur marginale Erfolge erzielt. In Italien zum Beispiel stieg die Durchimpfungsrate um einen Prozentpunkt. Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern zeigen, dass auch die Elimination der Masern und Röteln durch ausreichend hohe Impfquoten möglich ist. So liegen die Masern-Impfquoten in Holland, Finnland, Portugal, Schweden, Island und Großbritannien zwischen 92 und 99 Prozent und auch Mecklenburg-Vorpommern erreicht seit vielen Jahren Impfraten über 95 Prozent für die zweifache Masernimpfung. Die hohen Impfquoten werden durch ausreichende und leicht verfügbare Informationen über Risiken und Nutzen der Impfung und über die Risiken der Maserninfektion möglich. Es sind also Überzeugungsarbeit, Aufbau von Vertrauen in die empfehlenden und impfenden Institutionen, gut erreichbare Informationen und wiederholtes Angebot von Impfgelegenheiten, die ohne Zwang zu einer Verbesserung der Impfbereitschaft unserer Bevölkerung führen.“

„Während der Anteil strikter Impfgegner in Deutschland eher niedrig bei unter 5 Prozent liegt, sind es etwa 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung, die nach WHO auch als impfskeptisch bezeichnet werden. Diese Personengruppen lehnen Impfungen nicht grundsätzlich ab, sondern wünschen sich zunächst bessere Informationen zum Impfen. Um dies zu gewährleisten, müssen beim Arzt-Patient-Kontakt ausreichend Raum und Zeit zur Verfügung stehen. Ein wichtiger Schritt zu weiterer Verbesserung der Impfakzeptanz kann daher in einer ausreichenden Finanzierung von Aufklärungsleistungen liegen. Sachgerechte Informationen und einfache Zugangswege zu Impfungen kann auch bei uns ein erfolgversprechenderer Weg sein. Es bedarf umfassender Anstrengungen des gesamten Gesundheitswesens. Jeder Kontakt muss genutzt werden, um verständlich, nachvollziehbar und vertrauensvoll über Impfungen aufzuklären. Darüber hinaus sollten die Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes gestärkt werden, um intensiver das Impfwesen unterstützen zu können. In vielen Ländern mit erfolgreichen Masern-Impfprogrammen werden Familien regelmäßig durch den öffentlichen Gesundheitsdienst kontaktiert und an ausstehende Impfungen erinnert. Andere Länder wie beispielsweise Australien haben eine sehr erfolgreiche gesundheitliche Begleitung von Kindern und Jugendlichen durch die Einrichtung von speziellen Gesundheitspflegern (School-Nurses) in Schulen erreicht. Eine Masern-Impfpflicht kann nur eine Ultima Ratio sein, wenn wirklich keine der angesprochen Maßnahmen zur Kontrolle der Masern führt. Wir müssen es der Bevölkerung leicht machen, Impfungen in Anspruch zu nehmen, dadurch, dass in Schulen und Betrieben solche Angebote vorgehalten werden.“

„Die Ärztekammern haben überwiegend die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das Impfen unabhängig von der Gebietsbezeichnung eine Aufgabe ist, die alle Ärzte wahrnehmen können. Das Arztrecht als Marktordnungsinstrument steht dem entgegen. Das ist eine völlig unnötige Hürde!“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Ulrich Heininger: „Meine potenziellen Interessenkonflikte finden Sie hier.“

Julie Leask: „Ich erhalte Gelder als Berater des WHO-Hauptquartiers und habe bereits zuvor Mittel vom Europäischen Büro der WHO erhalten, um über Impfprogramme zu beraten."

Prof. Dr. Cornelia Betsch: „Keine."

Prof. Dr. Thomas Mertens: „Ich habe keine Interessenskonflikte hinsichtlich dieses Themas, nachzulesen auf der Homepage der STIKO“

Assoc.-Prof. Dr. Schröder-Bäck: „Peter Schröder-Bäck hat am 20.11.2014 einen Vortrag zum Thema Ethik auf der Vorkonferenz ‚Childhood vaccination – tackling the societal burden of disease of seasonal influenza‘ der European Public Health Association (EUPHA) in Glasgow gehalten. Reisekosten wurden von der EUPHA bezahlt. Die Vorkonferenz wurde durch einen uneingeschränkten finanziellen Zuschuss von AstraZeneca an EUPHA unterstützt. Die Autoren erklären, dass keine weiteren Interessenkonflikte vorliegen.“

Prof. Dr. Ansgar Lohse: „Herr Lohse hat keine Interessenskonflikte anzumelden.“

Dr. Tracey Chantler: „Ich bin Mitglied der von NIHR finanzierten Health Protection Research Unit - Immunisation, die bei LSHTM gehostet wird. Diese Einheit ist eine Zusammenarbeit zwischen Forschern, die für Public Health England und LSHTM arbeiten. Ich habe keine weiteren Interessenkonflikte zu erklären.“

Prof. Dr. Wolfram Höfling: „Ich erkläre, dass es keine Interessenkonflikte gibt.“

Dr. Hedwig Roggendorf: „Kein Interessenkonflikt.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Paul, K.T. et al. (2019): Contemporary vaccination policy in the European Union: tensions and dilemmas. Journal of Public Health Policy. DOI: 10.1057/s41271-019-00163-8. 

[2] Helps C et al. (2018): It just forces hardship: impacts of government financial penalties on non-vaccinating parents. Journal of Public Health Policy, 39(2): 156-169. DOI: 10.1057/s41271-017-0116-6.

[3] Kieslich, K. (2018): Addressing vaccination hesitancy in Europe: a case study in state–society relations. European Journal of Public Health; 28: 30–33. DOI: 10.1093/eurpub/cky155. 

[4] Abfrage bei SurvStat@RKI2.0, Web-basierte Abfrage der Meldedaten gemäß Infektionsschutzgesetz (IfSG): Masernerkrankung im Meldejahr 2019, aufgeschlüsselt nach „Altersgruppierung: Kinder fein differenziert“. 

[5] Horstkötter N et al. (2017): Einstellungen, Wissen und Verhalten von Erwachsenen und Eltern gegenüber Impfungen – Ergebnisse der Repräsentativbefragung 2016 zum Infektionsschutz. BZgA-Forschungsbericht. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. 

[6] Rieck T et al. (2017): Impfquoten der Rotavirus-, Masern-, HPV- und Influenza- Impfung in Deutschland. Epidemiologisches Bulletin; 1: 1-12. DOI: 10.17886/EpiBull-2017-001. 

[7] Betsch C et al. (2016): Detrimental effects of introducing partial compulsory vaccination: experimental evidence. Eur J Public Health.; 26: 378–81. DOI: 10.1093/eurpub/ckv154. 

[8] Paul-Ehrlich-Institut: Impfstoffe gegen Masern. Stand: 28.03.2019. 

[9] Betsch C et al. (2018): Beyond confidence: Development of a measure assessing the 5C psychological antecedents of vaccination. PLOS ONE; 13:e0208601. DOI: 10.1371/journal.pone.0208601. 

[10] Klett-Tammen CJ et al. (2016): Determinants of tetanus, pneumococcal and influenza vaccination in the elderly: a representative cross-sectional study on knowledge, attitude and practice (KAP). BMC Public Health; 16: 121. DOI: 10.1186/s12889-016-2784-8. 

[11] Jacobson Vann JC et al. (2018): Patient reminder and recall interventions to improve immunization rates. Cochrane Database Syst Rev.; 1:CD003941. DOI: 10.1002/14651858.CD003941.pub3. 

[12] Betsch C et al. (2019): Impfverhalten psychologisch erklären, messen und verändern. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz; 4/2019. DOI: 10.1007/s00103-019-02900-6. 

[13] Gilkey MB et al. (2016): Provider communication and HPV vaccination: The impact of recommendation quality. Vaccine.; 34: 1187–92. DOI: 10.1016/j.vaccine.2016.01.023. 

[14] Gagneur A et al. (2018): A postpartum vaccination promotion intervention using motivational interviewing techniques improves short-term vaccine coverage: PromoVac study. BMC Public Health; 18: 811. DOI: 10.1186/s12889-018-5724-y. 

[15] Chapman GB (2010): Opting In vs Opting Out of Influenza Vaccination. JAMA; 304: 43-4. DOI: 10.1001/jama.2010.892. 

[16] Brewer NT et al. (2017): Increasing Vaccination: Putting Psychological Science Into Action. Psychol Sci Public Interest.; 18: 149-207. DOI: 10.1177/1529100618760521. 

[17] Schröder-Bäck P et al. (2019): Impfethik – Eine Skizze moralischer Herausforderungen und ethischer Kriterien. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz; 62: 472–8. 

[18] Sabin Vaccine Institute (2018): Legislative Approaches to Immunization Across the European Region. 

[19] Meier NW et al. (2019): Individual Preferences for Voluntary vs. Mandatory Vaccination Policies: An Experimental Analysis. PsyArxiv Preprints. Preprint DOI: 10.31234/osf.io/t859e. 

[20] Signorelli C et al. (2018): Childhood vaccine coverage in Italy after the new law on mandatory immunization. Ann. Ig.; 30 (Suppl. 1): 1-10. DOI:10.7416/ai.2018.2227. 

[21] Schloemer T et al. (2018): Criteria for evaluating transferability of health interventions: a systematic review and thematic synthesis. Implementation Science; 13: 88. DOI: 10.1186/s13012-018-0751-8. 

[22] WHO und UNICEF (2018): Schätzungen der Impfrate im Jahr 2017 in Deutschland, Stand 07.07.2018. 

[23] Robert Koch-Instiut (2018): Impfquoten ausgewählter Schutzimpfungen in Deutschland. Epid Bull; 4: 1-18. 

[24] Jacobson Vann JC et al. (2018): Patient reminder and recall interventions to improve immunization rates. Cochrane Database Syst Rev; 18;1:CD003941. DOI: 10.1002/14651858.CD003941.pub3. 

[25] Gesundheitsreport Bayern 1/2016

[26] Roggendorf H et al. (2011): Erfolgreiche Strategie zur Verbesserung der Impfraten bei Jugendlichen. Das Gesundheitswesen; 73: 499-503. DOI: 10.1055/s-0030-1255085. 

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Robert Koch-Instiut (2018): Impfquoten bei der Schuleingangsuntersuchung in Deutschland 2016. Epid Bull; 16: 151-156. DOI: 10.17886/EpiBull-2018-020. 

[II] Shen S et al. (2019): Addressing vaccine hesitancy.Clinical guidance for primary care physicians working with parents. Canadian Family Physician; 65 (3): 175-181. 

[III] Jones M et al. (2018): Mandatory Health Care Provider Counseling For Parents Led To A Decline In Vaccine Exemptions In California. Health Affairs; 37(9):1494-1502. DOI: 10.1377/hlthaff.2018.0437. 

[IV] Rieck T et al. (2019): Erratum zu: Umsetzung der Masern- und Pertussisimpfempfehlungen für Erwachsene. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz; 62 (4): 534–534. DOI: 10.1007/s00103-019-02902-4. 

[V] Eichner L et al. (2017): Local measles vaccination gaps in Germany and the role of vaccination providers. BMC Public Health; 17: 656. DOI: 10.1186/s12889-017-4663-3. 

[VI] Betsch C et al. (2019): Impfberatung in der Praxis: Professionelle Gesprächsführung – wenn Reden Gold wert ist. Deutsches Ärzteblatt; Jg. 116, 11. 

[VII] Summary of the WHO position on Measles Vaccine. April 2017

[VIII] Robert Koch-Instiut (2019): Impfquoten bei der Schuleingangsuntersuchung in Deutschland 2017. Epid Bull; 18: 147 – 153. DOI: 10.25646/6120.

[IX] Doll S (30.04.2019): Gesundheitsminister Spahn als Wahlkampf-Unterstützer. Weser Kurier.