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03.06.2019

Mindestmengen im Krankenhaus – Bilanz und Neustart

Was war der Anlass für diese Analyse?

Im Juni müssen die deutschen Kliniken erstmals nach einem neuen Verfahren darlegen, ob sie die sogenannten Mindestmengen einhalten oder nicht. Damit wird für sieben medizinische Bereiche eine Überarbeitung der Mindestmengenregelung (Mm-R) wirksam, die erstmals vor 15 Jahren in Kraft trat. Obwohl sie kaum ein Patient kennt, hat sie ein wichtiges Ziel: Sie sollte dazu führen, dass schwierige Operationen und Behandlungen nur in Kliniken durchgeführt werden, die ein Mindestmaß an Erfahrung haben.

Unter die Mindestmengenregelung fallen zum Beispiel komplexe Operationen an der Bauchspeicheldrüse, der Einbau von Knieprothesen und mehrere Organtransplantationen. Die Bilanz der alten Regelung ist mager: Eine Analyse von Science Media Center und dem Projekt Weisse Liste der Bertelsmann Stiftung auf Grundlage der aktuellen Krankenhaus-Qualitätsberichte hat ergeben: Selbst 2017 erreichten 40 Prozent der deutschen Kliniken, die Operationen aus dem Mindestmengenkatalog durchführen, eine oder mehrere der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestfallzahlen nicht.

Ein weiteres ernüchterndes Ergebnis der Analyse: Ein Viertel der Krankenhäuser blieb 2017 die verpflichtende Auskunft zu einer oder mehreren Mindestmengen in ihrem Qualitätsbericht schuldig.

In welchen Bundesländern unterlaufen die meisten Kliniken die Mindestmengen und in welchen die wenigsten? Warum ist die Anzahl der Kliniken, die die Mindestmengen nicht erreichen, noch immer so hoch? Und wird sich das voraussichtlich mit der neuen Regelung ändern? Dieses Dossier skizziert die Ergebnisse einer Daten-Analyse und liefert Erklärungsansätze auf Grundlage wissenschaftlicher Studien und journalistischer Recherchen.

Das SMC Investigative können Sie hier herunterladen.

Übersicht

     

  • Was war der Anlass für diese Analyse?
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  • Übersicht
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  • Was sind die zentralen Ergebnisse von Datenanalyse und journalistischer Recherche?
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  • Was sind Mindestmengen und warum sind sie wichtig für die Patientensicherheit?
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  • Datenanalyse: Was ist die Bilanz der Mindestmengenregelung bis heute?
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  • Datenanalyse: Wie viele Kliniken geben ihre Mm-Operationen im Qualitätsbericht nicht an?
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  • Journalistische Recherche: Warum hat sich die alte Mm-R schlecht durchgesetzt?
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  • Journalistische Recherche: Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen alter und neuer Mm-R?
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  • Journalistische Recherche: Wie kann die neue Mm-R zum Erfolg werden?
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  • Daten und Methoden: Wie haben wir gerechnet?
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  • Literatur
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Was sind die zentralen Ergebnisse von Datenanalyse und journalistischer Recherche?

     

  • In Kliniken, die die Mindestmengen nicht erreichen, treten Komplikationen und Todesfälle laut Studien signifikant häufiger auf.
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  • Auf Ebene der Bundesländer unterscheidet sich der Anteil der Kliniken, die wenigstens eine Mindestmenge nicht einhalten, um das 2,1-Fache. Die höchste Rate hat Bremen. Dort erreichten 62,5 Prozent der Kliniken nach den Angaben in ihren Qualitätsberichten eine oder mehrere der Mindestfallzahlen nicht. Das sind 5 von 8 Kliniken. Die geringste Rate hat Mecklenburg-Vorpommern. Dort erreichten 7 von 24 Kliniken eine oder mehrere Mindestmengen nicht. Das entspricht 29,2 Prozent.
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  • Besonders häufig verfehlten Kliniken die Mindestfallzahlen in den Bereichen der komplexen Speiseröhren- und Bauchspeicheldrüsen-Chirurgie. Von 378 Kliniken, die komplexe Operationen an der Speiseröhre (Ösophagus) vorgenommen haben, erreichten über die Hälfte (52,4 Prozent) die Mindestmenge nicht. Bei komplexen Operationen an der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) erreichten 205 (33,9 Prozent) von 605 Klinken die Mindestfallzahl nicht. Beide Mindestmengen fallen nach Ansicht von Experten mit 10 Operationen pro Klinik und Jahr ohnehin viel zu niedrig aus.
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  • Die Analyse hat zudem ergeben, dass Patienten bislang auf große Schwierigkeiten stoßen, wenn sie sich eine geeignete Klinik für ihre Operation aussuchen wollen: Ein Viertel aller Kliniken (25,1 Prozent), die Leistungen aus den Mindestmengenbereichen anbieten, haben unvollständige Qualitätsberichte. Sie erklären zu einer oder sogar mehreren Mindestmengen nicht, ob sie diese auch erfüllen. Ein Großteil der Kliniken, die keine Angaben machten, erreichten die festgesetzten Mindestmengen nach der Datenanalyse von Science Media Center und Weisse Liste nicht.
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  • Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der die Qualitätsberichte der Kliniken als gesetzlich verpflichtende Patienteninformation herausgibt, prüft bislang weite Teile der Berichte weder auf Vollständigkeit noch auf Plausibilität. Die Kliniken, die keine Angaben zu ihren Mindestmengen-Eingriffen machen, haben keine Nachteile dadurch.
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  • Am 1.1.2018 ist eine Neufassung der Mindestmengen-Regelung in Kraft getreten, die dieses Jahr erstmals offiziell zum Tragen kommt. Die neue Regelung soll besser durchsetzbar sein als die alte. Es bleiben aber weiterhin Schlupflöcher.
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Was sind Mindestmengen und warum sind sie wichtig für die Patientensicherheit?

Einige wenige komplexe Operationen und Behandlungen dürfen in deutschen Kliniken nur dann durchgeführt werden, wenn dort Ärzte und ihre Teams ein Mindestmaß an Erfahrung haben. Dabei handelt es sich ausnahmslos um planbare Eingriffe, bei denen ein starker Zusammenhang zwischen der Behandlungsqualität und der Fallzahl pro Klinik nachgewiesen wurde.

Diese Mindestmengen-Regelung (Mm-R) trat erstmals 2004 in Kraft und gilt zurzeit nur für sieben Bereiche:

     

  • Einsatz von künstlichen Kniegelenken 50 Fälle/Jahr
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  • Komplexe Eingriffe am Organsystem Ösophagus (Speiseröhre) 10 Fälle/Jahr
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  • Komplexe Eingriffe am Organsystem Pankreas (Bauchspeicheldrüse) 10 Fälle/Jahr
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  • Stammzellentransplantation 25 Fälle/Jahr
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  • Lebertransplantation 20 Fälle/Jahr
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  • Nierentransplantation 25 Fälle/Jahr
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  • Versorgung von Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht < 1250 g 14 Fälle/Jahr
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Ähnliche Regelungen, mit zum Teil deutlich höheren Fallzahlen, gibt es in vielen anderen Ländern [3] [15] [22].

Hintergrund sind zahlreiche Studien, die in den vergangenen vier Jahrzehnten den Zusammenhang zwischen der Höhe der Fallzahlen in einer Klinik und der dortigen Behandlungsqualität belegt haben [2] [10] [13] [17]: Je mehr Patienten mit einer bestimmten Krankheit in einer Klinik behandelt werden, desto weniger Komplikationen und Todesfälle treten auf. Dieser Zusammenhang konnte so oft, für so viele Behandlungen und Operationen und in so vielen verschiedenen Ländern gezeigt werden, dass er als bewiesen gilt. Warum aber gelingen Eingriffe in Kliniken mit hohen Fallzahlen oft besser?

Im Fokus der Erklärung steht in den Studien überwiegend der „Practice makes perfect“ - Ansatz: Übung macht den Meister. Damit ist zum einen der Operateur gemeint, dessen Erfahrung zentral für die Operation selbst ist. Doch der Chirurg ist kein Einzelkämpfer. Gerade komplexe Behandlungen schwerer Krankheiten sind eine Teamleistung. So beginnt nach einer Operation oft eine Zeit für den Patienten, die ähnlich risikoreich ist wie der Eingriff selbst: die Zeit auf der Station, in der schwere Komplikationen auftreten können. Zwar kommt es auch in Kliniken mit hohen Behandlungszahlen zu Komplikationen. Die Patienten überleben sie aber deutlich häufiger als in weniger erfahrenen Kliniken [3].

Das zeigte für den Mindestmengen-Bereich der Bauchspeicheldrüsen-Operationen zum Beispiel eine deutsche Studie [12]: Die Forscher hatten alle Fälle von Bauchspeicheldrüsen-Operationen in Deutschland von 2009 bis 2013 analysiert. Am Ende war klar: Mit erfahrenen Teams kam es zu deutlich weniger Komplikationen, vor allem aber beherrschten sie die Krisen besser. Kam es zum Bespiel zum Schlaganfall, starben in unerfahrenen Kliniken 50 Prozent mehr Patienten als in erfahrenen Kliniken. Erkrankten Patienten nach der OP an einer Sepsis, starben in unerfahrenen Krankenhäusern sogar fast 60 Prozent mehr. Mediziner sprechen dann von „Rettungsversagen“ oder „failure to rescue“ [3].

Gründe für ein überdurchschnittlich häufiges Rettungsversagen sehen Wissenschaftler und Ärzte zum Beispiel in unzureichender Ausstattung von Kliniken und organisatorischen Fehlern. Vor allem aber in fehlendem, überlastetem oder unerfahrenem Personal, das Komplikationen offenbar zu spät oder gar nicht erkennt [1] [3] [19].

Eine Bündelung von Patienten an wenigen, aber erfahrenen Kliniken erzielt immer wieder große Erfolge. In den Niederlanden gelang es mit einer strikten Einhaltung der Mindestmenge von 10 Fällen pro Jahr, die Sterblichkeit nach Bauchspeicheldrüsen-Operationen von rund 10 Prozent auf 5 Prozent zu halbieren [5]. In Dänemark sank die Herzinfarktsterblichkeit in den vergangenen zehn Jahren von rund 8 Prozent auf 4 Prozent (OECD, Health at a Glance, [18]), nachdem die Anzahl der zuständigen Kliniken drastisch von etwa 50 auf 4 reduziert wurde. In Deutschland liegt die Sterblichkeit nach Herzinfarkt bei 8 Prozent. In absoluten Zahlen heißt das: Hätte Deutschland dieselbe Herzinfarktsterblichkeitsrate wie Dänemark, würden hierzulande jährlich rund 7.000 Menschen weniger sterben.

In ihrer Gesamtheit bedeuten all diese Studienergebnisse für Patienten: Die Wahrscheinlichkeit, schwere Komplikationen zu erleiden und daran zu sterben, ist nachweislich in Kliniken geringer, in denen die entsprechenden Krankheiten häufig behandelt werden. Das ist für zahlreiche Operationen und Behandlungen nachgewiesen worden. Die Einführung der Mindestmengen-Regelung ist die Übersetzung dieser Erkenntnis in den Krankenhausalltag. Sie soll wenigstens für den bislang schmalen Katalog von sieben Operationen und Behandlungen garantieren, dass Patienten immer mit einem Mindestmaß an Erfahrung behandelt werden.

In Kliniken, die die Mindestmengen nicht erreichen, ist das Risiko zu sterben zumeist signifikant höher [16].

Datenanalyse: Was ist die Bilanz der Mindestmengenregelung bis heute?

Das Science Media Center (SMC) und die Weisse Liste haben für dieses Dossier die aktuellsten strukturierten Qualitätsberichte der Krankenhäuser (SQB) von 2017 im Hinblick auf die Mindestmengen-Bereiche analysiert. In diesen gesetzlich verpflichtenden Berichten müssen die Krankenhäuser selbst Auskunft unter anderem darüber geben, welche Eingriffe sie vornehmen und ob sie die Mindestmengen erfüllen.
Diese Analyse war in diesem Rahmen nur für die Operationen möglich. Die Versorgung der Frühgeborenen konnte nicht bewertet werden (siehe Kapitel „Daten und Methoden“). Mit berücksichtigt wurden dagegen die sogenannten Ausnahmetatbestände, die die Kliniken geltend machen können, wenn sie die Mindestmengen nicht erreichen. Vor der Neuregelung von 2018, die erstmals in diesem Jahr gilt, waren das folgende:

     

  • Notfälle
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  • Aufbau eines neuen Leistungsbereichs
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  • Personelle Neuausrichtung
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  • Votum der Landesbehörde wegen Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung
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Die Qualitätsberichte der Krankenhäuser wurden in dieser Analyse nur teilweise beziehungsweise auszugsweise verwendet. Eine vollständige, unveränderte Darstellung der Qualitätsberichte erhalten Sie unter http://www.g-ba.de/.

Erreichung der Mindestmengen in Bund und Ländern

Die Analyse der Krankenhaus-Qualitätsberichte 2017 zeigt, dass 459 von 1157 Krankenhäusern (KH), die an der Mindestmengen-Versorgung teilnehmen, eine oder sogar mehrere Mindestmengen nicht erreichen. Das entspricht im Bundesdurchschnitt 39,7 Prozent. Auf Ebene der Bundesländer unterscheiden sich die Werte um das 2,1-Fache (siehe Abbildung 1).
 

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Rolle der Ausnahmetatbestände (AT)

Obwohl ein großer Anteil an Kliniken eine oder mehrere Mindestmengen nicht erfüllen, geschieht das oft im Einklang mit dem Gesetz: 160 Kliniken machten 2017 die oben erwähnten Ausnahmetatbestände (AT) geltend. Das entspricht 13,8 Prozent (siehe Abbildung 2). Die Unterschiede auf Länderebene sind groß. Während in Bremen 3 von 8 (37,5 Prozent) der Kliniken mindestens für einen Bereich einen Ausnahmetatbestand geltend machten, waren es am unteren Ende der Skala in Thüringen nur 2 von 35 Kliniken (5,7 Prozent).

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Schaut man nicht auf die Ebene der Kliniken, sondern auf die Summe aller unterschrittenen Mindestmengen (über alle Kliniken und Länder hinweg), wird die Rolle der Ausnahmetatbestände noch deutlicher: Von den insgesamt 562 nicht erreichten Mindestmengen sind laut der Qualitätsberichte rund ein Drittel (32,4 Prozent) aufgrund von Ausnahmetatbeständen offiziell genehmigt (siehe Abbildung 3).

Die Unterschiede auf Länderebene sind deutlich. Während in Hamburg über die Hälfte (53,8 Prozent) aller unterschrittenen Mindestmengen durch Ausnahmetatbestände legitimiert sind, haben diese im Saarland eine geringere Bedeutung: Hier ist nur eine einzige Unterschreitung durch einen Ausnahmetatbestand rechtlich abgesichert. Auffallend ist auch, dass sich unter den fünf Ländern mit den höchsten Werten alle drei Stadtstaaten befinden.

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Hier stellt sich einerseits die Frage, warum in dichten Kliniklandschaften überhaupt so viele Ausnahmetatbestände anerkannt werden. Andererseits ist zu fragen: Warum gibt es so viele Kliniken, die die Mindestmengen unterschreiten und dafür offenbar nicht einmal einen Ausnahmetatbestand geltend machen können? (siehe Abbildung 4) Die Analyse der Qualitätsberichte zeigt hier: Bundesweit gibt es offenbar für 380 unterschrittene Mindestmengen keine Genehmigung in Form von Ausnahmetatbeständen. Das entspricht 67,6 Prozent.

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Große Unterschiede zwischen den medizinischen Bereichen

Blickt man statt auf die Länder auf die verschiedenen medizinischen Bereiche, zeigen sich ebenfalls große Unterschiede in der Erreichung der Mindestfallzahlen. Während im Bereich Knieprothesen inzwischen fast 9 von 10 Kliniken die – allerdings nach Ansicht von Fachleuten zu niedrigen – Mindestmengen erreichen, sieht das bei den übrigen Operationen – allesamt hochkomplex und risikoreich – meist anders aus (siehe Abbildung 5).

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Besonders häufig verfehlen Kliniken die Mindestfallzahlen in den Bereichen der komplexen Speiseröhren- und Bauchspeicheldrüsen-Chirurgie.

Von 378 Kliniken, die 2017 komplexe Operationen an der Speiseröhre durchgeführt haben, erreichten insgesamt 198 (52,4 Prozent) die Mindestmenge von 10 Fällen pro Jahr nicht, davon 131 ohne Nennung von Ausnahmetatbeständen. Nimptsch et al. zeigten 2017 [16] anhand aller komplexen Krebs-Operationen an der Speiseröhre in Deutschland von 2009 bis 2014, dass die Sterblichkeit in Kliniken mit so wenig Erfahrung bei 10,5 Prozent liegt. In den Kliniken, die durchschnittlich einen Eingriff pro Woche machten, lag die Sterblichkeit bei 5,8 Prozent. So viel Routine können laut der Studie lediglich 10 Krankenhäuser in Deutschland vorweisen.

Bei komplexen Operationen an der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) erreichten von 605 Kliniken insgesamt 205 (33,9 Prozent) die Mindestfallzahl von 10 Fällen pro Jahr nicht, davon 150 ohne Nennung von Ausnahmetatbeständen. Krautz et al [12] errechneten für alle komplexen Pankreas-Operationen in Deutschland von 2009 bis 2014 eine Sterblichkeit von 11,5 Prozent in Kliniken mit bis zu acht Eingriffen pro Jahr und von 6,5 Prozent für Kliniken mit rund 2 Operationen pro Woche. So viel Erfahrung haben nach der Untersuchung lediglich 15 Kliniken in Deutschland.

Aus den Zahlen der Studien leitet sich ab, dass die Mindestmengen in diesen Fällen extrem niedrig bemessen sind. Sie befinden sich in dem Bereich, dem die Forscher das höchste Sterblichkeitsrisiko zuschreiben und müssten daher dringend erhöht werden.

Die Einhaltungsrate bei den Früh- und Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1250 Gramm lässt sich anhand der Qualitätsberichte nicht ermitteln (siehe Kapitel „Daten und Methoden“). Eine Analyse von Mansky [14] auf Grundlage der DRG-Statistik 2015 ergab, dass bundesweit 48,2 Prozent der Krankenhäuser, die Frühchen versorgen, die Mindestfallzahl von 14 pro Jahr unterschreiten.

Operationen in Kliniken, die die Mindestmengen unterschreiten

Der Anteil der Operationen, die in Kliniken unterhalb der Mindestmenge durchgeführt werden, unterscheidet sich je nach Bereich stark (siehe Abbildung 6). Er ist bei den komplexen Speiseröhren-Operationen mit Abstand am höchsten: 15 Prozent werden in Kliniken vorgenommen, die die gesetzliche Mindestfallzahl von 10 Fällen pro Jahr nicht erreichen. Das entspricht 810 Eingriffen in Deutschland pro Jahr. Bei den Knieprothesen sind es nur 1,5 Prozent. Weil die Gesamtzahl an Knieprothesen-Operationen pro Jahr in Deutschland aber viel höher ist als die Anzahl der Speiseröhren-Eingriffe, und weil auch die Mindestmenge mit 50 Fällen pro Jahr deutlich höher ist, entsprechen die scheinbar geringen 1,5 Prozent 2179 Operationen.

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Insgesamt wurden 2017 2,4 Prozent aller Mindestmengen-Eingriffe in Kliniken vorgenommen, die die entsprechenden Mindestfallzahlen nicht erreicht haben. Von den hochrisikoreichen Eingriffen (alle ohne Knieprothesen) sind es 7,1 Prozent. Die Werte unterscheiden sich auf Bundesland-Ebene erheblich (siehe Abbildung 7).

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Auch hier liegt Bremen mit 5,5 Prozent der Operationen unter der Mindestmenge auf dem Spitzenplatz. In Sachsen sind es nur 1,3 Prozent. Insgesamt wurden 2017 in Deutschland rund 4300 Eingriffe in Kliniken durchgeführt, die das vorgeschriebene Maß an Erfahrung nicht erreichen. Darin ist die Zahl der Frühgeborenen nicht enthalten, die in Einrichtungen unterhalb der Mindestmenge behandelt wurden. Die Fallzahlen mögen im Vergleich zum gesamten Operationsgeschehen in Deutschland klein sein. Die Patienten werden aber deutlich höheren Risiken ausgesetzt – ohne Not. Prof. Thomas Mansky: „Meist ist in der Nähe eine andere Klinik zu finden, die mehr Erfahrung hat und bessere Qualität bietet. Daher ist es nicht zu rechtfertigen, die Patienten unnötig zu gefährden.“

Zudem sei das auf Ebene der Krankenhausplanung oft nicht nachvollziehbar: „Statt die Eingriffe in der Region an wenigen, hochqualifizierten Kliniken zu konzentrieren, werden die Patienten auf so viele Anbieter verteilt, dass am Ende kaum noch ein Krankenhaus genügend Erfahrung aufbauen kann.“

Das ist exemplarisch am kleinsten Bundesland Bremen (ohne Bremerhaven) gut zu beschreiben:

     

  • In der Hansestadt Bremen gibt es 7 Krankenhäuser, die im Jahr 2017 Operationen aus dem Mindestmengen-Katalog vorgenommen haben.
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  • 6 von 7 haben Knieprothesen eingebaut. Davon nur 3 sicher über der Mindestmenge, eine weitere Klinik schaffte die Mindestmenge 2017 nur knapp.
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  • 5 von 7 Kliniken haben komplexe Pankreas-Operationen vorgenommen. Davon hielten nur zwei die Mindestmenge ein. Ein weiteres Krankenhaus erreichte die Mindestfallzahl möglicherweise knapp. Die Daten lassen hier keinen sicheren Schluss zu.
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  • 3 von 7 Krankenhäusern haben komplexe Ösophagus-Operationen durchgeführt. Eins davon hielt sicher die Mindestmenge ein. Eine weitere Klinik erreichte sie knapp.
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Datenanalyse: Wie viele Kliniken geben ihre Mm-Operationen im Qualitätsbericht nicht an?

Die Analyse ergab neben den Erreichungsquoten der Mindestmengen eine unerwartete Auffälligkeit: Von den 1157 Kliniken, die 2017 Operationen aus dem Mindestmengen-Katalog vornahmen, erklärten 290 nicht, ob sie die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestfallzahlen eingehalten haben oder nicht. Der dafür vorgesehene Abschnitt im Qualitätsbericht („C-5“) blieb bei einem Viertel aller Kliniken für eine oder sogar mehrere Mindestmengen-Bereiche leer. Die meisten dieser Kliniken erreichten die entsprechenden Mindestmengen nicht. Das ist durch einen Abgleich von zwei unterschiedlichen Teilen des Qualitätsberichts aufgefallen (siehe Kapitel „Daten und Methoden“). Für die Patienten bedeutet das: Sie können über das Know-How der entsprechenden Kliniken nichts in Erfahrung bringen. Roland Rischer, Geschäftsführer der Weissen Liste: „Patienten sind auf vollständige Angaben der Kliniken angewiesen. Nur so können sie Häuser auswählen, in denen die zwingend notwendige OP-Routine vorhanden ist.“

Das Maß an Transparenz ist in den Bundesländern unterschiedlich (siehe Abbildung 8). Am wenigsten auskunftsfreudig waren 2017 die Kliniken in Brandenburg: Dort machten 36,7 Prozent der Kliniken keine Angaben zu einem oder mehreren Bereichen ihrer Mindestmengen-Operationen. Auf Platz zwei folgt Rheinland-Pfalz mit 31,8 Prozent, auf Platz drei Nordrhein-Westfalen mit 28,6 Prozent. Die höchste Transparenz herrschte in Hamburg: Dort blieben nur 16 Prozent der Kliniken die Angaben schuldig.

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Die meisten Angaben fehlten bei den komplexen Speiseröhre-Eingriffen: 27,8 Prozent aller Kliniken, an denen die Eingriffe vorgenommen wurden, erklärten sich nicht, obwohl das gesetzlich vorgeschrieben ist. Bei den komplexen Bauchspeicheldrüse-Operationen waren es 21,8 Prozent (siehe Abbildung 9). In einem weiteren Analyseschritt wurde deutlich, dass ein Großteil der Kliniken ohne Angaben die Mindestmengen nicht erreichte (siehe Abbildung 10).

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Journalistische Recherche: Warum hat sich die alte Mm-R schlecht durchgesetzt?

Wissenschaftler haben in den vergangenen Jahren immer wieder festgestellt, dass die Mm-R wenig an der Versorgung der Patienten geändert hat [4] [20]. Auch diese Analyse zum Ende der alten Mm-R zeigt, dass die Bilanz mager ist. Um die Gründe und Hintergründe dafür zu ermitteln, hat das SMC ausgewählte Literatur einbezogen und Gespräche mit Mitarbeitern, ehemaligen Mitarbeitern und Patientenvertretern des G-BA, Mitarbeitern von drei Krankenkassen und des GKV-Spitzenverbandes, Ärzten und Wissenschaftlern geführt.

Die Gesprächspartner haben zahlreiche Gründe genannt, warum sich die alte Mm-R schlecht durchgesetzt hat. Viele verwiesen auch auf den schwierigen Start der Mm-R.

Kontroversen und Klagen

     

  • Die Mindestmengen-Regelung wurde durch den G-BA beschlossen, in dem Vertreter von Krankenkassen, Krankenhäusern und Ärzten zu gemeinsamen Entscheidungen finden müssen. Vor dem Beschluss hatte es im zuständigen Unterausschuss Qualitätssicherung lange und extrem kontroverse Debatten gegeben. Ein ehemaliger Mitarbeiter des G-BA berichtete, vor allem kleinere Krankenhäuser und ihre Chefärzte seien Sturm gelaufen: „Die Debatten sind meines Wissens in ihrer Heftigkeit einmalig gewesen in der Geschichte des G-BA.“
    Wolf Dietrich Trenner, der diese Diskussionen als Patientenvertreter von Anfang an intensiv verfolgt hat, erklärt die Hintergründe: „Die Krankenhäuser fürchteten sich vor finanziellen Einbußen und Imageverlusten, wenn sie bestimmte Eingriffe nicht mehr durchführen dürften. Die Ärztevertreter im G-BA wollten verhindern, dass Medizinern Operationen weggenommen werden, die sie seit Jahrzehnten machen. Vielleicht sogar an der Charité. Und nun, nachdem sie an eine kleinere Klinik gewechselt sind, sollten sie den Eingriff nicht mehr machen dürfen, weil die Mindestmenge nicht erreicht wird.“
    Im Hintergrund hätten zudem die Länder noch eine Rolle gespielt: Denn Mindestmengen sind ein Eingriff in ihr Recht der Krankenhausplanung.
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  • Hitzige Diskussionen wurden – und werden immer wieder – vor allem um die Höhe der verschiedenen Mindestmengen geführt. Während der Zusammenhang zwischen Qualität und Erfahrung in der Medizin als allgemein akzeptiert gilt, ist die Festsetzung einer Mindestmenge auf eine bestimmte Zahl immer noch umstritten. Eine Erklärung der Deutschen Krankenhausgesellschaft anlässlich des Krankenhausreports 2017 gibt die Ansicht vieler Kliniken wieder: „Die Logik, bei 50 Operationen darf man, bei 49 nicht, ist nicht nachvollziehbar und dient auch nicht der Sicherung der Versorgung“. Dem widersprechen Vertreter von Krankenkassen sowie viele Wissenschaftler und Ärzte. Prof. Hartwig Bauer, ehemaliger Generalsekretär der deutschen Gesellschaft für Chirurgie, sagte gegenüber dem SMC, es müsse endlich Schluss sein mit der Diskussion darüber, dass ein genauer Schwellenwert (darüber = gute, darunter = schlechte Qualität) zur Festlegung der Mindestmengen nicht evidenzbasiert sei: „Es gibt genügend Beweise für den Zusammenhang zwischen Häufigkeit und Qualität. Für einen scharfen Trennwert gibt es keine Evidenz und wird es auch nie geben. Deshalb muss man die Höhe administrativ festgelegen.“
    Prof. Thomas Mansky ergänzt, dass es auch für andere gesellschaftliche Bereiche solche administrativen Festlegungen gibt, für die es keine Evidenz gibt, zum Beispiel die Höchstgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern in Ortschaften.
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  • Vor dem Hintergrund dieser Debatten sind auch zahlreiche Klagen und mehrere Verfahren vor den Sozialgerichten zu sehen, die von Kliniken angestoßen wurden. Die Mindestmenge für Knieprothesen war deshalb für mehrere Jahre ausgesetzt. Neue Mindestmengen wurden seit den Anfängen der Mm-R nicht mehr festgelegt, obwohl das laut Studien (siehe Kapitel: Was sind Mindestmengen – und warum sind Mindestmengen wichtig für die Patientensicherheit?“) in etlichen medizinischen Bereichen vielen Patienten das Leben retten würde. Das Bundessozialgericht musste sich mehrfach mit den Mindestmengen beschäftigen und erklärte sie erst 2012 grundsätzlich für rechtmäßig.
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Schwierige Kontrollen, fehlende Sanktionen

Die Mindestmengenregelung sollte von Beginn an mit Hilfe finanzieller Sanktionen durchgesetzt werden. Kliniken, die die Mindestmengen nicht erreichten, sollten für die entsprechenden Eingriffe kein Geld von den Krankenkassen bekommen. Allerdings sah das Gesetz verschiedene „Ausnahmetatbestände“ (siehe Kapitel „Da-tenanalyse“) vor, die die Krankenhäuser geltend machen konnten. Die Analysen von SMC und Weisse Liste zeigen, dass diese „Ausnahmetatbestände“ bislang häufig genutzt wurden (siehe Kapitel „Datenanalyse“). Das schränkte die Durchschlagskraft der Mm-R bereits erheblich ein. Peschke et al. [20] sehen darin ebenfalls eine mögliche Ursache für das Scheitern der Regelung.

Auch die Kliniken, die die Mindestmengen nicht erreichten und keine Ausnahmetatbestände dafür geltend machen konnten, wurden bislang häufig weder sanktioniert, noch mussten sie die zum Teil hochkomplexen Eingriffe aufgeben. Dafür gibt es mehrere Gründe.

     

  • Zum einen war das Setting der Mindestmengenverhandlungen bislang offenbar problematisch. Sie fanden im Rahmen der jährlichen Budgetverhandlungen zwischen örtlichen Krankenkassen und Kliniken statt. Den Charakter dieser Budget-Gespräche machte die Mitarbeiterin einer hessischen Krankenkasse deutlich:
    „Die jährlichen Budgetverhandlungen sind aufgrund des komplexen Abrechnungssystems im Krankenhaus sehr umfangreich geworden. Sehr viele Tatbestände müssen hier geprüft und bewertet werden.“
    Die Entscheidung über die Mindestmengen war bislang also nur eines von zahlreichen Themen bei den Budgetverhandlungen. Und – wenn man sich die Anzahl der entsprechenden Eingriffe ansieht – sicher nicht das Wichtigste.
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  • Zudem war die Entscheidung über die Mindestmengen für die Kassen häufig schwierig, obwohl die Regelung auf den ersten Blick eindeutig klang: Die Kliniken mussten die Fallzahlen ihrer Mindestmengeneingriffe aus dem vergangenen Budgetjahr darlegen. Waren die Mindestfallzahlen erreicht, so sollten die Kliniken auch weiterhin für diese Eingriffe bezahlt werden. Wurden die Mindestmengen nicht erreicht, so sollten die Kassen die entsprechenden Eingriffe nicht mehr bezahlen. Tatsächlich war es aber im Detail häufig schwierig oder unmöglich, die genaue Anzahl der Eingriffe zu ermitteln.
    Das lag offenbar unter anderem daran, dass gesetzliche und private Kassen für dieses Verfahren nicht oder zumindest nicht systematisch zusammenarbeiteten: Die Budgetverhandlungen mit einer Klinik führen üblicherweise alle oder zumindest mehrere gesetzliche Versicherungen gemeinsam. Die Klinik bereitete dafür in der Regel Listen mit ihren Mindestmengen-Zahlen des vergangenen Budgetjahres vor. Darin enthalten waren aber auch die Operationen, die sie mit den privaten Kassen abgerechnet hatte. Die gesetzlichen Kassen vor Ort konnten diese Zahlen aber nicht nachprüfen, denn die privaten Krankenkassen nehmen nicht an den Budgetverhandlungen teil. Der Krankenkassen-Mitarbeiter aus Rheinland-Pfalz: „Es blieb immer eine Teilmenge der genannten Zahlen unbeweisbar.“
    Die Mitarbeiterin der hessischen Krankenkasse dazu: „In vielen Fällen kannte man die Klinik so gut, und die war so eindeutig aufgestellt, dass klar war: Die halten das ein oder nicht. Aber in dieser Grauzone, wo das passen kann oder nicht, da war das extrem schwierig.“
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  • Das (und weitere nicht nachprüfbare Angaben der Klinik) führte dazu, dass eine Sanktionierung der Kliniken kaum gelang. Selbst wenn sich alle gesetzlichen Kassen einig waren – was nicht immer der Fall war – scheiterte diese Entscheidung häufig vor Gericht oder den dafür vorgesehenen Schiedsstellen.
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  • Selbst wenn die Kassen nachweisen konnten, dass die Mindestmengen nicht erreicht wurden, gab es ein Schlupfloch in der Regelung. Die Länder konnten Ausnahmeregelungen erteilen. Damit durften die Kliniken die entsprechenden Operationen weiter durchführen und mussten von den Krankenkassen auch dafür bezahlt werden.
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Insgesamt, so der Krankenkassen-Vertreter aus Rheinland-Pfalz, sei es in seiner zehnjährigen Mitarbeit kein einziges Mal dazu gekommen, dass einem Krankenhaus Leistungen nicht bezahlt wurden. Die Mitarbeiterin der hessischen Krankenkasse bestätigte: „Das ist in meiner Zeit hier extrem selten vorgekommen.“

Journalistische Recherche: Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen alter und neuer Mm-R?

2017 hat der G-BA eine neue Mindestmengen-Regelung beschlossen, die am 1.1.2018 in Kraft trat [8]. Dieses Jahr im Juni und Juli müssen die Kliniken nun nach einer Übergangsregelung erstmals nach dem neuen Verfahren detaillierte Angaben zu ihren Mindestmengen-Leistungen machen. Danach sollen die Landesverbände der Krankenkassen bis Ende August entscheiden, welche Kliniken 2020 Mindestmengen-Eingriffe vornehmen dürfen und welche nicht. Die wichtigsten Änderungen der neuen Mm-R im Vergleich zu der alten Regelung im Überblick:

     

  • Mehrere wichtige Änderungen betreffen den Prozess, wie ein Erreichen der Mindestmenge festgestellt wird. Anders als nach der alten Regelung sind die Mindestmengen nicht mehr Teil der jährlichen Budgetverhandlungen, die auf Ortsebene geführt werden. Die Beurteilung der Leistungszahlen findet nun eine Ebene höher bei den Landesverbänden der Krankenkassen statt. Die Krankenkassen müssen dabei zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen. Das ist für alle Experten, mit denen wir gesprochen haben, ein großer Schritt nach vorn.
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  • Die Budgetverhandlungen zwischen Kliniken und Kassen finden häufig mitten im Jahr statt. Das bedeutet: Die Mindestmengen-Entscheidungen kamen oft zu spät. Nämlich dann, wenn die Krankenhäuser bereits ein halbes Jahr lang Mindestmengen-Operationen durchgeführt und die Kassen diese auch bezahlt hatten. Künftig erteilen die Krankenkassen die Erlaubnis zur Leistungserbringung, bevor Patienten operiert und Eingriffe bezahlt werden. Dafür müssen die Kliniken nun in einem festgelegten Standardverfahren zu einem vorgegebenen Zeitpunkt (30.6.-15.7.) ihre sogenannte „Prognose“ bei den Landesverbänden der Kassen abgeben. Dabei müssen sie detailliert darlegen, ob sie die betreffenden Mindestmengen im folgenden Jahr voraussichtlich erreichen werden. Das wichtigste Kriterium dafür sind zunächst die Fallzahlen des vergangenen Kalenderjahres. Zeigen diese Zahlen, dass die Mindestmenge im Folgejahr voraussichtlich nicht erreicht wird, dürfen die entsprechenden Operationen im nächsten Jahr nicht mehr durchgeführt werden.
    Für das aktuelle Kalenderjahr bedeutet das: Kliniken müssen ab Juni ihre Leistungszahlen von 2018 angeben (und ergänzend dazu die Zahlen aus dem ersten Halbjahr 2019). Die Kassen entscheiden dann auf Grundlage dieser Zahlen, welche Krankenhäuser 2020 welche Mindestmengen-Eingriffe erbringen dürfen. Krankenhäuser, die die Erlaubnis zur Leistungserbringung dieses Jahr nicht erhalten, dürfen nächstes Jahr die betreffenden Eingriffe nicht mehr vornehmen. Sollten sie das dennoch tun, bekommen sie dafür von den gesetzlichen Krankenkassen kein Geld. Auch die privaten Krankenversicherer können die Bezahlung dann ablehnen.
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  • Ab 2020 legen die Kliniken die Fallzahlen nicht mehr schriftlich vor. Ein Software-Modul, das zurzeit entwickelt wird, soll die Zahlen automatisch abfragen.
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  • Ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zur alten Mm-R ist außerdem die komfortablere rechtliche Situation der neuen Regelung. Die erwähnten gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Mm-R haben durch die Entscheidung und Urteilsbegründung des Bundessozialgerichts Rechtssicherheit für die Mindestmengen gebracht. Dem folgte eine Gesetzesänderung im SGB V [21]. Der G-BA hat damit nun den Auftrag, Beschlüsse „über einen Katalog planbarer Leistungen, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist (…) “ zu fassen (§ 136b Abs. 1, Satz 1, Nr.2).
    Dabei entfielen drei kleine, aber bedeutende Wörter: Anders als zuvor wird nicht mehr gefordert, dass die Qualität „in besonderem Maße“ von der Leistungsmenge abhängt, was wissenschaftlich und juristisch schwer zu fassen war. Mindestmengen können nun festgelegt werden, sobald es in der wissenschaftlichen Literatur Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Fallzahl und Ergebnisqualität gibt. Das bedeutet vor allem, dass die neue Mm-R es erleichtert, weitere Mindestmengen-Bereiche festzulegen und so mehr Patienten besser schützen zu können.
    Der GKV-Spitzenverband hat bereits Anträge im G-BA für die Versorgung des Mammakarzinoms und die Thoraxchirurgie gestellt. Die Beratungen dazu sind inzwischen beschlossen. Experten kritisieren aber den langen Zeitraum, der zwischen Antragstellung und Einführung einer neuen Mindestmenge zu erwarten ist. Bis eine neue Mindestmenge ihre volle Wirkung entfalte, sei aktuell mit wenigstens 6 Jahren zu rechnen, erklären [7] im Qualitätsmonitor 2019.
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Was sich nicht ändert:

     

  • Die tatsächliche Anzahl der Eingriffe, die die Kliniken mit der Prognose angeben, ist für die Krankenkassen nach wie vor offenbar nicht sicher vollständig nachprüfbar. Wenn die Kliniken ab Juni den gesetzlichen Versicherungen die Fallzahlen ihres vergangenen Jahres nennen, sind darin weiterhin die Operationen enthalten, die sie mit den privaten Kassen abgerechnet haben. Zu diesen Zahlen haben die Landesverbände der gesetzlichen Kassen offenbar nur eingeschränkt Zugang. Zudem scheint es auch Unterschiede auf Länderebene zu geben. So gab die Mitarbeiterin der hessischen Krankenkasse an, dass es in Hessen mit der PKV bereits ausführliche Gespräche gegeben habe und man an einem Strang ziehen wolle. Der Mitarbeiter der Kasse aus Rheinland-Pfalz berichtete dagegen, dass ihm solche Vereinbarungen für Rheinland-Pfalz nicht bekannt seien. Das führt dazu, dass die Prognosen von Kliniken mit geringen Fallzahlen, die knapp die Mindestmengen erfüllen, gegebenenfalls weiterhin nur eingeschränkt zu beurteilen sind.
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  • Auch Ausnahmetatbestände wird es weiterhin geben. Diese ändern sich jedoch. Als Ausnahmetatbestand gelten nun „die erstmalige Erbringung einer Leistung (…) oder deren erneute Erbringung nach einer mindestens 24-monatigen Unterbrechung“ (G-BA, Mindestmengenregelung). Will eine Klinik also eine neue Abteilung aufbauen, so wird das berücksichtigt. Eine Ausnahmegenehmigung ist künftig auch dann möglich, wenn der G-BA für einen Mindestmengenbereich den Ausnahmetatbestand „Hohe Qualität“ vorgesehen hat und das Krankenhaus die nötigen Nachweise dafür erbringt. Wissenschaftler und Krankenkassen kritisieren das. So erklärte Dr. Horst Schuster vom GKV-Spitzenverband gegenüber der Ärztezeitung: „Ohne Not wurde ein Ausnahmetatbestand eingeführt, der es Krankenhäusern ermöglichen soll, die entsprechende Leistung trotz nicht erfüllter Mindestmenge auch weiterhin zu erbringen. Aber wie soll ‚gute Qualität‘ nachgewiesen werden, wenn die Krankenhäuser nur so wenige Leistungen im Jahr erbringen, dass Qualität statistisch überhaupt nicht gemessen werden kann?“
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  • Dem Föderalismus geschuldet ist eine weitere Konstante: Krankenhausplanung ist Ländersache. Beurteilen die Landesverbände der Krankenkassen die Prognose eines Krankenhauses negativ und erteilen keine Leistungsberechtigung, können die Landesbehörden eine Sondergenehmigung anordnen. Das Argument ist hier, dass im Land eine flächendeckende Versorgung sichergestellt sein soll. Was genau darunter bei welchem Mindestmengen-Bereich verstanden wird, ist im Gesetz nicht genauer definiert.
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Journalistische Recherche: Wie kann die neue Mm-R zum Erfolg werden?

Fachleute beurteilen die neue Mm-R verhalten positiv. Sie loben die neue Transparenz [7] und die Verlegung der Mindestmengen-Verhandlung weg aus den Budgetverhandlungen auf die höhere Ebene der Landesverbände. Positiv wird auch der frühe Zeitpunkt gesehen, zu dem nun Klarheit für alle herrscht: nämlich, bevor Patienten operiert und Gelder geflossen sind. Trotzdem bleiben Fragen: Können und werden die Krankenkassen die neue Mm-R konsequent durchsetzen? Wie häufig werden die Länder von ihrem Veto-Recht Gebrauch machen? Ein Selbstläufer ist die neue Regelung nicht – so kann man die Einschätzung unserer Gesprächspartner zusammenfassen. Prof. Thomas Mansky: „Viel hängt nun vom politischen Willen ab, ob die neue Regelung ein Erfolg wird.“

Mehrere Punkte müssen nach Ansicht der Gesprächspartner unbedingt erreicht werden, damit die neue Mm-R zukünftig Patienten besser schützen kann als bisher:

     

  • Qualitätsoffensive der Länder: Mögliche Schlupflöcher in der neuen Mm-R sind die Ausnahmetatbestände und die Sondergenehmigungen der Länder. Daran wird deutlich, wie wichtig der politische Wille der Bundesländer ist, Zentren guter Patientenversorgung zu schaffen und damit die Mindestmengen mitzutragen. Es sei zwingend notwendig, schreiben Follert et al. [7] im Qualitätsmonitor 2019, „Qualität als Planungsdimension auf Länderebene wirklich anzuwenden“. Die Länder könnten die Versorgung einzelner Bereiche wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebstherapie auf die dafür geeigneten Krankenhäuser konzentrieren. „Profitieren würden davon die Patienten, die dann nur noch in Häusern versorgt würden, die über genügend Expertise verfügen und adäquat medizintechnisch ausgerüstet sind.“ In dem Fall wäre dann die Mm-R nur noch eine Art unterstützende Leitvorgabe. Prof. Thomas Mansky: „Wir müssen endlich begreifen, dass wir die Medizin von heute nicht in einer Krankenhauslandschaft von vor 50 Jahren erbringen können. Spezialisierte Medizin gehört in spezialisierte Zentren.“
    Unsere Gesprächspartner machten auch deutlich, dass es wichtig ist, die Bürger vom Nutzen der Zentralisierung und Spezialisierung zu überzeugen. Gelinge es, dieses Wissen auf die Straße zu bringen, werde auch die Politik leichter folgen.
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  • Besserer Zugang für Patienten zu geprüften Klinik-Informationen: Die Mindestmengen-Regelung ist kaum einem Patienten bekannt. Das liegt schon allein daran, dass die Ergebnisse in den Qualitätsberichten der Kliniken veröffentlicht werden, die nur sehr wenige Patienten nutzen. Kliniksuchportale wie die Weisse Liste ziehen die Informationen zur Mindestmenge inzwischen aus den Berichten und geben die Einhaltung oder Nichteinhaltung prominent in den Such-Ergebnissen wieder. Das ist aber für die Behandlungsqualität der Patienten wenig hilfreich, wenn mehr als jede zehnte Klinik – wie diese Analyse gezeigt hat – mithilfe von „Ausnahmetatbeständen“ das Label „Mindestmenge erfüllt“ erhält. Und wenn ein Viertel gar keine Angaben zu ihrem Status machen. Das können sich die Kliniken bislang leisten, weil die Prüfung der Qualitätsberichte auf Vollständigkeit und Plausibilität durch den G-BA in den Kinderschuhen steckt. Fehlen die verpflichtenden Angaben zu Fallzahlen und „Ausnahmetatbeständen“ im Qualitätsbericht, hat das bis jetzt keinerlei Folgen für die Krankenhäuser.
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  • Neue Mindestmengen festlegen, die mehr Patienten schützen: Zurzeit sind nur sieben Behandlungen und Eingriffe mindestmengenbelegt, die zudem – bis auf den Bereich Knieprothesen – wenige Patienten betreffen. Rund 177.000 Operationen pro Jahr sind es bislang lediglich, die unter die Mm-R fallen. Ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich zum gesamten Operationsgeschehen in Deutschland mit inzwischen mehr als 19 Millionen operativen Prozeduren im Krankenhaus pro Jahr – vollstationäre und ambulante Eingriffe zusammengerechnet. Krankenkassen, mehrere medizinische Fachgesellschaften und Wissenschaftler fordern daher, dass der neuen Mm-R auch bald neue Mindestmengen folgen müssen, die mehr Patienten vor unnötigen Komplikationen schützen. Nach Anträgen des GKV-Spitzenverbandes sind Beratungen zu den Bereichen Brustkrebs- und Thorax-Chirurgie bereits beschlossen. Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie hält Mindestmengen auch in der Herzchirurgie für den richtigen Weg [6] [11]. Prof. Thomas Mansky hatte 2017 mit einem Team den Zusammenhang von Fallzahl und Qualität für 25 medizinische Bereiche berechnet und forderte im Qualitätsmonitor 2017 und 2018 Mindestmengen für Herzinfarkt, Brustkrebs, Lungenkrebs- und Darmkrebs-Operationen.
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  • Schnellere Umsetzung neuer Mindestmengen: Bislang rechnet der GKV-Spitzenverband mit rund 6 Jahren, bis eine beantragte Mindestmenge im Krankenhaus angekommen ist [7].
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  • Erhöhung bestehender Mindestmengen: Viele Ärzte, medizinische Fachgesellschaften und Wissenschaftler fordern seit längerem die Erhöhung der bestehenden Mindestmengen. Das liegt zum einen daran, dass inzwischen viele Studien gezeigt haben: Erst bei höheren Fallzahlen als den bislang festgelegten steigt die Patientensicherheit deutlich [12] [16] [17]. Zum anderen würden höhere Mindestmengen das Risiko senken, dass mehr operiert wird als nötig, um die Mindestmengen zu erreichen. Einige wenige zusätzliche Operationen, um eine niedrige Mindestmenge zu erreichen, sind unter Umständen leicht möglich – und damit die Mindestmengen-Regelung ein großer Operations-Anreiz, so die Argumentation. Ist die Mindestmenge aber deutlich höher und damit für Kliniken mit geringen Fallzahlen unerreichbar, fällt auch der Anreiz weg, mehr zu operieren als nötig.
    Studien haben in den vergangenen Jahren mehrfach gezeigt, dass sich die Anzahl der durchgeführten Operationen pro Klinik in den Mindestmengenbereichen ändert, sobald sich die Mindestmenge ändert. So hatten zum Beispiel [4] gezeigt, dass noch 2005 die meisten Krankenhäuser 5 Ösophagus-Eingriffe pro Jahr durchgeführt hatten – als die Mindestmenge 5 betragen hatte. Nachdem diese Mindestmenge auf 10 erhöht worden war, hatten immer mehr Kliniken schließlich 10 Eingriffe pro Jahr vorgenommen.
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Daten und Methoden: Wie haben wir gerechnet?

Für diese Analyse haben Weisse Liste und Science Media Center zusammengearbeitet. Die Weisse Liste macht auf ihrer Website Qualitätsunterschiede zwischen Kliniken sichtbar. Sie wertet seit über zehn Jahren die Strukturierten Qualitätsberichte (SQB) der Krankenhäuser aus und hat für diese Untersuchung die mindestmengenrelevanten Informationen aus den aktuellen SQB extrahiert. Das Science Media Center hat die Regeln für die Datenextraktion und Statuszuweisung (siehe unten) festgelegt und die Berechnung der einzelnen Kennzahlen durchgeführt. Das Konzept dieser Auswertung wurde von zwei unabhängigen Wissenschaftlern überprüft.

Daten: Quelle, Umfang, Limitationen

Grundlage dieser Analyse sind die SQB von 2017. Alle Daten, die in den SQB enthalten sind, erheben die Kliniken selbst und werden vom G-BA unverändert veröffentlicht. Eine Überprüfung oder Plausibilisierung mithilfe anderer Datensätze findet nicht statt. Die Erstellung der SQB ist eine umfangreiche, komplexe Aufgabe. Bei Gesprächen mit Verantwortlichen in Kliniken wurde deutlich, dass es immer wieder Unsicherheiten darüber gibt, wie welche Felder auszufüllen sind. Ein Interview mit dem IT-Manager einer Klinik ergab, dass Zahlen gegebenenfalls zum Vorteil der Klinik verändert dargestellt werden. Die Daten müssen daher mit Vorsicht interpretiert werden. Mindestmengen-Analysen aus der Forschung [14] auf Grundlage der Krankenhausstatistik, die die abgerechneten Prozeduren beinhaltet, kommen aber zu vergleichbaren Ergebnissen oder sogar zum Teil zu noch schlechteren Einhaltungsquoten der Mindestmengen als diese Analyse auf Grundlage der SQB. Die vorliegende Untersuchung unterschätzt das Problem daher eher, als dass sie es überschätzt.

Alle Berechnungen dieser Analyse beruhen auf der Grundgesamtheit der Kliniken, die Leistungen aus dem Bereich des Mindestmengen-Kataloges erbringen. Alle anderen Kliniken wurden nicht berücksichtigt. Entfernt wurden ebenso SQB mit der Standortnummer 99, weil sie keine Daten einzelner Standorte enthalten, sondern die Zahlen mehrerer Standorte einer Klinik zusammenfassen.

In den SQB gibt es zwei Teile, die Informationen zu Mindestmengen liefern:

     

  • Teil C: Im Abschnitt C-5 soll die Klinik Fallzahlen und gegebenenfalls Ausnahmetatbestände für die Mindestmengen-Bereiche angeben, in denen sie Leistungen erbringt.
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  • Teil B: Hier dokumentiert die Klinik, wie viele sie von welchen Operationen vornimmt. Jedem Eingriff ist ein sogenannter OPS-Code zugewiesen, mit dem der Eingriff eindeutig identifizierbar ist.
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Datenextraktion und Statuszuweisung

     

  • Zunächst wurden die mindestmengenrelevanten Daten aus den SQB 2017 extrahiert: zum einen die Angaben der Kliniken zu Fallzahlen und Ausnahmetatbeständen (AT) unter C-5 im C-Teil der SQB; zum anderen alle Mindestmengen-Leistungen aus dem B-Teil der SQB. Die Liste der entsprechenden OPS-Codes liefert der G-BA in seinem Mindestmengen-Katalog [8]. Für jeden Mindestmengen-Bereich gibt es mehrere OPS-Codes, die zusammenaddiert werden müssen.
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  • Im Bereich der Lebertransplantation wurden die Kliniken ausgeschlossen, die ausschließlich den Code 5-503.0 (Hepatektomie, postmortal) erbringen. Der Code ist im Mindestmengen-Katalog zwar enthalten, macht aber wenig Sinn, weil die Entnahme von Spenderorganen in vielen Fällen dezentral erfolgen muss und auch soll.
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  • Die Mindestmenge für Früh- und Neugeborene wurde in dieser Analyse ausgeschlossen, weil es für diesen Bereich keinen OPS-Leistungskatalog gibt und damit keine Analyse des B-Teils möglich war.
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  • Des Weiteren wurden Kliniken ausgeschlossen, die im B-Teil keine Prozeduren aus dem Mindestmengen-Katalog aufgeführt haben.
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  • Sind die Fallzahlen für bestimmte OPS-Codes kleiner oder gleich 3, wird der exakte Wert im B-Teil der SQB aus Datenschutzgründen nicht veröffentlicht. In dem entsprechenden Datenfeld steht „Datenschutz“. Dahinter können sich die Werte 1, 2 oder 3 verbergen. Da die meisten Mindestmengen sehr niedrig sind, ist es von erheblicher Bedeutung, welchen Wert man für die Datenschutzfelder annimmt. Wir haben pro Klinik für jeden Mindestmengen-Bereich einen minimalen Wert B (min) und einen maximalen Wert B (max) berechnet. Für B (min) haben wir pro Datenschutzfeld n=1 eingesetzt, für B (max) n=3.
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  • Anschließend wurde den Klinik-Standorten für ihre Mindestmengen-Leistungen ein Status zugewiesen: „erreicht“/“nicht erreicht“/“unsicher“. Dafür wurde zunächst die krankenhauseigene Status-Angabe im C-Teil herangezogen und anschließend deren Plausibilität mithilfe der berechneten Fallzahl im B-Teil überprüft. Je nach Angabe im C-Teil wurde dafür B (min) oder B (max) herangezogen. Dabei sind wir wie folgt vorgegangen: Hat eine Klinik im C-Teil angegeben, dass sie eine Mindestmenge erreicht hat, so haben wir als berechnete Fallzahl aus dem B-Teil B (max) angenommen. Das heißt: Wir haben im Sinne der Klinik pro Datenschutzfeld die maximal möglichen drei Eingriffe angenommen. Hat die Klinik dagegen selbst im C-Teil angegeben, dass sie eine Mindestmenge nicht erreicht hat, so haben wir als berechnete Fallzahl aus dem B-Teil B (min) angenommen.
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  • Gab es keine Angaben im C-Teil, wurde für die Zuordnung des Status nur die berechnete Fallzahl aus dem B-Teil verwendet. War die minimale Fallzahl B (min) hier größer oder gleich der Mindestfallzahl, haben wir das als „Mindestmenge erreicht“ eingestuft. War die maximale Fallzahl B (max) kleiner als die benötigte Mindestfallzahl, haben wir das als „Mindestmenge nicht erreicht“ eingestuft. War nur die maximale Fallzahl größer als die Mindestmenge, haben wir den Status „unsicher“ vergeben.
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  • Die Definition der drei Status-Versionen lautet im Einzelnen wie folgt:
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Wer erreicht die Mindestmengen nicht?

Angabe im C-Teil;      Angabe im B-Teil;     Status

C-Teil: nicht erfüllt;    B (min) < Mm;        nicht erreicht
C-Teil: erfüllt;            B (max) < Mm;       nicht erreicht
C-Teil: ohne Angabe;  B (max) < Mm;       nicht erreicht

Wer erreicht die Mindestmengen?

Angabe im C-Teil;      Angabe im B-Teil;     Status

C-Teil: erfüllt;            B (min) ≥ Mm;        erreicht
C-Teil: nicht erfüllt;    B (max) ≥ Mm;       erreicht
C-Teil: ohne Angabe;  B (max) ≥ Mm;       erreicht

Bei welcher Klinik ist keine sichere Aussage zu treffen?

Angabe im C-Teil;      Angabe im B-Teil;     Status

C-Teil: ohne Angabe;  B (max) ≥ Mm;       unsicher.

Berechnung von Klinikzahlen und OP-Zahlen

Aufsetzend auf die Statuszuweisung wurden die weiteren Berechnungen vorgenommen:

     

  • zu Erreichungsquoten auf Bundeslandebene
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  • zu Erreichungsquoten pro Mindestmengen-Bereich
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  • zu den OP-Zahlen der Kliniken, die die Mindestmengen nicht erreichen.
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Für die Berechnung der Operationszahlen wurden ausschließlich die Fallzahlen aus dem B-Teil der Kliniken berücksichtigt, weil im C-Teil bei einem Viertel der Kliniken Angaben zu Mindestmengen fehlten. Bei der Analyse des B-Teils trat wie zuvor die Problematik der Datenschutz-Felder auf, hinter denen sich die Werte 1, 2 oder 3 verbergen können. In diesem Fall wurde analog zu ähnlichen Untersuchungen der Mittelwert n=2 angenommen. Operationszahlen von Kliniken mit Status „unsicher“ wurden ausgeschlossen.

Bei all diesen Berechnungen wurden die Ausnahmetatbestände (AT) immer mitberücksichtigt, aber nicht einzeln aufgeschlüsselt. Alle Kliniken, die einen der vier möglichen AT angegeben haben, wurden zu einer Kategorie „mit AT“ zusammengefasst.

Literatur

[1] Aiken LH et al, RN4CAST consortium (2014). Nurse staffing and education and hospital mortality in nine European countries: a retrospective observational study. Lancet. 2014 May 24;383(9931): 1824-1830. DOI: 10.1016/S0140-6736(13)62631-8. Epub Feb 2014

[2] Amato L et al (2013). Volume and health outcomes: evidence from systematic reviews and from evaluation of Italian hospital data. Epidemiologia e prevenzione (37) 2–3: 1–100.

[3] Bauer H et al (2017). Mindestmengen in der Chirurgie – sind wir weit genug? In: Klauber J, Geraedts M, Friedrich J, Wasem J: Krankenhausreport 2017: 107-131

[4] de Cruppé W et al (2014). Achieving minimum caseload requirements: an analysis of hospital quality control reports from 2004–2010. Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 549–555. DOI: 10.3238/arztebl.2014.05

[5] de Wilde RF et al (2012): Impact of nationwide centralization of pancreaticoduodenectomy on hospital mortality. In: British Journal of Surgery, 99 (3):404-410. 

[6] Falk V et al (2019). Konzentration von TAVI-Leistungen führt zu erhöhter Patientensicherheit – zur Notwendigkeit von Herzklappenzentren. In: Dorman F, Klauber J, Kuhlen R: Qualitätsmonitor 2019: 89-104

[7] Follert P et al (2019). Neustart: Überlegungen im „Jahr eins“ nach Änderung der Mindestmengenregelung. In: Dorman F, Klauber J, Kuhlen R: Qualitätsmonitor 2019: 47-61

[8] G-BA (2017). Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß § 136b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V für nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser (Mindestmengenregelung, Mm-R), zuletzt geändert am 7. Dezember 2016

[9] G-BA (2019). Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses gemäß §136b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB V für nach §108 SGB V zugelassene Krankenhäuser (Mindestmengenregelung, Mm-R), zuletzt geändert am 5.Dezember 2018

[10] Hölscher AH et al (2004). High-Volume Centers – Effect of Case Load on Outcome in Cancer Surgery. Onkologie 27: 412-416; 

[11] Idw online (2017). DGK-Präsident Prof. Katus: Mindestmengen bei Eingriffen sollen die Qualität sichern), Pressemitteilung vom 11.10.2017. idw-online.de/de/news682591

[12] Krautz C et al (2018). Effect of Hospital Volume on In-hospital Morbidity and Mortality Following Pancreatic Surgery in Germany. Annals of Surgery, 2018 Mar; 267(3), S. 411-417. doi: 10.1097/SLA.0000000000002248.

[13] Luft H et al (1979). Should Operations Be Regionalized? The Empirical Relation Between Surgical Volume and Mortality. N Engl J Med, 301: 1364-1369. DOI: 10.1056/NEJM197912203012503

[14] Mansky T et al (2017). G-IQI/ German Inpatient Quality Indicators Version 5.1, Band 2, Definitionshandbuch für das Datenjahr 2017: A37

[15] Morche J et al (2018). International comparison of minimum volume standards for hospitals. Health Policy, 122 (11): 1165-1176

[16] Nimptsch U, Peschke D, Mansky T (2017). Mindestmengen und Krankenhaussterblichkeit – Beobachtungsstudie mit deutschlandweiten Krankenhausabrechnungsdaten von 2006 bis 2013. Gesundheitswesen 2017; 79(10): 823-834; DOI: 10.1055/s-0042-100731

[17] Nimptsch U, Mansky T (2017). Hospital volume and mortality for 25 types of inpatient treatment in German hospitals: Observational study using complete national data from 2009 to 2014. BMJ Open 2017;7:e016184. DOI:10.1136/bmjopen-2017-01618

[18] OECD (2017). Health at a glance 2017: OECD INDICATORS, OECD Publishing Paris: 111

[19] Pearse RM et al (2012). Mortality after surgery in Europe: a 7 day cohort study. Lancet 2012; 380: 1059-1065

[20] Peschke D, Nimptsch U, Mansky T (2014). Achieving minimum caseload requirements: an analysis of hospital discharge data from 2005-2011. Dtsch Artzebl Int 2014; Gesundheitswesen 2017; 79(10): 823-834. DOI: 10.1055/s-0042-100731

[21] SGB V, § 136b. Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Qualitätssicherung im Krankenhaus. Zuletzt geändert durch Art. 2 G v. 11.12.2018

[22] Vogel J, Polin K, Pross C, Geissler A (2019). Implikationen von Mindestmengen und Zertifizierungsvorgaben: Auswirkungen verschiedener Vorgaben auf den deutschen Krankenhaussektor. In Dorman F, Klauber J, Kuhlen R: Qualitätsmonitor 2019: 63-86