Zum Hauptinhalt springen
19.12.2016

Sterblichkeitsrate nach Behandlung durch Ärztin oder Arzt

Sind Frauen die besseren Ärzte? Womöglich ja – zumindest bei älteren, amerikanischen Patienten im Krankenhaus, genauer auf der Station der Inneren Medizin. Das behauptet eine Beobachtungsstudie der Harvard University, die am Montag, 19.12.2016, in „JAMA Internal Medicine“ publiziert wurde (*Primärquelle). Die Ergebnisse in Kürze: Ältere, amerikanische Patienten, die von einer Internistin im Krankenhaus behandelt wurden, hatten eine signifikant geringere Sterberate für die nachfolgenden 30 Tage (11,07 %) als Patienten, die von einem Internisten stationär behandelt wurden (11,49 %). Anders dargestellt: Wenn eine Ärztin 233 Patienten behandelt, stirbt eine Person weniger innerhalb von 30 Tagen, als wenn ein Arzt 233 Patienten behandelt („number needed to treat to prevent 1 death, 233“). Ein ähnlich gewichteter Effekt wird für die stationäre Wiederaufnahme binnen 30 Tagen berichtet (15,02 % gegenüber 15,57 %). Der Studie liegt eine Analyse von über 1,5 Million Krankenhausbehandlungen zugrunde.

 

Übersicht

     

  • PD Dr. Stefan Lange, Stellvertretender Institutsleiter, Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Köln
  •  

Statements

PD Dr. Stefan Lange

Stellvertretender Institutsleiter, Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Köln

„Wäre das eine kontrollierte randomisierte Studie (RCT) nach den Gesetzen der Kunst (doppelblind – na gut, das ist im vorliegenden Fall etwas schwierig, Intention to Treat-Analyse ITT): Alles wäre gut, mann/frau würde einen Therapieeffekt annehmen. Allenfalls die Relevanz mit einer NNT (number needed to treat, Anm. d. Red.) von 233 könnte hinterfragt werden.“

„Tatsächlich aber handelt es sich um eine Beobachtungsstudie, die eine Versorgung durch Ärztinnen (Intervention A) mit einer Versorgung durch Ärzte (Intervention B) vergleicht, mit ihren inhärenten Verzerrungsmöglichkeiten. Damit aber ist ein Unterschied von 0,43 Prozent beziehungsweise ein relatives Risiko von 0,963 nicht mehr als tatsächlicher Effekt interpretierbar.“

„Natürlich ist anzuerkennen, dass die Autor(inn)en alle möglichen Anstrengungen unternommen haben, um ihre Analyse um mögliche Störgrößen zu bereinigen. Dabei zeigt sich mit zunehmend stringenter Kontrolle eine Abnahme des beobachteten Unterschieds von 0,67 Prozent auf 0,43 Prozent. Würden also weitere plausible, vielleicht nicht gemessene Störgrößen berücksichtigt, könnte der Unterschied noch kleiner werden und schließlich verschwinden. Dabei ist anzumerken, dass in der Publikation keine Angaben zur unbereinigten (nicht-adjustierten) Differenz gemacht werden, was grundsätzlich irritiert.“

„Gibt es aber ein solche, plausible, nicht gemessene Störgröße? Ja: Ärztinnen basieren ihre Arbeit offenbar eher auf Evidenz als Männer, praktizieren also eher eine evidenzbasierte Medizin. Und ja: Frauen arbeiten aufgrund ihrer Doppelbelastung typischerweise zu anderen Zeiten als ihre männlichen Kollegen. Daran ändert auch ein Schichtsystem nichts, wenn die Aufteilung auf die Schichten zwischen Frauen und Männern divergiert.“

„Das große Problem solcher Assoziationsstudien ist, dass sie Einsichten suggerieren, aber die Frage offenlassen (müssen), was man denn damit macht: Zur Ärztin statt zum Arzt gehen? Oder von Ärztin und Arzt einfordern, sich an evidenzbasierter Medizin und Leitlinien zu orientieren? Oder …? So sympathisch das Ergebnis dieser Beobachtungsstudie also anmutet: Wollten wir wirklich wissen, ob die Versorgung durch Ärztinnen bessere Ergebnisse als die Versorgung durch Ärzte bringt, dann kämen wir angesichts der potenziell zu erwartenden, kleinen Unterschiede nicht um eine randomisierte kontrollierte Studie herum. Natürlich wäre eine solche Studie machbar! Was hindert uns also daran, wenn es uns wirklich interessiert? Nichts; aber wie bei vielen anderen wichtigen Fragen in der Medizin (z. B. was ist die beste Behandlung des lokalen Prostatakarzinoms?) ziehen wir offenbar das Nicht-Wissen vor.“

Mögliche Interessenkonflikte

Keine erhalten.

Primärquelle

Tsugawa Y et al. (2016): Comparison of Hospital Mortality and Readmission Rates for Medicare Patients Treated by Male vs Female Physicians. JAMA Intern Med. DOI: 10.1001/jamainternmed.2016.7875

Weitere Recherchequellen

Del Canale S et al. (2012): The relationship between physician empathy and disease complications: an empirical study of primary care physicians and their diabetic patients in Parma, Italy. Acad Med., 87 (9), 1243-9. DOI: 10.1097/ACM.0b013e3182628fbf.

Gesundheitsberichtserstattung des Bundes (2016): Ärztliches Personal in Krankenhäusern und Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen. Gestaltbare Tabelle.

Jerant A et al. (2013): Gender of physician as the usual source of care and patient health care utilization and mortality. J Am Board Fam Med., 26 (2), 138-148. DOI: 10.3122/jabfm.2013.02.120198.

Statistisches Bundesamt (2016): Diagnosedaten der Patienten und Patientinnen in Krankenhäusern (einschl. Sterbe- und Stundenfälle) - Fachserie 12 Reihe 6.2.1 - 2015 (PDF).

Hintergrundinformationen

In Deutschland waren 2015 nach Auskünften von „Gesundheitsberichterstattung des Bundes“ an insgesamt 1 956 Krankenhäusern 174 391 hauptamtliche Ärzte und Ärztinnen angestellt, davon 93 779 Männer und 80 612 Frauen. Auf die Innere Medizin entfallen insgesamt 20 841 Ärzte und Ärztinnen (13 364 Männer und 7 477 Frauen).