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28.06.2016

EU-Kommission verlängert die Zulassung von Glyphosat

Der EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit Vytenis Andriukaitis hat am 28.06.2016 auf Nachfrage am Rande einer Pressekonferenz bestätigt, dass die Europäische Kommission die Zulassung von Glyphosat um 18 Monate verlängert. (http://bit.ly/293rRwn , 8'28 - 8'50, so auch die Presseagentur Reuters: http://reut.rs/298Yda4 ) - zwei Tage bevor die Zulassung ausgelaufen wäre. In dieser Zeit soll nun die Europäische Chemikalienagentur ECHA ihre Einschätzung der Substanz erarbeiten. Anschließend soll der Entscheidungsprozess um eine mögliche Neuzulassung von Glyphosat fortgesetzt werden.

Übersicht

     

  • Dr. Horst-Henning Steinmann, Zentrum für Biodiversität und Nachhaltige Landnutzung, Universität Göttingen
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  • Prof. Dr. Daniel Dietrich, Leiter der Arbeitsgruppe Human- und Umwelttoxikologie, Universität Konstanz
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  • Prof. Dr. Dr. Wolfgang Dekant, Lehrstuhl für Toxikologie, Universität Würzburg
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  • Prof. Dr. Heinz Köhler, Leiter der Arbeitsgruppe Physiologische Ökologie der Tiere, Institut für Evolution und Ökologie, Universität Tübingen
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  • Prof. Dr. Rita Triebskorn, Leiterin der Arbeitsgruppe Physiologische Ökologie der Tiere, Institut für Evolution und Ökologie, Universität Tübingen
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  • Prof. Dr. Christoph Schäfers, Bereichsleiter Angewandte Oekologie, Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME, Schmallenberg
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Dr. Horst-Henning Steinmann

Zentrum für Biodiversität und Nachhaltige Landnutzung, Universität Göttingen

„Bei der Verlängerung um 18 Monate handelt es sich um einen klassischen Kompromiss, um dem Verfahren noch eine Chance zu geben. Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) spielt ja eigentlich im Pflanzenschutzverfahren gar keine Rolle. Daher ist nicht leicht absehbar, wie sie die Daten auslegen wird. Im Kern wird es wieder um die Frage gehen, ob eine inhärente Gefahr des Stoffes bewertet wird oder ein Risiko, das abschätzt, inwieweit Menschen tatsächlich dem Stoff ausgesetzt sind. Man sollte nicht den Eindruck vermitteln, dass nun bis zur ECHA-Bewertung wichtige neue Fakten bekannt werden. Die ECHA kann auch nur wieder auf die bestehenden Daten zurückgreifen, wie auch zuvor schon die anderen Behörden. Nach allem, was man derzeit weiß, sind andere Wirkstoffe, die als Totalherbizide in Frage kommen, deutlich ungünstiger hinsichtlich ihrer Nebenwirkungen als Glyphosat. Das vor einigen Jahren noch hoch als Alternative zu Glyphosat gehandelte Glufosinat dürfte künftig kaum Chancen auf breite Zulassungen in der EU haben.“

Prof. Dr. Daniel Dietrich

Leiter der Arbeitsgruppe Human- und Umwelttoxikologie, Universität Konstanz

„Dies (inwiefern wissenschaftliche Erkenntnisse Berücksichtigung bei den Entscheidungen zur befristeten Verlängerung der Zulassung von Glyphosat in der EU fanden, Anm. d. Red.) ist recht schwierig zu beurteilen, da ich keinen Einblick in die Beurteilungsgrundlagen der einzelnen Länder habe. Ein Expertenstreit als solcher besteht nicht! Die Kommunikation unter Einbezug aller wissenschaftlichen Grundlagen und Daten zu Glyphosat durch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sowie die Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) weist klar darauf hin, dass unter den derzeitigen Nutzungsbedingungen keine Gefahr für den Menschen besteht bzw. auch kein erhöhtes Krebsrisiko. Dies mag a priori der ursprünglichen Beurteilung der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) widersprechen, ist aber darauf zurückzuführen, dass die IARC leider eine unvollständige und einseitige Datenbetrachtung sowie unklare Kriterien bei der Beurteilung verwendet hat. Auch bei der Einstufung des ,Krebsrisikos‘ bleibt die IARC äußerst vage in dem sie sagt, dass Glyphosat ,generell krebserregend sein kann‘, ohne jedoch das Risiko einer Exposition des Menschen in Betracht zu ziehen.“

„Die Kommission spielt den ,schwarzen Peter‘ der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zu, um eine ,wissenschaftlich fundierte Entscheidung‘ herbeizuführen. Tatsache ist, dass drei unabhängige Expertenkommissionen Glyphosat beurteilt haben; da wird auch die ECHA keine neuen Erkenntnisse gewinnen können.“

Auf die Frage, ob neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu Glyphosat zu erwarten seien:

„NEIN! Gerade was das ,Krebsrisiko‘ von Glyphosat anbelangt, sind ausreichend Studien vorhanden. Der Ruf nach mehr ,Wissen‘ von Barbara Hendricks (Bundesministerin für Umwelt, Anm. d. Red.) ist klare Parteipolitik. Sie möchte es sich mit den Grünen und der SPD nicht verscherzen. Das mag manchmal okay sein, wenn aber ganze Behörden (BfR, FAO/WHO oder EFSA) in ihrer Urteilsfähigkeit hinterfragt werden, ist dies nicht akzeptabel, da dieses Lavieren das Vertrauen der Öffentlichkeit gerade in diese Behörden und ihre Professionalität untergräbt.“

„Es gibt klar beschriebene Richtlinien zur Zulassung für alle Pestizide; da stellt Glyphosat keine Ausnahme dar. Der große Unterschied ist, dass zu Glyphosat eine große Menge an Umwelt- und Humandaten vorhanden sind, welche eine bessere Beurteilung und auch den Schluss zulassen, dass dieses Herbizid tatsächlich wenig umweltschädlich und gut abbaubar ist.“

Prof. Dr. Dr. Wolfgang Dekant

Lehrstuhl für Toxikologie, Universität Würzburg

„Die Entscheidung ist nur politisch durch die Patt-Situation bedingt. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse die Entscheidung einzelner Mitgliedsländer beeinflussen, ist nicht bekannt. Ich sehe die Standpunkte auch als rein politisch motiviert und sehe bei Berücksichtigung aller Daten keinen Streit zwischen Experten. Die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA), das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und die Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind eindeutig in ihrer Aussage zur Bewertung, und können keine Risiken für den Menschen bei zulassungsgemäßer Anwendung ableiten. Der Schluss der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC) zur ,Kanzerogenität‘ (krebserregende Wirkung, Anm. d. Red.) muss im Zusammenhang mit den Bedingungen der Bewertungen der IARC gesehen werden. Die von der IARC gemachten Eingruppierungen sagen nur, dass es Expositionsbedingungen geben kann, bei denen Glyphosat ,wahrscheinlich krebserzeugend‘ sein kann. Inwieweit diese Expositionsbedingungen für den Menschen Bedeutung haben und damit ein Gesundheitsrisiko darstellen, sagt die IARC nicht.“

„Dies ist meiner Einschätzung nach nur eine Lösung, um Zeit zu gewinnen und das Gesicht zu wahren. Wieso durch eine weitere Evaluierung durch die ECHA grundlegend neue Erkenntnisse zu erwarten sind, ist mir nicht logisch zu begründen. Der Datensatz ändert sich ja nicht. Das Grundproblem ist der Versuch, eine politische Entscheidung auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aufzubauen, ohne dass die Wissenschaft dies unterstützt. Ehrlicher wäre es zu sagen: Wir wollen kein Glyphosat, können unsere Haltung aber nicht wissenschaftlich untermauern.“

„Zur möglichen krebserzeugenden Wirkung von Glyphosat sind ausreichend viele Studien vorhanden. Da ein weiteres Experiment zur krebserzeugenden Wirkung selbst ohne die nötige Vorplanungsphase und die Auswertung danach mindestens zwei Jahre dauert, kann es innerhalb von 18 Monaten auch keine neuen Erkenntnisse zu dem umstrittenen Endpunkt geben. Neue Erkenntnisse sind selbst bei Durchführung einer weiteren Studie eher in einem Zeitraum von vier Jahren zu erwarten.“

„Bezüglich der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln gibt es genaue Vorgaben für die vom Hersteller einzureichenden Unterlagen zu Toxizität und Umweltverhalten. Daher ist der Informationsstand gleich. Glyphosat ist sehr wenig toxisch für den Menschen und für die Umwelt und auch sehr wenig stabil in der Umwelt.“

Prof. Dr. Heinz Köhler

Leiter der Arbeitsgruppe Physiologische Ökologie der Tiere, Institut für Evolution und Ökologie, Universität Tübingen

„Alle Breitbandherbizide, nicht nur Glyphosat, sollen per se die Beikrautflora reduzieren und führen daher zu einem Verlust der Artenvielfalt. Diese Verluste beziehen sich jedoch nicht nur auf diese direkte Wirkung, sondern insbesondere auch auf die Fauna, die von den bekämpften Pflanzenarten abhängen, sowie wiederum auf deren Fressfeinde, Parasiten etc. (indirekte Herbizidwirkung). Somit werden ganze Nahrungsnetze zerstört. Es gibt in der Literatur zahlreiche Beispiele für solche indirekten Wirkungen, die in den meisten Fällen Schmetterlinge betreffen (zusammengefasst u. a. in [1]). Glufosinat als weiteres Breitbandherbizid (bekannteste Formulierung: ,Basta‘) ist somit keine wirkliche Alternative zu Glyphosat. Beide Wirkstoffe greifen in den Syntheseweg von Aminosäuren ein, wobei die betroffenen Biosynthesewege jedoch unterschiedlich sind. Glyphosat greift in den Shikimat-Weg (der zur Synthese von Phenylalanin, Tryptophan und Tyrosin führt) ein, wohingegen Glufosinat die Glutaminsynthetase hemmt. In beiden Fällen sind gentechnisch veränderte Nutzpflanzen bekannt, die gegen das jeweilige Herbizid resistent sind – mit potenziell den für Glyphosat bekannten gesellschaftlichen Folgen in Nordamerika und vielen Ländern der Dritten Welt. Wurde Glyphosat in einer Metastudie als potenziell kanzerogen eingestuft, so gilt Glufosinat als reproduktionstoxisch und ist aus diesem Grund in der EU ebenfalls aktuell in Diskussion.“

Prof. Dr. Rita Triebskorn

Leiterin der Arbeitsgruppe Physiologische Ökologie der Tiere, Institut für Evolution und Ökologie, Universität Tübingen

„Es gibt keinen Expertenstreit, sondern einen Streit zwischen den Interessen der Industrie (inklusive der Wissenschaftler, die von dieser finanziert werden) und der ,sauberen' Wissenschaft. Viele wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass sowohl der Wirkstoff als auch die Inhaltsstoffe der Formulierungen problematisch sind. Sowohl gesundheitliche Risiken beim Menschen (Langzeiteffekte, vor allem auch aufgrund der starken Ansammlung überall – im Menschen und in der Nahrung) als auch in der Umwelt (ebenfalls Langzeiteffekte und indirekte Wirkungen) sind zum Teil gezeigt und dürfen deshalb nicht unbeachtet bleiben. Das Vorsorgeprinzip befiehlt, dass in diesem Fall gehandelt werden muss. Die EU hat dies nicht berücksichtigt.“

„Einige neue Aspekte wären sicherlich zu erarbeiten, wenn Geld für wirklich unabhängige Studien von Behörden zur Verfügung gestellt würde. Ergebnisse zu Langzeitfolgen werden in 18 Monaten nicht zu erhalten sein. Diese Langzeiteffekte sind aber die problematischen!“

„Glufosinat als Ersatz ist ebenfalls problematisch und deshalb keine Alternative. Es müssen neue integrierte Strategien für den Pflanzenschutzmittel-Einsatz entwickelt bzw. vorgeschrieben werden.“

Prof. Dr. Christoph Schäfers

Bereichsleiter Angewandte Oekologie, Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME, Schmallenberg

„Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) basierten ihre Entscheidung für eine befristete Verlängerung auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse nicht ausreichen, um eine Gefährdung darzustellen, kann das Vorsorgeprinzip aber darüber hinausgehen. Der Expertenstreit geht meines Erachtens um die Bewertung von Studienergebnissen im Bereich Gesundheit in Zusammenhang mit dem Vorsorgeprinzip.“

„Die EU-Kommission hat nur die Experten ihrer Behörden. Wenn sie den Prozessen innerhalb der EFSA nicht vollständig vertraut, möchte sie eine weitere Meinung einholen. Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) trifft ihre Entscheidung zur Klassifizierung allerdings vermutlich auf Basis höher aggregierter Informationen. Ich bin nicht sicher, ob sie der EFSA widersprechen will.“

„Grundsätzlich könnte aus den widersprüchlichen Studienergebnissen eine Prüfhypothese abgeleitet werden, die experimentell unter Aufsicht der Bewertungsbehörden getestet werden könnte. Die Einigung über eine derartige Studie und die Klärung ihrer Finanzierung, die Durchführung und Auswertung sind in 18 Monaten aber kaum zu schaffen.“

„Meines Wissens nach zeichnen sich alle chemische Alternativen durch größere Umweltrisiken aus. Deshalb rüttelt ein Glyphosat-Verbot an einem Grundpfeiler des chemischen Pflanzenschutzes.“

Mögliche Interessenkonflikte

Alle: Keine angegeben.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Köhler, H. R. et al. (2013): Wildlife ecotoxicology of pesticides—can we track effects to the population level and beyond? Science 341, 759-765, DOI: 10.1126/science.1237591. URL: http://1.usa.gov/29g2Fjn