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21.07.2021

Quantencomputer: Zeitplan, Meilensteine, Herausforderungen, Hype

Das Thema Quantencomputer und Quantentechnologien wird medial momentan viel behandelt. Kürzlich wurden große Fördermengen bekannt gegeben, Wissenschaftsprojekte werden gestartet und Fortschritte verkündet. Universitäten, internationale Forschungsgemeinschaften, Start-ups und Tech-Giganten sind involviert.

Doch außerhalb des Fachbereichs scheint manchmal nicht klar, was Marketing und Hype ist – und was eine realistische Darstellung des Potenzials und der Möglichkeiten, die diese Technologie in absehbarer Zukunft bietet. So ist zum Beispiel die bloße Fokussierung auf die Zahl von verwendeten Qubits als Kennziffer für den Fortschritt der Technologie oft nicht sinnvoll – sie wird aber von Firmen gerne in der Selbstdarstellung verwendet und aufgrund ihrer Greifbarkeit medial auch aufgenommen.

Dass das Thema selbst komplex und für Laien wenig intuitiv ist, trägt dazu bei, ausgewogene und evidenzbasierte Berichterstattung zu erschweren.

Aus diesem Grund möchte das SMC mit diesen Einschätzungen von Expertinnen und Experten einen Eindruck über den Stand der Forschung in diesem komplexen Themenfeld liefern, insbesondere zu Fortschritten, Potenzial und Herausforderungen.

Die Redaktion des SMC hat folgende Fragen gestellt:

1. Gibt es einen wissenschaftlich anerkannten Zeitplan darüber, welche nächsten entscheidenden Fortschritte bei der Forschung und Entwicklung zu Quantencomputern gemacht werden müssten? Wie ist der Stand im Feld derzeit?

2. Was wären erkennbare Meilensteine? Da die pure Fixierung auf Qubits oft nicht sinnvoll ist – welche zentralen Kriterien zum Erkennen von Fortschritt schlagen Sie in diesem Bereich vor?

3. Was wären für Sie in näherer Zukunft realistische Anwendungsfälle für Quantencomputer? Welche Vorstellungen sind unrealistisch?

4. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen derzeit, welche Hürden verhindern den weiteren Fortschritt?

5. Welche klassischen Fallstricke fallen Ihnen bei der Berichterstattung über dieses Thema auf? Worauf sollten Journalistinnen und Journalisten achten, um echte Durchbrüche vom Hype unterscheiden zu können?


Übersicht

     

  • Prof. Dr. Peter Zoller, Professor für Theoretische Physik, Center for Quantum Physics, Universität Innsbruck, und Forschungsleiter am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Innsbruck, Österreich
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  • Prof. Dr. Stefanie Barz, Professorin für Quantum Information & Technology, Institut für funktionelle Materie und Quantentechnologien, Universität Stuttgart
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  • Prof. Dr. Frank Wilhelm-Mauch, Leiter des Instituts für Quantencomputer-Analytik, PGI-12, Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ)
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  • Prof. Dr. Tommaso Calarco, Direktor des Bereichs Quantum Control, Peter Grünberg Institut (PGI-8), Forschungszentrum Jülich GmbH (FZJ)
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Statements der Expertin und der Experten zu den Fragen

1. Gibt es einen wissenschaftlich anerkannten Zeitplan darüber, welche nächsten entscheidenden Fortschritte bei der Forschung und Entwicklung zu Quantencomputern gemacht werden müssten? Wie ist der Stand im Feld derzeit?


Prof. Dr. Peter Zoller

„Das langfristige Ziel ist der frei programmierbare Quantencomputer, welcher zu einer großen Zahl von Quantenbits skaliert und fehlertolerant Quantenrechnungen ausführen kann. Er wird benötigt, um die von der Quanteninformatik anvisierten Quantenalgorithmen ausführen zu können, mit denen Quantenrechner gegenüber klassischen Computern ihre Vorteile ausspielen können. Beispiele solcher Anwendungen sind der Shor Algorithmus, Optimierungsprobleme oder Anwendungen in der Quantenchemie. Davon sind wir heute allerdings noch weit entfernt.“

„Die Entwicklung des Quantencomputer ist letztlich eine Entwicklung von Quantenhardware. Heute gibt es erste Quantencomputer auf verschiedenen technischen Plattformen, wobei besonders gespeicherte Ionen und supraleitende Schaltkreise zu den führenden Systemen zählen. Diese Quantenrechner verfügen momentan über rund 50 Quantenbits zum Rechnen, wobei die Fehlerraten pro Quanten(rechen)-Operation im Bereich von einem Prozent liegen. Man bezeichnet diese Systeme als Noisy Intermediate Scale Quantum (NISQ) Devices. Diese Quantencomputer operieren in einem Bereich, wo man zum ersten Mal in ein Gebiet vorstößt, in dem man einen Quantenvorteil relativ zu klassischen Computern zeigen kann. Die große Herausforderung zurzeit ist, mit NISQ Devices auch praktisch relevante Probleme zu lösen, wo ein Quantenvorteil zum Tragen kommt. Letztlich müssen dazu aber eher Hunderte von Qubits und Fehlerraten im Promillebereich erreicht werden. Die angestrebte Skalierbarkeit von Quantencomputern verlangt langfristig aber auch Fehlerkorrektur von Qubits und Quantengattern, das heißt es werden Fehler während der Berechnung korrigiert. Das erhöht die notwendige Zahl von Qubits dramatisch, weil dazu physikalische Qubits zu logischen Qubits zusammengefasst werden müssen. Dadurch steigt die Anforderung in den Bereich von Zigtausenden, wenn nicht Millionen Quantenbits. Zurzeit ist das außerhalb unserer Reichweite, auch wenn die Bausteine dazu im Labor zum guten Teil gezeigt wurden. Die Details hängen aber von der Quantenhardware ab, und es bietet sich hier Spielraum für neue physikalische Ansätze.“

„Mit Quantencomputern für spezielle Anwendungen gibt es aber auch näherliegende und realistischere Ziele. Ein Beispiel ist der analoge Quantensimulator, der bereits jetzt zu großen Zahlen von Quantenbits skaliert, wenn auch ohne Fehlerkorrektur. Hier können schon heute Probleme der Quantenphysik wie etwa Quantenmaterialien und vielleicht auch quantenchemische Probleme gerechnet werden, mit denen man in Bereiche vorstößt, die über den Möglichkeiten klassischer Computer liegen. Solche Spezial-Quantencomputer sind aber auch für die Lösung von Optimierungsproblemen sehr interessant. Eine vielversprechende Forschungsrichtung sind sogenannte hybride Algorithmen für klassische Rechner, die die Berechnung von Spezialaufgaben auf Quantensimulatoren als Quanten-Coprozessoren auslagern.“

Prof. Dr. Stefanie Barz

„Einen Quantencomputer zu bauen, ist eine Aufgabe mit hohem Risiko, vielen Herausforderungen und – nicht zuletzt – auch offenen Fragen in der Grundlagenforschung.“

„Einen möglichen realistischen Zeitrahmen gibt die Roadmap Quantencomputing [1], die von einem Expert*innenkreis aus Wissenschaft und Industrie im Auftrag der Bundesregierung erstellt wurde. Als ein Ziel wird darin genannt, in fünf Jahren in Deutschland international wettbewerbsfähige Quantenrechner mit mindestens 100 individuell ansteuerbaren Qubits und Skalierungspotenzial zu erreichen.“

„Dabei gibt es aktuell mehrere physikalische Systeme, die Kandidaten für einen skalierbaren Quantencomputer sind. Beispiele sind supraleitende Qubits, Ionen, Neutral-Atome, Spin-Qubits oder Photonen. Jedes der Systeme hat eigene Herausforderungen und daher können die Systeme nicht direkt miteinander verglichen werden.“

„Wichtig ist jedoch, dass man sich für jedes System am jeweiligen internationalen Stand der Forschung orientiert – und anstrebt, diesen zu erreichen beziehungsweise zu übertreffen.“

Prof. Dr. Frank Wilhelm-Mauch

„Ein genauer Zeitplan ist schwierig, denn zur wirklichen Skalierung zu Quantencomputern müssen noch harte Nüsse geknackt werden. Es gibt aber eine Reihenfolge wie sie zum Beispiel in der BSI-Studie [2] oder in der strategischen Forschungsagenda der EU [3] beschrieben wird:
a) Die Grundfunktionen von Qubits wie in den DiVincenzo-Kriterien beschrieben
b) Hohe Fidelitäten (also geringer Fehler) getestet durch Benchmarking-Algorithmen
c) Quantenüberlegenheit für ein künstliches Benchmark / effektive Quantenfehlerkorrektur
d) Quantenüberlegenheit für Anwendungen / Fehlerkorrigierte Gatter
e) Universelle, fehlerkorrigierte Quantenalgorithmen“

„Bei c) und d) gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen, Stichwort Noisy Intermediate-Scale Quantum (NISQ) und Fehlerkorrektur.“

„Die Community steht gerade bei c) (bei Ionenfallen und Supraleitern) und will d) erreichen. Dazu müssen bei Supraleitern die Fehlerraten reduziert und die Qubitzahl erhöht werden, was vermutlich materialwissenschaftliche Fortschritte erfordert. Bei Ionen muss die Qubitzahl erhöht werden, ohne die Fidelitäten zu verschlechtern.“

Prof. Dr. Tommaso Calarco

„Es gibt grobe Zeitpläne auf verschiedenen Ebenen, zum Beispiel die Strategic Research Agenda des EU Quantum Flagship Projekts [3], oder die Roadmap Quantencomputing des nationalen Expertenrats [1], an deren Erstellung ich auch beteiligt war.“

„Dabei ergibt es Sinn, nach kurzfristig (innerhalb von fünf Jahren), mittelfristig (in fünf bis zehn Jahren) und langfristig (in über zehn Jahren) erreichbaren Meilensteinen zu unterscheiden.“

„Ein wichtiger Meilenstein auf Hardware-Ebene ist die Verbesserung der Fehlerkorrektur. Google hat da kürzlich für die Plattform der supraleitenden Qubits einen guten Ansatz geliefert [4][5]. Für andere Plattformen wie solche auf Basis von Neutralatomen, Ionen, Halbleitern oder Photonik sind solche Fortschritte noch wichtig. Da wird sich noch zeigen, bei welcher Plattform die mit Fehlerkorrektur erreichte Genauigkeit derer am nächsten kommt, die man für fehlertolerante Quantencomputer braucht. Da sind in den nächsten Jahren noch einige Fortschritte zu erwarten.“

„Der nächste auf Software-Ebene ausstehende Meilenstein sind erste Beispiele für praktisch nutzbare Anwendungen, bei denen Quantencomputer einen Vorteil liefern. Bisherige Experimente zur Quantenüberlegenheit haben zwar großen wissenschaftlichen Wert, befassten sich aber mit konstruierten Problemen – hatten also noch keinen praktischen Nutzen. Daher gilt es, auf Software-Ebene herauszufinden, wie der nächste Schritt nach der Quantenüberlegenheit – der Quantenvorteil, praktischer Nutzen – erreicht werden kann. Auch hier erwarten wir in den nächsten Jahren entscheidende Fortschritte.“

2. Was wären erkennbare Meilensteine? Da die pure Fixierung auf Qubits oft nicht sinnvoll ist – welche zentralen Kriterien zum Erkennen von Fortschritt schlagen Sie in diesem Bereich vor?


Prof. Dr. Peter Zoller

„Die Zahl der Qubits allein ist sicher nicht das Maß der Dinge. Die Herausforderung ist viel eher, die erforderliche Zahl der Quantengatter, die auf diese Qubits operieren, mit hoher Genauigkeit auszuführen.“

„Ein wichtiger Meilenstein wird die Realisierung von Quantenfehlerkorrektur sein – mit einem sogenannten logischen Quantenbit, das während der Berechnung korrigiert wird und dabei geringere Fehlerraten aufweist als die Komponenten, aus denen es aufgebaut ist. Aus diesen logischen Qubits können dann größere Systeme aufgebaut werden. All diese Arbeiten werden längere Zeit benötigen. Tausende logische Qubits zu realisieren und dabei trotz wachsender Größe des Systems die notwendige Kontrolle zu erhalten, stellt eine erhebliche Herausforderung dar.“

„Mit wachsender Mächtigkeit der Quantenhardware stellt sich die Aufgabe, diese Quantenrechner zu verifizieren, also sicherzustellen, dass sie die Berechnungen richtig ausführen. Dies wird besonders im Bereich des Quantenvorteils, wo Überprüfungen mit klassischen Computern nicht mehr möglich sind, zur Herausforderung.“

„Softwareseitig gilt es neue Quantenalgorithmen zu entwickeln, die auf den heute vorhandenen NISQ Devices mit mehreren Hundert nicht fehlerkorrigierten Qubits laufen, also mit fehlerhafter Hardware noch sinnvolle Ergebnisse liefern.“

„Schließlich sollte man Anwendungen von Quantencomputern durchaus in einem weiteren Rahmen sehen: In der Quantenkommunikation erlauben kleine Quantencomputer die Realisierung von Quanten-Repeatern zur Fehlerkorrektur in Quantennetzwerken. Aber auch programmierbare Quantensensoren sind denkbar, die mit einer kleinen Zahl von Qubits auskommen können.“

Prof. Dr. Stefanie Barz

„Neben der Anzahl der Qubits sind Kriterien wie die Art und Qualität der Gatter oder Operationen, die Konnektivität, das Potenzial zur Fehlerkorrektur und die prinzipielle Skalierbarkeit wichtige Parameter.“

„Das heißt: Eine große Anzahl an Qubits, die nicht individuell adressierbar sind, ergeben noch keinen sinnvollen Quantencomputer.“

„Neben der reinen Hardware ist es auch wichtig, die Software beziehungsweise Quantenalgorithmen zu betrachten. Um einen Quantenvorteil zu erreichen, braucht man – neben der Quantenhardware, dem Quantencomputer – auch spezielle Algorithmen, die auf dieser Hardware operieren. Diese Algorithmen nutzen die speziellen Eigenschaften der Quantenphysik aus und erreichen dabei einen Quantenvorteil.“

„Ein solcher Quantenvorteil muss nachweisbar sein – das heißt, man muss zeigen können, dass ein bestimmtes Problem auf einem Quantencomputer beweisbar besser gelöst werden kann.“

„Dies wurde bisher überhaupt nur für zwei Arten von Systemen gezeigt: supraleitende Qubits und photonische Systeme. Die Problemstellung, für die ein Quantenvorteil gezeigt wurde, war hier ein rein ‚akademisches‘ Problem ohne konkrete Anwendung.“

„Einen echten Quantenvorteil für eine praktische Anwendung zu zeigen, ist die große Herausforderung und auch ein großer Meilenstein.“

Prof. Dr. Frank Wilhelm-Mauch

„Quantencomputer sind reif genug, dass mehrere Benchmarks unterschiedliche Aussagen liefern, das heißt die Standortbestimmung ist anwendungsabhängig. Ein halbwegs generelles Benchmark ist das Quantenvolumen, ansonsten sollte man Time-to-solution bei mindestens einem variationellen (wie zum Beispiel Variational Quantum Eigensolver (VQE) für Benchmarkmoleküle) und einem nicht-variationellen Algorithmus (wie zum Beispiel Shor) anschauen.“

Prof. Dr. Tommaso Calarco

„Wie bereits erwähnt sind erkennbare Meilensteine in nächster Zeit die Verbesserung der Fehlerkorrektur – auf Hardware-Ebene – sowie das Erreichen des Quantenvorteils und Beispiele für praktisch nutzbare Anwendungen – auf Software-Ebene.“

„Darüber hinaus ist auf Hardware-Seite nicht nur Fehlerkorrektur, sondern auch Fehlertoleranz wichtig. Das ist der nächste Meilenstein. Von Fehlertoleranz spricht man, wenn man Qubits nicht nur korrigieren, sondern auch manipulieren kann. Man kann dann Operationen zwischen den fehlerkorrigierten Qubits durchführen und diese miteinander verbinden.“

„Diese Meilensteine hängen zum Teil voneinander ab, zum Teil sind sie aber auch unabhängig voneinander. Im Bereich der Quantensimulation wurde gezeigt, dass wir auch ohne Fehlerkorrektur oder -toleranz bei Problemen der Chemie oder der Materialwissenschaften einen Quantenvorteil erreichen können.“

„Die Kombination aus der Anzahl der Qubits und der Genauigkeit der Kontrolle kann ein gutes Kriterium zum Erkennen von Fortschritt in dem Bereich sein. Niedrige Fehlerraten sind unbedingt notwendig, da man am Ende einer Rechnung noch zuverlässig sagen können muss, dass die gegebene Antwort richtig ist. Kurz: Wir brauchen viele Qubits und gute Qubits.“

3. Was wären für Sie in näherer Zukunft realistische Anwendungsfälle für Quantencomputer? Welche Vorstellungen sind unrealistisch?


Prof. Dr. Peter Zoller

„Die natürlichsten Anwendungen von Quantencomputern und Quantensimulatoren sind Anwendungen in der Quantenphysik selbst. Dazu gehört die Modellierung von Quantenmaterialien und Quantenchemie, bis hin zu Berechnungen in der Hochenergiephysik. Hier werden wir wohl in den kommenden Jahren Beispiele sehen, bei denen für relevante Probleme ein Quantenvorteil erzielt werden kann.“

„Alle Anwendungen, die einen fehlertoleranten, skalierbaren Quantencomputer voraussetzen, werden wohl noch auf sich warten lassen.“

Prof. Dr. Stefanie Barz

„Eine ganz klar unrealistische Vorstellung besteht darin, dass Quantencomputer klassische Computer ersetzen und für die allgemeine Informationsverarbeitung eingesetzt werden.“

„Vielmehr ist wahrscheinlich, dass Quantencomputer – ähnlich wie heutige Supercomputer – in spezialisierten Rechenzentren betrieben werden und bei der Berechnung spezieller Probleme einen Vorteil bieten könnten.“

„Weiterhin ist ein realistisches Szenario, dass Quanten- und klassische Algorithmen kombiniert werden. Das heißt, dass zum Beispiel Quantenroutinen für Teilprobleme in klassische Algorithmen eingebaut werden und so ein bestimmtes Teilproblem lösen.“

„Beispiele für realistische Anwendungsfälle sind die Simulation von Molekülen oder bestimmte Optimierungsprobleme.“

Prof. Dr. Frank Wilhelm-Mauch

„Chemie und Materialwissenschaft – hier ist der Unterschied zwischen künstlichem und angewandtem Quantenvorteil vermutlich am geringsten. Auch zeitkritische (aber recht kleine) KI-Instanzen sind denkbar. Quanten ‚Big Data‘ ist unrealistisch und Kryptanalyse dauert noch lange genug, dass man sich darauf einstellen kann, wenn man jetzt startet.“

Prof. Dr. Tommaso Calarco

„Bei der Simulation von Chemikalien und neuen Materialien kann es sinnvolle Anwendungen für Quantencomputer geben – insbesondere bei der Entwicklung neuer sowie dem besseren Verständnis von bekannten Chemikalien und Materialien. Es ist realistisch, dass sich in dem Bereich mittelfristig Anwendungen ergeben.“

„Unrealistisch ist es zum Beispiel, in diesem Zeitraum mit Anwendungen aus den Bereichen Wettervorhersage oder Klimawandel zu rechnen. Aussagen dazu wären ungerechtfertigter Hype. Vielleicht werden wir in der Zukunft Algorithmen entwickeln, die Anwendungen in diesen Bereichen erlauben, das möchte ich nicht ausschließen. Heutzutage sind solche Algorithmen aber nicht bekannt, weshalb solche Erwartungen derzeit nicht gerechtfertigt wären.“

„Um das kurz zu erklären: Quantensimulatoren setzen wir in Bereichen ein, in denen wir uns dadurch einen Vorteil gegenüber klassischen Supercomputern erhoffen. Einen solchen Vorteil gibt es vor allem bei der Simulation von Quantensystemen, da ein anderes Quantensystem – also der Quantensimulator – dessen Dynamik gut simulieren kann. Und Chemikalien und Materialien funktionieren auf Molekülebene, auf Basis von Gesetzen der mikroskopischen Quantenmechanik. Für Wettersimulationen hingegen ist die makroskopische Ebene relevant. Diese wird eher durch Gesetze der klassischen Mechanik bestimmt. Und da sich durch die Simulation von Systemen der klassischen Mechanik durch Quantensimulatoren kein Vorteil ergibt, sind diese nicht prädestiniert für solche Anwendungen.“

„Aber es gibt auch spezifische Probleme aus dem ‚normalen‘ Leben, die man mit Quantencomputern besser lösen kann. Dazu zählen Optimierungsprozesse, Scheduling und das Berechnen einer optimalen Route.“

„Es könnten natürlich immer Durchbrüche kommen, die zeigen, dass Quantencomputer auch andere Problemklassen gut lösen können. Aber aufgrund der oben beschriebenen grundsätzlichen Affinität von Quantencomputern für spezielle Problemklassen ist bei angeblichen Anwendungsmöglichkeiten bei anderen Problemen immer etwas Skepsis angebracht.“

4. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen derzeit, welche Hürden verhindern den weiteren Fortschritt?


Prof. Dr. Peter Zoller

„Die physikalischen Grundlagen und Konzepte für den Quantencomputer sind heute vorhanden. Viele der kommenden Fortschritte werden technologischer Natur sein und entsprechende Ingenieurskunst erfordern, so wie es schon die Entwicklung von Elektronik, Laser, Detektoren oder neuen Materialien in der Vergangenheit gezeigt hat. Andererseits ist der Bau eines Quantencomputers sicher noch kein reines Ingenieurproblem. Auf Seiten der Grundlagenforschung kann es hier durchaus noch zu Überraschungen kommen.“

Prof. Dr. Stefanie Barz

„Herausforderungen bestehen sowohl auf der Seite der Hardware als auch der Software. Auf Seiten der Hardware – die aktuell die meiste Medienpräsenz einnimmt – ist das Ziel, ein sehr gut kontrollierbares Quantensystem zu realisieren. Dies soll zum einen eine große Zahl Qubits haben, gleichzeitig muss es aber auch andere Eigenschaften erfüllen, zum Beispiel gut ansteuerbar sein, wenig Rauschen haben, langzeitstabile Zustände haben, skalierbar sein und mehr. Aktuell hat jede physikalische Plattform Hürden, die überwunden werden müssen. Diese können sehr unterschiedlich geartet sein – das Überwinden der Hürden verlangt eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Fachdisziplinen – Physik, Elektrotechnik, Informatik und weitere – da Schwierigkeiten überwiegend an den Schnittstellen der Gebiete auftreten und verschiedene Fertigkeiten erfordern.“

„Gleichzeitig ist die Erforschung von Quantenalgorithmen mit Quantenvorteil eine Herausforderung. Das Hauptziel ist, einen echten Quantenvorteil zu erreichen, also ein Problem nachweisbar effizienter zu lösen. Aktuell gibt es eine Reihe theoretischer Algorithmen, die einen solchen Quantenvorteil ermöglichen, zum Beispiel für die Zerlegung von Zahlen in Primfaktoren oder das Lösen von Gleichungssystemen. Eine breite Anwendung von Quantencomputern erfordert weitere Quantenalgorithmen, die einen Vorteil für bestimmte Anwendungen zeigen.“

„Besonders wichtig ist hier, dass Quantenhardware und -software als Einheit gesehen werden müssen. Es braucht ein Co-Design von Hard- und Software und auch hier die enge Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Gebieten, um einen Quantencomputer mit Quantenvorteil zu realisieren.“

„Eine besonders wichtige Komponente in der erfolgreichen Realisierung von Quantencomputern ist die Zusammenarbeit von Universitäten, Forschungseinrichtungen und Industrie. Die jeweiligen Stärken der einzelnen Akteure müssen zusammengebracht und zielführend, sowie gewinnbringend genutzt werden.“

Prof. Dr. Frank Wilhelm-Mauch

„Die größte Herausforderung sind zurzeit bessere Materialien für eine geringere Fehlerrate sowie eine skalierbare Kalibrierung.“

„Die größte Hürde momentan ist das Unterschätzen der Herausforderung und Fragmentierung der Community – auch in Zeiten früher Kommerzialisierung sollten wir offen zusammenarbeiten.“

Prof. Dr. Tommaso Calarco

„Im Software-Bereich ist die nächste Herausforderung, neue Algorithmen für neue Klassen von Problemen herzustellen.“

„Auf Hardware-Ebene ist die Skalierung auf eine große Anzahl von Qubits die nächste große Herausforderung. Das ist harte Ingenieursarbeit.“

5. Welche klassischen Fallstricke fallen Ihnen bei der Berichterstattung über dieses Thema auf? Worauf sollten Journalistinnen und Journalisten achten, um echte Durchbrüche vom Hype unterscheiden zu können?


Prof. Dr. Peter Zoller

„Es ist verlockend, die zahlreichen Paradoxa der für die Laien unverständlichen Quantenphysik in den Vordergrund zu rücken. Manche rücken dabei das ganze Feld in den Bereich der Mystik. Tatsache ist, dass die Quantenphysik oft mit Bildern und Phänomenen außerhalb unserer klassischen Vorstellungswelt überrascht, aber letztlich sind die Gesetze der Quantenphysik begreifbar und in der Praxis anwendbar.“

„Quantencomputer werden häufig auf einfache Zahlen reduziert: Zum Beispiel sagt die Zahl der Qubits nichts aus, wenn man nicht gleichzeitig auch die Zahl und Qualität der Rechenoperationen angibt.“

„Grundsätzlich sollte uns klar sein, dass der Quantenvorteil gegenüber klassischen Computern und damit die Anwendungen von Quantencomputern vermutlich in sehr speziellen Problemstellungen liegen werden. Gleichzeitig sollte nicht nur die Entwicklung des Quantencomputers im Zentrum der Diskussion stehen. Es gibt viele Anwendungen – gerade in Zusammenhang mit Quantensimulatoren, Quantenkommunikation und Quantensensoren – die weniger glorreiche aber dafür umso näherstehende Anwendungen finden werden.“

Prof. Dr. Stefanie Barz

„Häufig wird in der Berichterstattung vom DEM Quantencomputer gesprochen. Dabei ist aktuell aus wissenschaftlicher Sicht absolut nicht geklärt, wie ein Quantencomputer mittel- und langfristig aussehen wird – beziehungsweise welche Technologie dir vorherrschende sein wird.“

„Aktuelle Quantencomputer gibt es basierend auf sehr vielen physikalischen Systemen. Wer das Rennen gewinnen wird, oder ob der Quantencomputer doch anders aussehen wird, ist aktuell noch eine offene Frage.“

„Weiterhin ist Quantencomputing eine Hochrisikotechnologie. Aktuelle Quantencomputer können die allgemeinen Funktionsprinzipien zeigen, sind aber noch zu klein, um einen wirklichen Quantenvorteil für ein tatsächlich relevantes Problem zu haben. Dies wird auch noch eine Zeit dauern – und erste Anwendungen werden mit ziemlicher Sicherheit spezialisierte Probleme in der Forschung und Entwicklung sein.“

„Oft wird suggeriert, dass Quantencomputer ‚deutlich schnellere‘ Computer sind, die aktuelle Rechner ablösen, oder dass Quantencomputer Probleme lösen können, die klassische Computer nicht lösen können. Beides ist falsch. Quantencomputer beziehungsweise Quantenalgorithmen können für ganz bestimmte Problemstellungen einen sogenannten Quanten-Vorteil zeigen. Das heißt, dass bestimmte Probleme schneller, also in weniger Rechenschritten gelöst werden können. Je größer nun das Problem, desto weiter klaffen die Rechenzeiten zwischen klassischen und Quanten-Computern auseinander – irgendwann erreichen dabei klassische Computer beziehungsweise Algorithmen Rechenzeiten, die nicht mehr realisierbar sind.“

„Um einen echten Durchbruch vom Hype unterscheiden zu können, ist es ebenfalls wichtig, eine Aussage im Gesamtzusammenhang zu betrachten.“

„Qualitätskriterien sind zum Beispiel der Hinweis auf eine Publikation in einem Journal mit Peer-Review, nachweisbare Expertise der Person im Feld und insbesondere auch eine Verifizierung von Aussagen durch unabhängige dritte Expert*innen.“

Prof. Dr. Frank Wilhelm-Mauch

„Ein möglicher Fallstrick ist, dass unterschätzt wird, wie sehr Hardware und Software verknüpft sind, jedenfalls wenn man die Hardware optimal nutzen möchte.“

„Berichte über Softwareinnovationen sagen nicht immer klar, wie groß die Quantenbeschleunigung ist. Nur, weil man eine Aufgabe auf einen Quantencomputer gebracht hat, heißt das noch nicht, dass das schneller ist als auf einem klassischen Computer.“

„Beim Überspringen von Entwicklungsschritten – wenn eine technische Vereinfachung (höhere Temperatur, integrierte Steuerung, hohe Integration) vorgestellt wird – wird das Fehlerbudget oft nicht beschrieben. Und das sieht oft schlecht aus. Hier werden Level d) Innovationen (siehe oben) vor Level b) gemacht.“

„Ein weiteres mögliches Problem ist die Überbetonung der Qubit-Anzahl. Es wurden bereits in den 90er-Jahren Tausende von Josephsonkontakten auf einen Chip gepackt. Das ist also bekannt – nur waren die eben keine Qubits.“

Prof. Dr. Tommaso Calarco

„Ein Fallstrick kann sein, nur einen Teil der ganzen Geschichte abzubilden. Ein typisches Beispiel ist dabei die Beschränkung auf die Anzahl von Qubits. Auch wenn der direkte Vergleich von Qubit-Zahlen natürlich verlockend ist, sagen diese noch nichts zu wichtigen Aspekten wie der Fehlerkorrektur aus.“

„Ein anderer Aspekt ist, dass man zwischen Hype und Pressemitteilungen oft geneigt ist, große Aussagen über Quantencomputer schnell zu glauben, insbesondere wenn es darum geht, welche Probleme sie lösen können. Quantencomputer können nicht alle Probleme lösen. Man kann mittlerweile online gute Informationsquellen finden [5][6][7], in denen steht, für welche Problemklassen es Algorithmen für Quantencomputer bereits gibt, für welche nicht und für welche mögliche Algorithmen erwartet werden. So kann man kontrollieren, inwiefern eine Aussage, dass Quantencomputer ein bestimmtes Problem lösen können, momentan wissenschaftlich plausibel erscheint.“

„Natürlich ist es in diesem Forschungsbereich schwierig, das ohne Referenz einzuschätzen. Aber das soll nicht heißen, dass das nur Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Quantenphysik beurteilen können. Mit den richtigen Informationsquellen können Journalistinnen und Journalisten auch prüfen, ob ein angeblich lösbares Problem auf der Liste von bekanntermaßen durch Quantencomputer gut lösbaren Problemen steht und so gegebenenfalls die richtigen Nachfragen stellen.“

„Und wenn man sieht, dass beispielsweise große Konzerne vor allem Aussagen zur Anzahl der Qubits in ihren Systemen treffen, aber kaum oder gar keine Aussage zur Fehlerkorrektur – also der Güte der Qubits – kann man daraus auch gewisse Schlüsse ziehen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Peter Zoller: „Peter Zoller ist Gesellschafter der Alpine Quantum Technologies (AQT) GmbH sowie der Institut für Quantenphysik GmbH.“

Prof. Dr. Stefanie Barz: „Prof. Dr. Stefanie Barz war Mitglied der Expertenkommission ‚Quantencomputing‘ der Bundesregierung. Ihre Forschungsprojekte zum Thema Quantentechnologien werden durch das BMBF, BMWi, das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, sowie die Zeiss-Stiftung gefördert. Prof. Dr. Stefanie Barz ist Mitglied des Vorstandes des Zentrums ‚Center for Integrated Quantum Science and Technology (IQST)‘.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die von der Expertin und den Experten zitiert wurden

[1] Expertenrat „Quantencomputing“ (2021): Roadmap Quantencomputing.

[2] Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (2020): Status of quantum computer development - Entwicklungsstand Quantencomputer.

[3] Europäische Kommission, Quantum Flagship (2020): Strategic Research Agenda.

[4] Kelly J et al. (2021): Exponential suppression of bit or phase errors with cyclic error correction. Nature. DOI: 10.1038/s41586-021-03588-y.

[5] qt.eu. Homepage der Quantum Flagship Initiative.

[6] Bundesministerium für Bildung und Forschung: Quantentechnologien.

[7] Helmholtz: Quantentechnologie.

Weitere Recherchequellen

Science Media Center (2021): Steht der Quantenrechner vor der Tür? Forschung, Förderung und Blick in die Zukunft bei Quantentechnologien. Press Briefing. Stand: 12.04.2021.

Science Media Center (2021): Fehlerkorrektur bei Quantencomputern: Durchbruch?