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06.04.2023

Indiens Energiewende bei wachsender Bevölkerung und Wirtschaft

     

  • Indiens Bevölkerung und Wirtschaft wachsen schnell; damit auch der Energiebedarf
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  • ohne schnellen Ausbau der Erneuerbaren und E-Mobilität ist starker Anstieg der CO2-Emissionen zu erwarten
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  • trotz ambitionierter Ausbauziele halten Experten Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Emissionen für unrealistisch
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Laut UN-Prognosen wird Indien im April 2023 zum bevölkerungsreichsten Land – und damit ist die Frage, ob die indische Energie- und Verkehrswende gelingt, von globaler Relevanz. Die Bevölkerung Indiens wird von heute 1,4 Milliarden Menschen bis Mitte des Jahrhunderts weiterwachsen [I], bei einem gleichzeitig starken Wirtschaftswachstum von aktuell fünf bis sieben Prozent [II].Damit einhergehend wird sich der Energiebedarf Vorhersagen zufolge zwischen 2035 und 2040 im Vergleich zu 2020 verdoppeln [III], der Strombedarf soll noch deutlich stärker ansteigen. Wenn das Land nicht schnell und massiv Erneuerbare Energien ausbaut, ist darum zu befürchten, dass sein CO2-Ausstoß weiter rasant ansteigt.

Indien ist heute hinter China und den USA der drittgrößte Emittent von Treibhausgasen. Die jährlichen Pro-Kopf-Emissionen sind mit zwei Tonnen CO2-Äquivalente relativ gering – in Deutschland und China sind es rund acht Tonnen –, doch mit dem starken Wirtschaftswachstum ist auch hier ein Anstieg zu erwarten. Aktuell erzeugt Indien den Großteil seiner Elektrizität – rund 70 Prozent – aus Kohle [IV]. Das soll sich ändern: Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 mindestens 500 Gigawatt Erneuerbare Energien zu installieren und strebt Klimaneutralität bis 2070 an. Eine deutsch-indische Partnerschaft sowie eine mögliche „Just Energy Transition Partnership“ mit den G7 haben zum Ziel, die nachhaltige Entwicklung des Landes zu unterstützen [IV].

Ist es möglich, Indiens Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum von Treibhausgasemissionen zu entkoppeln? Ist zu befürchten, dass Indien Chinas steilen Emissionspfad der letzten Jahrzehnte nachahmt? Welchen besonderen Herausforderungen ergeben sich bei einer Energie- und Verkehrswende in Indien? Welche Rolle können internationale Partnerschaften spielen? Diese Fragen hat das SMC Forschenden gestellt.

Hinweis: Der tatsächliche Zeitpunkt, an dem Indiens Bevölkerung die Chinas überholt, ist unsicher und wahrscheinlich bereits verstrichen. Mit einer linearen Interpolation zwischen den UN-Prognosen vom 1. Januar und 1. Juli 2023 [I] ergibt sich jedoch der 14. April als Stichtag. Weiterführende Informationen, Daten und Grafiken zur Bevölkerungsentwicklung in Indien und China sowie deren Einfluss auf den CO2-Ausstoß finden Sie in diesem ergänzenden SMC Data Report.

Übersicht

     

  • Dr. Aniruddh Mohan, Wissenschaftler am Andlinger Center for Energy and the Environment, Princeton University, USA
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  • Dr. Miriam Prys-Hansen, Leiterin des Forschungsschwerpunkt Globale Ordnungen und Außenpolitiken, GIGA German Institute of Global and Area Studies / Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA), Hamburg
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  • Dr. Tilman Altenburg, Leiter des Forschungsprogramms Transformation der Wirtschafts- und Sozialsysteme, German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Bonn
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Statements

Dr. Aniruddh Mohan

Wissenschaftler am Andlinger Center for Energy and the Environment, Princeton University

Auf die Frage, ob es realistisch ist, Indiens Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum von CO2-Emissionen zu entkoppeln und zu verhindern, dass Indiens Emissionen ähnlich rasant steigen wie Chinas in der Vergangenheit:
„Indiens Emissionsanstieg wird wahrscheinlich nicht so dramatisch ausfallen wie der Chinas. Erstens ist Indiens Wirtschaftsprofil anders – die Nachfrage nach Energie im verarbeitenden Gewerbe und in der Industrie wird nicht so schnell wachsen wie in China. Zweitens sind die weltweiten Beschränkungen der Umweltverschmutzung heute verbindlicher als während des Wachstums Chinas in den 1980er und 1990er Jahren. So führt die EU beispielsweise einen Kohlenstoffzoll für importierte Waren ein, der sich auf Exporte aus Indien und anderen Ländern auswirken und Anreize für eine kohlenstoffärmere Produktion schaffen wird. Und schließlich sind kohlenstofffreie Technologien wie Erneuerbare Energien und Elektrofahrzeuge heute – anders als noch vor einigen Jahrzehnten – praktikable und kostengünstige Alternativen zu fossilen Brennstoffen. Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass die indischen Emissionen in den 2020er Jahren ihren Höhepunkt erreichen werden. Der Energiebedarf Indiens wächst stetig. Das bedeutet, dass beispielsweise der Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht unbedingt zu einer Verringerung der Emissionen führt, sondern lediglich den neuen Bedarf deckt. Man unternimmt also enorme Anstrengungen, nur um einen weiteren Anstieg zu verhindern.“

Auf die Frage, wie ambitioniert die Ausbauziele für Erneuerbare Energien sind – 500 Gigawatt bis 2030 – und ob Indien auf dem Weg ist, diese zu erreichen:
„Die Ausbauziele sind extrem unrealistisch. Premierminister Narendra Modi hat im Jahr 2014 das Ziel gesetzt, bis 2022 mindestens 175 Gigawatt Erneuerbare zu installieren, davon 100 Gigawatt Solar- und 60 Gigawatt Windenergie. Indien hat das Ziel um etwa 30 Prozent verfehlt (wenn große Wasserkraft nicht eingerechnet wird, die etwa 47 Gigawatt ausmacht und ursprünglich nicht in den Ausbauzielen inbegriffen war, neuerdings aber von der indischen Regierung hinzugerechnet wird [1]; Anm. d. Red.). Das Tempo, mit dem die Erneuerbaren ausgebaut werden, wird in diesem Jahrzehnt sogar noch schwieriger zu steigern sein. Ein Grund ist, dass die besten Standorte schon vergeben sind und der Kauf neuen Landes immer schwieriger wird. Außerdem wird das für den Ausbau benötigte Kapital wegen weltweit steigender Zinsen teurer und Indiens inländische Lieferkette für die Herstellung von Windkraft- und Solaranlagen ist nicht groß genug.“

„Bis 2050 aus der Kohle auszusteigen ist möglich, erfordert allerdings internationale Finanzierung zu niedrigen Zinsen. Ohne Zugang zu kostengünstigem Kapital wird Kohle in Indien wesentlich günstiger bleiben als saubere Energie. Hohe Kapitalkosten und schlechte Bedingungen für Windenergie bleiben die zwei größten Barrieren für Indien, um Kohle zu ersetzen. Das wichtigste kurzfristige Ziel ist, in den 2030er Jahren keine weiteren Kohlekraftwerke mehr zu bauen. Unter den richtigen Bedingungen ist dies machbar.“

Auf die Frage, wie sich die Emissionen im indischen Verkehrssektor entwickeln und welche Rolle Elektromobilität spielt:
„Die Emissionen des indischen Transportsektors machen nur einen kleinen Teil der indischen Gesamtemissionen aus, weniger als 15 Prozent. Dies liegt hauptsächlich am geringen Einkommensniveau – die meisten Menschen in Indien besitzen noch immer kein Auto. In den nächsten Jahrzehnten wird sich das offensichtlich ändern. Der erste wichtige Schritt, um Elektromobilität zu fördern, ist, größere Fahrzeugflotten zu elektrifizieren – zum Beispiel Regierungsfahrzeuge und kommerzielle Flotten wie Vans und LKW. Außerdem braucht es hohe Investitionen in die Ladeinfrastruktur. Beide Schritte helfen über Skaleneffekte auch für individuelle Konsumenten die Preise zu senken. Zudem bringt die Elektrifizierung des Transportsektors Indien zusätzliche Vorteile, weil das Land der drittgrößte Ölimporteur der Welt ist – mehr als 80 Prozent des indischen Konsums wird über Rohölimporte gedeckt. Diese Abhängigkeit zu reduzieren, wird Indiens Wirtschaft deutlich weniger vulnerabel gegenüber Ölpreisschocks machen, Indiens Devisenreserven ausländischer Währungen stärken und den Inflationsdruck reduzieren.“

Auf die Frage, inwiefern könnte die deutsch-indische Partnerschaft sowie eine mögliche Just Energy Transition Partnership mit den G7 Indiens Energiewende voranbringen könnte:
„Verglichen mit anderen Ländern sind die Herausforderungen für eine Energiewende in Indien besonders, weil die indischen Kohlekraftwerke relativ jung sind. Deren durchschnittliches Alter beträgt etwa zehn Jahre. Um sie schon vor dem Ende ihrer geplanten Laufzeit von 40 Jahren abzuschalten, wird daher ein gewaltiges politisches und finanzielles Kapital benötigt. Um ernsthaft über die Energiewende diskutieren zu können, brauchen wir konkrete Ziele für die nahe Zukunft und müssen definieren, wie viel finanzielle und technologische Unterstützung von Industrieländern Indien benötigt, um sie zu erreichen. Zwei Beispiele für solche Ziele wären, ab 2030 keine neuen Kohlekraftwerke mehr zu bauen sowie sich zu verpflichten, bis 2040 den Höhepunkt der CO2-Emissionen zu erreichen. China hat sich verpflichtet, den Höhepunkt der Emissionen bis 2030 zu erreichen.“

Dr. Miriam Prys-Hansen

Leiterin des Forschungsschwerpunkt Globale Ordnungen und Außenpolitiken, GIGA German Institute of Global and Area Studies / Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA), Hamburg

Auf die Frage, welche Relevanz Indiens Energiewende global und für Deutschland hat:
„Indien ist bald das bevölkerungsstärkste Land der Welt. Auch wenn die Pro-Kopf-CO2-Emissionen immer noch weit hinter denen der EU zurückliegen, wird ohne Maßnahmen in und durch Indien ein globaler, gefährlicher Klimawandel nicht abzuwenden sein. In anderen Worten: Ohne Indien können die Ziele des Pariser Klimaabkommens global nicht eingehalten werden. Indien versteht sich selbst als Vorbild und Führungsnation, vor allem im Zusammenhang der Zusammenarbeit innerhalb des globalen Südens. Das Land kann allein durch die schiere Größe seines Binnenmarkts neue technologische Standards, aber auch Preise für bestehende klimafreundliche Techniken – wie Solarpanele, LED-Lampen oder klimafreundliche Heizungen – positiv beeinflussen. Das wiederum kann anderen Entwicklungsländern bei der Umsetzung ihrer Klimaziele helfen.“

Auf die Frage, ob es realistisch ist, Indiens Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum von CO2-Emissionen zu entkoppeln und zu verhindern, dass Indiens Emissionen ähnlich rasant steigen wie Chinas in der Vergangenheit:
„Die Frage nach der Entkopplung von Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum von CO2-Emissionen kann auf unterschiedliche Art und Weise beantwortet werden, je nachdem, von welcher Form der Entkopplung wir sprechen. ,Schwache‘ Entkopplung – gleichbedeutend mit einem Rückgang der Energieintensität bei gleichzeitig wachsendem absoluten Anstieg des Energieverbrauchs – ist durchaus möglich, insbesondere bei Verfolgung der Ziele, die Indien sich selbst im Bereich der Erneuerbaren Energien gesetzt hat. Eine ,starke‘ Entkopplung – also ein absoluter Rückgang der Emissionen bei gleichzeitigem Wachstum der Wirtschaft beziehungsweise der Bevölkerung – erfordert sehr viel stärkere Maßnahmen. Diese sehe ich in Indien im Moment nicht. An vielen möglichen Stellschrauben, beispielsweise im Bereich des Waldschutzes und der Landnutzung, passiert im Moment nicht genug, auch nicht im sogenannten ,Green Union Budget 2023/2024‘, das Ende Februar von der indischen Regierung vorgestellt wurde. Vor allem aber setzt Indien in vielen Bereichen immer noch auf Kohle und auf große Infrastrukturprojekte, was unter anderem bedeutet, dass Indien im Moment die höchsten CO2-Wachstumsraten unter den großen Emittenten verzeichnet. Es verbleibt dabei aber zu sagen, dass Indiens Pro-Kopf-Emissionen immer noch weit unter denen der meisten großen vergleichbaren Staaten liegt. Im Jahr 2021 lagen diese in Indien bei 1,9 Tonnen, in Indonesien bei 2,3 Tonnen, in Brasilien bei 2,3 Tonnen und in China bei 8 Tonnen.“

Auf die Frage, wie ambitioniert die Ausbauziele für Erneuerbare Energien sind – 500 Gigawatt bis 2030 – und ob Indien auf dem Weg ist, diese zu erreichen:
„Die Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren Energien sind das zentrale Element in Indiens übergreifendem Ziel von Klimaneutralität bis 2070. Es sind sehr ambitionierte Ziele. Allerdings ist Indien insgesamt in diesem Bereich auf einem guten Weg, vor allem, wenn man die Zahlen aus dem Jahr 2022 betrachtet. Diese berichten zum Teil, dass der Zuwachs an Kapazitäten im Bereich der Stromproduktion zu 92 Prozent aus Wind- und Solarenergie stammt [2]. Aber: Die Regierung hatte sich bis Ende 2022 das Ziel gesetzt, 175 Gigawatt in Erneuerbaren Energien zu installieren und hat dieses Ziel um 30 Prozent verfehlt [3] (wenn große Wasserkraft nicht eingerechnet wird, die etwa 47 Gigawatt ausmacht und ursprünglich nicht in den Ausbauzielen inbegriffen war, neuerdings aber von der indischen Regierung hinzugerechnet wird [1]; Anm. d. Red.). Das bedeutet, dass die zusätzlichen Kapazitäten aus nicht-fossilien Energiequellen in weniger als sieben Jahren verdreifacht werden müssen, um das Ziel für 2030 noch zu erreichen.“

„Wärmekraftwerke (die thermische Energie in Strom umwandeln; etwa Kohle- und Gaskraftwerke; Anm. d. Red.), die fast ausschließlich Kohle nutzen, lieferten im Februar 2023 immer noch über 78 Prozent der Elektrizität in Indien [3]. Der Ausstieg aus Kohle wird aufgrund unterschiedlicher struktureller Abhängigkeiten sehr schwierig. Auch politische Faktoren spielen hier eine große Rolle. Beispielsweise würde ein Ausbau der Erneuerbaren Energie – vor allem, wenn es um die dazu notwendigen Batterien geht – auch eine wachsende Abhängigkeit von China, dem absoluten Marktführer in diesem Bereich, bedeuten.

Auf die Frage, wie sich die Emissionen im indischen Verkehrssektor entwickeln und welche Rolle Elektromobilität spielt:
„Auch im Verkehrssektor darf man die politische Komponente und die Rivalität mit China nicht unterschätzen. Im Moment hat Indien recht wenig eigene Kapazität und die dazu notwendigen natürlichen Ressourcen, um selbst die notwendigen Batterien für Elektromobilität bereitzustellen. Wasserstoff ist für den individualisierten Verkehr eher überschätzt. Beide Faktoren könnten sich aber in der näheren Zukunft für Indien positiv entwickeln. Einerseits wird sehr stark auf den Ausbau der Wasserstoffindustrie gesetzt. Andererseits wurde im Januar in Jammu und Kashmir das sechstgrößte Lithiumvorkommen der Erde entdeckt, welches Indien, laut lokaler Quellen, sogar zu einem Lithiumexporteur machen könnten. Lithium ist essenzieller Bestandteil von Lithium-Ionen-Batterien, also einer der wichtigsten Rohstoffe für die Verkehrswende.“

Auf die Frage, inwiefern könnte die deutsch-indische Partnerschaft sowie eine mögliche Just Energy Transition Partnership mit den G7 Indiens Energiewende voranbringen könnte:
„Aufgrund der Größe des Marktes, der Bevölkerung und der Wirtschaft ist es eine große Herausforderung, Indiens Energiewende durch internationale Kooperationen zu unterstützen. Es wird zum Beispiel geschätzt, dass in Indien über 21 Millionen Menschen im Bereich der fossilen Brennstoffe beschäftigt sind, die Mehrheit davon im informellen Sektor. Zudem ist die Beschäftigung vor allem im Kohlesektor stark regional konzentriert. Indien braucht zunächst eine klare nationale Transitionsstrategie, die dann gezielt durch internationale Partnerschaft gestützt werden kann. Von außen entwickelte Pläne werden hier wenig nützen und wenig politisch durchsetzbar sein, auch aufgrund des politischen Klimas in Indien. Zudem stellen Konflikte um die Art der Finanzierung – Darlehen oder Beihilfen – in der bereits abgeschlossenen Just Energy Transition Partnership mit Südafrika eine große Hürde bei der lokalen Implementierung dar. Darum sind die Aussichten auf eine schnelle und effektive Aushandlung und Umsetzung einer Just Energy Transition Partnership mit Indien vermutlich eher schlecht.“

Dr. Tilman Altenburg

Leiter des Forschungsprogramms Transformation der Wirtschafts- und Sozialsysteme, German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Bonn

„Indien hat einen gewaltigen Nachholbedarf in Bezug auf die Überwindung von Armut und Schaffung von Wohlstand. Die Hälfte der 1,4 Milliarden Inder hat weniger als vier US-Dollar pro Tag zur Verfügung [4]. Zum Glück hat der Wohlstand in den letzten beiden Jahrzehnten zugenommen. Die unteren Einkommensgruppen haben davon unterproportional profitiert, aber auch hier nehmen monetäre und multidimensionale Armut ab und der Konsum zu. In den letzten Jahren wurden massive Anstrengungen zur ländlichen Elektrifizierung unternehmen. Heute sind 97 Prozent aller indischen Haushalte an das Stromnetz angeschlossen. Die Wirtschaft wächst dynamisch, ebenso der Straßenverkehr. Damit steigt der Energiebedarf.“

„Indien ist stark von Kohle abhängig – sie deckt 44 Prozent des Energiebedarfs – und die Stromversorgung hinkt der Nachfrage hinterher. Zugleich expandieren die erneuerbaren Energien stark, auf heute 175 Gigawatt [5] (wenn große Wasserkraft nicht eingerechnet wird, die etwa 47 Gigawatt ausmacht und ursprünglich nicht in den Ausbauzielen inbegriffen war, neuerdings aber von der indischen Regierung hinzugerechnet wird [1]; Anm. d. Red.), allerdings von einem niedrigen Ausgangsniveau. Solar-, Wasser- und Windkraft werden stark ausgebaut, vor allem bei der Solarenergie ist das Potenzial gewaltig.“

„Der Energiekonsum wächst allerdings schnell an, weil die Bevölkerung wächst, sich die wachsende Mittelschicht an energieintensiven Konsummustern orientiert, weil jetzt fast alle Haushalte am Netz sind und auch die Wirtschaft wächst. Die Emissionen im indischen Verkehrssektor steigen rasant, weil die Mobilität zunimmt. Zwar investiert Indien in Elektromobilität, aber solange Elektrofahrzeuge wesentlich teurer sind als Verbrenner, werden sie eine Nischenlösung für wohlhabende Städter sein. Vielversprechender sind Investitionen in öffentlichen Nahverkehr. So wird der U-Bahn-Bau forciert.“

„Daher wird es noch sehr lange dauern, bis Indien auf Kohle verzichten kann. Eine Entkoppelung des hohen Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums in Indien von CO2-Emissionen wird länger auf sich warten lassen als in reicheren Ländern, einschließlich Chinas. Zugleich verfolgt Indien ambitionierte Ausbauziele für Erneuerbare Energien – 500 Gigawatt bis 2030 – und diese sind angesichts der Wachstumsraten der letzten Jahre und des ungenutzten Solarpotenzials realistisch. Ein ausgeklügeltes Auktionssystem für Solarprojekte hat die Kosten deutlich gesenkt und den Ausbau beflügelt. Es wird flankiert durch eine Reihe von Maßnahmen für Solarparks, netzunabhängigen Ausbau und Technologieentwicklung.“

„Deutschland kooperiert mit Indien in Energiefragen. Das Deutsch-Indische Energieforum (IGEF) ist eine Dialogplattform für politische Entscheidungsträger, Unternehmen und Forscher*innen. Jüngst wurde die Kooperation um eine Wasserstoffpartnerschaft erweitert. Dabei stehen verschiedene deutsche Interessen im Vordergrund: die Unterstützung für Indiens Energiewende aus klimapolitischen Gründen, die Beschleunigung des globalen Markthochlaufs für grünen Wasserstoff und Technologiepartnerschaften. Wichtig ist die Kooperation vor allem, um Systemlösungen zu entwickeln – etwa für einen sozialverträglichen und beschleunigte Kohleausstieg, für klimafreundliche Mobilitätskonzepte oder für eine wasserstoffbasierte Dekarbonisierung der indischen Industrie.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Tilman Altenburg: „Keine Interessenkonflikte.“

Dr. Aniruddh Mohan: „Keine Interessenkonflikte anzugeben.“

Dr. Miriam Prys-Hansen: „Keine Interessenkonflikte.“

Weiterführende Recherchequellen

Climate Action Tracker: Country summary. India. Stand: 15.11.2022.
Der Climate Action Tracker, eine Initiative verschiedener deutscher Forschungseinrichtungen, fasst die Klimaziele und klimapolitischen Maßnahmen verschiedener Länder zusammen und bewertet sie mit Hinblick auf die Ziele des Pariser Abkommens. Indien erhält dabei insgesamt die Wertung „highly insufficient“.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Press Information Bureau, Government of India (07.03.2019): Cabinet approves Measures to promote Hydro Power Sector. Pressemitteilung.

[2] Lee U (17.03.2023): Solar and wind dominate India’s capacity additions in 2022. Ember Climate.

[3] Paul M (30.03.2023): Indias renewable energy capacity at 122 GW in February. Mint.

[4] Weltbank: Poverty and Inequality Platform. Country Profile. India. Stand: 06.04.2023.

[5] Invest India: Renewable Energy. Stand: 06.04.2023.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Vereinte Nationen: World Population Prospects 2022.India. Stand: 04.04.2023.
Die Grafiken zeigen die Bevölkerungsvorhersagen für Indien bis 2100. Die zugehörigen Daten stehen hier zum Download bereit.

[II] OECD (22.11.2022): Economic Outlook November 2022. India.

[III] International Energy Agency (2021): India Energy Outlook 2021.

[IV] Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (28.11.2022): Deutsch-Indische Partnerschaft für grüne und nachhaltige Entwicklung vereinbart konkrete Projekte gegen die Klimakrise. Pressemitteilung.